Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil V
Henry Fielding

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Siebentes Kapitel.

Squire Western besucht mit Herrn Blifil seine Schwester.

Fräulein Western hielt ihrer Nichte eben eine Vorlesung über Klugheit und eheliche Politik, als ihr Bruder und Blifil mit weniger Umständen, als die Gesetze der Schicklichkeit erforderten, eintraten. Sobald Sophie Blifil erblickte, erbleichte sie und wurde fast ohnmächtig; ihrer Tante dagegen stieg alles Blut in die Wangen, sie nahm alle ihre Kräfte zusammen und ließ ihrer Zunge den Zügel schießen.

»Bruder,« sagte sie, »ich wundere mich sehr über Dein Benehmen; wirst Du denn niemals lernen, was sich schickt und ziemt? Wirst Du denn immer jede Wohnung wie Deine eigene oder die eines Deiner Pächter ansehen? Hältst Du es für erlaubt, ohne alle vorherige Anzeige zu Damen von Stande einzudringen?«

»Was schadet's denn?« antwortete der Squire, »sollte man nicht denken, ich hätte Dich ertappt bei . . .«

»Keine weitere Grobheit, Bruder. Du hast meine arme Nichte so überrascht, daß sie sich, wie ich sehe, kaum aufrecht 159 erhalten kann. Geh, mein Kind, und suche Dich zu sammeln; ich sehe, daß Du es nöthig hast.«

Sophie, der nichts Willkommneres geheißen werden konnte, entfernte sich schnell..

»Schwester,« entgegnete darauf der Squire, »Du mußt übergeschnappt sein, weil Du das Mädchen fortschickst, wenn ich den Herrn Blifil da herbringe, damit er ihr den Hof machen soll.«

»Bruder,« erwiederte sie, »Du bist mehr als toll, da Du doch weißt, wie die Sachen stehen. Ich muß Herrn Blifil um Entschuldigung bitten, aber er weiß recht wohl, wem er diesen unangenehmen Empfang zuzuschreiben hat. Ich für meinen Theil werde Herrn Blifil immer mit Vergnügen sehen, aber er selbst würde nicht so hereingestürmt sein, wenn Du ihn nicht dazu genöthiget hättest.«

Blifil verbeugte sich, stotterte und machte ein etwas schafmäßiges Gesicht, Western aber antwortete, ohne ihm Zeit zu lassen, passende Worte zu finden: »nun gut, ich habe Unrecht, wenn Du willst; ich habe immer Unrecht; aber nun laß auch das Mädchen zurückkommen oder laß Blifil zu ihr gehen. Er ist deshalb gekommen und hat keine Zeit zu verlieren.«

»Bruder,« entgegnete sie, »Herr Blifil, davon bin ich überzeugt, weiß besser, daß er meine Nichte nach dem, was geschehen ist, diesen Morgen nicht sehen kann. Frauen sind zarter Natur und wenn unser Gemüth gestört wird, kommt es nicht im nächsten Augenblicke wieder zur Ruhe. Hättest Du Herrn Blifil sich meiner Nichte empfehlen und sie um die Erlaubniß bitten lassen, ihr Nachmittags seine Aufwartung zu machen, so hätte ich sie vielleicht vermocht, ihn zu sehen; jetzt habe ich die Hoffnung verloren, so etwas zu bewirken.«

»Es thut mir leid,« sprach Blifil, »daß Herrn Westerns 160 ungewöhnliche Freundlichkeit gegen mich, die ich nie hoch genug schätzen kann, die Veranlassung geworden ist, daß . . .«

»O,« fiel Fräulein Western ein, »Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, wir kennen meinen Bruder alle vollkommen.«

»Ich kümmere mich gar nicht darum, wer mich kennt,« antwortete der Squire, »aber wann soll er denn kommen, um sie zu sehen? denn er ist der Sache wegen nach der Stadt gekommen und auch Herr Allworthy.«

»Bruder,« erwiederte sie, »jeder Brief, den Herr Blifil meiner Nichte senden wird, soll ihr übergeben werden und ich glaube, sie bedarf keiner Anweisung, was sie darauf antworten soll. Ich bin überzeugt, daß sie sich nicht weigert, Herrn Blifil zu geeigneter Zeit zu sehen.«

»Den Teufel auch!« brummte der Squire. »Wissen wir nicht – na, ich sage nichts, aber manche Leute bilden sich ein, klüger zu sein als alle andern. Wenn es nach meinem Willen gegangen wäre, hätte sie nicht durchgehen sollen; jetzt aber erwarte ich jeden Augenblick die Nachricht, daß sie wieder fort ist. Denn wenn mich auch manche Leute für sehr dumm halten, so weiß ich doch, daß Sophie durchaus nicht . . «

»Ich dulde es nicht, Bruder, daß man etwas Schlechtes von meiner Nichte sagt, schon aus Rücksicht auf meine Familie. Sie ist ein Stolz der Familie und sie wird es bleiben. Ich verpfände dafür meinen eigenen ganzen Ruf. Ich werde Dich, Bruder, Nachmittags mit Vergnügen wieder bei mir sehen, denn ich habe Dir etwas Wichtiges mitzutheilen. Gegenwärtig muß ich Dich und Herrn Blifil um Entschuldigung bitten; es ist nöthig, daß ich mich ankleide.«

»So nenne eine Zeit,« fiel Western ein.

»Eine Zeit kann ich nicht bestimmen. Ich sage nichts 161 weiter, als daß ich Dich Nachmittags bei mir zu sehen wünsche.«

»Was soll ich thun?« sagte Western zu Blifil, »ich kann nicht an sie kommen. Vielleicht ist sie Nachmittags besser gelaunt.«

»Ich bin, wie ich sehe, zum Unglück verdammt,« antwortete Blifil. Dann nahm er steif Abschied von Fräulein Western, die die Verbeugung gleich steif erwiederte; darauf entfernte sie sich und Western betheuerte mit einem Schwure, Blifil solle seine Tochter Nachmittags sehen.

Wenn Western dieser Besuch wenig gefallen hatte, so war er Blifil noch unangenehmer gewesen. Der erstere schrieb das Benehmen seiner Schwester blos deren Laune zu sowie ihrem Verdruß über die Verletzung der gehörigen Visitenceremonie; Blifil sah aber tiefer. Er ahnte aus einigen Worten, die der Dame entfallen waren, etwas Wichtigeres und mit Recht, wie sich ergeben wird, wenn wir die verschiedene Dinge beseitiget haben, welche das nachstehende Kapitel enthalten wird.


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