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Vierundzwanzigstes Kapitel.
Fräulein Guyner erscheint auf dem Plan

Als Carsdale am folgenden Morgen mit seinem Gast am Frühstückstisch saß, fand er ihn vernünftigen Vorstellungen durchaus zugänglich. Es schien, als verlange er weiter nichts als eine genügende Summe Geldes, um seinen äußeren Menschen der neuen Umgebung anzupassen. Er zeigte durchaus kein Interesse, sich in Carsdales oder Frau Walsinghams Angelegenheiten zu mischen.

Carsdale zog seine Brieftasche. Er hatte die Angewohnheit, immer eine größere Summe bei sich zu haben. So zählte er Banknoten ab und schob den Stapel Werrick zu.

»Hier sind erst einmal hundert«, bemerkte er.

Werrick warf einen gleichgültigen Blick auf das Geschenk.

»Pfund oder Dollar?« fragte er gähnend.

»Pfund natürlich!« antwortete Carsdale. »Du brauchst eine neue Ausstattung. Weißt du, wo man fertige Herrenkleidung kaufen kann?«

»Ich werde schon einen Laden finden?« sagte Werrick, indem er das Geld einsteckte. »Du kannst mich also jetzt nicht brauchen?«

»Nein. Du mußt dich vorläufig ganz ruhig verhalten. Du darfst vor allen Dingen Sylvia nicht in die Quere kommen. Du mußt dich jeder Einmischung enthalten. Sieh dich ein wenig in der Stadt um. Du kannst hier bei mir wohnen. Du weißt natürlich nicht wo mein Büro ist?«

»Das«, antwortete Werrick, »wollte ich gerade heute morgen ausfindig machen.«

»Das ist überflüssig, mein Büro ist in der Norfolkstraße am Strand. Du darfst natürlich nicht dorthin kommen, vergiß das nicht. Was wir miteinander abzumachen haben, kann hier geschehen. Aber wenn du mich anläuten willst, habe ich nichts dagegen. Hier hast du die Telephonnummer.«

Carsdale ging zu seinen Geschäften, während Werrick sich eine Zigarre ansteckte, die Beine über einen Stuhl legte und die Zeitung las. Er war allein mit hundert Pfund in der Tasche und dem Tag vor sich. Er lächelte grimmig, als er bei den Sportnachrichten war, und der Gedanke kam ihm, daß nichts in seinem Leben so zuverlässig sei, wie das Unerwartete. Er spann diesen Gedanken weiter aus, als draußen jemand an die Tür klopfte. Werrick kümmerte sich zuerst nicht darum, aber als sich das Klopfen wiederholte, überlegte er, ob es nicht besser wäre, nachzusehen, wer draußen stände. Natürlich konnte der Besuch ihm nicht gelten, aber es war vielleicht ganz nützlich, zu wissen, wer etwas von Carsdale wollte. So öffnete er die Tür und befand sich einer dichtverschleierten, schlanken, jungen Dame gegenüber. Er war erstaunt, daß der Besuch kein Wort sprach.

So begann er selbst:

»Sie wollen zu Mr. Carsdale? Er ist nicht zu Hause.«

Der einzige Erfolg seiner Mitteilung war, daß die Dame eintrat, während er verdutzt einen Schritt zurücktrat. Sie lüftete den Schleier, und das hübsche Gesicht Sophie Guyners kam zum Vorschein. Werrick ließ in seiner Überraschung die Zigarre fallen.

»Lieber Himmel!« rief er aus. »Bist du es?«

Mit bemerkenswerter Geistesgegenwart schloß Fräulein Guyner die Außentür, während Werrick den Besuch etwas zweifelhaft anblickte.

»Carsdale könnte jeden Augenblick zurückkommen«, meinte er.

»Ausgeschlossen«, erwiderte Sophie. »Ich kenne seine Gewohnheiten. Und wenn schon, ich nehme es mit ein paar Carsdales auf. Gib mir was zu trinken, ich habe Durst bei der Hitze. So was mit Kohlensäure, aber keinen Sekt, wenn auch genug von dem Zeug im Schrank ist. Sieh nach, was sonst da ist.«

Werrick öffnete die Schranktür und überlegte dabei, was Sophie eigentlich beabsichtigte. Auf ihr Geheiß mischte er etwas leichten Wein mit Mineralwasser. Sein Getränk machte er im Bewußtsein, ein solides Frühstück hinter sich zu haben, etwas stärker. Dann setzte er sich auf die Tischkante und sah fragend auf das Mädchen, das es sich in Carsdales schönstem Sessel bequem gemacht hatte. Aber ihre erste Bemerkung war ebenfalls eine Frage.

»So bist du also da?«

»Wie du siehst.«

Sophie musterte ihn von oben bis unten.

»Du siehst aus, als wäre es höchste Zeit für dich gewesen, irgendwo hinzukommen, wo man gegen bares Geld fertige Herrengarderobe bekommt.«

»Wärst du heute Nachmittag gekommen«, versetzte Werrick, indem er auf die Hosentasche klopfte, »so hättest du mich in Purpur und köstlicher Leinwand angetroffen.«

»Ein hübscher grauer oder brauner Anzug und ein buntes Oberhemd würden dich besser kleiden. Es müßte natürlich ein ruhiges Muster sein.«

Mr. Werrick trank einen Schluck und beglückwünschte Carsdale innerlich zu seinem guten Geschmack in Schnäpsen.

»Woher erfuhrst du, wo ich bin, Sophie?« fragte er fast zärtlich.

»Ich hörte, wie Carsdale es ihr heute nacht erzählte. Sie dachte, ich schlief, aber es war nicht der Fall. Ich bin sehr oft wach, wenn sie denkt, ich schlafe. Es bezahlt sich, die Ohren offenzuhalten. Ich konnte nicht alles verstehen, was sie sagten, aber es genügte, um zu wissen, daß du da bist. Und so suchte ich dich natürlich auf.«

Mr. Werrick glitt von seiner Tischkante, legte den Arm um ihre Schultern und küßte sie.

»Du warst immer gut zu mir, Sophie«, sagte er. »Ich habe sehr oft an dich gedacht.«

»Und ich habe ebensooft an dich gedacht«, sagte Fräulein Guyner. »Sehr viel öfter, als du es verdienst. Genug davon. Was hast du nun vor, Sydney Werrick? Warum bist du herübergekommen?«

Mr. Werrick setzte sich wieder auf die Tischkante und steckte sich eine neue Zigarre an.

»Warum ich herübergekommen bin?« fragte er nachdenklich. »Was ich vorhabe? Nun, ich will Carsdale und Sylvia Werrick dahin bringen, daß sie mir einen Ersatz geben für den Streich, den sie mir damals in Neuyork gespielt haben. Und ich nehme an, daß Carsdale das weiß. So war er also gestern nacht bei ihr?«

»Das war er«, antwortete Fräulein Guyner. »Und ich verstand genug, um zu wissen, welchen Eindruck die Nachricht, daß du hier wärst, auf sie machte. Aber –«

Sie brach plötzlich ab und nickte dem Mann bedeutungsvoll zu.

»Und?« fragte Mr. Werrick interessiert.

»Nimm dich in acht«, sagte Fräulein Guyner. »Nicht so sehr vor ihm, als vor ihr. Sie wird hinterlistiger von Tag zu Tag. Sie hat etwas vor, oder ich bin ein Hottentot.«

»Du denkst dabei an diesen jungen Esel? Wollte sie ihn wirklich heiraten?«

»Sie wollte«, bestätigte Fräulein Guyner.

Mr. Werrick blickte in sein Glas.

»Meinetwegen könnte sie ihn schon morgen heiraten«, bemerkte er gleichgültig, »aber es geht natürlich nicht. Hat sie schon viel aus ihm herausgeholt?«

»Die Zeit war zu kurz.«

»Ich sah sie gestern abend mit einem Diamantenhalsband. Echt, Sophie?«

»Versteht sich, und mindestens zehntausend Pfund wert«, sagte das Mädchen mit Begeisterung. »Aber – heute morgen hat sie es zur Bank gebracht.«

Mr. Werrick leerte sein Glas und setzte es mit einem tiefen Seufzer wieder hin.

»Schade. Wenn dieses Dingelchen in meine Hände gefallen wäre, wenn ich es in gutes, bares Geld umgesetzt hätte, wäre ich einem gewissen Ziel, an dem auch du interessiert bist, ein hübsches Stück näher gekommen.«

»Warum sollte ich daran interessiert sein?«

»Weil du vielleicht Lust hättest, mitzumachen. Ich bin das Zigeunerleben satt, ich will seßhaft werden. Aus dem Westen bin ich gekommen, und ich gehe wieder dorthin zurück, sobald ich Geld in den Fingern habe. Drum habe ich, als ich Carsdale gestern abend traf, mich gefreut, ihn in so guten Verhältnissen zu finden. Ich hätte nie gedacht, daß er über soviel Geld verfügt. Damit ist mir geholfen, und ich gehe zurück, um mich dort niederzulassen.«

»Als was?« fragte Fräulein Guyner.

»Als Obstfarmer in Kalifornien. Das angenehmste Klima auf der Welt. Du brauchst nur zuzusehen, wie die Früchte reifen, zu ernten und das Geld einzusacken. Das ist mein Plan, und du sollst mitkommen, Sophie.«

»Wollen sehen, Lust hätte ich wohl. Aber zunächst, Syd, mußt du den beiden auf die Finger sehen, sonst hauen sie dich übers Ohr. Ich bin sicher, sie führt etwas im Schilde.«

Drohend zogen sich seine Brauen zusammen.

»Ich paß schon auf.«

»Das tatest du in Neuyork, und sie verschwanden doch nach Europa und ließen dich sitzen.«

»Stimmt, aber Carsdale scheint es wieder gutmachen zu wollen. Er wird etwas für mich tun, weil er mich braucht.«

»So laß dich im voraus bezahlen. Sie kann ich im Auge behalten, solange sie in ihrer Wohnung ist. Und ich kann dir Bescheid geben, darum bin ich gekommen. Wir müssen uns ab und zu treffen.«

»Sicherlich, aber wo. Du mußt es am besten wissen.«

»Ja«, bemerkte Sophie. »Schreiben dürfen wir nicht, und telefonieren ist auch unsicher. Kennst du Tottenham Court Road?«

»Ich werde die Straße schon finden.«

»Dort ist ein kleines Restaurant, Cyrano. Sprich dort immer um zwölf und um neun Uhr abends vor. Ich werde hinkommen und dir Nachricht geben. Nun muß ich fort, und du gehst am besten einkaufen und dich fein machen.«

So fuhr Fräulein Guyner nach Bloomsbury zurück, und Werrick setzte einen Teil seiner hundert Pfund um, indem er sich zwei gute Anzüge, Wäsche und dergleichen Sachen kaufte. Nachdem er behaglich gespeist hatte, begab er sich zu Cyrano. In der Oxfordstraße sah ihn ein amerikanisch anmutender Mann, der sofort ein solches Interesse an ihm nahm, daß er umkehrte und ihm folgte. Er ging ihm bis zu dem mit Sophie verabredeten Lokal nach und trat hinter ihm ebenfalls ein.


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