Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Li-Tai-Pe: Die Stickerin

In Wehmut saß ich über meinem Rahmen
am Auslug auf die Straße, die sie nahmen,
und gab so ganz, so ganz der Sorge nach,
daß mich die Nadel in den Finger stach
und statt der weißen Rose, die ich stickte,
ein Purpurröslein aus dem Rahmen blickte.

Da mußt ich jeden Sinn ins Blachfeld lenken
und meines armen Liebsten draußen denken,
des Blut vielleicht aus frischer Wunde fließt,
daß aus der Steppe rot ein Röslein sprießt,
ein Röslein rot, ein Röslein. – Thränen schossen
aus meinen Augen, die sich jäh ergossen.

Auf einmal pochte es wie Huf bei Huf.
O Pferdegetrappel! Langersehnter Ruf!
Aufsprang ich gleich und ließ die Arbeit liegen,
um meinem Theuren an den Hals zu fliegen.
O Schmerz! Es hatte mich ein Trug genarrt.
Mein Herz nur pochte so. Ich steh erstarrt.

Und auf die Stickerei in meinem Rahmen,
am Auslug auf die Straße, die sie nahmen,
bieg ich mich wieder, trauervoll versteint
und arm wie eine, der kein Lenz mehr scheint
so arm, so arm. Arm! Thrän' auf Thräne troff
und stickte lauter Perlen in den Stoff.


 << zurück weiter >>