Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil V
Henry Fielding

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Kapitel.

Eine weitere Auseinandersetzung des erwähnten Planes.

Obgleich der Leser wahrscheinlich schon längst zu dem Schlusse gekommen ist, daß Lady Bellaston ein Mitglied, und zwar ein nicht unbedeutendes, der großen Welt sei, so war sie doch wirklich ein bedeutendes Mitglied der kleinen Welt, worunter man eine sehr würdige und ehrenwerthe Gesellschaft verstand, die vor nicht langer Zeit in England blühete.

Unter andern guten Grundsätzen, auf denen diese Gesellschaft beruhete, befand sich auch ein sehr bemerkenswerther. Wie es in einem ehrenwerthen Club von Helden, die sich nach der Beendigung des letzten Krieges versammelten, als Regel galt, daß jedes Mitglied jeden Tag wenigstens ein Duell haben mußte, so mußte in jener 68 Gesellschaft jedes Mitglied binnen vier und zwanzig Stunden wenigstens eine Lüge erzählen, welche die übrigen Mitglieder dann zu verbreiten hatten.

Es wurden über diese Gesellschaft vielfältige Geschichten erzählt, die wahrscheinlich, wie man aus dem Inhalte derselben wohl schließen darf, von der Gesellschaft selbst ausgegangen waren, z. B. hieß es, der Teufel sei der Präsident und er sitze persönlich auf einem Lehnstuhle am obern Ende der Tafel. Eine genaue Nachforschung hat mir indeß bewiesen, daß an allen diesen Gerüchten nichts Wahres ist, daß die Gesellschaft wirklich aus ganz guten Leuten bestand und die Lügen, welche sie verbreitete, harmlos und nur darauf berechnet waren, Lachen zu erregen.

Edwards war ebenfalls Mitglied dieser lustigen Gesellschaft. An ihn wendete sich also Lady Bellaston zur Förderung ihres Zweckes und sie theilte ihm eine Lüge mit, die er überall verbreiten sollte, indeß nicht eher als Abends, nachdem die Gesellschaft bis auf Lord Fellamor und sie selbst sich entfernt haben würde und sie bei dem Whistspiele säßen.

In diese Zeit, zwischen sieben und acht Uhr Abends, wollen wir die Leser versetzen. Lady Bellaston, Lord Fellamor, Fräulein Western und Tom saßen beim Whist und zwar beim letzten Spiel ihres Rubbers, als Tom Edwards den Wink erhielt, indem die Lady zu ihm sagte: »ich behaupte, Sie sind in der letzten Zeit unerträglich geworden, Tom; sonst erzählten Sie uns alle Stadtneuigkeiten und jetzt wissen Sie von der Welt nicht mehr, als lebten Sie gar nicht in ihr.«

Darauf entgegnete denn Edwards: »es ist nicht meine Schuld, es liegt an der langweiligen, trübseligen Zeit, die es nicht der Mühe lohnt, daß man von ihr spricht. Doch, da fällt mir eben ein, daß dem armen Obersten Wilcoy 69 ein schreckliches Unglück begegnet ist. Sie kennen ihn ja, Mylord, Jedermann kennt ihn. Er dauert mich sehr.«

»Was ist es denn?« fragte Lady Bellaston.

»Er hat diesen Morgen einen jungen Mann im Duell getödtet.«

Der junge Lord, der nicht in das Geheimniß gezogen war, fragte ganz ernst, wen der Oberst getödtet habe und Edwards antwortete: »einen jungen Mann, den Niemand von uns kennt, einen Burschen aus Somersetshire, der vor kurzem erst in der Stadt angekommen ist und Jones heißt. Er soll ein naher Verwandter eines Herrn Allworthy sein, von dem Sie, Mylord, glaube ich, gehört haben. Ich sah ihn todt in einem Kaffeehause liegen und ich muß gestehen, daß meine Augen noch keinen schönern Körper erblickt haben.«

Sophie, welche eben angefangen hatte die Karten zu geben, als Tom erzählte, daß Jemand ermordet worden sei, hielt inne und hörte aufmerksam zu (denn alle Erzählungen dieser Art griffen sie sehr an); kaum aber war er bei dem letzten Theile seiner Geschichte angekommen, als sie wieder Karten zu geben anfing. Sie gab dem Einen drei, dem Andern sieben, dem Dritten zehn, dann fielen ihr die übrigen aus der Hand und sie selbst sank auf ihren Stuhl zurück.

Die Gesellschaft benahm sich wie bei solchen Gelegenheiten gewöhnlich. Es folgte die gewöhnliche Störung, man gebrauchte die gewöhnliche Hülfe, Sophie kam endlich, wie gewöhnlich, wieder zu sich und wurde bald darauf, auf ihr dringendes Verlangen, in ihr Zimmer geführt, wo Lady Bellaston, auf Bitten des Lords, ihr die Wahrheit erzählte, die Sache für einen Scherz von ihrer Seite auszugeben suchte, und sie durch die Versicherung beruhigte, 70 daß weder der Lord, noch Tom, ob sie gleich diesem das Mährchen erzählt, den eigentlichen Zusammenhang kennten.

Es bedurfte weiter keines Beweises, um Lord Fellamor zu überzeugen, daß Lady Bellaston ihm die Angelegenheit vollkommen richtig vorgelegt habe, weshalb denn beide, nach der Rückkehr der Dame in ihr Zimmer, sich über einen Plan vereinigten, den manche Leser ohne Zweifel verabscheuen werden, ob er gleich dem jungen Lord nicht gehässig vorkam, da er aufrichtig versprach und aufrichtig sich vornahm, alles, was in seinen Kräften stehe, durch eine Heirath wieder gut zu machen.

Der nächste Abend um sieben Uhr wurde zu dem verderblichen Zwecke gewählt. Lady Bellaston versprach dafür zu sorgen, daß Sophie allein sei und der junge Lord sollte zu derselben geführt werden. Die meisten Dienstleute wollte man für diese Zeit aus dem Hause entfernt halten und Mamsell Honour, die, um Argwohn zu vermeiden, bei ihrer Gebieterin bleiben sollte bis zur Ankunft Fellamors, wollte Lady Bellaston selbst in einem so viel als möglich von dem Schauplatze entlegenen Zimmer festhalten, wo sie die Stimme Sophiens nicht hören könnte.

Nachdem man so alles verabredet hatte, nahm der Lord Abschied und die Lady begab sich zur Ruhe höchst zufrieden mit einem Plane, dessen Erfolg sie nicht bezweifelte und der Sophien als Hinderniß zwischen ihr und Jones durch ein Mittel völlig zu beseitigen versprach, dessen man sie nie für schuldig würde erklären können, wenn auch die Sache selbst bekannt werden sollte. Dieß wollte sie indeß auch dadurch verhindern, daß sie schnell eine Heirath zu Stande bringe, zu welcher, ihrer Meinung nach, Sophie wie die übrige Familie gern ihre Einwilligung geben würde.

Nicht so ganz ruhig sah es in dem Herzen des andern 71 Verschwornen aus. Ob er gleich in Folge seiner heftigen Liebe bereitwillig die erste Andeutung des Planes vernommen hatte, besonders da sie von einer Verwandten der Geliebten ausging, so begann doch, als er im Bett reiflicher nachdachte, und die natürlichen schwarzen Farben der That nebst allen Folgen, welche dieselbe haben mußte und haben konnte, sich ihm darstellten, sein Entschluß zu wanken, und nach einem langen Kampfe zwischen Ehre und Begierde, der eine ganze Nacht hindurch dauerte, beschloß er, zu Lady Bellaston zu gehen und den Plan aufzugeben.

Lady Bellaston lag noch sehr spät am Vormittage im Bette und Sophie saß neben ihr, als man meldete, Lord Fellamor sei unten in dem Sprachzimmer. Die Lady ließ ihn ersuchen, zu warten, da sie ihn sogleich sehen würde; der Diener hatte sich aber kaum wieder entfernt, als die arme Sophie die Lady dringend bat, die Besuche des ihr verhaßten Lords ihretwegen nicht zu begünstigen. »Ich sehe, was er will,« sagte sie; »denn er hat mir gestern Vormittags seine Liebe geradezu erklärt. Ich bin entschlossen, dieselbe nie anzunehmen und beschwöre Sie, uns niemals mehr allein mit einander zu lassen und den Dienstleuten anzubefehlen, mich, wann er nach mir fragt, jedesmal zu verläugnen.«

»Ach, Kind«, entgegnete Lady Bellaston, »ihr Mädchen vom Lande habt nichts als Liebhaber im Kopfe und bildet Euch ein, jeder Mann, der artig gegen Euch ist, habe sich in Euch verliebt. Lord Fellamor ist einer der galantesten jungen Herren in der Stadt und ich bin überzeugt daß er eben nur aus Galanterie kömmt. Ihnen Liebeserklärungen machen! Ich wünsche von Herzen, daß er es thue und Sie müßten geradezu wahnsinnig sein, wenn Sie ihn abweisen wollten.«

72 »Da ich sicherlich so wahnsinnig sein würde«, antwortete Sophie, »so hoffe ich, daß mir seine Besuche nicht aufgedrungen werden.«

»Kind«, fuhr Lady Bellaston fort, »Sie brauchen nicht so furchtsam zu sein; wenn Sie entschlossen sind, mit Ihrem Jones zu entfliehen, so wüßte ich nicht, wer Sie daran hindern sollte.«

»Sie kränken mich. Ich werde niemals mit einem Manne entfliehen, noch will ich mich gegen den Wunsch meines Vaters verheirathen.«

»Sehr wohl, Fräulein Western. Wenn Sie nicht aufgelegt sind, diesen Morgen Besuch anzunehmen, so können Sie sich auf Ihr Zimmer begeben; ich für meine Person fürchte mich nicht vor dem Lord und werde ihn in mein Toilettenzimmer berufen lassen.«

Sophie dankte und entfernte sich. Gleich darauf erschien Lord Fellamor.


 << zurück weiter >>