Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil V
Henry Fielding

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Drittes Kapitel.

Was Sophien während ihrer Haft begegnete.

Die Wirthin des Hauses, in welchem der Squire wohnte, faßte bald eine sehr seltsame Vorstellung von ihren Gästen. Da sie indeß erfuhr, der Squire sei ein ungeheuer reicher Mann, da sie auch dafür gesorgt hatte, einen ziemlich hohen Miethpreis für ihre Zimmer zu verlangen, so hielt sie es nicht für gerathen, die Fremden auf irgend eine Weise zu beleidigen; denn ob ihr gleich die Haft der armen Sophie sehr leid that, über deren Liebenswürdigkeit das Dienstmädchen 135 den vortheilhaftesten Bericht erstattet hatte, welchen auch die Dienstleute des Squire bestätigten, so lag ihr das eigene Interesse doch viel zu nahe, als daß sie einen Mann hätte ärgern sollen, der, wie sie schon gesehen hatte, im höchsten Grade jähzornig war.

Obgleich Sophie sehr wenig aß, so wurden ihr doch regelmäßig Speisen gebracht; ja ich zweifele nicht, daß der Squire, wenn sie nach etwas Seltenem verlangt hätte, weder Mühe noch Kosten gescheut haben würde, ihr das Gewünschte zu verschaffen, denn, wie seltsam es auch einigen meiner Leser vorkommen mag, er liebte seine Tochter wirklich in hohem Grade und fand seine höchste Freude darin, ihr irgend ein Vergnügen zu gewähren.

Als die Essenszeit kam, trug ihr der schwarze Georg ein Huhn hinauf, während der Squire selbst an der Thüre wartete, da er geschworen hatte, den Schlüssel nicht aus der Hand zu geben. Nachdem Georg das Gericht hingestellt, wurden einige Complimente zwischen ihm und Sophien gewechselt, denn er hatte sie nicht gesehen, seit sie das väterliche Haus verlassen und sie behandelte jeden Diener mit größerer Achtung als manche Personen selbst gegen diejenigen zeigen, die nicht tief unter ihnen stehen. Sophie forderte ihn auf, das Huhn wieder mitzunehmen, da sie nicht essen könnte, Georg aber bat sie, nur einen Versuch zu machen und empfahl ihr besonders die Eier.

Diese ganze Zeit über wartete der Squire an der Thüre, denn Georg war ein großer Liebling seines Herrn, da sein Amt die größte Wichtigkeit hatte, nämlich das Wild anging, und er erlaubte sich deshalb manche Freiheit. Er hatte sich erboten, das Essen hinaufzutragen, da er, wie er sagte, sehr wünschte, seine junge Gebieterin einmal zu sehen und machte sich deshalb auch kein Gewissen daraus, seinen Herrn zehn Minuten stehen zu lassen, während er mit Sophien 136 Artigkeiten wechselte, wofür er bei seiner Rückkehr einen freundlichen Verweis erhielt.

Die Eier von Hühnern, Rebhühnern, Fasanen u. s. w. aß Sophie vorzüglich gern, wie Georg recht wohl wußte. Man darf sich deshalb nicht wundern, daß er, ein sehr gutmüthiger Mensch, darauf bedacht war, sie mit dieser Lieblingsspeise zu versorgen, während alle Dienstleute im Hause fürchteten, sie werde verhungern, da sie in den letzten vierzig Stunden kaum einen Bissen zu sich genommen hatte.

Auch der tiefste, schmerzlichste Kummer wird, wenn auch Manche das Gegentheil behaupten mögen, zuletzt doch essen und so fing denn auch Sophie nach einiger Ueberlegung an, das Huhn zu zerlegen, in welchem sie wirklich, wie Georg gesagt hatte, viele Eier fand.

Wenn diese ihr behagten, so enthielt das Huhn doch noch etwas, was die königl. Gesellschaft in noch größere Verwunderung gesetzt haben würde; denn wenn ein Huhn mit drei Beinen schon eine unschätzbare Merkwürdigkeit ist, obgleich vielleicht tausend dergleichen schon gelebt haben, wie hoch wird ein Vogel gestellt werden müssen, der so sehr allen Gesetzen der thierischen Oekonomie widerspricht, daß er einen Brief in sich enthält! Ovid erzählte von einer Blume, in welche Hyazinth verwandelt worden sein soll, und die Buchstaben auf ihren Blättern zeigt, was Virgil der damaligen königl. Gesellschaft als ein Wunder empfahl; aber keine Zeit und keine Nation hat von einem Vogel mit einem Briefe im Magen berichtet.

Obgleich nun ein derartiges Wunder alle Académies des Sciences in Europa zu einer, vielleicht fruchtlosen, Untersuchung veranlaßt haben würde, so wird doch der Leser, wenn er sich nur des letzten Gespräches zwischen Jones und Partridge erinnert, leicht errathen, woher der Brief kam und wie er seinen Weg in den Vogel fand. 137 Kaum hatte Sophie den Brief erblickt, so griff sie auch darnach, trotz dem daß sie lange gefastet hatte und ihr Lieblingsgericht vor ihr stand, öffnete ihn und las wie folgt:

»Kennte ich diejenige, an welche ich die Ehre habe zu schreiben, nicht genau, so würde ich versuchen, wie schwer mir es auch werden würde, meine Angst über das zu schildern, was mir Mamsell Honour erzählt hat; da jedoch nur die Liebe sich eine wahre Vorstellung von den Leiden zu machen vermag, welche die Liebe fühlen kann, so wird diese herrlichste Eigenschaft, welche meine Sophie in so hohem Grade besitzt, sich selbst denken können, was ihr Jones bei dieser traurigen Gelegenheit gelitten haben mag. Giebt es noch irgend etwas in der Welt, das meinen Schmerz erhöhen kann, wenn ich höre, daß Sie irgend ein Unglück betroffen hat? Gewiß nur Eines und darunter leide ich, das schreckliche Bewußtsein, liebe Sophie, daß ich selbst die Ursache bin. Vielleicht thue ich mir hier zu viel Ehre an, aber niemand wird mich um eine Ehre beneiden, die mir so theuer zu stehen kommt. Verzeihen Sie mir diese Anmaßung und auch die noch größere, Sie zu fragen, ob mein Rath, mein Beistand, meine Gegenwart, meine Entfernung, mein Tod oder meine Qualen Ihnen Hülfe oder Erleichterung gewähren können. Vermag die tiefste Bewunderung, die sorgfältigste Beobachtung, die glühendste Liebe, die schmelzendste Zärtlichkeit, die völligste Ergebenheit in Ihren Willen Ihnen in einer Art Genugthuung zu geben für das, was Sie meinem Glücke opfern? Ist dies möglich, so fliegen Sie, geliebter Engel, in meine Arme, die stets geöffnet sind, Sie aufzunehmen und zu schützen und denen es vollkommen gleichgültig ist, ob Sie nur sich selbst oder mit Ihnen alle Schätze der Welt bringen. Wenn dagegen die Klugheit vorherrschen und Ihnen nach der reiflichsten Ueberlegung sagen sollte, 138 das Opfer sei zu groß; wenn kein anderer Weg übrig sein sollte, Sie wieder mit Ihrem Vater auszusöhnen und Ihrem Herzen den Frieden zurück zu geben, als wenn Sie von mir lassen, so beschwöre ich Sie, verbannen Sie mich auf immer aus Ihren Gedanken, bieten Sie Ihre ganze Seelenstärke auf und lassen Sie kein Mitleid mit meinen Schmerzen auf die Entschließung einwirken. Glauben Sie mir, ich liebe Sie so wahrhaftig mehr als mich selbst, daß mein einziges und höchstes Ziel Ihr Glück ist. Mein erster Wunsch war (warum bewilligte mir ihn das Schicksal nicht?) nein, vergeben Sie mir, ist noch immer, Sie in jedem Augenblicke als die glücklichste der Frauen zu sehen; mein zweiter Wunsch geht dahin, zu hören, daß Sie glücklich sind, aber keine Noth und Pein auf Erden kann der meinigen gleichen, wenn ich denke, an einem einzigen unangenehmen Augenblicke für Sie trüge die Schuld

Ihr            
in jedem Sinne und zu jedem Zwecke
ergebenster
           Thomas Jones.«
       

Was Sophie über diesen Brief sagte, that oder dachte, wie oft sie ihn las oder ob sie ihn überhaupt mehr als einmal las, müssen wir der Phantasie des Lesers überlassen. Die Antwort darauf findet er vielleicht später, aber nicht gleich jetzt, unter anderm aus dem Grunde, daß sie keine schrieb, und zwar aus manchen Ursachen, z. B. weil sie weder Papier, noch Feder, noch Dinte hatte.

Abends als Sophie über den Brief, den sie erhalten hatte, oder über etwas anderes nachdachte, störte sie in ihren Gedanken ein heftiger Lärm unten, ein Zank nämlich zwischen zwei Personen. In Einem der Streitenden erkannte sie der Stimme nach sogleich ihren Vater; daß die feineren Töne ihrer Tante angehörten, welche eben in der Stadt 139 angekommen war, errieth sie nicht sogleich. Wir werden vor der Hand Sophien verlassen und mit unserer gewöhnlichen Artigkeit unsere Aufwartung der ältern Dame machen.


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