Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil V
Henry Fielding

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

110 Zehntes Kapitel.

Besteht theils aus Ereignissen, theils aus Bemerkungen über dieselben.

Der Brief, welcher zu Ende des letzten Kapitels ankam, war von Herrn Allworthy, meldete dessen unmittelbare Ankunft in London zugleich mit seinem Neffen Blifil und äußerte den Wunsch, in dem Hause seine gewöhnliche Wohnung zu finden.

Die Fröhlichkeit, welche sich im Anfange auf dem Gesichte der armen Frau ausgedrückt hatte, wurde durch den Schluß etwas getrübt, denn die Anzeige kam ihr sehr ungelegen. Auf der einen Seite schien es sich doch nicht im mindesten rechtfertigen zu lassen, wenn sie ihrem Schwiegersohne sogleich die Thüre wies, auf der andern Seite mochte sie aber auch keine Entschuldigung gegen Herrn Allworthy vorbringen, nachdem sie so viele Wohlthaten von ihm genossen hatte und zumal da die Wohnung ihm eigentlich zukam; denn der Mann handelte bei der Vertheilung seiner zahlreichen Wohlthaten ganz und gar anders als die meisten andern wohlthätigen Personen. Er bemühete sich stets, seine Wohlthaten nicht blos vor der Welt, sondern selbst vor den Empfängern geheim zu halten. Er sprach immer von Darleihen und Bezahlen statt von Geben und verringerte auf jede Weise, die er zu ersinnen vermochte, durch die Zunge die Wohlthaten, die er erzeigte, während er sie mit beiden Händen austheilte. So hatte er denn auch, als er der Mad. Miller die Pension von 300 Thlrn. aussetzte, gesagt, es sei dafür, daß er immer das erste Stockwerk für sich bereit finde, wenn er in die Stadt komme (was aber gar nicht in seiner Absicht lag); in der übrigen Zeit möchte 111 sie es immer vermiethen, denn er würde ihr immer einen Monat vorher seine Ankunft melden. Jetzt wurde er so schnell nach der Stadt gerufen, daß er nicht Zeit hatte, so lange vorher die Anzeige zu machen; diese Eile hatte ihn wahrscheinlich auch verhindert, in Bezug auf die Wohnung hinzuzusetzen, »wenn sie leer ist,« denn verdrängen wollte er gewiß Niemanden.

Es giebt eine gewisse Art von Leuten, die, wie Prior sagt, ihr Verhalten nach etwas richten, »das jenseits der festen Regeln von Tugend und Laster, jenseits des Buchstabens des Gesetzes liegt.« Diesen genügt es nicht, durch ihre Vertheidigung vor Gericht losgesprochen zu werden; ihr Zartgefühl läßt sich nur durch ehrenwerthes und billiges Handeln befriedigen und wenn einer ihrer Schritte hinter diesem Ziele zurückbleibt, so sind sie ängstlich und unruhig wie ein Mörder, der sich vor einem Geiste oder vor dem Henker fürchtet.

Mad. Miller gehörte zu diesen Leuten. Sie konnte ihre Unruhe nicht verbergen, Jones aber erlösete sie sogleich aus ihrer Angst, sobald er von dem Inhalte des Briefes Kenntniß erhalten hatte. »Meine Wohnung,« sagte er, »steht Ihnen augenblicklich zur Verfügung und Herr Nightingale wird, davon bin ich überzeugt, bis er ein Haus für sich hat völlig einrichten können, in seine neue Wohnung zurückkehren, wohin Mad. Nightingale ihn gewiß gern begleitet.« Mann und Frau erklärten sich mit diesem Vorschlage sogleich einverstanden.

Der Leser wird gern glauben, daß die Wangen der Mad. Miller von noch höherem Dankgefühle gegen Jones erglüheten, schwerer aber läßt er sich vielleicht davon überzeugen, daß Herr Jones dadurch, daß er ihre Tochter Mad. Nightingale nannte (es war das erste Mal, daß dieser angenehme Ton ihr Ohr berührte), der zärtlichen Mutter 112 größere Genugthuung bereitete und ihr Herz mehr gegen ihn erwärmte als dadurch, daß er ihre gegenwärtige Verlegenheit beseitigte.

Man bestimmte den nächsten Tag für den Auszug des neu verheiratheten Paares und des Herrn Jones, der in demselben Hause ein Unterkommen finden sollte. Nachdem so die Heiterkeit der Gesellschaft wieder hergestellt war, verbrachte man den Tag sehr vergnügt, mit Ausnahme unseres Jones, der zwar äußerlich in die Heiterkeit der Uebrigen mit einstimmte, im Herzen aber bitteres Leid empfand wegen seiner Sophie, das nicht wenig verschlimmert wurde durch die Nachricht von der Ankunft Blifils (deren Zweck er leicht errieth), sowie durch den Umstand, daß Mamsell Honour, die sich nach Sophien zu erkundigen und ihm bald Nachricht zu geben versprochen, nicht Wort gehalten hatte.

Bei der Lage, in welcher er und seine Geliebte sich befanden, war kaum noch ein Grund zu der Hoffnung vorhanden, daß er günstige Nachrichten erhalten würde; dennoch sehnte er sich sehr, Mamsell Honour zu sehen, als hätte er erwartet, sie würde ihm einen Brief von Sophien mit der Einladung überbringen, sie an einem gewissen Orte zu besuchen. Ob seine Ungeduld aus jener natürlichen Schwäche der menschlichen Seele entsprang, die den Wunsch erzeugt, auch das Schlimmste zu erfahren, und die Ungewißheit zu der unerträglichsten Pein macht, oder ob er sich noch immer im Stillen mit Hoffnungen schmeichelte, wollen wir nicht bestimmen. Daß wohl das Letztere stattfand, weiß jeder, der geliebt hat, denn von allen Gewalten, welche die Leidenschaft über uns ausübt, ist die wunderbarste jene, die Hoffnung noch mitten in der Verzweiflung aufrecht zu erhalten. Schwierigkeiten, Unwahrscheinlichkeiten, ja Unmöglichkeiten werden von ihr gänzlich übersehen, so daß man 113 das, was Addison von Cäsar sagt, auf jeden leidenschaftlich Liebenden anwenden kann:

»Die Alpen und die Pyrenäen sinken
»Vor ihm zusammen!«

Dennoch ist es gleich wahr, daß dieselbe Leidenschaft bisweilen aus Maulwurfshügeln Berge macht und Verzweiflung mitten in der Hoffnung erregt; aber solche Anfälle dauern bei guten Constitutionen nicht lange. In welcher Stimmung sich Jones jetzt befand, mögen die Leser errathen, da wir keine genaue Kunde davon haben; gewiß ist nur so viel, daß er zwei ganze Stunden in gespannter Erwartung verbrachte und, als er seine Unruhe nicht länger verbergen konnte, sich in sein Zimmer begab, wo er fast wahnsinnig geworden war, als er folgenden Brief von Mamsell Honour erhielt:

»Mein Herr,

»Ich würde gewiß nach meinem Versprechen zu Ihnen gekommen sein, wäre ich nicht durch die gnädige Frau abgehalten worden; Sie wissen, daß jede Person zuerst ihre Sache verrichten muß und Sie werden mir also keinen Vorwurf daraus machen. Die gnädige Frau ist die gnädigste Frau und die beste Frau, und wer es anders sagt, muß ein sehr schlechter Mensch sein. Wenn ich etwas der Art gesagt haben sollte, werden Sie es nicht weiter erzählen, um ein armes Mädchen nicht zu Schaden zu bringen, die immer die größte Achtung für Sie gehabt hat. Man sollte immer sein Maul halten, denn es weiß Niemand, was geschehen kann, und wenn mir gestern Jemand gesagt hätte, ich würde heute einen so guten Dienst haben, ich hätte es nicht geglaubt, denn ich habe nicht im Traume daran gedacht und es ist nicht meine Art, andere Leute zu verdrängen, da aber die gnädige Frau mir von freien Stücken den Dienst antrug, so kann mich Niemand tadeln, 114 daß ich ihn annahm. Ich bitte Sie, nichts von dem zu erwähnen, was ich gesagt habe, denn ich wünsche Ihnen alles Glück in der Welt und ich zweifele nicht daran, daß Sie das Fräulein noch bekommen werden. Ich für meine Person kann Ihnen freilich in dieser Sache nicht mehr dienen, da ich in andern Diensten bin. Ich bitte Sie, sagen Sie nichts von dem, was geschehen ist, und glauben Sie, daß ich bin

Ihre ergebene Dienerin bis in den Tod
Honour Blackmore.«
       

Jones erschöpfte sich in Vermuthungen über diesen Schritt der Lady Bellaston, die indessen kaum eine andere Absicht hatte, als sich der Mitwisserin eines Geheimnisses zu versichern, welches sie nicht weiter, als bereits geschehen, bekannt werden lassen wollte; hauptsächlich wünschte sie, dasselbe vor Sophien zu bewahren, denn obgleich diese fast die einzige war, welche es nicht weiter erzählt haben würde, so konnte dies Lady Bellaston doch nicht glauben. Sie haßte die arme Sophie auf das Heftigste und Unversöhnlichste und vermuthete einen gleichen Haß gegen sich in dem Herzen unserer Heldin, in das eine solche Leidenschaft noch keinen Eingang gefunden hatte.

Während Jones sich mit der Furcht vor tausend schrecklichen Machinationen und tiefangelegten Plänen ängstigte, welche seiner Meinung nach der Aufnahme der Mamsell Honour in den Dienst der Lady zu Grunde liegen mußten, versuchte das Geschick, das bisher seiner Verbindung mit Sophien völlig entgegen gewesen zu sein schien, eine neue Art, dieselbe ganz zu beseitigen, indem es ihm eine Versuchung in den Weg führte, der er bei seiner jetzigen verzweifelten Lage kaum widerstehen zu können schien.


 << zurück weiter >>