Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neuntes Kapitel.
Ein peinliches Verhör

Noch nie während der Tage seines Londoner Aufenthalts hatte Richard so viel Sorgfalt auf seinen Anzug verwandt wie an dem Nachmittag, der ihm das Wiedersehen mit Burgoyne brachte. Gleich nach dem Frühstück war er zur höchsten Verblüffung des Entdeckers davongehastet. Nicht minder überraschte er Kedgin durch die fast weibische Launenhaftigkeit bei der Toilette und der Auswahl der Kleidung. Im geheimen wunderte sich der Diener, was das alles zu bedeuten habe. Als er dann seinem Herrn zu herrlichstem Glanz verholfen hatte, ihn bis an die Haustür begleitete und hörte, wie Richard dem Chauffeur befahl, nach Maida Vale zu fahren, lachte er in sich hinein.

»Ach nee, Maida Vale? Da wohnen ja die kleinen Mädchen vom Theater. So steht es also! Dacht ich doch, daß dies Spiel früher oder später losgehen würde. Wir werden uns in Zukunft mit Bonbonnieren und Blumen und Diamanten befassen. Sicher ist es eine Operettendiva.«

Der ahnungslose und unschuldige Gegenstand dieser Spekulationen sauste inzwischen gen Norden in der Überzeugung, durch sein Äußeres zu imponieren. Er war sich dessen bewußt, daß er in ein Trauerhaus kam, darum hatte er sich bemüht, seinem Strahlenglanz einen feierlichen und düsteren Charakter zu geben. Aber trotzdem sah er prächtig aus, und der Portier, der Liftboy und alle, die ihn in den Acacia Mansions trafen, staunten, was für ein Lord oder ausländischer Prinz sich wohl von den Höhen mondänen Lebens in die Niederungen von Maida Vale verirrt haben mochte.

Ein junges, verwundert blickendes Hausmädchen mit frisch gebügelter Mütze und Schürze führte ihn, nachdem sie seine Aufmachung gebührend bestaunt hatte, in ein Wohnzimmer. Dort saß Franziska Leverton hinter einem sehr geschäftsmäßig anmutendem, mit allerlei Papieren bedecktem Schreibtisch und schrieb. Unweit von ihr lag in einem mit Blumen reich geschmückten Erker eine junge Dame auf einer Chaiselongue. Etwas in ihrem blassen Gesicht und ihren glänzenden Augen deutete an, daß sie eine schwer Kranke oder ein Krüppel sei.

Franziska stand auf und reichte dem Besucher die eine Hand, während sie mit der anderen auf einen Sessel deutete. Dann stellte sie die andere junge Dame als Fräulein Bryce vor. In ihrem Benehmen lag etwas von der steifen Art, mit der man in Geschäftslokalen empfangen wird. So fühlte sich Richard in seiner prunkvollen Kleidung reichlich unwohl, und ihm wurde nicht besser, als Franziska sich wieder an ihren Schreibtisch setzte und ihn ansah, als sei er gekommen, Aktien zu kaufen oder seinen letzten Willen aufsetzen zu lassen.

»Ich hatte es heute morgen so eilig, Mr. Shrewsbury«, begann sie kalt, »daß ich Sie bitten mußte, hierherzukommen. Sie wollten meine Mutter besuchen. Ich muß Ihnen sagen, was Sie ohne Mühe anderswoher hätten erfahren können, daß meine Mutter lange tot ist, und daß ich die einzige Vertreterin der Familie Leverton bin. Aber ich habe Sie zu mir gebeten, weil ich zwei Fragen an Sie richten möchte, die ich Ihnen auf der Treppe von Mr. Winchs Hause nicht gut vorlegen konnte. Außerdem haben Sie mich nicht wenig überrascht.«

Richard war zumute, als wäre er ein kleiner Junge und säße einem strengen Lehrer gegenüber, dessen Sprache ihm unverständlich war. Er sah Franziska an und erschrak vor ihren blaugrauen Augen, die in sein Innerstes zu blicken schienen. Bei Mr. Winch war er zu der Überzeugung gekommen, Levertons Tochter sei das schönste Mädchen, das er je gesehen habe. Es verletzte ihn nun, daß sie ihn, einen harmlosen, unbescholtenen jungen Mann, so erbarmungslos anblickte.

»Es – es tut mir sehr leid«, stotterte er. »Ich – ich wollte Sie wirklich nicht überraschen.«

»Und doch taten Sie es«, sagte Franziska mit Betonung. »Sie sagten mir doch, daß ein Brief, den Sie an meinen Vater am Morgen seines Todes schrieben, von Mr. Carsdale geöffnet und zurückbehalten worden ist?«

»N – ja, so ist es«, erwiderte Richard. »Sehen Sie –«

»Können Sie mir noch sagen, was in dem Brief stand?« fragte die Unerbittliche. »Natürlich können Sie. Sie sagten bei Mr. Winch, es sei mehr oder weniger ein Geschäftsbrief gewesen. Nun, Mr. Shrewsbury?«

Richard fühlte sich sehr unbehaglich. Er rutschte auf seinem Sitz hin und her und merkte, daß es sehr heiß war und er zu schwitzen begann.

»Ich – sehen Sie – Carsdale – ich bin überzeugt – ich möchte Carsdale nicht beschuldigen lassen, er war so freundlich zu mir, und –«

»Können Sie sich erinnern, was in dem Brief an meinen Vater stand?« wiederholte Franziska eisig. »Ich denke, Sie werden es können.«

Richard raffte sich zusammen, und mit Hängen und Würgen gelang es ihm, den Sinn des Briefes zusammenzubekommen, den er aus dem Hotel in Southampton an Barklay Leverton geschrieben hatte. Franziska hörte zu, ohne die Augen von ihm abzuwenden.

»Das nennen Sie also einen Geschäftsbrief?« sagte sie in einem Ton, der Richard durch Mark und Bein ging. »Ich nicht – aber das ist vielleicht Ansichtssache. Je weniger man über Mr. John Carsdales Taktgefühl in diesen Sachen spricht, um so besser. Aber ich war an jenem Morgen in meines Vaters Büro, und Mr. Carsdale hätte mir den Brief natürlich geben müssen. Das sehen Sie doch wohl ein.«

»Ich – ich dachte, er wäre Mr. Levertons Partner gewesen«, sagte Richard verzweifelt. »Das stimmt doch?«

»Das bezog sich nicht auf Privatbriefe. Ihr Schreiben war doch vertraulich? Sie wandten sich doch an den alten Freund Ihres Vaters, oder nicht?«

»Ja«, sagte Richard. Er sah wie ein geschlagener Mann auf den Fußboden. »Ich sehe ein, ich habe die Sache verkorkst«, fuhr er mit einem Ausdruck von Zerknirschung, der Fräulein Bryce zum Lächeln brachte, fort. »Nun werden Sie allerhand Schlimmes von Carsdale denken, und er war doch so nett zu mir.«

»Ich pflege mir keine Gedanken über Mr. Carsdale zu machen«, erwiderte Franziska. »Ich möchte nur wissen, warum er einen für meinen Vater bestimmten Privatbrief zurückbehalten hat. Ich nehme doch an, daß Sie, als Sie den Brief schrieben, die Absicht hatten, die Freundschaft weiterhin zu pflegen, die zwischen unseren Familien bestand?«

»Aber natürlich«, rief Richard eifrig aus. »Ich war ganz erschüttert, als ich von Mr. Levertons Tode hörte, Sie können es mir glauben.«

Stirnrunzelnd sah Franziska ihn an.

»Ich wüßte nicht, daß Sie derartiges geschrieben hätten.«

Das Mädchen auf dem Sofa hustete ermahnend, und Richard, der wie ein gejagter Hirsch nach einer Möglichkeit des Entrinnens blickte, sah, wie ihr bleiches Gesicht sich rötete. Aber die hinter ihren Büchern und Papieren verschanzte zungenfertige junge Dame schien so kühl und unerschütterlich wie immer.

»Nein«, sagte Richard ganz Demut. »Ich tat es nicht. Ich wollte. Aber dann –«

»Dann haben Sie es vergessen«, unterbrach ihn Franziska. »Das macht nichts. Da Sie aber nun einmal da sind, würden Sie so gut sein und Ihrem Freunde Mr. John Carsdale etwas von mir ausrichten?«

»Gewiß«, rief Richard mit großem Eifer.

»Richten Sie Mr. Carsdale aus, daß Sie mir mitgeteilt haben, unter welchen Umständen er Ihren an meinen Vater gerichteten Brief geöffnet und behalten hat. Sagen Sie ihm ferner, daß, falls ich dahinter komme, daß er noch einmal sich mit Schreiben an meinen Vater zu schaffen macht, ich dafür sorgen werde, daß ihm die Londoner Luft unbekömmlich wird. Können Sie das behalten, Mr. Shrewsbury?«

Richards Gesicht wurde dunkelrot. Es war ihm, als hätte das Mädchen ihn geschlagen.

»Ja«, sagte er ruhig. »Und ich werde alles bestellen. Aber ich bin überzeugt, daß Carsdale dabei das Beste gewollt hat.«

»Das Beste für sich. Ich nehme an, daß Sie reich sind, Mr. Shrewsbury.«

»Ich habe allerlei Geld«, sagte Richard bescheiden.

»Ich hätte also, wenn der Brief an mich gekommen wäre, einen guten Kunden bekommen. Carsdale hat mich darum betrogen.«

Richard fuhr zusammen und starrte auf den Schreibtisch.

»Ich führe manche Geschäftszweige meines Vaters fort, darum hätte ich Sie gern als Klienten gehabt. Ich kann es verstehen, daß Sie für Carsdale eintreten, aber ich kann ihm nicht verzeihen, daß er mir ein einträgliches Geschäft fortgenommen hat. Aber er soll es büßen, wenn er mir noch mehr derartige Streiche spielt.«

Richard angelte nach Hut und Stock.

»Ich – ich wußte nicht«, sagte er kläglich. »Wenn ich geahnt hätte –«

»Natürlich ahnten Sie nichts«, unterbrach ihn Franziska. Sie wandte sich wieder ihren Papieren zu und streckte ihm dann die Hand hin.

»Auf Wiedersehen. Ich danke Ihnen, daß Sie die Geschichte mit dem Brief aufgeklärt haben.«

Richard nahm die kühle, feste Hand und ließ sie fast furchtsam wieder fallen.

»Darf ich wiederkommen?« fragte er verzweifelt.

»Warum denn? Carsdale besorgt ja Ihre Angelegenheiten.«

»Ich dachte nicht an Geschäfte«, sagte Richard kühn.

»Vielleicht kommt Mr. Shrewsbury am Sonntag, wenn du nichts zu tun hast, Fränze«, schlug Fräulein Bryce vor, indem sie Richard zulächelte.

»O ja, darf ich?«

Levertons Tochter beugte sich über ihren Brief. »Gut, also Sonntag«, murmelte sie.

Aufatmend verschwand der Unselige, und dann sprach Fräulein Bryce.

»Fränze, du hast den armen Jungen abscheulich behandelt.«

»Pah, das ist ihm heilsam. Carsdale oder das Frauenzimmer in der Norfolkstraße gönnen ihm kein ehrliches Wort.«

»Aber es war doch abscheulich. Und – er fühlte es. Und warum? Weil er im Begriff ist, sich in dich zu verlieben. Ich habe es gemerkt – und ich irre mich nicht!«


 << zurück weiter >>