Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil V
Henry Fielding

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Sechstes Kapitel.

Die Geschichte geht zurück.

Auch dem besten Vater ist es fast unmöglich, streng unparteiisch gegen seine Kinder zu sein, selbst wenn kein höherer Vorzug an dem einen seine Vorliebe rechtfertiget; kaum aber dürfte ein Vater zu tadeln sein, wenn ein wirklicher Vorzug eine solche Vorliebe rechtfertiget.

Da ich alle Personen in dieser Geschichte für meine Kinder halte, so muß ich meine Vorliebe für Sophien gestehen und hoffentlich wird mir dies der Leser wegen ihres vortrefflichen Charakters verzeihen.

Die große Liebe, die ich für meine Heldin fühle, erlaubt mir nie, mich ohne Schmerz lange von ihr zu entfernen. Ich könnte deshalb jetzt sogleich zu ihr zurückkehren, um zu sehen, was dem liebenswürdigen Mädchen geschehen ist, seit 155 sie ihren Vater verlassen hat, aber ich muß vorher erst dem Herrn Blifil einen kurzen Besuch machen.

Herr Western hatte in der ersten Verwirrung, in die ihn die Nachricht von seiner Tochter gestürzt, und in der Eile, zu ihr zu kommen, nicht daran gedacht, den Herrn Blifil von der Entdeckung zu benachrichtigen. Er war indeß nicht weit gekommen, als er sich besann; machte deshalb in dem ersten Wirthshause Halt und schickte von da einen Boten an Blifil ab, um diesem anzeigen zu lassen, daß er Sophien gefunden, und ihm zugleich den festen Vorsatz zu melden, sie ihm sofort zur Frau zu geben, wenn er ebenfalls in die Stadt kommen wolle..

Da die Liebe Blifils zu Sophien von der heftigsten Art war, die durch nichts als durch den Verlust ihres Vermögens oder etwas dergleichen gemindert werden konnte, so hatte sich seine Zuneigung zu ihr durch den Umstand nicht geändert, daß sie entflohen war, ob er gleich recht wohl wußte, daß dies seinetwegen geschehen war. Er kam deshalb der Aufforderung sehr bereitwillig nach. Eine andere starke Leidenschaft neben der Habsucht machte ihm die Verbindung überdies sehr wünschenswerth, nämlich der Haß, denn er meinte, die Ehe gewähre eine gleich günstige Gelegenheit zur Befriedigung des Hasses wie der Liebe und seine Ansicht findet sich allerdings nicht selten durch die Erfahrung bestätiget. Wenn man nach der gewöhnlichen Handlungsweise Verheiratheter gegen einander schließen kann, so darf man vielleicht annehmen, daß sie im Allgemeinen nur die Befriedigung der ersten Leidenschaft in ihrer Vereinigung suchen. Nur eine Schwierigkeit stand ihm im Wege und diese erhob Herr Allworthy. Dieser gute Mann empfand, als ihm die Flucht Sophiens (denn weder diese noch die Veranlassung dazu hatte man ihm verheimlichen können) die große Abneigung des Mädchens gegen seinen Neffen 156 darlegte, eine große Trauer darüber, daß er die Sache hatte so weit kommen lassen. Er stimmte durchaus nicht der Ansicht jener Eltern bei, welche es für eben so unwesentlich halten, die Neigung ihrer Kinder bei einer Verheirathung zu Rathe zu ziehen, als ihre Dienstleute um Erlaubniß zu bitten, wenn sie eine Reise unternehmen wollen, und die nur durch das Gesetz, wenigstens durch das Schicklichkeitsgefühl, von der Anwendung der Gewalt sich abhalten lassen. Er hielt im Gegentheil die Ehe für hochheilig und deshalb jede vorbereitende Vorsicht für durchaus nothwendig, um sie heilig und unverletzt zu bewahren, weshalb er denn für den sichersten Weg den ansah, sie auf gegenseitige Liebe zu begründen.

Blifil beruhigte nun allerdings seinen Oheim darüber, daß er ihn getäuscht habe, durch viele Betheuerungen und Schwüre, er sei selbst getäuscht worden, was allerdings durch viele Erklärungen Westerns sich rechtfertigen ließ; Allworthy aber zu der Einwilligung zu bringen, die Bewerbung wieder aufnehmen zu dürfen, schien so schwierig zu sein, daß ein weniger unternehmender Geist sicherlich gleich von vorn herein davon abgestanden haben würde; aber der junge Herr kannte seine Talente so gut, daß er nichts für unmöglich hielt, was durch List bewirkt werden konnte.

Er stellte deshalb die Heftigkeit seiner Liebe und die Hoffnung voran, die Abneigung des Mädchens durch Ausdauer zu besiegen. Er bat, man möchte ihm in einer Sache, von welcher seine ganze künftige Ruhe abhänge, wenigstens die Erlaubniß geben, alle rechtlichen Mittel anzuwenden, die zum Siege führen könnten. »Der Himmel bewahre mich,« sagte er, »daß ich jemals daran denke, durch eine andere als die mildeste Weise zum Ziele zu gelangen. Uebrigens können Sie ja, wenn alles fehlschlägt – und dann ist es gewiß noch Zeit genug – Ihre Einwilligung 157 versagen.« Er führte den eifrigen Wunsch Westerns an, daß diese Verbindung zu Stande kommen möge und endlich benutzte er auch geschickt den Namen Jones', dem er alles, was geschehen war, zur Last legte und vor dem ein so achtbares Mädchen zu bewahren gewiß Menschenpflicht wäre.

Alle diese Gründe wurden durch Thwackum kräftig unterstützt, der sich etwas ausführlicher über das Ansehen und die Gewalt der Eltern ausließ, als es Blifil gethan hatte. Er legte den Schritten, welche Herr Blifil zu thun wünschte, christliche Beweggründe unter und sagte: »obgleich der junge Herr die Menschenpflicht zuletzt erwähnt hat, so bin ich doch überzeugt, daß sie sein Hauptgrund ist.«

Square würde, wenn er zugegen gewesen wäre, höchst wahrscheinlich denselben Ton angestimmt haben, aber er war, um seine Gesundheit wieder herzustellen, nach Bath gereiset.

Allworthy gab endlich, wenn auch nicht ohne Widerstreben, dem Wunsche seines Neffen nach und sagte, er würde ihn nach London begleiten, wo es ihm möglich sein würde, auf redliche Weise alles aufzubieten, um das Mädchen zu gewinnen. »Ich erkläre aber,« setzte er hinzu, »daß ich nie meine Zustimmung dazu gebe, ihrer Neigung irgendwie Gewalt anzuthun. Du wirst sie nicht erhalten, wenn sie Dir nicht freiwillig ihre Hand giebt.«

Nachdem Blifil die ungehoffte Einwilligung seines Oheims erlangt hatte, rastete und ruhete er nicht, bis der Vorsatz zur Ausführung gebracht wurde und da kein dringendes Geschäft die Anwesenheit Allworthy's auf dem Lande erforderte, auch Männer keine großen Vorbereitungen zu einer Reise nöthig haben, so brachen sie schon am nächsten Tage auf und gelangten in der Stadt an dem Abende an, als 158 Jones, wie wir gesehen haben, mit Partridge in das Theater gegangen war.

Am Morgen nach seiner Ankunft begab sich Blifil zu Herrn Western, der ihn sehr freundlich aufnahm und ihm jede mögliche Versicherung gab, daß er in kurzem so glücklich sein sollte, als ihn Sophie machen könnte, auch ließ er den jungen Herrn nicht fort, bis er ihn mit zu seiner Schwester genommen hatte.


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