Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil V
Henry Fielding

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Achtes Kapitel.

Kurz und süß.

Trotz allen Verpflichtungen, welche sie dem Herrn Jones schuldig war, konnte es Mad. Miller doch nicht über sich gewinnen, ihm am nächsten Morgen keine Vorwürfe wegen des Lärmes zu machen, der in der Nacht in seinem Zimmer gehört worden sei. Diese Vorwürfe waren indeß so sanft und freundschaftlich und zeigten so offenbar von wirklichem Wohlmeinen, daß Jones, weit entfernt, sich 99 beleidiget zu fühlen, die Warnung der guten Frau dankbar annahm, sein Bedauern über das Geschehene aussprach, sich so gut als möglich entschuldigte und versprach, keine solchen Störungen im Hause weiter zu veranlassen.

Obgleich nun aber Mad. Miller sich nicht enthalten konnte, im Anfange und unter vier Augen sich auszusprechen, so war doch die Veranlassung, um derentwillen man ihn hinuntergerufen hatte, eine weit angenehmere und erfreulichere, da er der Trauung Aennchens und Nightingales beiwohnen sollte, der bereits vollständig angekleidet und so nüchtern war, als ein Mann nur immer sein kann, der auf so unkluge Weise eine Frau nimmt. Hier dürfte denn auch der Ort sein, zu erzählen, auf welche Weise der junge Mann seinem Oheime entkommen und wie es zugegangen war, daß er in dem Zustande erschien, in welchem wir ihn in der vorigen Nacht sahen.

Als der Oheim mit dem Neffen in seiner Wohnung angekommen war, theils um sich seiner Lieblingsneigung hinzugeben (denn er liebte seine Flasche sehr), theils um seinen Neffen außer Stand zu setzen, seinen Vorsatz sofort ins Werk zu setzen, befahl er Wein zu bringen und trank dem jungen Manne so stark zu, daß derselbe, der, obgleich an vieles Trinken nicht gewöhnt, den Wein doch nicht dermaßen verschmähete, um sich des Ungehorsams oder einer Ungefälligkeit schuldig zu machen, bald völlig betrunken war.

Eben als der Oheim diesen Sieg erlangt hatte und ein Bette für seinen Neffen in Stand setzen ließ, kam ein Bote mit einer Nachricht an, welche ihn dermaßen erregte und aus der Fassung brachte, daß er einen Augenblick seinen Neffen ganz vergaß und nur an seine eigenen Angelegenheiten dachte.

Diese unerwartete und betrübende Nachricht war keine 100 andre als die, daß seine Tochter fast den ersten Augenblick seiner Abwesenheit benutzt habe, um mit einem jungen Geistlichen in der Nachbarschaft durchzugehen. Obgleich ihr Vater gegen denselben nur den einen Einwand haben konnte, daß er arm sei, so hatte sie es doch nicht für gerathen gehalten, ihm von ihrer Liebe etwas merken zu lassen, und dies war ihr denn auch so gut gelungen, daß er nicht das Geringste geahnt hatte.

Sobald der alte Herr Nightingale diese Nachricht erhalten hatte, ließ er in seiner großen Bestürzung sogleich Extrapost bestellen, empfahl seinen Neffen einem Diener, und verließ das Haus, ohne eigentlich recht zu wissen, was er that und wohin er reisen wollte.

Nachdem der Oheim abgereiset war und der Diener erschien, um den Neffen in das Bett zu bringen, zu diesem Zwecke ihn anredete und ihm endlich begreiflich machte, daß der Oheim abgereiset sei, weigerte sich der junge Nightingale die ihm gebotenen Dienste anzunehmen, sondern bestand darauf, daß man einen Tragsessel hole. Der Diener, der keinen Befehl zum Gegentheile erhalten hatte, erfüllte bereitwillig diesen Wunsch und Nightingale, der auf diese Weise nach Hause kam, wankte nach dem Zimmer unsres Freundes Jones, wie wir bereits erzählt haben.

Da auf diese Weise das Hinderniß des Oheims beseitiget war (obgleich der junge Nightingale noch nicht wußte, wie), und Alle schnell sich bereit erklärten, die Mutter, Jones, Herr Nightingale und dessen Geliebte, so stiegen sie in einen Miethwagen und fuhren in den Gerichtshof Doctors' Commons, wo Anna bald zu einer ehrlichen Frau, die arme Mutter derselben aber, im reinsten Sinne des Wortes, zu einem der glücklichsten Geschöpfe unter der Sonne gemacht wurde.

Sobald Jones der armen Frau und deren Familie 101 diesen letzten Freundschaftsdienst geleistet hatte, dachte er auch an seine eigenen Angelegenheiten; damit jedoch Einige meiner Leser seine Thorheit nicht tadeln, sich so mit den Angelegenheiten andrer Leute zu behelligen, oder Andre nicht glauben, er habe uneigennütziger gehandelt, als es wirklich der Fall war, müssen wir hier die Versicherung beifügen, daß er wirklich großes Interesse dabei hatte, jene Sache zu Ende zu bringen. Um dieses scheinbare Paradoxon mit einemmale zu erklären, brauchen wir nur anzuführen, daß er von sich mit Recht mit Horaz sagen konnte: Homo sum; humani nihil a me alienum puto. Er war bei dem Glücke oder Unglücke eines Andern niemals ein gleichgiltiger Zuschauer und fühlte das eine wie das andre in dem Verhältnisse wie er selbst dazu beitrug. Er konnte also unmöglich eine ganze Familie von dem tiefsten Elende zu der höchsten Freude erheben, ohne sich selbst einen hohen Genuß zu verschaffen, einen höhern Genuß als Weltmenschen sich oftmals durch die angestrengteste Arbeit oder durch die höchste Ungerechtigkeit erkaufen.

Diejenigen Leser, welche einen gleichen Charakter haben, werden vielleicht der Meinung sein, dieses kurze Kapitel enthalte eine große Stoffmenge, während andre vielleicht wünschen, es möchte, so kurz es auch ist, ganz weggeblieben sein, da es zu dem Hauptplane doch nicht gehöre, der ihrer Meinung nach wahrscheinlich darin besteht, Jones an den Galgen oder, wo möglich, zu einer noch schlimmern Katastrophe zu bringen.


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