Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil V
Henry Fielding

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Viertes Kapitel.

Sophie wird aus ihrer Haft befreit.

Der Squire und der Pfarrer (der Wirth war eben anders beschäftiget) rauchten ihre Pfeifen miteinander, als ihnen die Ankunft der Dame gemeldet wurde. Der Squire hatte kaum ihren Namen gehört, als er sogleich hinunter lief, um sie die Treppe herauf zu führen, denn er beobachtete streng alle Regeln der Höflichkeit, namentlich gegen seine Schwester, vor der er sich mehr fürchtete als vor irgend einem andern menschlichen Wesen, ob er es gleich niemals zugestehen wollte, vielleicht auch selbst nicht wußte.

Nachdem sich Fräulein Western nach ihrer Ankunft in dem Zimmer auf einen Stuhl geworfen hatte, begann sie ihre Vorrede mit den Worten: »eine solche abscheuliche Reise hat gewiß noch kein Mensch gemacht. Ich glaube, die Straßen sind, seit man so viele Verordnungen und Gesetze darüber erlassen hat, schlechter geworden als sie jemals gewesen. Und, Bruder, wie konntest Du in einem so abscheulichen Hause absteigen! Ich will darauf schwören, daß es vorher kein anständiger Mensch betreten hat.«

»Das weiß ich nicht,« antwortete der Squire. »Die Leute sind gut, denk' ich; der Wirth im Gasthofe empfahl sie und da er die meisten Adeligen kennt, so konnte er mir wohl auch am besten sagen, wo ich sie finden würde.«

»Und wo ist meine Nichte?« fragte die Dame, »hast 140 Du Deine Aufwartung bei Lady Bellaston noch nicht gemacht?«

»Ach, Deine Nichte ist in sichern Händen; oben im Zimmer ist sie.«

»Was! Meine Nichte ist in diesem Hause und sie weiß nicht, daß ich hier bin?«

»Nein, es kann Niemand zu ihr,« antwortete der Squire, »denn ich halte sie unter Schloß und Riegel. Gleich an dem Abende, als ich in die Stadt kam, holte ich sie von der Lady, unserer Cousine, und seitdem halte ich sie fest; sie ist so sicher verwahrt wie ein Fuchs im Sacke, sag' ich Dir.«

»Gott im Himmel!« entgegnete Fräulein Western, »was muß ich hören! Versprachst Du mir nicht, Bruder, keine tolle Maßregel zu ergreifen? Hast Du nicht eben durch Deine tollen Maßregeln meine Nichte zur Flucht aus Deinem Hause gezwungen? Willst Du sie zu einem ähnlichen Schritte zwingen?«

»Donnerwetter!« schrie der Squire, indem er seine Pfeife an den Boden warf, »hat ein Mensch schon so etwas gehört? Ich denke, Du sollst mich loben um Alles, was ich gethan habe und muß nun solche Worte mit anhören!«

»Habe ich Dir jemals die geringste Veranlassung gegeben, Bruder, zu der Vermuthung, ich würde Dich darum loben, daß Du Deine Tochter einschließest? Habe ich Dir nicht vielmehr oftmals gesagt, daß Frauen in einem freien Lande nicht so willkührlich und despotisch behandelt werden dürfen? Wir sind so frei als die Männer, und ich wünsche von Herzen, daß ich nicht sagen könnte, wir verdienen diese Freiheit weit mehr. Wenn Du erwartest, daß ich einen Augenblick länger in diesem elenden Hause bleibe, oder Dich jemals wieder für meinen Bruder anerkenne, oder mich jemals wieder in Deine Familienangelegenheiten mische, so 141 bestehe ich darauf, daß meine Nichte augenblicklich in Freiheit gesetzt werde.« Sie sprach dies mit einer so gebietenden Miene, während sie mit dem Rücken nach dem Feuer zu dastand, die eine Hand auf den Rücken legte und in der andern eine Prise Schnupftaback hielt, daß ich zweifele, ob selbst Thalestris an der Spitze ihrer Amazonen jemals schrecklicher ausgesehen hat. Man braucht sich deshalb auch nicht zu wundern, daß der arme Squire der Furcht nicht zu widerstehen vermochte. »Da,« sagte er, indem er den Schlüssel hinwarf, »da ist er; thu' was Du willst. Ich wollte sie blos festhalten bis Blifil ankommt, was sehr bald geschehen muß. Wenn unterdeß etwas Schlimmes geschieht, so trägst Du die Schuld.«

»Ich werde mit meinem Leben dafür stehen,« antwortete Fräulein Western, »aber ich mische mich überhaupt in die Sache nur unter einer Bedingung, nämlich, daß Du mir Alles überlässest, ohne allein irgend eine Maßregel zu ergreifen, wenn ich Dich nicht dazu ermächtiget habe. Wenn Du diese Präliminarien genehmigest, Bruder, so will ich versuchen, die Ehre Deiner Familie zu retten; wenn nicht, so bleibe ich neutral.«

»Ich bitte, guter Herr,« fiel der Pfarrer ein, »lassen Sie sich diesmal von der Dame zureden, vielleicht bewirkt sie, wenn sie mit dem jungen Fräulein spricht, mehr als wir durch strenge Maßregeln durchzusetzen vermochten.«

»Was redt'st Du?« fuhr der Squire auf, »wenn Du das Maul nicht hältst, werde ich Dir das Reden mit der Reitpeitsche vertreiben.«

»Pfui, Bruder!« fiel die Dame ein, »ist dies eine Sprache gegen einen Geistlichen? Herr Supple ist ein verständiger Mann, und giebt Dir den besten Rath; Jedermann wird ihm beistimmen, doch ich muß Dir sagen, daß ich eine sofortige Antwort auf mein kategorischen Vorschläge 142 erwarte. Entweder stelle Deine Tochter zu meiner Verfügung oder behandele sie ganz nach Deiner verkehrten Art, dann räume ich hier vor Herrn Supple den Platz und entsage Dir und Deiner Familie für immer.«

»Ich bitte Sie, nehmen Sie meine Vermittelung an,« sprach der Pfarrer wieder, »ich beschwöre Sie.«

»Da liegt ja der Schlüssel auf dem Tische,« brummte der Squire. »Sie kann ihn nehmen, wenn sie will, wer hindert sie?«

»Nein, Bruder,« entgegnete die Dame, »ich bestehe darauf, daß er mir förmlich übergeben werde mit der unbedingten Ratification aller stipulirten Concessionen.«

»So will ich Dir ihn geben. – Da ist er,« sagte der Squire. »Du kannst gewiß nicht klagen, Schwester, daß ich mich geweigert habe, Dir meine Tochter anzuvertrauen. Sie ist ein Jahr und länger auf einmal bei Dir gewesen, ohne daß ich sie einmal gesehen habe.«

»Es würde ein Glück für sie gewesen sein,« antwortete die Dame, »wenn sie immer bei mir geblieben wäre. Unter meinen Augen würde so etwas nicht vorgekommen sein.«

»Gewiß,« sagte er, »ich bin nur zu tadeln.«

»Allerdings bist Du zu tadeln, Bruder, und ich habe mich oft genöthiget gesehen, Dir dies zu sagen, wie ich es immer werde sagen müssen. Ich hoffe indeß, daß Du Dich nun besserst und aus den frühern Irrthümern so viel Erfahrung ziehst, um nicht durch Deine Fehlgriffe meine klügsten Berechnungen zu vereiteln. Du bist zu solchen Verhandlungen gar nicht geeignet. Dein ganzes politisches System ist falsch und ich bestehe nochmals darauf, daß Du Dich durchaus nicht einmischest. Bedenke nur, was geschehen ist.«

»Du kannst den Teufel zur Verzweiflung treiben.«

»Da verfällst Du gleich wieder in Deine alte Gewohnheit. 143 Ich sehe, Bruder, daß es sich mit Dir gar nicht reden läßt. Ich werde mich an Herrn Supple wenden, der ein verständiger Mann ist, ob ich etwas gesagt habe, was einen Menschen aufbringen könnte; aber Du bist immer so querköpfig.«

»Ich bitte Sie, reizen Sie den Herrn nicht,« fiel der Pfarrer ein.

»Ihn reizen!« wiederholte die Dame. »Sie sind ein so großer Narr wie er. Da Du also versprochen hast, Bruder, Dich nicht einzumischen, so werde ich die Leitung meiner Nichte sogleich übernehmen. Gott erbarme sich aller der Dinge, die in Männerhänden liegen! Der Kopf eines Weibes ist mehr werth als tausend der Eurigen.«

Sie rief darauf einen Diener, um sich von ihm das Zimmer Sophiens zeigen zu lassen und ging mit dem Schlüssel hinaus.

Sobald sie fort war, warf ihr der Squire, nachdem er aber vorher wohlweislich die Thüre zugemacht hatte, zwanzig Schimpfwörter und eben soviel kräftige Flüche nach, schonte sich auch selbst nicht, daß er jemals sich um die Verwaltung ihres Vermögens bekümmert habe, setzte jedoch hinzu: »wenn man aber so lange ein Sclave gewesen ist, so wäre es Schade, dasselbe endlich dadurch zu verlieren, daß man nicht noch etwas länger ausdauert. Sie kann nicht ewig leben und ich weiß, daß sie mir in ihrem Testamente das Gut vermacht hat.«

Der Pfarrer billigte diesen Vorsatz vollkommen und da der Squire eine andere Flasche bringen ließ, wie er stets zu thun pflegte, wenn ihn etwas recht freuete oder ärgerte, so wusch er seinen Aerger so ganz hinweg, daß er vollkommen heiter und vergnügt war, als seine Schwester mit Sophien in das Zimmer kam. Das junge Mädchen hatte den Mantel um und den Hut auf und ihre Tante zeigte 144 dem Squire an, sie habe die Absicht, ihre Nichte in ihre Wohnung mitzunehmen, »denn,« setzte sie hinzu, »in diesen Zimmern hier kann kein Christenmensch leben.«

»Sehr wohl,« antwortete Western, »wie Du willst. Das Mädchen kann in keinen bessern Händen sein als in den Deinigen und der Pfarrer da wird mir das Zeugniß geben, daß ich hinter Deinem Rücken funfzigmal gesagt habe, Du wärest die verständigste Frau von der Welt.«

»Das bezeuge ich allerdings,« antwortete der Pfarrer.

»Nun, Bruder,« entgegnete Fräulein Western, »ich habe auch immer das Beste von Dir gehalten. Du wirst zwar selbst zugestehen, daß Du mitunter etwas zu hastig bist, sobald Du Dir aber Zeit zur Ueberlegung nimmst, bist Du der verständigste Mann, den ich kenne.«

»Wenn Du so denkst, Schwester,« sprach der Squire, »so trinke ich jetzt Deine Gesundheit von Herzen. Ich fahre wohl manchmal etwas auf, aber ich trage nichts nach. Sophie, sei ein gutes Kind und gehorche in allen Stücken Deiner Tante.«

»Ich setze nicht den geringsten Zweifel in sie,« antwortete Fräulein Western. »Sie hat bereits ein Beispiel vor Augen gehabt in dem Benehmen ihrer schlechten Cousine Henriette, die sich auch in das Unglück stürzte, weil sie meinem Rathe nicht folgte. Denke Dir, Bruder, Du warst kaum aus dem Hause als wer ankam? der unverschämte Mensch mit dem abscheulichen irischen Namen, der – Fitzpatrick. Er stürzte herein, ohne sich anmelden zu lassen, sonst würde ich ihn gar nicht gesehen haben. Er fing eine lange unverständliche Geschichte von seiner Frau an, die ich mit anhören mußte, aber ich antwortete wenig und gab ihm den Brief von seiner Frau und forderte ihn auf, denselben selbst zu beantworten. Ich glaube, sie bemüht sich, 145 uns ausfindig zu machen, aber ich bitte Dich, laß sie nicht zu Dir. Vor mich wird sie nicht gelassen.«

»Sie zu mir lassen?« antwortete der Squire. »Sorge nicht. Bei mir finden ungehorsame Mädchen keine Unterstützung. Für den Menschen, ihren Mann, ist es ein Glück, daß ich nicht zu Hause gewesen. Ich hätte ihn durch die Pferdeschwemme tanzen lassen, verlaß Dich darauf. Du siehst, Sophie, wozu der Ungehorsam führt. Du hast ein Beispiel in Deiner eigenen Familie.«

»Bruder,« fiel die Tante ein, »Du darfst meine Nichte durch so gehässige Wiederholungen nicht verletzen. Warum überlässest Du nur nicht Alles mir?«

»Na, na, ja doch, ja doch,« antwortete der Squire.

Fräulein Western machte zum Glück für Sophien dem Gespräche dadurch ein Ende, daß sie befahl, Tragsessel kommen zu lassen. Ich sage »zum Glück«, denn wenn es noch länger gedauert hätte, würde es höchst wahrscheinlich zu neuem Streite zwischen Bruder und Schwester gekommen sein, die sich nur durch Bildung und Geschlecht unterschieden, sonst aber beide gleich heftig und eigensinnig waren. Beide liebten Sophien in hohem Grade und verachteten einander vollkommen.


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