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Fünftes Kapitel.
Des Raubzuges Anfang

Richard Shrewsbury verließ das Anwaltsbüro im Zustande freudiger Erregung. Er hielt Mr. Carsdale für einen höchst angenehmen und gutherzigen Mann und die Sekretärin für eine sehr schöne, bezaubernde Frau. Er wünschte sich Glück, daß das Schicksal ihn mit Carsdale bekannt gemacht hatte und dachte darüber nach, ob Frau Walsingham verheiratet oder Witwe sei. Bis dahin hatte er sich vereinsamt gefühlt und sich etwas gefürchtet vor dem verwirrenden, hastenden Treiben, in das er so jäh gestürzt worden war. Nun war er nicht mehr verlassen oder beunruhigt. Er schritt die Norfolkstraße entlang so frisch wie der Maimorgen, der über London lag. Er empfand, daß er gesund und jung war und dreihunderttausend Pfund besaß, daß das schöne Leben offen vor ihm lag. So bummelte er bis in den späten Nachmittag vergnügt und sorglos umher, so daß Carsdale, der in allen Geldsachen die Pünktlichkeit selbst war, im Hotel fünf Minuten auf ihn warten mußte. Er lachte, als der junge Mann hineingestürmt kam. »Man kann unschwer ahnen, was Sie getrieben haben, mein Freund«, sagte er. »Sie denken vermutlich, London ist eine Stadt aus dem Märchenland.«

»Es ist der schönste Ort, den ich mir je träumen ließ«, sagte Richard in aller Einfalt.

Er ließ sich in einen Sessel fallen und blickte sich in dem etwas altmodischen Rauchzimmer um. Sein Gesicht verriet, was er dachte.

»Ich begreife nun«, sagte er, »warum Sie die Hände zusammenschlugen, als ich Ihnen erzählte, wo ich abgestiegen sei. Eben habe ich im Hotel Ritz gefrühstückt. Zur Zeit meines Vaters gab es wohl derartige Gaststätten noch nicht?«

»Auch noch lange Jahre nachher nicht«, sagte Carsdale lächelnd. »So gefällt Ihnen also dieser Teil der Stadt? Das ist schön, denn die Wohnung, die ich für Sie im Sinn habe, liegt nicht weit von Piccadilly, direkt am Berkeley Square. Und damit wir erst einmal Ihre Wohnungsangelegenheit heute nachmittag erledigen, wollen wir in meinen Wagen steigen und losfahren. Übrigens Shrewsbury, – das förmliche ›Herr‹ können wir wohl fortlassen – Sie müssen natürlich ein Auto haben, und ich werde es Ihnen besorgen. Doch das hat noch ein paar Tage Zeit.«

Es schien Richard, dem das moderne Großstadtleben fremd war, eine einfache Sache, in London Besorgungen zu machen, so angenehm und schnell vollzog sich alles bei der Höflichkeit und Zuvorkommenheit der Geschäftsleute. Freilich hatte er keine Ahnung, daß Carsdale, der mit aller Art von Kaufleuten und Profitmachern gut bekannt war, überall schon vorgesprochen hatte. Allenthalben wußte man bereits, daß Richard ein Gentleman im Besitz eines Kapitals von dreihunderttausend Pfund war. So nahm er die ihm erwiesene Höflichkeit als typisch für den Londoner Kaufmann hin. Seine Stimmung wurde immer rosiger, und London dünkte ihm ein Ort, in dem es sich leben ließ.

»Diese Reihe von Zimmern«, sagte Carsdale, als sie den Fahrstuhl eines modernen Mietshauses verließen, »kann ich Ihnen mit gutem Gewissen empfehlen. Das ist gerade, was ein Junggeselle wie Sie braucht. Hier können Sie Ihre Freunde empfangen und auch zu Tisch einladen. Heute gibt jeder Herrengesellschaften in der eigenen Wohnung. Die Einrichtung ist prachtvoll. Sie brauchen nur noch Ihre eigenen Bilder, Bücher und Kunstgegenstände. Ich werde Ihnen sagen, wo Sie das alles am besten kaufen. Das Haus liegt ruhig und doch im Mittelpunkt der Gegend, in der Sie sich in der Hauptsache aufhalten werden. Der Mietspreis ist bei der Einrichtung mäßig. Es trifft sich glücklich, daß die Wohnung gerade frei ist. Und das ist Mr. Messenger, der Bevollmächtigte, der die Räume vermietet.«

Mr. Messenger, ein sorgfältig gekleideter Gentleman, den man für einen Lord hätte halten können, erwartete Carsdale und seinen jungen Freund in dem Korridor, der zu der fraglichen Wohnung führte. In seiner Nähe stand in respektvoller Haltung ein glattrasiertes Individuum. Es war gleichfalls sehr gut angezogen und hielt einen Seidenhut in der Hand. Aber so tadellos zugeschnitten die Kleider auch waren, schienen sie doch durch gewisse Merkmale anzudeuten, daß der Mann, der sie trug, sie als Livree betrachtet wissen wollte. Besagtes Individuum begrüßte die beiden mit tiefer Verbeugung und unterwürfigem Lächeln. Carsdale nickte ihm zu.

»Pünktlich zur Stelle, wie ich sehe, Kedgin«, sagte er. »Nun, Mr. Messenger, das ist Mr. Richard Shrewsbury, und wir wollen uns die Räume gleich ansehen. Hat sie nicht zuletzt Lord Verdimere gehabt?«

»Drei Jahre lang, Mr. Carsdale«, sagte Mr. Messenger in ernstem und gewichtigem Ton. »Seine Lordschaft würde noch hier wohnen, wenn sein Regiment nicht für unbestimmte Zeit nach Indien verlegt worden wäre. Seitdem ist die Wohnung völlig renoviert, die Möbel in den Empfangsräumen sind erneuert worden, und ich kann dem Herrn versichern, daß er in ganz London nichts Besseres finden wird. Ich darf wohl vorangehen, meine Herren.«

Richard kamen die Zimmer fürstlich vor. Ein kleines Haus für sich, nur, daß die Treppen fehlten. Da gab es eine wunderhübsche Diele. Da waren zwei nette Empfangsräume mit dem Ausblick auf Berkeley Square. Trefflich eingerichtet die beiden Schlafzimmer. Der Baderaum zeigte alle Neuerungen der modernen Zeit. Ferner war Wohnung für einen verheirateten Diener vorhanden, mit besonderem Eingang, und neben der Küche lagen Speisekammer und Weinkeller. Tischwäsche, Gläser, Porzellan, alles war erstklassig.

»Natürlich fehlt das Silberzeug«, sagte Mr. Messenger. »Unsere Mieter pflegen ihr eigenes Silberzeug zu haben.«

»Selbstverständlich«, meinte Carsdale, »natürlich.«

»Und die Miete«, fügte Mr. Messenger mit flötender Stimme hinzu, »die Miete für die Zimmer mit allem Komfort beträgt fünfzehnhundert Pfund das Jahr.«

»Durchaus angemessen«, murmelte Carsdale.

»Meinen Sie, daß ich zu diesem Preis mieten soll?« fragte Richard. »Sie müssen das besser beurteilen können, als ich.«

»Ich kann es Ihnen nur raten, besser würden Sie es nirgends finden. Es ist geradezu ein Glück für Sie.«

»Schön, ich miete also.«

Mr. Messenger verbeugte sich und rieb die Hände.

»Ich danke Ihnen, mein Herr, Sie werden den Handel nicht bereuen.«

»Wir werden den Mietsvertrag unterzeichnen und Ihnen den Zins für ein Quartal zahlen«, fügte Carsdale hinzu. »Haben Sie ein Scheckbuch bei sich, Shrewsbury? Sonst steht Ihnen das meine zur Verfügung.«

Aber Richard hatte sein Scheckbuch, und Mr. Messenger verabschiedete sich mit einer zweiten Verbeugung, und Carsdale rief den Mann herein, der noch immer draußen auf dem Korridor wartete. Er kam mit einer gewissen ruhigen Zuversicht, als ob der Respekt vor dem zukünftigen Herrn sich mit Selbstvertrauen mische, und Carsdale wies auf ihn wie ein Verkäufer auf eine gute und preiswerte Ware.

»Nun die zweite Sache, Shrewsbury«, begann er. »Dies ist William Kedgin. Ich kenne ihn seit Jahren. Er ist ein durchaus ehrlicher, zuverlässiger Mann, ein erstklassiger Kammerdiener. Seine Frau ist eine vorzügliche Haushälterin, die mit ihm zusammen Ihre Zimmer tadellos in Ordnung halten wird. Sie ist durchaus imstande, auch für eine Frühstücksgesellschaft zu kochen. Sie können sich den beiden getrost anvertrauen. Ihre Bedingungen, Kedgin, sind, wenn ich nicht irre, vier Pfund die Woche.«

»Ganz recht, mein Herr«, erwiderte Kedgin mit zuversichtlicher Stimme. Soviel bekommen wir immer. Wenn der gnädige Herr unsere Zeugnisse zu sehen wünscht –«

»Ich glaube nicht«, sagte Carsdale. »Mr. Shrewsbury kann sich auf mich verlassen.«

»Gewiß, gewiß«, versicherte Richard, der mittlerweile eine hohe Meinung von Carsdales Fähigkeiten bekommen hatte. »Ich werde Sie gern unter diesen Bedingungen in Dienst nehmen.«

»Danke, gnädiger Herr«, antwortete Kedgin. »Wir werden uns bemühen, Sie zufrieden zu stellen. Wann wünschen Sie, daß wir unseren Dienst antreten?« »Davon wollte ich gerade reden«, sagte Carsdale. »Sehen Sie, Shrewsbury, Sie könnten eigentlich sofort einziehen. Lassen Sie Kedgin in Ihr Hotel gehen, die Rechnung bezahlen und Ihr Gepäck holen. Zum Essen sind Sie mein Gast. So sind Sie für den Abend versorgt, und inzwischen hat Kedgin alles in Ordnung gebracht, wenn Sie zur Nacht heimkommen. Das ist das vernünftigste.«

Richard stimmte bereitwilligst zu. Kedgin bekam seine Aufträge, und sie gingen in Mr. Messengers Büro. Dort unterzeichnete Richard ein Schriftstück. Die Mühe, es erst durchzulesen, nahm ihm Carsdale ab. Dann stellte er seinen ersten Scheck in London aus und entfernte sich mit seinem Freund und Mentor mit dem Bewußtsein, nun ein wirklicher Bürger der großen Stadt zu sein. »Sie machen mir das Leben einfach«, sagte er aus dankbarem Herzen. »Ich wüßte nicht, was ich ohne Sie angefangen hätte.«

»Oh, Sie werden schnell genug selbständig werden«, lachte der andere.

Die weiteren Nachmittagsbesorgungen beim Schneider, Hutmacher usw. schlossen sie mit einer guten Mahlzeit ab, und während sie den Kaffee tranken, hatte Carsdale die Eigenschaften und Fähigkeiten seines Klienten in einer Art von Schema zusammengestellt. Und er war sehr befriedigt, als er nun seine nächste Karte ausspielte.

»Sie werden keine Lust haben, am ersten Abend in ein Theater oder Konzert zu gehen«, begann er. »Was würden Sie zu dem Vorschlag sagen, wenn wir auf ein Plauderstündchen und eine ruhige Zigarette zu Frau Walsingham gingen? Sie lebt sehr zurückgezogen und wird sich über unseren Besuch freuen.«

Mit Freuden willigte Richard ein. Und Carsdale lächelte, als er sich abwandte, um nach seinem Hut zu langen.


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