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Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Der Blankoscheck

Als Carsdale gegangen war und Sylvia begriffen hatte, daß ihr Luftschloß hoffnungslos zusammengestürzt war, begann sie sofort ihre Lage zu überdenken. Sie hatte sich alles so schön gedacht. Sie wollte Richard eine gute Frau werden und über ihn und sein Geld wachen. Sie wollte in dieser Hinsicht selbst Carsdale auf die Finger sehen. Nun waren alle diese Träume zerflattert, und wieder würde sie allein den Kampf mit dem Leben aufnehmen müssen. Sie verfluchte den toten Kinahan und den lebenden Werrick und das Schicksal, das sie so betrogen hatte.

Der erheblichste Faktor in ihrer Rechnung war natürlich der Mann, der nach den Gesetzen Englands ihr Gatte war. Ihr bisheriges Leben zog an ihr vorüber. Sie erinnerte sich der Kinderheirat, des lustigen Lebens, solange ihr und Werricks Geld ausreichte. Dann kam eine abenteuerliche, aber selten angenehme Zeit. Sie erinnerte sich der harten Tage in Neuyork, wo Carsdale eine Rolle in ihrem Leben spielte. Mit Mühe entwischten sie, während Werrick in die Hände der Justiz fiel und ein Asyl in Sing-Sing fand. Sie hatten dann gehört, daß er nach dem Westen verschlagen sei, und Kinahans Nachricht hatte sie beide mit Freude erfüllt. Denn solange Werrick lebte, war er eine drohende Gefahr, zumal er bei kühler Überlegung zu allem fähig war. Der kalte Schweiß stand ihr bei dem Gedanken auf der Stirn. Jedenfalls galt es hier, ohne Rücksicht auf andere sich selbst in Sicherheit zu bringen.

Die nächste Überlegung war folgerichtig: wie standen ihre Finanzen? Sie hatte ungefähr dreihundert Pfund an barem Geld auf ihrer Bank. Ihr Schmuck war ungefähr sechshundert wert. Dazu kam das Halsband, für das ihr jeder Juwelier mindestens neun- bis zehntausend Pfund geben würde. Und dann hatte sie einen Blankoscheck, den Richard ihr vor zwei Tagen aufgenötigt hatte, damit sie die Hochzeit, die nicht länger aufgeschoben werden sollte, vorbereiten könne. In diesem Scheck lagen ungeahnte Möglichkeiten.

Carsdale kam an diesem Tag erst gegen Mittag auf sein Büro. Als sie allein waren, sah sie ihn mit schweigender Frage an. Er nickte beruhigend.

»Alles im Lot. Er sieht ein, daß er sich ruhig verhalten muß, bis ich ihn brauche. Er wird nicht herkommen und sich um dich nicht kümmern. Natürlich mußte ich ihn mit Versprechungen füttern und ihm Geld geben. Aber du kannst unbesorgt sein.«

»Ich ließ ihn in meiner Wohnung«, antwortete Carsdale sorglos. »Und mit hundert Pfund in der Tasche, damit er sich neu ausstatten kann. Für den Augenblick ist Sydney besorgt und aufgehoben.«

Frau Walsingham schüttelte den Kopf.

»Du vergißt, daß er gestern abend das Halsband gesehen hat. Er versteht sich auf so etwas, und wenn seine Begierde einmal erwacht ist –«

»Er sieht ein, daß hier mehr auf dem Spiel steht«, unterbrach sie Carsdale, »und er wird Geduld haben. Wo ist übrigens das Halsband?«

»Auf meiner Bank.«

»Gut, nun mach dir weiter keine Gedanken. Kommt der Junge heute morgen?«

»Er kommt zu jeder Tageszeit, wie du weißt.«

»Ich muß ihn sprechen. Laß ihn nicht fort, bis ich ihn gesehen habe.«

Aber an diesem Tage kam Richard erst nach fünf. Er sah etwas erstaunt aus und legte einen Brief auf Frau Walsinghams Tisch.

»Ich habe heute einen neuen Wagen ausprobiert«, sagte er, während er sich in einen Sessel warf. »Als ich in meiner Wohnung vorsprach, fand ich dieses Schreiben von Burgoyne. Kedgin sagt, er habe es in höchster Eile hingekritzelt, und sei dann davongestürzt, um den Nachmittagszug nach Paris noch zu erreichen. Lies doch mal, ich werde nicht daraus klug.«

Und Frau Walsingham las:

 

Lieber Richard!

Ich muß in dringenden Geschäften nach Paris. Vielleicht brauche ich dich auch hier. Ich gebe dir dann morgen vormittag telegraphisch Bescheid, damit du den 2.20-Zug in Charling Croß noch erreichen kannst. Du bekommst auf alle Fälle Nachricht.

Dein R. B.

 

»Was soll das bedeuten?« fragte Richard. »Ich habe keine Ahnung von einem wichtigen Geschäft in Paris, bei dem er mich brauchen könnte, es müßte sich denn um seine geplante Gründung handeln. Was denkst du darüber, Sylvia?«

Frau Walsingham dachte, daß Burgoynes Brief ihr sehr gelegen kam. Es war ihr drum zu tun, Richard für ein paar Tage aus dem Wege zu haben, und sie hatte sich schon den Kopf zerbrochen, wie sie es bewerkstelligen könnte. Nun machte sich das ganz von selbst.

»Du wirst doch natürlich fahren, wenn er dich ruft?« sagte sie und faltete den Brief zusammen.

»Ich denke«, antwortete er halb unwillig. »Dabei wollte ich morgen in dem neuen Wagen mit dir nach Brighton fahren.«

»Das hat Zeit«, sagte sie. »Ich kann mir denken, was Kapitän Burgoyne will. Er trifft offenbar in Paris mit den Leuten zusammen, die er dir als für die südamerikanische Gesellschaft interessiert bezeichnet hat. Bei den Verhandlungen sollst du ihn unterstützen. So wird es sein.«

»Glaubst du? Dann geh ich natürlich gern, zumal ich Paris noch nicht kenne. Ich glaube aber, Carsdale würde ihm nützlicher sein.«

In diesem Augenblick steckte Carsdale, laut und geschäftig wie immer, den Kopf zur Tür herein.

»Guten Tag, Shrewsbury. Das trifft sich gut, Sie müssen ein paar Schriftstücke unterzeichnen, reine Formsache.«

»Gut«, sagte Richard. »Sehen Sie hier«, und damit schob er ihm Burgoynes Schreiben hin. »Sylvia meint, ich könnte Burgoyne bei seinen Verhandlungen mit den Franzosen unterstützen«, sagte er lachend. »Meinen Sie nicht, daß Sie das besser verständen?«

Carsdale war ebenso froh, Richard für eine Zeit aus London entfernen zu können. Er sah Frau Walsingham an und merkte, daß sie denselben Gedanken hatte.

»Keineswegs«, erwiderte er darum. »Sie müssen natürlich selbst hin, wenn er nach Ihnen verlangt. Den französischen Geldgebern gegenüber sollen Sie Kapital repräsentieren. Ohne Zweifel müssen Sie fahren. Erst unterzeichnen Sie aber bitte die Papiere.«

Richard, der sich prinzipiell nie um den Inhalt von Schriftstücken, die Carsdale ihm zur Unterschrift vorlegte, kümmerte, da sein Vertrauen zu ihm unbegrenzt war, schrieb ein paarmal seinen Namen, und begann dann von seinem neuen Wagen zu erzählen, der unten vor der Tür stand. Carsdale mußte heruntergehen und ihn bewundern. Schließlich nötigte er Sylvia, einzusteigen, und er fuhr mit ihr zu einem idyllischen Dorfkrug, den er unlängst in Surrey entdeckt hatte. Carsdale blickte ihnen nach und lachte, als er in sein Zimmer zurückging.

»Der Brief von Burgoyne kommt just zur rechten Zeit. Hoffentlich läßt er ihn nachkommen.«

Am nächsten Tag erschien Richard tatsächlich mit der Mitteilung, daß er nach Paris fahren müsse, in spätestens achtundvierzig Stunden aber wieder zurückkommen werde.

»Sie wären ein Idiot, wenn Sie nicht wenigstens eine Woche blieben«, sagte Carsdale, indem er ihm lachend auf die Schulter klopfte.

»Natürlich bleibt er eine Woche«, sagte auch Frau Walsingham.

»Ich wünschte, du könntest mitkommen«, meinte Richard.

»Da es nicht geht, hat es keinen Zweck, darüber zu reden«, erwiderte sie.

Als der Zug, zu dem sie ihn begleitet hatte, den Bahnhof verließ, winkte sie dem Scheidenden nach. Dann verließ sie den Bahnsteig mit nicht mehr Bewegung, als habe sie sich von einem Lieblingshund für immer getrennt. Denn der Gedanke an die Gefahr, die ihr von Sydney Werrick drohte, nahm sie völlig in Anspruch.

Der Abend fand Sylvia in ihrem wohlverschlossenen Zimmer. Sie nahm Richards Blankoscheck und füllte ihn mit fester Hand auf die Summe von fünfzehntausend Pfund aus.

An diesem Abend ging sie früh zu Bett und schlief fest und lange.


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