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Dreiunddreißigstes Kapitel.
Die Zufluchtsstätte

Am Frühstückstisch des Charing Croß-Hotels erfuhr Shrewsbury die Ereignisse der Nacht, bevor sein Freund sich zum Essen hingesetzt hatte. Als Burgoyne eintrat, fand er ihn vor Aufregung zitternd. Er reichte ihm die Zeitung.

»Sie war verheiratet«, rief er. »Und sie soll ihren Mann erschossen haben. Lesen Sie!«

»Wozu die Aufregung?« fragte Burgoyne. »Immer ruhig!«

»Ruhig? Es handelt sich um Sylvia. Sie war mit einem Kerl namens Werrick verheiratet, und sie soll ihn erschossen, ermordet haben. Großer Gott, was ist da alles passiert. Ich gehe und hole andere Zeitungen, vielleicht ist schon mehr bekannt. Lesen Sie doch bloß, lesen Sie doch bloß.«

Burgoyne setzte sich und las. Die Zeitung, die Richard ihm hingereicht hatte, enthielt eine kurze Übersicht der Ereignisse. So war er bald im Bilde.

Gleich darauf kam Richard wieder hereingestürzt mit einem ganzen Packen Zeitungen.

»Haben Sie es gelesen?« fragte er aufgeregt. »Haben Sie jemals so etwas gehört? Mich so zu betrügen. Und Carsdale hat alles gewußt!«

»Ruhig Blut, Dick. Kühle Überlegung ist uns jetzt dringend notwendig. Eines ist mir freilich klar.«

»Was denn?« fragte Richard, der in seinem Bündel Zeitungen blätterte.

»Daß mein Halsband samt dem Weib verschwunden ist«, erwiderte Burgoyne verdrießlich. »Sie hat es sicher nicht zurückgelassen. Und ob sie nun ihren Mann erschießen wollte oder nicht, eines ist gewiß, daß sie sich auf eine Flucht vorbereitet hat, seit sie ihn in London wußte. Hoffentlich hat sie nichts in Händen gehabt, was Ihnen gehört, Dick?«

»Nichts außer einem Blankoscheck, den ich ihr neulich gab.«

Burgoyne pfiff durch die Zähne.

»Teufel auch! Sobald die Bank geöffnet ist, müssen Sie anläuten und sehen, was geschehen ist.«

»Unglaublich«, rief Richard plötzlich aus. »Hören Sie zu, da steht noch etwas in der zweiten Morgenausgabe. Es handelt sich um Carsdale.« Und er las:

»Wie wir erfahren, wurden bei Carsdale Werte im Betrag von zweihunderttausend Pfund gefunden, außerdem hatte er zwei Schiffskarten erster Klasse nach Buenos Aires bei sich. Das Geld gehört einem reichen jungen Herrn, der augenblicklich den Kontinent bereist, und mit dessen Vermögensverwaltung Carsdale anscheinend betraut gewesen ist.

Bis zur Stunde hat man noch keine Spur von Frau Walsingham, obwohl alle Eisenbahnstationen und Häfen benachrichtigt worden sind.«

»Dick«, sagte Burgoyne, »Sie müssen um neun auf Ihrer Bank sein. Wir wollen nun endlich frühstücken und dann an die Arbeit gehen. Wir können im Augenblick wieder zurück sein.«

»So meinen Sie, daß Carsdale mich bestohlen hat?«

»Was denn sonst? Aber Sie müssen die Bestätigung haben.«

Der Bankdirektor war nicht im mindesten erstaunt, als Richard kam. Er hatte schon die Zeitung gelesen. Er antwortete, ehe Richard seine Frage noch ganz ausgesprochen hatte.

»Mr. Carsdale war gestern hier und sprach mit den beiden Chefs. Er zeigte eine Vollmacht von Ihnen vor und nahm für zweihunderttausend Pfund Papiere. Hier ist die Quittung. War es nicht Ihr Auftrag? Die Unterschrift sah echt aus.«

»Ich unterzeichnete, ohne zu wissen, was ich unterschrieb«, sagte Richard bitter. »Ich hatte kein Mißtrauen in ihn, wie Sie wissen.«

Der Direktor sah Burgoyne kopfschüttelnd an. Dann wandte er sich wieder an Richard.

»Ich muß noch etwas erwähnen. Die – die Dame, von der in der Zeitung die Rede ist, legte gestern einen Scheck von Ihnen vor, nicht lange, nachdem Carsdale hier war. Fünfzehntausend Pfund. War das in Ordnung?«

»Durchaus in Ordnung«, sagte Richard, und er ging mit flüchtigem Gruß. Burgoyne folgte ihm.

»Kommen Sie Richard, wir wollen zu Blair gehen, er wird uns raten. Kommen Sie mit.«

»Nein«, erwiderte der junge Mann. »Ich will nach Hause, ich habe dort etwas zu besorgen. Gehen Sie zu Blair, wenn Sie es für richtig halten.«

»Dann bringe ich ihn mit zum Berkeley Square. Wir brauchen Rat, glauben Sie es mir nur.«

Richard nickte und stieg in eine Autodroschke. Während der Fahrt wirbelten seine Gedanken durcheinander. Eine Welt schien ihm eingestürzt zu sein. In diesem Augenblick vergaß er sogar Burgoynes treue Freundschaft.

Kedgin empfing ihn an der Tür. Und so selbstbewußt der Herr Kammerdiener auch sonst zu sein pflegte, seufzte er doch jetzt erleichtert auf, als er seinen Herrn anblickte.

»Oh, gnädiger Herr«, rief er aus, »ich danke dem Himmel, daß Sie nach Hause gekommen sind. Ich wußte nicht mehr, was ich anfangen sollte. Ich wagte weder Telegramm noch Telephongespräch nach Paris. Gnädiger Herr – Frau Walsingham ist hier – sie ist schon seit der letzten Nacht hier.«


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