Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil V
Henry Fielding

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61 Zweites Kapitel.

Ein schwarzer Plan gegen Sophien.

Ich erinnere mich eines verständigen alten Herrn, der zu sagen pflegte: »Wenn die Kinder nichts thun, so machen sie Unfug.« Ich will diesen Ausspruch nicht auf den schönsten Theil der Schöpfung im allgemeinen ausdehnen, soviel aber wird mir zu bemerken gestattet sein, daß, wenn die Wirkungen weiblicher Eifersucht nicht offen in ihren eigentlichen Farben der Wuth erscheinen, wir muthmaßen dürfen, diese verderbliche Leidenschaft wirke im Stillen und versuche das zu untergraben, was sie über dem Boden nicht anzugreifen wagt.

Ein Beispiel davon zeigte sich in dem Benehmen der Lady Bellaston, die unter dem Lächeln auf ihrem Gesichte großen Unwillen gegen Sophien verbarg, und da sie erkannte, daß dieses junge Mädchen zwischen ihr und der vollständigen Erfüllung ihrer Wünsche stehe, so nahm sie sich vor, sie auf die eine oder die andere Weise aus dem Wege zu schaffen. Auch währte es nicht lange, so bot sich ihr eine günstige Gelegenheit zur Ausführung dieses Planes dar.

Der Leser erinnere sich gefälligst, daß, als Sophie durch den Witz und die Laune einer Anzahl junger Herren, welche sich die Stadt nennen, in Verlegenheit gesetzt wurde, wir erwähnten, sie habe sich in den Schutz eines jungen Adeligen begeben, der sie sicher zu ihrer Chaise brachte.

Dieser Edelmann, welcher die Lady Bellaston häufig besuchte, hatte Sophien da mehr als einmal gesehen und Neigung zu ihr gefaßt und diese Neigung hatte Sophie, da die Schönheit nie liebenswürdiger erscheint als in der 62 Angst, bei jenem Schrecken so gesteigert, daß man wohl sagen kann, er war jetzt wirklich in sie verliebt.

Man kann sich leicht denken, daß er eine so schöne Gelegenheit, mit der von ihm Geliebten näher bekannt zu werden, nicht vorübergehen lassen wollte, da ihn schon die gute Lebensart veranlassen mußte, ihr einen Besuch zu machen.

Am nächsten Morgen nach dem Vorfalle erschien er also bei Sophien mit den gewöhnlichen Complimenten und sprach die Hoffnung aus, daß das Abenteuer keine nachtheiligen Folgen für sie gehabt haben möge.

Da die Liebe wie das Feuer, wenn sie einmal entzündet ist, bald in helle Flammen aufschlägt, so vervollständigte Sophie in kurzer Zeit ihre Eroberung. Die Zeit verging unbemerkt und der edele Herr war zwei Stunden bei Sophien gewesen, ehe es ihm einfiel, daß er seinen Besuch zu lange ausgedehnt habe. Obgleich schon dieser Umstand allein Sophien beunruhiget haben würde, so fand sie doch in den Augen ihres Anbeters ein noch schlagenderes Zeugniß von dem, was in seinem Herzen vorging. Wenn er ihr auch keine offenbare Liebeserklärung machte, so waren doch viele seiner Ausdrücke zu warm und zu zärtlich, als daß sie blos der Galanterie hätten zugeschrieben werden können.

Lady Bellaston hatte die Ankunft des Lords sogleich erfahren und die lange Dauer des Besuches überzeugte sie, daß alles nach ihrem Wunsche gehe und wie sie es erwartet hatte, sobald sie das junge Paar zum zweitenmale bei einander gesehen. Mit Recht meinte sie, sie würde die Sache nicht fördern, wenn sie das Beisammensein der jungen Leute störe und sie befahl deshalb ihren Leuten, dem Lord, wenn er fortgehe, zu sagen, sie wünsche mit ihm zu sprechen. Unterdessen dachte sie darüber nach, wie sie am 63 besten einen Plan ausführe, in den, wie sie nicht zweifelte, der Lord sicherlich bereitwillig einging.

Lord Fellamor (so hieß der junge Edelmann) hatte sich bei der Lady kaum eingefunden, als diese begann: »Mein Gott, Mylord, sind Sie noch hier? Ich fürchtete schon, meine Leute wären nicht aufmerksam gewesen und hätten Sie fortgehen lassen, da ich Sie doch in einer wichtigen Angelegenheit zu sprechen wünschte.«

»Ich wundere mich allerdings nicht, daß Sie über die lange Dauer meines Besuchs erstaunt sind, denn ich bin über zwei Stunden geblieben, während ich der Meinung war, es sei etwa eine halbe Stunde verflossen.«

»Was soll ich daraus schließen, Mylord?« fuhr sie fort; »die Gesellschaft, in welcher man die Zeit vergißt, muß sehr angenehm sein.«

»Es war auf Ehre! die angenehmste, die ich kenne. Sagen Sie mir, Lady Bellaston, wer ist der glänzende Stern, den Sie so plötzlich unter uns gebracht haben?«

»Welcher glänzende Stern?« fragte sie mit erheucheltem Erstaunen.

»Ich meine die junge Dame, die ich vor kurzem hier sah, die ich am vorigen Abend im Theater in meinen Armen hielt und der ich jetzt diesen ungeziemend langen Besuch gemacht habe?«

»Meine Cousine Western?« sprach sie. »Dieser glänzende Stern, Mylord, ist die Tochter eines Landedelmannes und befindet sich, seit vierzehn Tagen, zum erstenmale in der Stadt.«

»Ich möchte schwören, sie sei an einem Hofe erzogen worden, denn, ihrer Schönheit zu geschweigen, ich habe nie etwas so Edeles, so Artiges gesehen.«

»Vortrefflich!« rief die Dame; »meine Cousine hat Sie wie ich merke.«

64 »Ich wünsche, auf Ehre! es möge dies der Fall sein, denn ich bin rasend in sie verliebt.«

»Sie wünschen sich dabei nichts Uebeles, denn das Mädchen besitzt ein großes Vermögen. Sie ist das einzige Kind ihres Vaters, dessen Gut recht wohl jährlich 3000 Pf. St. einbringen mag.«

»Dann ist sie eine der besten Partien in England.«

»Allerdings; wenn sie Ihnen gefällt, so wünsche ich von Herzen, daß eine Verbindung zwischen Ihnen und ihr zu Stande käme.«

»Wenn Sie so freundlich gegen mich gesinnt sind und die junge Dame eine Ihrer Verwandten ist, so haben Sie wohl die Gefälligkeit, mich Ihrem Vater vorzuschlagen?«

»Sprechen Sie wirklich im Ernst?« fragte die Dame.

»Ich hoffe«, entgegnete der Lord, »Sie haben eine bessere Meinung von mir, als daß Sie glauben können, ich könnte mir in einer solchen Angelegenheit einen Scherz gegen Sie erlauben.«

»Nun ich will Sie recht gern dem Vater meiner Cousine vorschlagen und ich glaube Ihnen zugleich die Versicherung geben zu können, daß er gern den Antrag annehmen will. Aber es giebt ein Hinderniß, das zu erwähnen ich mich fast schäme, das Sie aber schwerlich werden beseitigen können. Sie haben einen Nebenbuhler, einen Nebenbuhler, den, ob ich ihn gleich zu nennen erröthe, weder Sie noch irgend Jemand zu verdrängen vermögen wird.«

»Sie haben mit diesem Worten mein Herz schwer betrübt, Lady Bellaston.«

»Ein Verliebter und betrübt und trostlos! Ich glaubte eher, Sie würden nach dem Namen Ihres Nebenbuhlers fragen, damit Sie sogleich mit ihm in die Schranken treten könnten.«

»Es dürfte wenige Dinge geben, die ich für Ihre 65 reizende Cousine nicht unternähme. Sagen Sie mir, wer ist der Glückliche?«

»Er ist«, entgegnete sie, »wie leider die Meisten, die Glück bei uns machen, ein in der Welt sehr Niedrigstehender, ein Bettler, ein Bastard, ein Findling, ein Mensch, der sich in schlechtern Umständen befindet als Einer Ihrer Bedienten.«

»Ist es möglich, daß eine junge so vortreffliche Dame daran denken kann, eine so unwürdige Wahl zu treffen?«

»Ach, Mylord,« antwortete Lady Bellaston, »bedenken Sie die Provinz, – das Verderben aller jungen Mädchen ist das Landleben. Sie nehmen dort gewisse romanhafte Ansichten von der Liebe und ich weiß nicht, welche Thorheiten noch, in sich auf, welche die Stadt und die gute Gesellschaft dann kaum in einem Winter wieder ausrotten können.«

»Ihre Cousine ist eine junge Dame von zu hohem Werthe, als daß sie so weggeworfen werden könnte. Ein solches Unglück muß verhindert werden.«

»Wie kann es aber verhindert werden, Mylord? Die Familie hat bereits alles gethan, was sie vermag, aber das Mädchen muß bezaubert sein; nichts als jenes Unglück wird sie zufrieden stellen . . . Soll ich ganz aufrichtig gegen Sie sein, so muß ich hinzusetzen, daß ich jeden Tag zu hören fürchte, sie sei mit ihm durchgegangen.«

»Was Sie mir da sagen«, entgegnete der Lord, »rührt mich sehr, erregt aber blos mein Mitleiden, statt meine Liebe zu Ihrer Cousine zu schwächen. Es muß ein Mittel gefunden werden, ein so unschätzbares Juwel zu erhalten. Haben Sie bereits versucht, ruhig mit ihr darüber zu sprechen?«

Die Dame lachte hier und antwortete sodann: »Sie kennen uns gewiß besser, Mylord, als daß Sie glauben 66 sollten, man könne einem Mädchen die Liebe ausreden. Ein solches unschätzbares Juwel ist so taub wie die Juwelen, welche wir tragen; die Zeit ist die einzige Arznei, welche die Thorheit eines Mädchens heilen kann, aber diese Arznei wird meine Cousine sicherlich nicht nehmen wollen. Ich lebe in steter Angst um sie. Nichts wird hier nützen als Gewaltmittel.«

»Was soll geschehen? Welche Mittel sollen angewendet werden? Giebt es noch eins auf Erden? Lady Bellaston, ich unternehme alles für einen solchen Lohn.«

»Ich weiß es wahrlich nicht«, antwortete die Dame nach einer Pause. Nach einiger Zeit fuhr sie dann fort: »Ich kann wahrhaftig nichts ersinnen. Wenn sie noch gerettet werden kann, so muß etwas sogleich geschehen, aber, wie gesagt, nur Gewaltmittel werden helfen. Wenn Sie wirklich meine Cousine lieben (und sie verdient es gewiß, abgesehen von ihrer verkehrten Liebe, deren Thorheit sie gewiß bald einsehen wird), so giebt es doch vielleicht noch einen Weg, sie zu erhalten, freilich einen unangenehmen, an den ich sehr ungern denke. Er verlangt Muth.«

»Ich wüßte nicht, daß es mir daran gebräche, auch hoffe ich nicht, daß man etwas anderes von mir glaubte. Auch müßte ich eine ausgemachte Memme sein, wenn ich bei dieser Gelegenheit keinen Muth hätte.«

»Ich zweifle durchaus an Ihrem Muthe nicht, Mylord, denn ich muß mich selbst einer großen Gefahr aussetzen, ich muß solches Vertrauen auf Ihre Ehre setzen, wie eine verständige Frau kaum jemals auf irgend einen Mann setzt.«

Auch in diesem Punkte beruhigte sie der junge Lord, dessen Ruf wirklich ganz rein war. »Nun wohl«, fuhr sie fort, – »doch nein – es kann nicht sein. Wenigstens muß jeder andere Weg versucht werden. – Können Sie heute bei mir speisen? Sie werden dann Gelegenheit haben, 67 Fräulein Western noch länger zu sehen. Ich versichere Sie, wir haben keine Zeit zu verlieren. Es wird Niemand hier sein als Lady Betty, Miß Eagle, Oberst Hampstead und Tom Edwards. Sie alle werden sich bald wieder entfernen und ich nehme keinen Besuch an. Dann können Sie sich deutlicher erklären. Ich werde Ihnen eine Gelegenheit verschaffen, daß Sie sich von ihrer Liebe zu jenem Menschen überzeugen können.«

Der Lord nahm dankbar die Einladung an und sie trennten sich, um sich mit der Toilette zu beschäftigen, da es bereits drei Uhr früh oder, nach dem alten Style, Nachmittags war.


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