Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil V
Henry Fielding

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Erstes Kapitel.

Ist zu kurz, als daß es einer Vorrede bedürfte.

Es giebt eine Classe religiöser oder vielmehr moralischer Schriftsteller, welche lehren, die Tugend sei der gewisse Weg zum Glücke, wie das Laster der Pfad zum Unglücke in dieser Welt – eine sehr bequeme Lehre, gegen die wir nur einen Einwurf zu machen haben, daß sie nämlich nicht wahr ist.

Wenn jene Schriftsteller unter Tugend die Ausübung jener Cardinaltugenden verstehen, die, wie gute Hausfrauen, zu Hause bleiben und sich nur um ihre eigene Familie bekümmern, so gebe ich die Sache gern zu, denn diese führen alle so gewiß zum Glücke, daß ich sie, im Widerspruch mit allen alten und neuen Weisen, fast lieber Weisheit als Tugend nennen möchte, denn in Bezug auf dieses Leben war sicherlich kein System weiser als das der alten Epicuräer, welche diese Weisheit für das höchste Gut hielten, und keines thörichter als jenes ihrer Widersacher, der neuen Epicuräer, welche das Glück in der Befriedigung jedes sinnlichen Triebes suchen.

Wenn man aber unter Tugend (wie es wohl geschehen sollte) eine gewisse relative Eigenschaft versteht, die sich 60 immer außer dem Hause beschäftiget und das Wohl Anderer eben so zu fördern sich bestrebt als das eigene, so kann ich nicht so leicht zugeben, daß dies der sicherste Weg zu menschlichem Glücke sei, weil ich fürchte, wir müssen dann zu diesem Glücke auch Armuth und Verachtung rechnen, so wie alle Uebel, welche Verläumdung, Neid und Undankbarkeit über den Menschen bringen können; ja bisweilen müssen wir vielleicht auf dieses sogenannte Glück sogar in einem Kerker warten, da sich Manche durch die obige Tugend dahin gebracht haben.

Ich habe jetzt keine Zeit, ein so weites Feld der Speculation zu betreten, wie es sich hier vor mir zu eröffnen scheint; ich wollte nur eine Lehre entfernen, die mir im Wege lag, da, während Jones die denkbar tugendhafteste Rolle spielte, indem er Mitmenschen vor dem Verderben zu retten suchte, der Teufel oder ein andrer böser Geist, vielleicht Einer in Menschengestalt, alles aufbot, um ihn durch das Verderben seiner Sophie in grenzenloses Elend zu stürzen.

Dies würde also eine Ausnahme von der obigen Regel zu seyn scheinen, wenn es eine Regel wäre; da wir aber bei unserer Reise durch das Leben schon so viele andre Ausnahmen davon gesehen haben, so zogen wir vor, die Lehre zu bekämpfen, auf der sie beruht, die unsrer Meinung nach weder christlich noch wahr ist und einen der edelsten Gründe zerstört, welchen die Vernunft für den Glauben an Unsterblichkeit bieten kann.

Da indeß die Neugierde des Lesers (wenn er Neugierde überhaupt besitzt) nun rege geworden sein muß, so müssen wir für die Befriedigung derselben bedacht sein.


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