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Siebentes Kapitel.
Carsdales Fürsorge

Als Richard am Morgen seiner Ankunft in London über die Waterloobrücke fuhr, war ihm der Gedanke gekommen: Wie werde ich in Zukunft meine Zeit hinbringen? Nun wunderte er sich, was er alles zu tun hatte. Es gab auf einmal so vieles, um das er sich kümmern mußte, und alles machte ihm Spaß. Mit großem Vergnügen stellte er in den Zimmern die Möbel nach Gutdünken um. Dazu nahmen ihn vierzehn Tage hindurch all die Leute in Anspruch, denen die Verfeinerung seines äußeren Menschen oblag. Das Resultat ihrer von Carsdale geleiteten Bemühungen war, daß der junge Mann sich als einen der bestgekleidetsten Menschen in London betrachten konnte, und daß Kedgin eine gewaltige Garderobe zu verwalten hatte. Aber außer mit Kleidern, Schuhen, Wäsche und Handschuhen mußte man sich auch mit mehr geistigen Gegenständen befassen. Geführt von Carsdale und beraten von dessen schöner Sekretärin kaufte er Bilder, Bücher und altes Porzellan, und sie sorgten dafür, daß er nur wertvolles erstand.

Schnell kam Richard dahinter, daß sich Geld leicht ausgeben läßt, wenn man es in genügender Menge besitzt. Carsdale machte ihm klar, daß er bei seinem Einkommen sich Pferde halten müsse. Natürlich wußte er, wo man sie kaufen und unterstellen konnte, und die Geschichte kostete zweihundert Pfund und noch einiges mehr. Natürlich brauchte er auch ein Automobil. Carsdale kannte die Bezugsquelle und bestellte es, und als es, mit allem erdenklichen Luxus ausgestattet, fertig war, kostete es dreimal soviel wie die Pferde. Dazu war ein Chauffeur nötig. Carsdale fand den richtigen Mann, und Richard engagierte ihn gegen einen beträchtlichen Lohn. Nun fehlte ihm nur noch der Klub. Carsdale führte ihn gleich in zwei ein, von denen der eine stark sportlichen Charakter trug. Man müsse Abwechselung haben, meinte Carsdale. Richard nahm alle Ratschläge seines Mentors dankbar hin. Er gefiel sich außerordentlich in seinen neuen Pflichten und Vergnügungen während der ersten Wochen seines englischen Aufenthalts und betrachtete Carsdale wie ein wandelndes Nachschlagewerk.

Dieser ließ den jungen Mann sich erst einleben, ehe er auf die Anlage seines Vermögens zu sprechen kam. Er wußte, wo Richards dreihunderttausend Pfund sich befanden und daß der Besitzer jederzeit über das Geld verfügen konnte. Die Summe lag auf einer sehr gut fundierten und soliden Privatbank, und Carsdale wußte, daß die Inhaber sich um die Geschäfte ihres Kunden kümmern würden. Als er daher eines Morgens in seinem Büro mit Richard über die Anlage seines Kapitals verhandelte, hütete er sich wohl, gewagte Spekulationen vorzuschlagen. Vielmehr hatte er für eine Viertelmillion solide Wertpapiere in Aussicht genommen und auf einer Liste sorgsam zusammengestellt. Punkt für Punkt ging er sie mit Richard durch, der von den Einzelheiten wenig verstand. Er begriff nur, daß er aus diesen, wie Carsdale sagte, mündelsicheren Papieren ein jährliches Einkommen von fünfzehntausend Pfund haben werde.

»Damit kommen Sie als Junggeselle natürlich aus. Wenn Sie einmal heiraten wollen, können wir darüber nachdenken, wie sich die Einkünfte vermehren lassen. Sie werden zunächst nicht einmal alles verbrauchen können.«

»Wie sollte ich im Jahr fünfzehntausend Pfund ausgeben!« rief Richard aus. »Unmöglich. Ich habe jeden Pfennig notiert, den ich bisher verbraucht habe – nein, das ist unmöglich.«

»Mein Lieber«, sagte Carsdale mit trocknem Lachen, »es ist auch besser, Sie versuchen es nicht. Verschwendung lernt sich leicht. Ich habe allerdings mit Befriedigung festgestellt, daß Sie sich weder aus Rennpferden noch aus dem Jeu etwas machen und auch Sängerinnen und dergleichen nicht schätzen. Hüten Sie sich vor den Weibern, mein Sohn, dann ist alles gut. Aber nun zurück zum Geschäft. Sie folgen also bei dem Kauf der Wertpapiere nicht nur meinem Rat, sondern Ihrem eigenen Willen. Aber haben Sie Ihre Bankiers überhaupt schon ausgesucht?«

»Nein, ich hatte noch keine Zeit dazu.«

»Schön, aber die Herren werden sich nichtsdestoweniger freuen, Sie kennenzulernen. Nun tun Sie bitte, was ich Ihnen vorschlage. Sagen Sie, auf den Rat Ihres Freundes Carsdale, Norfolkstraße, hätten Sie vor, Ihr Kapital in dieser Weise zu investieren. Legen Sie ihnen diese Liste vor und fragen Sie die Herren, ob sie die Vorschläge für gut halten. Sagen Sie ihnen gleichzeitig, daß Sie die Papiere bei ihnen deponieren wollen. Fahren Sie gleich, und kommen Sie dann wieder mit dem Bescheid.«

Und Richard fuhr los und besuchte die beiden, sehr würdigen und durchaus interessierten Herren, die zwar einen Mr. John Carsdale aus der Norfolkstraße nicht zu kennen schienen, aber der soliden Art, in der dieser Gentleman die Gelder ihres Kunden anlegen wollte, ihre vollste Billigung aussprachen. Denn alle Unternehmungen, die auf Carsdales Liste prangten, waren durchaus gut und gesund, und sie freuten sich, daß ihr Kunde sich nicht auf wilde Spekulationen oder Rennstallgründungen einlassen wollte. So sagten sie ganz offen, er könne nichts Besseres tun, als seines Freundes Rat befolgen.

»Recht so«, sagte Carsdale, als Richard zurückkam. »Das beweist, daß sie verständige Männer sind.«

»Aber was geschieht mit dem Rest des Geldes?« fragte Richard, der anfing, sich für Finanzgeschäfte zu interessieren.

»Was für ein Rest?« fragte der andere.

»Ich habe doch noch viel mehr auf der Bank. Dreihundertundsiebentausend Pfund waren da, als ich ankam. Dreitausend habe ich verbraucht, so bleiben immer noch über fünfzigtausend, wenn die Papiere gekauft sind. Was soll damit geschehen?«

»Das lassen Sie nur vorläufig«, antwortete Carsdale. »Es ist immer gut, Bargeld auf der Bank zur Verfügung zu haben. Aber wenn Sie wollen, können Sie mir zehntausend zum Börsenspiel lassen.«

»Wozu?«

»Zum Börsenspiel«, wiederholte Carsdale. »Ich kenne so allerlei Geschäftchen, in die man ein paar tausend oder auch nur ein paar hundert Pfund stecken kann. Dabei lassen sich oft fünfzig Prozent verdienen. Überlassen Sie mir zehntausend, und Sie werden sehen, was am Ende des Jahres dabei herauskommt.«

Richard war natürlich einverstanden, denn er hielt Carsdale für einen Meister in Geldsachen, und dieser zahlte bald darauf zehntausend Pfund auf sein eigenes Bankkonto ein. Sein Weizen blühte, denn er hatte von all den Geschäftsleuten, die er mit Richard in Verbindung gebracht hatte, hübsche Provisionen bekommen. Auch hatte er bei der Auseinandersetzung mit den Testamentsvollstreckern seines verstorbenen Partners nicht schlecht abgeschnitten, so daß die Zukunft in hellem Glanz vor ihm lag. Nun war er alleiniger Herr der Büros in der Norfolkstraße, Levertons Name war von dem Messingschild verschwunden. Nun konnte Franziska nicht mehr kommen, in Büchern und Papieren herumstöbern und unangenehme Fragen stellen. Er war jetzt betriebsamer denn je. Selbst Frau Walsingham wunderte sich.

»Ich weiß gar nicht, was du im Schilde führst«, sagte sie eines Tages, als sie in seinem Zimmer beieinander saßen. »Seit der junge Shrewsbury aufgetaucht ist, entwickelst du ein merkwürdiges Bestreben nach Solidität in deinen Geschäften.«

»Ganz richtig«, antwortete, er. »Den jungen Shrewsbury brauchte ich gerade. Es war ein feiner Trick, daß ich ihn mit der Liste der Wertpapiere zu seinen Bankiers schickte. Das hat mir zu Ehre und Ansehen verholfen. Einen von ihnen traf ich neulich bei einer Versammlung im Cannon Street Hotel, und er ließ sich herab, mich zu dem guten Rat zu beglückwünschen, den ich einem jungen und unerfahrenen Gentleman gegeben hätte. Beim Abschied reichte er mir sogar zwei Finger. Was sagst du dazu, Sylvia?«

»Ich nehme an, du wirst dermaßen an Tugend und Ansehen wachsen, daß dir noch eine der Perrücken aus der City die ganze Hand geben wird angesichts der ganzen Lombardstraße. Ganz schön – solange es sich bezahlt macht.«

»Es macht sich bezahlt«, sagte Carsdale. »Außerdem erntest du ja ebenso wie ich. Du bist ja in ständiger Verbindung mit dem Jungen.«

Carsdale hatte recht. Richard hatte sich schnell daran gewöhnt, Frau Walsingham regelmäßig zu besuchen. Erst brauchte er noch Vorwände. Er bedurfte ihres Rates, wie er ein Bild aufhängen, ein Buch einbinden lassen sollte. Schließlich war es selbstverständlich, daß er sie täglich sah. Er holte sie zum Essen, zum Theater, zur Oper ab. Als er dann das Auto hatte, fuhr er an den Sonntagen mit ihr über Land. Zuerst kam Carsdale mit, dann machte er Ausflüchte. So wurde Richard Frau Walsinghams Schatten, und oft hielt der Wagen vor dem Haus in der Norfolkstraße zu Zeiten, wo sie nach der Ansicht von Griffkin und Fräulein Rouseby an ihrem Pult hätte sitzen müssen.

»Aber Carsdale macht das Maul nicht auf«, bemerkte Griffkin. »Es ist egal, ob sie um vier oder um fünf geht.«

»Darf er es wagen, eine Lippe zu riskieren?« warf das Fräulein mit finsterer Bestimmtheit ein. »Manche Menschen auf der Welt können tun, was sie wollen – sie dürfen andere um den Finger wickeln wie – wie –«

»Wie ihre Ringe«, half Griffkin ein. »Sie haben recht.«

So vergingen Richards erste Wochen in London, und er gewöhnte sich an ein Leben in Luxus und Untätigkeit. Da er weder Laster noch besonderen Ehrgeiz besaß, von Natur freigebig war und die Dinge gern an sich herankommen ließ, war er mit seinem Los durchaus zufrieden.

Und dann geschah es eines Morgens, als er mit seiner schönen Freundin und Carsdale in dessen Privatzimmer plauderte, daß Griffkin die Tür öffnete und den Kapitän Ralph Burgoyne anmeldete.


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