Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil V
Henry Fielding

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Zweites Kapitel.

Enthält Briefe und andere Dinge, die zu einer Liebschaft gehören.

Jones war nicht lange zu Hause gewesen, als er nachstehenden Brief erhielt:

»Ich habe mich nie mehr gewundert, als da ich mich überzeugte, daß Sie sich entfernt hatten. Als Sie das Zimmer verließen, bildete ich mir nichts weniger ein, als daß Sie die Absicht hätten, das Haus zu verlassen, ohne mich erst noch einmal gesehen zu haben. Ihr Benehmen bleibt sich ganz gleich und bringt mich zu der Ueberzeugung, wie sehr ich ein Herz verachten sollte, das sich an eine Thörin hängen kann, ob ich gleich nicht weiß, ob ich nicht mehr ihre Schlauheit als ihre Einfalt bewundern muß. Ob sie gleich kein Wort von dem verstand, was zwischen uns vorging, so besaß sie doch die Geschicklichkeit, die Keckheit, die – wie soll ich es nennen? mir in das Gesicht abzuleugnen, Sie zu kennen oder nur gesehen zu haben. War dies ein unter 6 Ihnen verabredetes Spiel und waren Sie so schlecht, mich zu hintergehen? Ach, wie verachte ich sie, Sie, die ganze Welt, besonders aber mich selbst! – denn – doch ich wage nicht niederzuschreiben, was wieder durch zu lesen mich zur Verzweiflung treiben würde; soviel aber merken Sie sich, daß ich eben so heftig hassen kann, als ich geliebt habe.«

Jones hatte nicht lange Zeit, über diesen Brief nachzudenken, als er einen zweiten von derselben Hand erhielt, den wir ebenfalls wörtlich mittheilen:

»Wenn Sie die Unruhe berücksichtigen, in welcher ich geschrieben haben muß, so werden Sie sich über keinen Ausdruck in dem vorigen Billet wundern. Sie waren vielleicht doch zu warm. Wie leicht ist es, das Beste zu denken von denen, die wir lieben. Vielleicht wünschen Sie ebenso zu denken. Ich habe mir vorgenommen, Sie heute Abend zu sehen; kommen Sie also sogleich zu mir.

NS. Ich bin für Niemanden als für Sie zu Hause.

NS. Herr Jones wird glauben, ich sei geneigt, ihn in seiner Vertheidigung zu unterstützen; denn er kann sicherlich nicht mehr wünschen mich zu betrügen, als ich es selbst wünsche.

NS. Kommen Sie sogleich.«

Ich überlasse die Entscheidung, ob der zornige oder der zärtliche Brief Jones am meisten beunruhigte, denjenigen, welche in solchen Dingen Erfahrung haben. Soviel ist gewiß, daß er eben keine große Lust hatte, diesen Abend mehr Besuche zu machen, als einer einzigen Person. Er glaubte jedoch, seine Ehre lege ihm die Pflicht auf; wäre dies kein zureichender Grund gewesen, so würde er schwerlich gewagt haben, die Stimmung der Lady Bellaston zu dem Zorn anzublasen, dessen sie, wie er Grund zu glauben hatte, fähig war, und der, wie er fürchtete, eine Entdeckung gegen 7 Sophie nach sich ziehen konnte. Nachdem er einigemal, mit sich selbst unzufrieden, in dem Zimmer auf und ab gegangen war, wollte er aufbrechen, als die Dame ihn, nicht durch einen andern Brief, sondern durch ihr persönliches Erscheinen, daran hinderte. Sie trat in einem sehr ordnungslosen Anzuge und mit verstörtem Aussehen ein, warf sich auf einen Stuhl und sagte, nachdem sie zu Athem gekommen war: »Sie sehen, die Frauen lassen sich durch nichts aufhalten, wenn sie einmal zu weit gegangen sind. Noch vor einigen Wochen würde ich es für unmöglich gehalten haben, einen solchen Schritt zu thun.«

»Ich hoffe,« antwortete Jones, »die reizende Lady Bellaston wird auch etwas Unrechtes von Seiten eines Mannes für unmöglich halten, der so tief die vielfachen Verpflichtungen fühlt, welche sie ihm auferlegt hat.«

»Wirklich!« entgegnete sie, »die Verpflichtungen fühlt! Ich erwartete keineswegs, von dem Herrn Jones eine so kalte Sprache zu hören!«

»Verzeihung, theurer Engel,« fiel er schnell ein, »wenn nach den Briefen, die ich erhielt, die Furcht vor Ihrem Zorne, ob ich gleich nicht weiß, wodurch ich ihn verdient habe . . .«

»Sieht denn mein Gesicht so zornig aus?« fragte sie mit einem Lächeln. »Habe ich eine Scheltmiene mitgebracht?«

»Wenn Ehre unter den Menschen ist,« sagte er, »so habe ich nichts gethan, was Ihren Zorn verdienen könnte. Sie erinnern sich der Aufforderung, die Sie mir sandten. In Folge davon, ging ich . . .«

»Ich bitte Sie,« fiel sie ein, »erzählen Sie mir die unangenehme Sache nicht noch einmal. Antworten Sie mir nur auf eine Frage und ich werde beruhigt sein. – Haben Sie nicht meine Ehre gegen sie verrathen?«

8 Jones sank auf seine Knie und ergoß sich eben in die heftigsten Betheuerungen, als Partridge in das Zimmer gehüpft und getanzt kam und wie trunken vor Freude ausrief: »Sie ist gefunden! Sie ist gefunden! Hier, Herr, hier; sie ist hier. Mamsell Honour steht auf der Treppe.«

»Halte sie einen Augenblick auf,« entgegnete Jones. »Hier, Madame, treten Sie hinter das Bett; ich habe kein anderes Zimmer, keinen Alkoven, keinen Platz auf Erden, wo ich Sie verbergen könnte. Einen so unseligen Vorfall hat es sicherlich noch nicht gegeben.«

»Ja wohl unselig,« sagte die Dame, während sie sich in ihr Versteck begab. Gleich darauf trat Mamsell Honour ein.«

»Nun, Herr Jones, was soll denn das bedeuten? Der unverschämte Mensch, Ihr Bedienter, wollte mich kaum die Treppe herauflassen. Ich hoffe nicht, daß er denselben Grund hatte, mich von Ihnen fern zu halten, wie in Upton. Sie erwarteten gewiß nicht, mich zu sehen, aber angethan müssen Sie es meinem Fräulein haben. Das arme junge Fräulein! Ich liebe sie gewiß so zärtlich, als wenn sie meine Schwester wäre. Gott sei Ihnen gnädig, wenn Sie nicht ein guter Mann gegen Sie werden; wenn Sie es nicht thun, ist nichts schlecht genug für Sie.«

Jones bat sie leise zu sprechen, weil im Nebenzimmer eine Frau im Sterben liege.

»Eine Frau!« entgegnete sie, »gewiß Eine von Ihren Frauenzimmern. Ach, Herr Jones, es sind zu viele in der Welt; ich glaube, wir sind auch in das Haus einer solchen gekommen, denn die Lady Bellaston, das sage ich, ist nicht besser.«

»Still! Still!« rief Jones »man hört jedes Wort im nächsten Zimmer.«

»Das ist mir sehr gleichgültig,« meinte Honour, »ich 9 spreche von Niemandem Schlechtes, aber wahr ist es, daß die Dienstleute sich nicht scheuen zu erzählen, die Lady käme an einem dritten Orte mit Männern zusammen; es heiße, das Haus gehöre einer armen Frau, aber die Lady bezahlt den Zins und die Frau soll noch manches Andere von ihr erhalten.«

Jones, der sich in der äußersten Verlegenheit befand, wollte ihr den Mund zuhalten. »I, Herr Jones,« sagte aber das Mädchen, »Sie werden mich doch reden lassen, ich sage von Niemandem etwas Schlechtes, denn ich erzähle nur, was ich von andern hörte. Mag es sein wie es will, es ist doch besser, arm und rechtschaffen.«

»Die Bedienten sind Taugenichtse,« sprach Jones, »die ihre Lady ungerechterweise verläumden.«

»Ja, die Dienstleute sind immer Taugenichtse! Mein Fräulein sagt es auch und mag nichts davon hören.«

»Ja, ich bin überzeugt,« sagte Jones, »daß meine Sophie solche abscheuliche Verläumdung nicht anhört.«

»Es ist keine Verläumdung,« fiel die Honour ein, »warum sollte sie denn in einem andern Hause mit Männern zusammenkommen? Etwas Guten wegen gewiß nicht; denn wenn sie rechtliche Absichten hätte, so kann doch gewiß jedes Frauenzimmer in Gesellschaft von Männern sein; was hat es also zu bedeuten?«

»Ich kann dies von einer Dame von Ehre, die überdies mit Sophien verwandt ist, nicht länger mit anhören; auch wird die arme Frau im Nebenzimmer gestört. Wir wollen miteinander lieber hinuntergehen.«

»Wenn Sie mich nicht reden lassen wollen, so bin ich fertig. Hier, Herr, ist ein Brief von meinem jungen Fräulein. Was würden manche Herren darum geben, hätten sie ihn! Aber, Herr Jones, ich glaube, Sie sind auch nicht ganz rein; ich habe gehört, – aber Sie werden mir die 10 Gerechtigkeit widerfahren lassen und zugestehen, daß ich noch nicht weiß, wie Ihr Geld aussieht.«

Jones nahm ihr schnell den Brief ab und drückte ihr fünf Goldstücke in die Hand. Dann dankte er leise seiner Sophie viel tausendmal und ersuchte das Mädchen, ihn den Brief lesen zu lassen. Sie entfernte sich sofort, nachdem sie sich für seine Freigebigkeit in lautem Danke ausgesprochen hatte.

Lady Bellaston trat hinter dem Vorhange wieder hervor. Wie soll ich ihre Wuth beschreiben? Anfangs vermochte sie kein Wort über die Lippen zu bringen, aber aus ihren Augen schossen Blitze, und es konnte nicht anders sein, denn ihr Herz stand in Flammen. Als sie endlich wieder Worte fand, sprach sich ihr Unwille nicht gegen Honour oder ihre eigene Dienerschaft aus, sondern sie griff den armen Jones an. »Sie sehen,« sagte sie, »was ich Ihnen geopfert habe; mein Ruf, meine Ehre sind auf ewig dahin! Und was habe ich dafür erhalten? – Ich werde vernachlässiget, verschmähet wegen eines Gänschens vom Dorfe.«

»Welcher Vernachlässigung, welcher Verschmähung habe ich mich schuldig gemacht?« fragte Jones.

»Herr Jones,« entgegnete sie, »die Verstellung nützt Ihnen nichts; wollen Sie mich beruhigen, so müssen Sie das Mädchen ganz aufgeben, und um mir Ihre Absicht zu bethätigen, zeigen Sie mir den Brief.«

»Welchen Brief?« fragte Jones.

»Sie werden doch sicherlich die Keckheit nicht so weit treiben, mir zu leugnen, daß Sie von dem Mädchen, das eben hier war, einen Brief erhielten?«

»Und können Sie von mir etwas verlangen, das ich nicht gewähren kann, so lange ich ein Mann von Ehre bin? Habe ich nicht immer als solcher gegen Sie gehandelt? Könnte ich die Schuld auf mich laden, das arme unschuldige 11 Mädchen an Sie zu verrathen, so würden Sie eine Bürgschaft haben, daß ich ebenso gegen Sie handelte. Eine reifere Ueberlegung wird Sie gewiß überzeugen, daß ein Mann, bei dem die Geheimnisse einer Dame nicht sicher sind, das verächtlichste Geschöpf sein muß.«

»Sehr wohl,« entgegnete sie, »ich darf nicht darauf bestehen, daß Sie in Ihren Augen dieses verächtliche Geschöpf werden, auch würde mir der Inhalt des Briefes nichts enthüllen, was ich nicht schon wüßte; ich sehe, auf welchem Fuße Sie stehen.« Es folgte nun noch ein langes Gespräch, das wir nicht ganz mittheilen, wofür uns der Leser, der nicht gar zu neugierig ist, danken wird. Es wird hinreichen, wenn wir erwähnen, daß Lady Bellaston allmälig ruhiger wurde und endlich den Betheuerungen Jones glaubte (wenigstens sich so stellte), daß sein Zusammentreffen mit Sophie an dem Abende rein zufällig gewesen sei. Nur war sie im Herzen damit nicht ganz zufrieden, daß er sich weigerte, ihr den Brief zu zeigen, so taub sind wir gegen die klarsten Gründe, wenn sie gegen unsere herrschenden Leidenschaften sprechen. Sie war vollkommen überzeugt, daß Sophie den ersten Platz in dem Herzen Jones' einnahm, und dennoch begnügte sie sich endlich, so stolz und verliebt die Dame auch war, mit dem zweiten Platze. Zuletzt kamen sie überein, daß Jones seine Besuche in Zukunft in dem Hause abstatten sollte, damit Sophie, deren Kammermädchen und alle Dienstleute der Meinung wären, diese Besuche gälten Sophien. Der Plan wurde von der Dame entworfen und von Jones sogleich gut geheißen, der sich freute, doch auf irgend eine Weise seine Sophie wiederzusehen; die Dame ihrerseits freuete sich über diese Täuschung Sophiens, die ihr Jones, wie sie glaubte, um seiner selbst willen nicht entdecken konnte.

Am nächsten Tage sollte der erste Besuch stattfinden und die Lady Bellaston kehrte nach Hause zurück.


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