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Thu-Fu: Herbstwehmutlieder

Von allen Bäumen fegen
die Blätter vor dem Wind.
In Strömen gießt der Regen.
Die kalte Zeit beginnt.

Hoch gehn im Fluß die Wogen
und türmen sich im Schwall
fast bis zum Himmelsbogen
empor, ein Wasserwall.

In den Wäldern ein Sausen,
immer der eine Ton!
Hier ist nimmer zu hausen.
Läg ich im Schlafe schon!

Von den Gebirgen schweben
Wolken um Wolken fahl.
In den Steppen heben
sich Nebel allzumal.

Noch blühn die Chrysanthemen,
doch morgen ist alle Pracht
ein wesenloser Schemen;
nicht eine Aster lacht.

Angekoppelt, ein Nachen
am Ufer, lieg ich, tanz
auf Wellen. Träume entfachen
mein Dorf zu vollem Glanz.

Schon holt man aus den Spinden
sich warmes Wams. Der Frost
kam mit den Winterwinden.
Im Keller friert der Most.

Im weiten Umkreis stellen
sie Schneelaternen auf.
Kleine Feuer hellen
die trüben Fernen auf.

Im Tal die Wäscherinnen
schwemmen in aller Ruh
und tragen nasse Linnen
in Körben und singen dazu:

»Der Herbst, der Herbst ist kommen.«
Die Weise legt sich leis
ans Herz mir. Leicht verglommen
die Feuerlein im Kreis.

 

Immer nur vom Festungswall
seh die Sonne ich ertrinken.
Meine nassen Augen sinken
mit dem feuerfarbnen Ball.

Hinterm Berg, wo er verwich,
liegt die Hauptstadt. Ich verzehre
mich in Gram, doch immer nähre
ich ein Heimkehrhoffnungslicht.

Denk an manches Frauenbild,
mag mir's auch ein Traum nur schaffen.
Winselnd hängt ein Volk von Affen
im Gesträuch. Das Bild verquillt.

Bist das du, der im Palast
ein- und ausging? Weihrauch bebte
in der Luft. Die goldgewebte,
seidne Matte lud den Gast

mild zum Ausruhn. Hohe Kunst
grüßte dich von allen Wänden,
denn mit vollen reichen Händen
schenkte deines Kaisers Gunst.

Jetzt in diesem Festungsrund
lauschest du dem Schritt der Wachen.
Lang verlerntest du das Lachen,
heimatfern und heimwehwund.

Seligkeit ist dir nur dies,
daß im halben Licht die fahlen
Sandsteininseln rötlich strahlen
in dein ärmliches Verließ.

Herbstlich blüht das Schilfrohr. Sieh!
wie die Felsen ihre Säume
aus dem Schwall der Wogenschäume
heben! Lausche! Melodie

schwebt mit leichtem Flug herbei.
Trink die Welt mit allen Sinnen!
Diese öden Festungszinnen
sind versunken. Du bist frei!

 

Wie still das Städtlein liegt
in Früh- und Abendstunden
an seinen Fels geschmiegt!
O hätt ich überwunden!

Ein armes Bergvolk nährt
sich schlicht auf harter Scholle.
Daß sich der Himmel klärt,
erwarten wir oft volle

verlorne Tage. Oft
hab ich ein bißchen Bläue
inbrünstig mir erhofft,
der ich zu weinen scheue.

Wie herzertötend gleich
bleibt sich dies Tagvertändeln.
Im engen Wallbereich
seh ich die Wachen pendeln,

am See, am grauen See
nie andre Fischerleute,
ihr täglich Glück und Weh
ist ihre magre Beute.

Du aber, lieber Zug
von Schwalben, die sich jagen,
du sammle dich zum Flug,
mein Heimweh wegzutragen.

Ein Spiegel meines Herrn
zu sein, war mir befohlen.
Der andre nahm den Stern,
mir maß man Wandersohlen.

Herr, schlage dem Gezücht
Falschwort aus falschem Munde.
Schon bringt mir das Gerücht
von argem Abfall Kunde.

O Stadt im Nebelland!
Nun erst bist du mir theuer.
Ein Spatz saß ich am Rand
der überfüllten Scheuer.

Ein Adler horst ich frei
auf hohem Grat. Die Stimmen
der Höflinge, Geschrei
und Lug und List verschwimmen.

Wie tief das Städtlein schweigt!
Wie sich die Schwalben schwingen!
Im Gras die Grille geigt
und die Soldaten singen.

 

Spielt man noch die alten Spiele
wie in all den langen Jahren?
Ist die Diele noch die Diele,
ist das Dach das Dach noch? Fahren

die Karossen noch wie immer
goldumflimmert durch die Gassen?
Schreiten durch die hohen Zimmer
der Paläste noch gelassen

schöne Frauen? Wehn Gewänder
noch wie einst? Nur an den Mützen
änderten sich bunte Bänder.
Was kann solch ein Treiben nützen?

Durch die Lande widerhallen
Trommeln, die zur Fahne rufen.
Die Trompeten werben. Allen
ist der Weg versperrt von Hufen,

die den Staub der Straßen stampfen.
Die Gefilde auf und nieder
sprengen Reiter. Rosse dampfen
abgehetzt. Die rauhen Lieder

der Gefangnen läuten, läuten
in den Lüften wie die Glocken.
Sinnend frag ich: Was bedeuten
diese Zeichen? Heb erschrocken

oft das Haupt. Ein starres Schweigen
liegt auf meiner Festung. Fische,
die im See sich seltner zeigen,
steigen tiefer, eine Nische

im Geklippe zu erhaschen.
Süsse Heimat goldner Tage,
die versanken, laß mich naschen
deinen Seim! Wie eine Sage

lebst du hinterm Nebelruße
dieses Tals in blauer Milde.
Meine, ach, so reiche Muße
ist erfüllt von deinem Bilde.

 

Holde Täuschung! Deutlich seh ich
– ist's ein Traum nur? – hoch vom Berge
in die Wolken Blitze schleudernd
eine goldne Säule ragen,

drauf mit aufgereckten Armen
der Unsterbliche die Schale
über sich hebt, Tau des Himmels
aufzufangen und zu spenden;

seh das prangende, gewölbte
Haus am See, an dessen Ufer
die erlauchte Si-Wang-Mu,
sich an eines Vogels Fittich

schmiegend, sanft zur Erde schwebte;
seh das Tor, das Rauch umwogte,
als Laotse mit den Büchern
seiner Lehre durchschritt, aufglühn.

Halberwacht seh ich noch immer
die Fasanenwedel fächeln,
rosig angehauchten Wölkchen
gleichend, Kühlung wehen;

seh des Kaisers Auge leuchten,
seines goldnen Drachenpanzers
Schuppen in der Sonne glänzen,
seh mich selber lächelnd stehen

an der himmelblauen Pforte,
von den Bittenden umlagert,
die sein Antlitz schauen wollen;
alles, was ich einst besessen,

stellt ein Traumbild mir vor Augen.
Wie soll ich dies wüste Bergland
nun ertragen, mich bescheiden,
meine letzten Tage einsam
in der Öde zu verleben?

 

Von den kahlen Felsenklüften
dieser Berge bis nach Haus
schweben Wolken in den Lüften.
Leise klingt der Herbsttag aus.

Leuchtend wandeln sie im Wiegen
um das Schlößlein überm See.
Selig jetzt im Park zu liegen!
Ach, mich übermannt das Weh.

Schlanke Säulen an den Wegen,
Zelte perlenübersäet,
seltene Tiere in Gehegen! –
Weinen muß ich früh und spät.

Segel aus geblümter Seide
und ein Mast aus Elfenbein,
auf dem Wasser blinken beide
blauumglänzt im Abendschein.

Schmerzlich süße Wehmutlieder,
die ich in ein Sträußchen band,
heben leuchtend ihr Gefieder,
schweben heim zum alten Strand.

 

Wenn in der Sternnacht gelinde
die himmlische Weberin steht
– wie hat im flackernden Winde
Wu-Tis Standarte geweht! –

am See, wo das Steingebilde
des Walfischs im Wasser liegt,
den Herbst dem Sommergefilde
zu künden, die Flossen biegt,

denkt dann wohl einer in Treue
des Armen in ferner Welt?
Daß mich ein Gruß erfreue,
hätt er ein Zeichen bestellt!

Auf schwellenden Wogen schwimmen
jetzt Körner von Wasserreis.
Die Lotosblumen glimmen
frostgeflammt schon im Kreis.

Ach, die geliebten Stätten,
wo ich einst träumend ging,
sind mir durch Bergesketten
und durch den Wasserring

wogenrollender Meere
genommen. Ich stehe geneigt
und, wie ein Fischer die Fähre,
während die Brandung steigt,

sorgend ans Land zieht, reiße
ich jäh aus dem Herzen die Not.
Über dem Wellengegleiße
färbt sich der Himmel rot.

 

Flimmernde Hügel über dem kleinen Teich,
wie war ich im Anschaun euerer Linie reich!

Abends, wenn sanft eine leichte Brise flog,
saß ich am See, der sich wie ein Halbmond bog.

Köstlicher Reis wuchs reich und mundete. Manches Pud
ließ man den Vögeln, die man alle zur Tafel lud.

In den Wipfeln ganz hoch schillerte im Geäst
farbig der Phönix und pries leise sein himmlisches Nest.

Schlanke Mädchen der Stadt kamen ans Seegestad.
War man ein Weilchen allein, nahm man ein kühles Bad.

Denkst du noch, Li-Tai-Pe, an unseren lachenden Kreis?
Auf den Kähnen im See sang man der Lieblichen Preis.

Von den Hügeln flog neckend zurück der Klang.
Wie ist das fern heut, fern! Wie ist das lang her, lang!

Laubgewind um die Stirn! Schwermut grüßte uns nie!
Heut um ein sinkendes Haupt schlingt sich die Elegie.


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