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Han-Chang-Li: Herbstelegie

Nun hat der Sommer sein letztes Feuer
verflammt. Seine Rosen sind lange verweht.
Über die Wipfel hebt sich ein scheuer
Herbsttag, der silbrig im Blauen steht.

Ich kaure im Kahn, umsungen von Flüssen.
Die Berge sind klarer. Der Nebel verflog.
Ich möchte die Nähen, die Fernen küssen,
die Wangen kühlen im Wipfelgewog.

Die farbigen Tage gehn langsam zur Neige.
Immer noch leuchtet der Morgenstern.
Noch glühen die Weiten. Noch lodern die Steige
in brennenden Tönen. Noch wandert der Kern

der Chrysantheme im Winde. Noch fließen
die rosigen Wolken und rieseln rot
um alle Türme. Die Zinnen schießen
blitzende Speere. Die Welt ist nicht tot.

Die sonnenermattete Welt will sich leise
legen und schlummern einige Zeit.
Mich überkommt eine Wehmutweise.
Lang bin ich selbst schon dem Herbste bereit.

Das Herbstland legt sich dem Schicksalgehetzten
liebend ans Herz, daß ein salziger Guß
ihm aus dem Aug stürzt. Die thränenbenetzten
Wangen spüren den Abendkuß.

Klage nicht! Freu dich! Frommt es zu hadern?
Jedem bereitet sich still sein Geschick.
Lodert nicht Lust noch in pochenden Adern,
wenn du in einem umarmenden Blick

alles einst fassest, es innig zu hegen,
wissend, daß Einsamkeit Ewigkeit barg?
Leuchte, du Liebender, leuchte! Sie legen
bald ein erloschenes Licht in den Sarg.

Trinke die Trauer der sinkenden Stunde
des Herbstes! Trinke die Wehmutlust, Kind!
Heute noch lachst du mit blühendem Munde,
morgen weht Asche verstäubend im Wind.


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