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Vierzehntes Kapitel.
Burgoyne beginnt ein neues Forschungsunternehmen

Als Mr. Levanter diesen bedeutsamen Ausspruch tat, wurde Burgoyne, der sich bis dahin in dem Zimmer gleichgültig umgesehen hatte, plötzlich sehr ernst. Er setzte sich auf einen Stuhl, verschränkte die Hände über dem Griff seines Stockes und sah den anderen starr an.

»Vielleicht habe ich Sie nicht ganz verstanden, Mr. Levanter. Ich bin manchmal etwas geistesabwesend.«

Mr. Levanter räusperte sich und deutete auf das Halsband.

»Ich sagte, Herr Kapitän, das hier sind keine Diamanten,« wiederholte er. »Die Steine sind nachgemacht.«

Burgoyne nickte.

»Also nachgemacht? Sie wissen es genau?«

Der Juwelier zuckte die Achseln und lächelte. Und Burgoyne erinnerte sich des Rufes, den Mr. Levanter genoß.

»Natürlich, natürlich!« verbesserte er sich hastig. »Sie müssen es ja wissen. Lieber Himmel! Aber das ist doch seltsam Mr. Levanter, mehr wie seltsam.«

Mr. Levanter sah ihn mit dem Ausdruck einer höflichen Frage an.

»Sie waren überzeugt, daß es sich um echte Steine handelte?«

Burgoyne brach in ein krampfhaftes Lachen aus.

»Ich will Ihnen eine kleine Geschichte erzählen. Dieses Halsband, das ziemlich sicher der Kaiserin Marie Louise gehört hat, befindet sich seit mehr als hundert Jahren in dem Besitz meiner Familie. Ich kann bezeugen, daß es seit meiner Kindheit nie aus den Händen meines Vaters oder den meinen gekommen ist. Vor drei Jahren erst gab ich es unter Umständen fort, die ich Ihnen nachher auseinandersetzen will. Aber sagen Sie mir bitte erst, ob das Halsband wirklich im Fall der Echtheit der Steine zehntausend Pfund wert gewesen wäre.

»Sogar elf bis zwölftausend Pfund«, sagte der Juwelier.

»Schön. Vor drei Jahren also gab ich den Schmuck als Pfand für ein Darlehen von fünftausend Pfund. Der betreffende Mann ist inzwischen gestorben. Aber er ist ehrlich besorgt gewesen, daß ich wieder zu meinem Eigentum käme. Gestern zahlte ich seinem Notar das Darlehen zurück, und danach wurde das Halsband von der Bank geholt, bei der es sich in Verwahrung befand. Da ich es verkaufen wollte, brachte ich es zu Ihnen, um es abschätzen zu lassen. Nun sagen Sie mir, die Steine sind unecht. Demnach ist es also überhaupt nicht mein Halsband, sondern das echte ist mit einem anderen vertauscht worden.«

Der Juwelier schüttelte den Kopf und blickte gedankenvoll auf den Schmuck.

»Sie hielten es natürlich gestern für Ihr Eigentum?« fragte er.

»Ohne Zweifel.«

»Wie steht es mit der Fassung, erkennen Sie diese mit Bestimmtheit wieder? Sie ist sehr alt, ein unmodernes Muster, ziemlich abgenutzt und etwas fleckig. Trotzdem ließe sich eine Fälschung in wenigen Tagen herstellen.«

»Mit Bestimmtheit kann ich nicht sagen, daß es meine Fassung ist.«

»Dann liegt die Sache klar«, erwiderte Mr. Levanter. »Während der Zeit, da das Halsband in den Händen Ihres – Ihres Bekannten war, ist es aus seinem Geldschrank herausgenommen und durch eine geschickte Fälschung ersetzt worden. War Ihr Bekannter ein Ehrenmann, Herr Kapitän?«

»Dafür halte ich ihn unbedingt. Es erscheint mir ausgeschlossen, daß er das getan haben sollte, was Sie vermuten. In meiner Gegenwart wurde der Schmuck versiegelt und in seinen Geldschrank gelegt. Dort blieb er bis zu seinem Tode. In Ausführung seines letzten Willens brachten die Tochter und der Notar des Verstorbenen das Halsband zu der Bank, von der es gestern geholt wurde. Beide aber, die Tochter und der Notar, sind über jeden Verdacht erhaben.«

»Sicherlich«, bemerkte Mr. Levanter. »Dann ist nur ein Schluß möglich: die Unterschiebung des falschen an Stelle des echten Schmucks geschah durch eine Person, die bei Lebzeiten Ihres Bekannten an den Geldschrank heran konnte.«

Burgoyne sah den Juwelier einen Augenblick fest an, als wolle er die Bedeutung seiner Worte richtig erfassen.

»Ah!« sagte er schließlich. »Ja, Sie haben recht. Während er noch lebte, muß es geschehen sein.«

Mr. Levanter hustete diskret hinter seinen blassen Fingern.

»Darf ich mir die Frage erlauben, ob dieser Bekannte ein Geschäftsmann gewesen ist?«

»Ja.«

»Beschäftigte er Schreiber – Gehilfen?«

»Gewiß, verschiedene.«

Mr. Levanter nickte, als wollte er seine Meinung einem Menschen gegenüber, den er mit geistigem Auge sah, bekräftigen.

»Ihr verstorbener Bekannter war ein sehr unvorsichtiger Mann, daß er einen so wertvollen Gegenstand im Geldschrank eines Büros aufbewahrte.

Burgoyne stand auf.

»Nun muß ich leider selbst sagen, daß er unvorsichtig war. Trotzdem aber dieses Halsband wertlos ist, möchte ich Sie dennoch bitten, es sicher aufzubewahren. Packen Sie es ein, und wir wollen es beide mit unsern Petschaften versiegeln, bis es gebraucht wird.«

»Sie wollen dem Dieb nachspüren?« fragte der Juwelier.

»Ich will es wenigstens versuchen. Aber ohne meine Erlaubnis, Mr. Levanter, sprechen Sie bitte zu keinem Menschen ein Wort davon.«

Draußen rief Burgoyne eine Autotaxe an und befahl dem Chauffeur nach der Norfolkstraße zu fahren. Während der Fahrt überlegte er, und bis er an seinem Ziel anlangte, hatte er seine Gedanken leidlich in Ordnung gebracht.

1. Er war überzeugt, daß er Barklay Leverton echte Diamanten übergeben hatte.

2. Es war ausgeschlossen, daß Leverton ihn betrogen haben könnte.

3. Dasselbe galt für Franziska Leverton und Mr. Winch.

4. Noch lächerlicher wäre die Ansicht, daß der Diebstahl und die Unterschiebung in der Bank vor sich gegangen sein könnte.

5. Das Verbrechen konnte also nur in Levertons Büro ausgeführt worden sein.

»Und hat man mir nicht erzählt, daß Leverton während längerer Krankheitszeit nicht mehr in sein Büro gekommen ist, und daß das Halsband erst am Morgen seines Todes fortgebracht wurde?« überlegte er. »Hier finden sich die ersten Spuren. Ich brauche Mr. John Carsdale. In Geschäften, natürlich, in ganz harmlosen Geschäften.«

Mr. Carsdale war anwesend. Er trank gerade in Frau Walsinghams Zimmer mit dieser Dame und Mr. Shrewsbury eine Tasse Tee. Richard schleppte Burgoyne ohne Umstände hinein. Er tat überhaupt schon seit längerer Zeit, als wäre er in den Geschäftsräumen zu Hause, und er war Griffkins Abgott geworden, weil er mit Halbekronenstücken um sich warf.

»Aber ich wollte Mr. Carsdale geschäftlich sprechen«, sagte Burgoyne. Trotzdem nahm er eine Tasse besten chinesischen Tees und ein Stück Kuchen aus Frau Walsinghams Händen.

»Schon gut«, antwortete Richard. »Carsdale ist kein Pedant. Er kann auch Geschäfte bei der Teetasse machen. Und wenn es sich um die Handelsgesellschaft handeln sollte, so habe ich ihm schon einen Wink gegeben. Ich nahm an, es würde in Ihrem Sinne sein.«

Burgoyne blickte Carsdale an. Obwohl er in seinem militärischem Dienst und in seinen Forschungsreisen ganz aufgegangen war, hatte er sich doch auch immer damit beschäftigt, Menschen zu beobachten und aus ihren Gesichtszügen auf ihr Inneres zu schließen. Es schien ihm jetzt, als entdeckte er bei Carsdale einen gewissen Zug von Behutsamkeit. Darum benahm er sich selbst ganz sorglos und gleichgültig.

»Vermutlich hat Ihnen unser junger Freund die Sache in den rosigsten Farben geschildert«, wandte er sich an den Agenten. »Aber ich wollte tatsächlich Ihren Rat in dieser Angelegenheit erbitten, denn Sie wissen besser als ich, wie man eine solche Gesellschaft gründet.«

»Ich stehe Ihnen mit Vergnügen zur Verfügung«, erwiderte Carsdale. »Es wird mir große Freude machen, Ihnen behilflich zu sein, wo ich es nur irgend vermag.«

»Legen Sie die Angelegenheit nur ruhig in Carsdales Hände«, fügte Richard hinzu, »dann ist alles in bester Ordnung.«

Burgoyne entgegnete, daß er bei Mr. Carsdale vorsprechen werde, sobald die Angelegenheit soweit wäre. Dann stand er auf, um sich zu empfehlen. Darauf sagte Richard, daß er und seine Braut in seinem Wagen, der unten hielt, in die Stadt fahren würden und erbot sich, seinen Freund mitzunehmen und nach dessen Wunsch abzusetzen. Burgoyne lehnte es ab, ging aber mit den beiden zusammen bis vor die Haustür. Dabei benutzte er die Gelegenheit, Frau Walsingham, an deren Hand bereits der heute vormittag gekaufte Ring glänzte, seinen Glückwunsch auszusprechen. Die Braut nahm seine höflichen Worte mit geziemender Sittsamkeit hin. Sie schien aber in Verlegenheit, eine Antwort betreffend, und ihr jugendlicher Kavalier erlöste sie aus ihrer Verwirrung in seiner üblichen ungestümen Weise.

»Wie steht es mit Ihren Diamanten, Burgoyne? Wenn Sie den Schmuck verkaufen, nehme ich ihn natürlich. Wollen Sie?«

Burgoyne wandte sich ihm langsam zu.

»Ach so, Dick, die Diamanten! Nein, ich will sie doch nicht verkaufen, nicht einmal an Sie.«

Richard verriet seine Enttäuschung.

»Ja, dann!« sagte er. »Natürlich, die Steine sind ja ein Familienerbstück. Wieviel sind sie übrigens wert?«

»Sie sind ja doch nicht Käufer«, lachte Burgoyne. »Aber Sie können es wissen. Meine Diamanten sind zwölftausend Pfund wert. Aber, wie gesagt, ich will sie jetzt nicht verkaufen. Beherrschen Sie also Ihre habgierige Seele.«

Dann zog er vor der Dame, die schon in den Wagen gestiegen war, seinen Hut und ging auf den Strand zu, wiederum in Gedanken versunken. Plötzlich sprach er laut aus, was ihn seit der letzten Stunde unaufhörlich bewegte: »Wer hat den Geldschrank geöffnet, als Leverton krank war, wer, wer?«


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