Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil V
Henry Fielding

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18 Viertes Kapitel.

Wird hoffentlich von jungen Leuten beiderlei Geschlechter sehr aufmerksam gelesen werden.

Kaum hatte Partridge sich entfernt, als Herr Nightingale, mit dem er innige Freundschaft geschlossen hatte, zu Jones kam und nach kurzer Begrüßung zu demselben sagte: »Sie haben ja, wie ich höre, gestern Nacht sehr spät Gesellschaft gehabt. Sie sind, bei meiner Seele, ein glücklicher Mensch; Sie sind kaum vierzehn Tage in der Stadt und schon halten Tragsessel bis früh zwei Uhr vor Ihrer Thüre.« In solchem gemeinplätzigen Spotte ging es fort, bis Jones ihn endlich mit den Worten unterbrach: »Sie haben dies Alles, wie ich vermuthe, von der Mad. Miller erfahren, die eben bei mir war und mir die Wohnung kündigte. Die gute Frau ist, wie es scheint, um den Ruf ihrer Töchter besorgt.«

»Ja, in diesem Puncte ist sie sehr empfindlich,« sagte Herr Nightingale, »wie Sie sich erinnern werden, wollte sie Aennchen nicht mit uns zur Maskerade gehen lassen.«

»Sie handelt ganz recht,« entgegnete Jones, »auch habe ich sie beim Worte genommen und Partridge bereits fortgeschickt, mir eine andere Wohnung zu suchen.«

»Wir können dann vielleicht wieder zusammenkommen,« meinte Nightingale, »denn, um Ihnen ein Geheimniß mitzutheilen, das Sie jedoch in der Familie nicht erwähnen mögen, ich habe die Absicht, das Haus noch heute zu verlassen.«

»Wie? hat Ihnen Mad. Miller auch gekündiget?« fragte Jones.

»Nein,« antwortete der Andere, »aber die Zimmer behagen mir nicht recht. Außerdem bin ich auch dieses Theiles 19 der Stadt überdrüssig. Ich wünsche den Vergnügungsörtern näher zu sein und nehme meine Wohnung deshalb in Pall Mall.«

»Und Ihr Ausziehen soll ein Geheimniß sein?« fragte Jones.

»Ich gebe Ihnen mein Wort, die Wirthin um den Miethzins nicht zu betrügen,« antwortete Nightingale, »aber ich habe einen besondern Grund, der mich verhindert, förmlich Abschied zu nehmen.«

»Den Grund habe ich schon am zweiten Tage meiner Anwesenheit in dem Hause durchschaut,« sagte Jones. »Es wird nasse Augen geben. Das arme Aennchen! Ich bedaure sie wahrhaftig. Sie haben das arme Ding zum Narren gehabt und in dem Mädchen eine Sehnsucht erweckt, die, wie ich fürchte, nicht wieder zum Schweigen zu bringen ist.«

»Was aber sollte ich thun?« entgegnete Nightingale. »Soll ich sie heirathen, um ihre Sehnsucht zu stillen?«

»Keineswegs,« entgegnete Jones, »aber Sie hätten ihr den Hof nicht machen sollen, wie Sie es doch oft selbst in meiner Gegenwart gethan haben. Ich habe mich über die Verblendung ihrer Mutter gewundert, die nichts zu sehen schien.«

»Bah! Nichts zu sehen schien!« rief Nightingale, »was sollte sie denn sehen?«

»Daß Sie ihre Tochter verliebt machten. Das arme Mädchen kann es keinen Augenblick verbergen; ihre Augen wenden sich von Ihnen nicht ab und so oft Sie in das Zimmer treten, wird sie über und über roth. Ich bedaure sie wirklich von Herzen, denn sie scheint die redlichste und gutmüthigste Seele von der Welt zu sein.«

»So darf man sich also nach Ihrer Meinung,« entgegnete Nightingale, »niemals durch gewöhnliche Galanterie 20 gegen Frauenzimmer eine Unterhaltung verschaffen, aus Besorgniß, sie könnten sich in uns verlieben.«

»Sie verstehen mich,« antwortete Jones, »absichtlich falsch. Ich glaube nicht, daß Frauenzimmer sich so außerordentlich leicht verlieben; aber Sie sind über die gewöhnliche Galanterie weit hinaus gegangen.«

»Meinen Sie, daß ich bei ihr geschlafen habe?« fragte Nightingale.

»So schlecht,« antwortete Jones ernst, »denke ich auf Ehre! von Ihnen nicht; ja, ich gehe noch weiter und glaube nicht einmal, daß Sie einen wohlbedachten Plan entworfen haben, ein armes Mädchen um Ruhe und Frieden zu bringen, ich zweifle sogar, daß Sie die Folgen vorhergesehen haben; denn ich halte Sie für einen gutmüthigen Menschen und ein solcher kann sich einer Grausamkeit dieser Art nicht schuldig machen; aber Sie befriedigten dabei Ihre Eitelkeit und bedachten nicht, daß das arme Mädchen ein Opfer derselben werden würde. Während sie nichts anderes wollten, als in einer müßigen Stunde sich eine Unterhaltung zu verschaffen, haben Sie ihr Veranlassung zu dem schmeichelhaften Glauben gegeben, Sie hätten die ernstlichsten Absichten mit ihr. Antworten Sie mir ehrlich: was bezweckten alle Ihre glühenden Schilderungen des Glückes starker und gegenseitiger Liebe, jene warmen Betheuerungen der Zärtlichkeit und uneigennütziger Liebe? Glaubten Sie, das Mädchen würde keine Anwendung davon machen? oder, richtiger gesagt, wollten Sie nicht, daß sie dieselben auf sich selbst anwende?«

»Bei meiner Seele, Tom,« entgegnete Nightingale, »dies habe ich nicht in Ihnen gesucht. Sie würden ein vortrefflicher Prediger werden. Sie würden also nicht mit Aennchen zu Bette gehen, wenn Sie von ihr selbst in ihr Schlafzimmer geführt würden?«

21 »Nein,« antwortete Jones, »wahrhaftig nicht.«

»Tom, Tom!« erwiederte Nightingale. »Die vorige Nacht. Gedenken Sie der vergangenen Nacht,

»Als jedes Aug' geschlossen war und nur
die stillen Sterne und der bleiche Mond
den Raub gewahrten . .«

»Nightingale,« antwortete Jones, »ich bin kein Heuchler und will nicht keuscher sein als andere Leute. Ich habe mich mit Frauen vergangen, ich gestehe es, aber ich bin mir nicht bewußt, daß ich Eine betrogen hätte. Auch möchte ich, um mir ein Vergnügen zu bereiten, nicht wissentlich einen Menschen in's Unglück bringen.«

»Sehr wohl,« sagte Nightingale, »ich glaube Ihnen, bin aber auch überzeugt, daß Sie mich einer solchen That nicht fähig halten.«

»Ich glaube es gern,« antwortete Jones, »daß Sie das Mädchen nicht verführten, aber von der Schuld sind Sie nicht frei, ihre Gunst sich erworben zu haben.«

»Wenn ich dies gethan habe,« meinte Nightingale, »so thut mir es leid, aber die Zeit und Entfernung werden solche Eindrücke bald verwischen. Es ist dies ein Mittel, das ich selbst gebrauchen muß, denn, wenn ich Ihnen die Wahrheit gestehen soll, es hat mir in meinem ganzen Leben kein andres Mädchen nur halb so gut gefallen; aber ich muß Ihnen das ganze Geheimniß mittheilen. Mein Vater hat für mich ein Mädchen ausgesucht, das ich noch nicht kenne und sie kommt jetzt in die Stadt, um sich von mir den Hof machen zu lassen.«

Bei diesen Worten brach Jones in ein lautes Gelächter aus, welches Nightingale zu der Bemerkung veranlaßte: »Machen Sie mich nicht lächerlich. Der Teufel soll mich holen, wenn ich nicht so schon halb wahnsinnig darüber bin. Meine arme Anna! Ach, Jones, ich wollte, ich wäre reich!«

22 »Ich wünsche Ihnen dies ebenfalls und zwar von Herzen,« antwortete Jones, »wie jetzt die Sachen stehen, bemitleide ich Sie beide. Gewiß ist es auch Ihr ernster Wille nicht, sie ohne Abschied zu verlassen.«

»Und wenn ich damit zehntausend Pfd. St. verdienen könnte, ich möchte mir den Schmerz des Abschiednehmens nicht bereiten; überdies bin ich überzeugt, daß dies, statt zu etwas Guten zu führen, meine arme Anna nur mehr entflammen würde. Ich bitte Sie also, erwähnen Sie heute kein Wort davon. Abends oder morgen früh gedenke ich auszuziehen.«

Jones versprach es und sagte, nachdem er weiter über die Sache nachgedacht, er sei jetzt selbst der Ansicht, daß er am klügsten handele, wenn er sich aus dem Hause entferne. Dann fuhr er fort, es würde ihn sehr freuen, wenn er wieder mit Nightingale in einem Hause wohnen könnte, und so kamen sie denn überein, daß ihm Nightingale entweder die Parterrewohnung oder das zweite Stock verschaffen sollte, da der junge Mann sich vorgenommen hatte, das erste Stock zu bewohnen.

Dieser Nightingale, von dem wir sogleich etwas mehr werden sagen müssen, war in den gewöhnlichen Verhältnissen des Lebens ein Mann von Ehre und, was bei jungen Leuten in der Stadt noch seltener ist, auch von strenger Rechtlichkeit; in Liebesangelegenheiten dagegen hatte er eine etwas laxe Moral. Wir wollen damit nicht sagen, er sei auch in diesem Puncte so grundsatzlos gewesen, wie es Herren bisweilen sind und wie sie sich noch öfter stellen, gewiß aber ist es, daß er sich eines unverantwortlichen Verrathes an Frauenzimmern schuldig gemacht und in einer gewissen Sache, welche Courmachen heißt, sich vielfache Täuschung erlaubt hatte, um derentwillen, wenn er sie im Handel 23 und Wandel begangen, er für den schlechtesten Menschen auf Gottes Erdboden würde angesehen worden sein.

Da jedoch die Welt, ich weiß nicht aus welchem Grunde, die Unredlichkeit in diesem Falle ebenfalls aus einem minder strengen Gesichtspuncte anzusehen pflegt, so schämte er sich dieser seiner Schlechtigkeiten nicht nur nicht, sondern rühmte sich derselben vielmehr und brüstete sich mit seiner Geschicklichkeit, die Mädchen für sich zu gewinnen. Jones hatte ihm schon früher Vorwürfe darüber gemacht, denn dieser sprach sich immer mit großem Unwillen über jedes ungerechte Benehmen gegen das schöne Geschlecht aus, das seiner Meinung nach vielmehr immer mit aller Achtung, sowie mit der höchsten Liebe und Zärtlichkeit behandelt werden sollte.


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