Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil V
Henry Fielding

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115 Elftes Kapitel.

Enthält merkwürdige und beispiellose Dinge.

Es gab eine Frau, eine gewisse Mad. Hunt, die Jones oft in dem Hause gesehen hatte, in welchem er wohnte, da sie die Frauenzimmer dort gut kannte und eine Freundin der Mad. Miller war. Sie stand etwa in dem dreißigsten Jahre, da sie selbst ihr Alter auf sechsundzwanzig Jahre angab; ihr Gesicht und ihre ganze Person war gefällig, ob sie gleich eine Neigung hatte, zu stark zu werden. Sie war durch ihre Verwandten sehr jung mit einem Kaufmanne verheirathet worden, der sich mit einem großen Vermögen zur Ruhe gesetzt hatte. Sie lebte mit ihm ohne Tadel, wenn auch nicht ohne Pein, in großer Selbstverläugnung, vielleicht zwölf Jahre lang, und ihre Tugend wurde endlich dadurch belohnt, daß er starb und ihr ein großes Vermögen hinterließ. Eben war das erste Jahr ihres Wittwenstandes abgelaufen, das sie sehr zurückgezogen verbracht, da sie nur einige vertraute Freundinnen besucht und ihre Zeit zwischen ihrer Frömmigkeit und der Romanlectüre getheilt hatte, die sie sehr liebte. Eine sehr gute Gesundheit, eine sehr warme Constitution und ein guter Theil Religiosität machten es ihr durchaus nothwendig, sich wieder zu verheirathen; sie nahm sich aber vor, durch den zweiten Mann sich selbst ein Vergnügen zu machen, wie sie es durch die Verbindung mit dem ersten ihren Verwandten gemacht hatte. Von ihr erhielt denn Jones folgendes Schreiben:

»Mein Herr,

»Von dem ersten Tage an, da ich Sie gesehen, haben 116 Ihnen meine Augen ohne Zweifel nur zu deutlich gesagt, daß Sie mir nicht gleichgültig sind, aber weder meine Zunge noch meine Hand würden es jemals gestanden haben, hätten mir nicht die Damen der Familie, bei welcher Sie wohnen, so viele Beweise von Ihrer Tugend und Herzensgüte gegeben, die mich überzeugten, daß Sie nicht blos der angenehmste, sondern auch der würdigste Mann sind. Auch höre ich mit Vergnügen von jenen meinen Freundinnen, daß Ihnen weder meine Person, noch mein Verstand und mein Character zuwider ist. Ich besitze ein Vermögen, das hinreicht, uns beide glücklich zu machen, welches aber für sich allein, ohne Sie, zu meinem Glücke nicht gnügt. Ich weiß, daß ich mich durch diesen meinen Antrag dem Tadel der Welt aussetze, wenn ich aber Sie nicht mehr liebte als ich den Tadel der Welt fürchte, würde ich Ihrer nicht würdig sein. Nur eine Schwierigkeit stellt sich mir noch entgegen, ich höre nämlich, daß Sie in einem Liebesverhältnisse mit einer vornehmen Dame stehen. Wenn Sie es der Mühe werth halten, dieses Verhältniß meinem Besitze aufzuopfern, so bin ich die Ihrige; wenn nicht, so vergessen Sie meine Schwäche und lassen Sie dieselbe für immer ein Geheimniß bleiben zwischen Ihnen und

Arabella Hunt.«            

Dieser Brief versetzte Jones in eine gewaltige Verlegenheit. Sein Vermögen war damals gerade in der tiefsten Ebbe, da die Quelle verstopft war, aus welcher er es bis dahin erhalten hatte. Von allem, was er von der Lady Bellaston erhalten, waren ihm nicht mehr als fünf Guineen übrig geblieben und noch denselben Morgen hatte ihn ein Handwerker wegen einer doppelt so großen Summe gemahnt. Seine Geliebte befand sich in der Gewalt ihres Vaters und kaum durfte er hoffen, sie wieder aus derselben zu befreien. Unterstützung von ihr aus dem geringen 117 Vermögen zu erhalten, das sie unabhängig von ihrem Vater besaß, widersprach dem Zartgefühle seines Stolzes und seiner Liebe. Das Vermögen der Wittwe, die ihm ihre Hand antrug, würde ihm höchst angenehm gewesen sein und auch gegen sie selbst hatte er durchaus keine Einwendung zu machen. Im Gegentheile, sie gefiel ihm so gut, als ihm ein anderes Frauenzimmer außer Sophien gefallen konnte. Aber Sophien zu verlassen und eine Andere zu heirathen, war ihm nicht möglich; er vermochte dies gar nicht zu denken. Warum aber sollte er es nicht thun, da sie doch offenbar nicht die Seinige werden konnte? Würde es nicht freundlicher gegen sie sein, als wenn er sie noch länger in der hoffnungslosen Liebe zu ihm ließ? Mußte er es nicht aus Freundschaft gegen sie thun? Dieser Gedanke herrschte einige Augenblicke vor und er hatte sich fast vorgenommen, aus einer Art Ehrgefühl ungetreu gegen sie zu werden; aber die Selbsttäuschung konnte vor der Stimme der Natur nicht lange bestehen, die in seinem Herzen sprach, eine solche Freundschaft sei Verrath an der Liebe. Endlich verlangte er Feder, Tinte und Papier und schrieb wie folgt an Mad. Hunt:

»Madame,

»Es würde nur eine geringe Vergeltung für die Gunst sein, die Sie mir erzeugt haben, ein galantes Verhältniß Ihrem Besitze zu opfern, auch würde ich es sicherlich thun, aber ich bin für den Augenblick von jeder solchen Verbindung frei. Ich würde indeß der redliche Mann nicht sein, für den Sie mich halten, wenn ich Ihnen nicht sagte, daß mein Herz einer Andern gehört, einem tugendhaften Mädchen, das ich nicht aufgeben kann, ob ich es gleich höchst wahrscheinlich niemals besitzen werde. Gott verhüte, daß ich Ihnen zur Vergeltung für Ihre Güte gegen mich ein solches Unrecht thäte, Ihnen meine Hand zu geben, da ich 118 Ihnen mein Herz nicht geben kann. Nein, lieber will ich verhungern, als mich dessen schuldig machen. Selbst wenn meine Geliebte sich mit einem Andern verbände, würde ich Sie nicht heirathen, bevor nicht ihr Bild gänzlich aus meinem Herzen verlöscht ist. Halten Sie sich überzeugt, daß Ihr Geheimniß in Ihrem eigenen Herzen nicht sicherer ruht, als in dem

Ihres dankbaren und ergebenen
Th. Jones.«
       

Als unser Held diesen Brief beendet und abgesandt hatte, trat er an sein Schreibpult, nahm den Muff des Fräulein Western heraus, küßte ihn mehrmals und ging mit höherer Selbstzufriedenheit in seinem Zimmer auf und ab, als ein Irländer, der ein Vermögen von funfzigtausend Pfund in der Tasche trägt.


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