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Siebenundzwanzigstes Kapitel.
Überführt

Als die beiden plötzlich in der Stille des großen, kasernenähnlichen Gebäudes zusammentrafen, sahen sie einander fragend an. Dem Mann kam all das Peinliche seiner Aufgabe zum Bewußtsein. Sylvia erblaßte, und sie empfand einen schmerzhaften Stich in der Herzgegend. Sie stellte das mit einer gewissen Neugierde fest und überlegte, ob ihr Herz durch die Aufregungen der letzten Tage gelitten habe. Aber das Bewußtsein der Gefahr, in der sie schwebte, stählte ihre Nerven. Sie zwang sich zu einem erstaunten Lächeln.

»Kapitän Blair!« rief sie aus.

Der Mann machte eine steife und förmliche Verbeugung.

»Guten Abend, Frau Walsingham«, sagte er höflich. »Ich bin eben gekommen, aber auf mein Klingeln wurde mir nicht geöffnet. Kann ich Sie für wenige Augenblicke sprechen?«

»Gewiß. Ich bedaure, daß Sie haben warten müssen. Aber mein Mädchen ist vermutlich im Theater, und ich pflege immer erst um diese Zeit heimzukommen.«

Sie schloß die Tür auf und nötigte den Besucher zum Eintreten. Blair folgte ihr und wünschte, er hätte wieder gehen können. Er bemerkte den verfeinerten Geschmack, der sich in der ganzen Einrichtung des Zimmers, in den Bildern, dem alten Porzellan offenbarte. Aber er erinnerte sich auch der andern Seite ihres Charakters, und er wurde kalt und hart.

»Frau Walsingham«, begann er, nachdem sie Platz genommen hatten, »ich habe Sie in einer Angelegenheit aufgesucht, die etwas – etwas –«

»Unangenehm ist«, ergänzte sie rasch.

»Woher wissen Sie das?« fragte er.

»Weil ich mir nicht denken kann, daß Sie eine andere Angelegenheit hergeführt haben könnte. Sprechen Sie, ich habe wenig Zeit.«

Blair sah sie fest an. Er wußte, daß er es mit einer Frau zu tun hatte, auf die seine Worte wenig Eindruck machen würden. So hielt er brutale Offenheit für das beste.

»Ich bin wegen meines Freundes Burgoyne zu Ihnen gekommen. Sie wissen zweifellos, daß er sehr an Mr. Shrewsbury hängt, den Sie heiraten wollen.«

»Und?«

»Kapitän Burgoyne ist mit dieser Heirat nicht einverstanden.«

Frau Walsingham lachte.

»Er möchte, daß Mr. Shrewsbury die Verlobung löst.«

Die Frau lachte wieder.

»Tatsache ist, daß Mr. Shrewsbury die Verlobung lösen muß. Muß!«

Frau Walsingham hörte auf zu lachen. »Muß!« rief sie aus. »Und warum! Mit welchem Recht stellt Kapitän Burgoyne dieses Ansinnen an mich?«

»Um Ihnen das zu erklären, bin ich hier. Die Sache liegt so, daß Kapitän Burgoyne Sie, wie man zu sagen pflegt, in der Hand hat.«

»Mich?« rief sie aus.

»Sie«, fuhr Blair ruhig fort. »Unmißverständlich und unzweifelhaft. Er läßt Ihnen nun die Wahl. Entweder geben Sie Mr. Shrewsbury frei, oder –«

»Oder?« fragte sie scharf.

»Oder Sie gehen ins Gefängnis. Jawohl, ins Gefängnis.«

Frau Walsingham atmete schwer. Kalt und lange sah sie ihren Besucher an. Endlich schüttelte sie den Kopf.

»Ich verstehe mich nicht aufs Rätselraten. Erklären Sie mir, was das alles zu bedeuten hat.«

»Ich bin überzeugt, daß Sie das selbst am besten wissen«, antwortete Blair. »Sie haben einen Fehler gemacht, als Sie dem jungen Shrewsbury erlaubten, das unechte Halsband von seinem Freund zu kaufen.«

Frau Walsingham verriet kein Zeichen von Bewegung oder Furcht. Sie war auf alles gefaßt und blickte den Kapitän erstaunt und harmlos an.

»Ich verstehe davon soviel wie vom Griechischen«, sagte sie leichthin. »Erklären Sie mir bitte was Sie meinen.«

»Schön. Dann will ich Ihnen sagen, was wir wissen. Bevor Kapitän Burgoyne vor drei Jahren nach Südamerika fuhr, hinterlegte er bei Mr. Leverton sein Halsband als Pfand für ein Darlehen. Dieses Halsband haben Sie bald danach aus dem Geldschrank genommen, Sie haben eine Nachbildung anfertigen lassen und an Stelle des echten Schmuckes in den Geldschrank gelegt. Dann –«

»Einen Augenblick bitte«, unterbrach ihn Frau Walsingham, »sind das Vermutungen oder Tatsachen für Sie?«

»Lassen Sie mich nur fortfahren. Sie gingen dann zu einem bekannten Juwelier und Pfandleiher, der durchaus bereit ist, gegen Sie Zeugnis abzulegen – aha, ich wußte, daß Sie das überraschen würde – und Sie versetzten das Halsband für tausend Pfund. Vergebens versuchte der Mann zu wiederholten Malen, es Ihnen abzukaufen. Neulich lösten Sie es dann ein. Sie bildeten sich ein, Kapitän Burgoyne wüßte nicht, daß er von Mr. Winch nur den unechten Schmuck erhalten habe. Aber das war ein Irrtum, er entdeckte den Betrug sofort und – hatte Sie im Verdacht. Eine Falle wurde Ihnen gestellt, und, so klug Sie auch sind, Sie gingen in die Falle.«

Frau Walsingham gab keine Antwort. Sie war fest davon überzeugt gewesen, daß ihre Geschäfte mit Mr. Wiertz tiefstes Geheimnis waren. Nun wußte dieser Mann mit den strengen Augen alles, vielleicht sogar schon, was sie erst heute mit dem Pfandleiher verhandelt hatte. So hörte sie schweigend zu.

»Wir wußten«, fuhr die erbarmungslose Stimme fort, »daß Sie das echte Halsband hatten, so spielten wir Ihnen auch das unechte in die Hände. Und wir gaben Ihnen Gelegenheit, das echte zu tragen. Eine nette Geschichte für das Kriminalgericht.«

Mit tückischen Augen blickte Frau Walsingham ihren Verfolger an.

»Das haben Sie eingefädelt«, sagte sie plötzlich. »Burgoyne ist zu dumm dazu. Aber beweisen könnten Sie nichts. Burgoyne verkaufte den Schmuck für echt, und so kaufte ihn der Junge und zahlte zehntausend Pfund dafür. Was können Sie dagegen sagen?«

»Daß Mr. Shrewsburys Scheck von Mr. Burgoyne nie vorgelegt worden ist. Und daß wir beweisen können, daß wir ihm die Nachahmung eingehändigt haben, während Sie das Original besaßen. Ausflüchte haben keinen Zweck. Es wäre besser, Sie gingen auf unsere Bedingungen ein, dann könnten wir Gnade für Recht ergehen lassen.«

»Was verlangen Sie denn?«

Blair zog sein Notizbuch heraus.

»Ein schriftliches Anerkenntnis Ihrer Schuld wird genügen. Vielleicht lesen Sie dieses Blatt Papier durch.«

Er reichte ihr ein Schriftstück, das sie überflog.

»Ich werde unterschreiben«, sagte sie, »denn ich habe das Halsband genommen.« Und sie ging an ihren Schreibtisch, unterzeichnete und gab ihm das Papier zurück.

»Sind wir nun fertig?« fragte sie.

Blair wunderte sich nicht wenig über ihre Kaltblütigkeit. Er überlegte, ob sie ihm etwa irgendeinen Streich spielen wolle. Immerhin hatte er ihre Unterschrift.

»Ja«, sagte er, »Sie müssen mir nur noch das Halsband zurückgeben.«

Aber Frau Walsingham schüttelte den Kopf.

»Nein«, sagte sie fest, »das werde ich nicht tun. Ich will es dem Eigentümer, sei es nun Kapitän Burgoyne oder Shrewsbury zurückgeben, aber nicht Ihnen. Ihnen gehört es nicht.«

»Kapitän Burgoyne ist gegenwärtig in Paris.«

»Und der Junge ebenfalls«, bemerkte sie. »Nun weiß ich, daß auch das ein abgekartetes Spiel war. Wenn einer von den beiden das Halsband haben will, mag er zu mir kommen.«

»Sie scheinen nicht zu begreifen, daß das Papier, das Sie eben unterschrieben haben, Mr. Shrewsbury vorgelegt werden wird. Es ist kaum anzunehmen, daß er nach dieser Lektüre noch Sehnsucht empfinden wird, Sie aufzusuchen.«

Frau Walsingham brach in ein schrilles Lachen aus.

»Was kümmert es mich, ob er mich noch besuchen will oder nicht? Aber merken Sie sich das, Sie feierlicher alter Esel, daß trotz dieses Papiers, trotz allem, was Sie und Burgoyne sagen, ich nur den Finger aufheben brauchte, um diesen Jungen wieder zu meinen Füßen zu haben. Aber ich habe keine Lust, mich mit Ihnen herumzustreiten. Es ist wohl nicht nötig, daß ich Sie hinausbegleite.«

Unwillkürlich näherte Blair sich ein wenig der Tür.

»Es scheint, als wenn Sie Ihre Lage nicht ganz begreifen.«

»Ich begreife sie nur zu gut. Möchten Sie mich nicht nun endlich verlassen?«

»Aber das Halsband«, begann Blair, »das Halsband –«

»Gehört Ihnen nicht. Nun gehen Sie bitte endlich.«

Blair schüttelte den Kopf und ging hinaus. Sie sprang zur Tür und schloß sie hinter ihm ab. Dann begab sie sich in ihr Schlafzimmer, öffnete ein kleines Sicherheitsfach, das sich in der Wand befand und nahm verschiedene Schmucksachen heraus, zugleich mit einer Brieftasche, die Geld enthielt.

Als sie alle diese Dinge in ein Köfferchen gepackt hatte, hörte sie ein Geräusch im Nebenzimmer. Sie wandte sich um und sah, wie die Tür sich langsam öffnete. Um die Kante derselben schlossen sich die Finger einer Männerhand. Sie blickte hin, zögerte; dann stahl sich ihre eigene Hand in die Tasche ihres Kleides, und ihre Finger umkrampften die kleine Pistole, die sie immer bei sich trug.


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