Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil V
Henry Fielding

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75 Fünftes Kapitel.

Enthält Dinge, welche den Leser rühren, sowie andere, die ihn überraschen werden.

Die Uhr hatte eben die siebente Stunde verkündiget; die arme Sophie saß einsam und traurig in ihrem Zimmer und las ein Trauerspiel, »die verderbliche Heirath«, in welchem sie zu der Stelle gelangt war, wo die unglückliche Isabella über ihren Trauring verfügt.

Das Buch fiel ihr hier aus der Hand und aus ihren Augen quollen Thränen. So mochte sie etwa eine Minute gesessen haben, als die Thüre geöffnet wurde und Lord Fellamor hereintrat. Sophie sprang von ihrem Stuhle auf und der junge Mann sprach mit einer tiefen Verbeugung. »ich störe Sie, Fräulein Western, wie ich fürchte.«

»Ich muß allerdings gestehen, daß mich dieser unerwartete Besuch ein wenig überrascht.«

»Wenn der Besuch unerwartet ist«, entgegnete der Lord Fellamor, »so müssen meine Augen schlechte Dolmetscher der Gefühle meines Herzens gewesen sein als ich das letztemal die Ehre hatte, Sie zu sehen, denn gewiß konnten Sie nicht erwarten, mein Herz in Besitz zu behalten, ohne einen Besuch von dem Inhaber desselben zu bekommen.«

Sophie beantwortete, so verlegen sie war, diesen Bombast (und unsrer Meinung nach mit Recht) mit einem Blicke tiefster Verachtung. Der Lord hielt darauf noch eine andere und längere Rede von derselben Art, worauf Sophie zitternd entgegnete: »soll ich wirklich glauben, daß Sie krank sind? Auf andre Weise läßt sich wenigstens ein solches Betragen nicht entschuldigen.«

»Ich befinde mich allerdings in der Lage, welche Sie 76 vermuthen«, sprach der Lord, »aber Sie werden gewiß die Wirkung des Wahnsinnes entschuldigen, den Sie ja selbst veranlaßt haben; denn die Liebe hat mich so ganz um den Verstand gebracht, daß ich für keine Handlung zurechnungsfähig bin.«

»Ich begreife weder Ihre Worte noch Ihr Benehmen.«

»So erlauben Sie zuerst, daß ich Ihnen beide erkläre, indem ich Ihnen mein Herz offen darlege und erkläre, daß ich Sie liebe, wie ein Mensch nur immer lieben kann. Anbetungswürdiges, himmlisches Wesen! Welche Sprache vermag die Gefühle meines Herzens auszudrücken?«

»Ich gebe Ihnen die Versicherung, Mylord, daß ich solche Reden nicht länger anhören werde.«

»Verlassen Sie mich nicht so grausam! Kennten Sie die Schmerzen, die ich leide, nur zur Hälfte, Ihr gefühlvolles Herz würde Mitleid haben mit dem, was Ihre Augen verschuldeten.«

Dann seufzete er tief, ergriff ihre Hand, sprach mehrere Minuten lang in einem Ton, der für den Leser nicht angenehmer sein würde, als er es für die junge Dame war und schloß endlich mit der Erklärung, daß, wenn er Herr der Welt wäre, er dieselbe zu ihren Füßen niederlegen würde. Sophie entzog ihm die Hand mit Gewalt und antwortete: »ich würde Ihre Welt und deren Herrn mit gleicher Verachtung von mir weisen.« Dann wollte sie gehen, Lord Fellamor aber ergriff von neuem ihre Hand und sagte: »verzeihen Sie mir, geliebter Engel, die Freiheit, die ich mir nur aus Verzweiflung nahm. Glauben Sie mir, wenn ich nur einigermaßen hoffen könnte, daß mein Rang und mein Vermögen, die beide nicht unbedeutend sind, außer im Vergleich mit Ihrem Werthe, angenommen worden sein würden, ich hätte sie Ihnen demüthig angetragen. Aber ich kann Sie nicht verlieren. Bei Gott, 77 lieber will ich von dem Leben lassen. Sie sind mein, Sie müssen und werden die Meinige werden.«

»Mylord«, entgegnete sie, »ich beschwöre Sie, von einem vergeblichen Beginnen abzulassen; denn, bei meiner Ehre! ich werde nichts mehr von Ihnen hierüber anhören. Lassen Sie meine Hand los, denn ich bin entschlossen, mich in diesem Augenblicke zu entfernen und werde Sie nie wieder sehen.«

»In diesem Falle, mein Fräulein, muß ich den Augenblick so gut als möglich nützen, denn ich kann und will nicht ohne Sie leben.«

»Was meinen Sie, Mylord?« fragte Sophie »ich mache Lärm.«

»Ich fürchte weiter nichts als Sie zu verlieren, und das zu verhindern, muß ich das einzige Mittel ergreifen, das mir die Verzweiflung eingiebt.«

Er umfaßte sie und sie schrie so laut, daß Jemand zu ihrer Hülfe hätte herbeikommen müssen, wären nicht alle Leute im Hause von Lady Bellaston entfernt worden.

Es bot sich indeß ein anderer glücklicher Zufall der armen Sophie dar; es entstand ein andrer Lärm, der ihr Geschrei fast übertönte, denn durch das ganze Haus schallte es jetzt: »wo ist sie? Gott verdamm' mich, ich werde sie sogleich aus ihrem Bau heraustreiben. Man zeige mir ihr Zimmer, sogleich. Wo ist meine Tochter? Ich weiß, daß sie in dem Hause ist und finden muß ich sie. Man zeige mir, wo sie ist.« Im diesem Augenblicke wurde die Thüre aufgerissen und hereintrat der Squire Western mit seinem Pfarrer und einer Anzahl von Dienern.

Wie schrecklich mußte die Lage der armen Sophie sein, da die zornige Stimme ihres Vaters ihr willkommen war! Und er kam wirklich zum Glücke, denn nur dieser einzige 78 Zufall konnte es verhindern, daß der Friede ihres Herzens ihr für immer geraubt wurde.

Sophie erkannte trotz ihrer Angst sogleich die Stimme ihres Vaters und der Lord hörte ebenfalls trotz seiner Leidenschaft auf die Stimme der Vernunft, die ihm sagte, daß jetzt keine Zeit zur Ausführung seiner Niederträchtigkeit sei. Als er also die Stimme näher kommen hörte, als er hörte, wer sprach (denn wie der Squire mehr als einmal das Wort »Tochter« durch das Haus schrie, so rief auch Sophie in ihrem Sträuben ihren Vater), so hielt er es für gerathen, seine Beute loszulassen, nachdem er blos ihr Busentuch in Unordnung gebracht hatte.

Wenn mir die Einbildungskraft des Lesers nicht zu Hülfe kommt, so werde ich unmöglich die Lage der beiden Personen beschreiben können, als Western in das Zimmer trat. Sophie wankte auf einen Stuhl, wo sie bleich, athemlos, erfüllt von Unwillen gegen Lord Fellamor, erschrocken und doch auch erfreut über die Ankunft ihres Vaters saß. Der Lord setzte sich neben sie, während der Zopf seiner Perücke ihm auf eine Achsel hing und sein übriger Anzug in ziemlicher Unordnung war. Uebrigens konnte man auf seinem Gesichte Angst, Aerger und Scham lesen.

Der Squire Western war gerade von einem Feinde überwunden, der Landedelleute nicht selten besiegt. Er war, um es geradezu auszusprechen, betrunken, welcher Umstand, im Verein mit seiner gewöhnlichen Heftigkeit, nichts andres bewirken konnte, als daß er sogleich zu seiner Tochter trat und sich in den empörendsten Schmähreden über sie ergoß. Wahrscheinlich würde er sie sogar gemißhandelt haben, wenn nicht der Pfarrer mit den Worten dazwischen getreten: »um Gottes Willen, Herr, bedenken Sie, daß Sie in dem Hause einer vornehmen Dame sind. Zügeln Sie Ihren Zorn; es muß Ihnen vollkommen genügen, daß 79 Sie Ihre Tochter gefunden haben. Die Rache ziemt uns nicht. Ich erblicke tiefe Reue in dem Antlitze der jungen Dame und bin überzeugt, daß sie zu ihrer Pflicht zurückkehrt, wenn Sie ihr verzeihen.«

Die Kraft des Armes des Geistlichen hatte anfänglich mehr gewirkt als die Kraft seiner Rede. Die letzten Worte machten indeß auch einigen Eindruck und der Squire antwortete: »ich will ihr vergeben; Sophie, ich will Dir alles vergeben. Warum sprichst Du nicht? Warum antwortest Du nicht? Hat man schon eine solche hartnäckige Creatur gesehen?«

»Mäßigen Sie sich nur«, fuhr der Geistliche fort; »Sie erschrecken die junge Dame, daß sie nicht zu sprechen vermag.«

»Das ist meine Sache«, antwortete der Squire. »Nehmen Sie ihre Partie, he? Ein schöner Geistlicher das, der ein ungehorsames Kind vertheidiget! Zum Teufel!«

»Ich bitte unterthänigst um Verzeihung«, fiel der Geistliche ein.

In diesem Augenblicke trat die Lady Bellaston ein und ging auf den Squire zu, der, um dem Rathe seiner Schwester zu folgen, ihr eine linkisch tiefe Verbeugung machte und ihr einige seiner besten Complimente sagte. Dann ging er aber sogleich zu seinen Beschwerden über und sagte: »Da, Frau Cousine, steht das ungehorsamste Kind von der Welt; sie läuft einem bettelhaften Menschen nach und mag einen der reichsten jungen Männer nicht heirathen, den ich für sie bestimmt habe.«

»Ich glaube doch, Vetter Western«, entgegnete die Dame, »daß Sie meiner Cousine Unrecht thun. Ich bin überzeugt, daß sie das nicht von sich weiset, was, wie sie selbst einsehen wird, ihr so sehr zum Vortheil gereicht.«

Lady Bellaston sprach da absichtlich gegen ihre 80 Ueberzeugung, denn sie wußte recht wohl, was Western meinte. Sie glaubte indeß vielleicht auch, daß er bereitwillig die Anträge des Lords annehmen würde.

»Hörst Du«, sprach der Squire, »was die Dame sagt? Unsre ganze Familie ist für diese Heirath. Komm, Sophie, sei ein gutes Kind, gehorche und mache Deinen Vater glücklich.«

»Wenn mein Tod Dich glücklich machen kann,« antwortete Sophie, »so wirst Du es bald werden.«

»Das ist eine Lüge, Sophie, eine verfluchte Lüge und Du weißt es recht gut«, fiel der Squire ein.

»Sie kränken Ihren Vaters allerdings, Fräulein Western«, sprach Lady Bellaston; »er beabsichtiget bei der Verbindung ja nichts als Ihren Vortheil und ich wie alle Ihre Freunde müssen die große Ehre anerkennen, welche durch diese Bewerbung Ihrer Familie widerfahren ist.«

»Ja, wir alle«, sagte der Squire. »Uebrigens ist der Antrag nicht von mir ausgegangen. Sie weiß, daß ihre Tante mich zuerst darauf brachte. Komm, Sophie, sei ein gutes Kind und gieb Deine Einwilligung da vor Deiner Cousine.«

»Geben Sie mir die Hand, Vetter,« sprach die Lady. »Es ist jetzt nicht Sitte, lange Liebeleien der Heirath vorangehen zu lassen.«

»Haben Sie nicht Zeit genug zum Liebeln nach der Heirath«, meinte der Squire. »Die Leute können mit einander liebeln, nachdem sie bei einander geschlafen haben.«

Da Lord Fellamor des festen Glaubens war, die Lady Bellaston meine ihn, da er niemals ein Wort von Blifil gehört hatte, so zweifelte er auch nicht im geringsten, daß der Vater Sophiens von ihm spreche. Er trat deßhalb zu dem Squire und sagte: »ob ich gleich nicht die Ehre habe, 81 Ihnen persönlich bekannt zu sein, so erlauben Sie mir doch, da ich, wie ich höre, das Glück habe, daß Sie meinen Antrag genehmigen, mich für die junge Dame zu verwenden und zu bitten, daß man für jetzt nicht weiter in sie dringe.«

»Sie verwenden sich?« entgegnete der Squire; »wer und was sind Sie denn zum Teufel?«

»Ich bin Lord Fellamor«, antwortete er, »und der Glückliche, den Sie, wie ich hoffe, zu Ihrem Schwiegersohne annehmen wollen.«

»Ein Hurensohn sind Sie,« fiel der Squire ein, »trotz Ihrem betreßten Rocke! Sie mein Schwiegersohn! Daß Sie der Teufel reite!«

»Ich werde mir von Ihnen mehr gefallen lassen als von irgend einem andern Manne«, entgegnete der Lord, »aber sagen muß ich Ihnen, daß ich nicht gewohnt bin, solche Sprache geduldig anzuhören.«

»Denken Sie denn, ich fürchte mich vor einem solchen Kerlchen? weil Sie da eine Froschkieke hängen haben? Ich will Sie lehren, sich um Dinge zu bekümmern, die Sie nichts angehen! Ich will Sie beschwiegersohnen! Die Jacke will ich Ihnen ausklopfen.«

»Ich werde vor den Damen da keine Störung verursachen. Ich bin zufrieden. Ihr Diener, mein Herr. Lady Bellaston, Ihr ganz ergebenster!«

Sobald der Lord sich entfernt hatte, sagte Lady Bellaston zu dem Herrn Western: »Was haben Sie da gethan! Sie wissen nicht, wen Sie beleidiget haben; er ist ein Edelmann vom ersten Range und von großem Vermögen und warb gestern um die Hand Ihrer Tochter, die Sie ihm gewiß mit dem größten Vergnügen geben werden.«

»Das verantworten Sie selbst, Frau Cousine«, erwiederte Western; »ich mag mit Ihren Lords nichts zu thun 82 haben. Meine Tochter soll einen rechtschaffenen Landedelmann heirathen; ich habe ihr Einen ausgesucht und den muß sie nehmen. Uebrigens thut es mir sehr leid, daß ich Sie so gestört habe.«

Lady Bellaston betheuerte, was sie gethan, habe Sie aus Liebe zu Sophien gethan und Western bot ihr sodann eine gute Nacht, worauf er sich mit den Worten zu seiner Tochter wendete: »nun komm gutwillig oder ich muß Dich in den Wagen hinunter tragen lassen.«

Sophie antwortete, sie würde ihm freiwillig folgen, bat aber, ihr einen Tragsessel zu besorgen, da sie die Reise auf keine andere Weise machen könnte.

»Du willst mir weiß machen, Du könntest nicht in einer Kutsche fahren?« entgegnete der Squire. »Das ist hübsch. Nichts da; ich lasse Dich nicht wieder aus den Augen, ehe Du verheirathet bist.« Sophie erwiederte, sie sähe wohl, daß er entschlossen sei, ihr das Herz zu brechen. »Bah, eines Mannes wegen grämt sich kein Mädchen todt, und willst Du nicht gehorsam sein, so fahre hin!« Er faßte sie dabei ungestüm an der Hand, so daß der Geistliche sich nochmals veranlaßt sah, einzuschreiten und ihm Sanftmuth anzuempfehlen. Der Squire aber donnerte ihn mit einem Fluche an und gebot dem Pfarrer, das Maul zu halten. »Du stehst nicht auf der Kanzel«, sagte er, »wenn Du dort bist, magst Du sagen, was Du willst. Ich scheere mich des Teufels um die Pfaffen und werde mich von Dir nicht hofmeistern lassen. Komm, Sophie, sei ein gutes Mädchen und alles wird gut werden. Du sollst ihn haben, wahrhaftig, Du sollst ihn haben.«

Mamsell Honour erschien unten an der Treppe und erbot sich mit einem tiefen Knix vor dem Squire, ihr Fräulein zu begleiten; er schob sie aber ziemlich unsanft bei 83 Seite und sagte: »daß Du Dich nicht mehr in meinem Hause sehen läßt, Weibsbild!«

»Sie wollen mir meine Dienerin nehmen?« fragte Sophie betrübt.

»Ja, das will ich«, antwortete der Squire, »aber Du brauchst nicht zu fürchten, ohne Dienerin zu sein. Ich werde Dir ein andres Mädchen schaffen und ein besseres als die da. Nein, Sophie, sie soll nicht mehr zur Flucht behelfen.« Er packte sodann seine Tochter und den Pfarrer in die Miethkutsche, stieg darauf selbst ein und befahl nach seiner Wohnung zu fahren. Auf dem Wege dahin ließ er Sophien in Ruhe, hielt aber dem Pfarrer eine Vorlesung über gute Lebensart und über gehöriges Benehmen gegen Vornehmere.

Wahrscheinlich hätte er seine Tochter nicht so leicht aus dem Hause der Lady Bellaston hinweggebracht, wenn diese sie hätte behalten wollen. Die Lady freuete sich nicht wenig über die Haft, in welcher Sophie nun jedenfalls gehalten würde und da ihr Plan mit Lord Fellamor verunglückt war, so hatte sie gar nichts dagegen, daß man andre gewaltsame Mittel anwendete, um das Mädchen zur Frau eines andern Mannes zu machen.


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