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Gäste am See

Der kleine Dampfer fuhr durch den Kanal. Ein schmaler junger Mensch mit einem gelben Lederkoffer betrachtete erregt die Häuser am Ufer, die weißen Wunden der grünen Erde bei den Kalkwerken, und als das Dampfschiff in den See hinaus, fuhr, überkam ihn ein Zittern. Auf der kleinen Landungsbrücke im Schilf stand die Frau, die er besuchen kam, und winkte ihm mit ein paar Rosen, die sie in der Hand hielt. »Wie vor zwei Jahren!« dachte er.

»Sie werden manches verändert finden«, sagte sie, als beide den, Hause zugingen.

Er sah sie fragend an und suchte ihre Augen. Da kam das Fräulein mit dem Kinde.

Als er in dem gleichen Zimmer wie damals am Fenster stand und auf die uralten Stämme in der Wiese hinaussah, und auf die dünnen Baumreihen am Ufer, zwischen denen das mattschimmernde abendliche Wasser des Sees sichtbar war, traten Tränen in seine Augen.

»Es muß alles wieder werden, wie einst!« sagte er sich.

Eine halbe Stunde später saß er beklommen am Teetisch dem Herrn des Hauses gegenüber; er sah, daß sein Gesicht noch fahler geworden war; sein Kopf war jetzt völlig kahl und der Spitzbart fing an zu ergrauen. Er sprach nicht viel; er bot dem Gast Tee und Backwerk an, und als er ihm eifrig eine zweite Tasse eingoß, verschüttete er ein wenig.

Des Abends erschien ein zweiter Gast am Tische, der Egon kein Fremder war; vielmehr ein Vetter, mit dem er wenig Verkehr gehabt, der ihn aber jetzt sehr freundlich begrüßte. Dennoch war ihm diese Gegenwart nicht erwünscht. Er hatte bisher sehnsuchtsvoll und vergeblich auf den Augenblick gewartet, der Frau, von der er solange getrennt gewesen, allein gegenüberzustehen. Jetzt schien es ihm, als richtete sie ihre Worte mehr an den neuen Gast, und einmal überhörte sie, was er sagte. Als er zu Bette ging, war ein dumpfes Gefühl der Enttäuschung und der Qual in ihm.

Die Schranke zwischen ihm und ihr wuchs über Nacht, und am folgenden Tage schien sie undurchdringlich, so daß er kein Wort fand, sie der früheren Zeit zu erinnern. Er sah sie die schönen Arme auf den Tisch legen, mit dem Sonnenschirm auf der Schulter durch die Wiesen gehen, wie damals, heiter und freundlich gegen alle, nur daß ihr Lachen, das Aufleuchten in ihrem Angesicht, das er kannte, ein gewisses Vorneigen der Brust beim Zuhören meist dem andern galt. Da verstummte er und verlor alle Laune. Einmal wagte er ihr zu sagen: »Wissen Sie noch, was vor zwei Jahren war?«

Sie antwortete: »Zwei Jahre sind eine lange Zeit!«

Da wurde er bleich und sagte nichts mehr. Manchmal zog er sich bitter zurück, manchmal litt es ihn nicht, den andern fernzubleiben, und noch weniger konnte er sich zur Abreise entschließen. Oft kam sie still bewegt mit dem neuen Freunde von einem Spaziergang durch die morgendlichen Wiesen zurück, wenn er im Gartenzimmer zum Frühstück erschien; oder die beiden fuhren lachend im Boote davon. Und er wußte das Boot weit draußen auf dem blitzenden Wasser oder tief im Schilf versteckt, während er brütend in seinem Zimmer am Tische saß oder müde über den glühenden Kies auf den Gartenwegen ging.

Dann trat er bisweilen ins Haus zurück und beobachtete Peter Rove, ihren Gatten, der über Büchern saß, oder auf und nieder ging. Und wie er ihn verlassen und vernachlässigt im Hause umhergehen sah, während das Kind draußen im Garten unter der Aufsicht des Fräuleins spielte, und der Mann sich bisweilen an dieses Fräulein oder an die Magd wendete, die seine Befehle kaum beachteten oder über ihn spotteten, besonders aber, wenn er ihn liebreich und wehmütig mit dem Kinde sprechen sah, ward Egon von Mitleid ergriffen.

Des Abends saßen alle ruhig um den Gartentisch bei der Lampe; Albert, sein Vetter, kam im Sportanzug; auf seinem bärtigen gebräunten Gesicht, aus dem große energische Augen blickten, lag völlige Ruhe; er zündete eine Zigarre an, plauderte und erzählte, und die andern plauderten mit. Nach einer Weile standen Albert und Lia – so ließ sie sich jetzt nennen – auf und gingen an den See hinaus.

Egon sah dem Hausherrn in die Augen, der die seinen niederschlug. Sie schwiegen eine Zeit, dann fragte ihn Peter Rove, ob er Schach spiele, und sie holten das Brett und stellten die Figuren auf. Während sie spielten, kam es Egon vor, als ob, was auf dem Brett vorging, einen eigentümlichen menschlichen Sinn hätte, der ihm dennoch entging, so oft er ihn fassen wollte. Aber er fühlte sonderbar mit den bedrohten Figuren, mit dem lässigen Monarchen neben seiner frechen kühnen Königin, die sich unzüchtig mit den Männern einließ, kämpfte und liebte.

Da hörte er Rove sagen: »Das Schachspiel hat einen tieferen Sinn, als die Menschen ahnen ...«

Überrascht, erschrocken, den andern aussprechen zu hören, was er dachte, sah Egon ihn an. »Sehen Sie den König,« fuhr jener fort, »er ist umstellt, kann sich kaum rühren, und doch hängt alles von ihm ab: fällt er, so fällt alles mit.«

Egon erwiderte nichts.

»Die Königin hat scheinbar mehr Macht, aber man kann sie ersetzen. Den König nicht. Wenn ein Bauer durch alle Felder dringt, wird er den Höchsten gleich ...« Mit eintöniger Stimme sprach Peter Rove fort; dann spielte er wieder, schweigend oder murmelnd, und wenn er mit seinen langen weißen Fingern eine Figur faßte und wegwarf, dann war ein Lächeln um seine Lippen, grausam wie der Triumph der Schwachen.

Als die Partie zu Ende gespielt war und Peter Rove gewonnen hatte, stand Egon, bedrückt von der Schwüle im Zimmer und von all dem, was er geahnt und nicht begriffen hatte, auf und öffnete das Fenster. Er lehnte sich in die Nacht hinaus und sah nach den dunklen Bäumen am Ufer.

»Wie sonderbar, daß die andern noch nicht da sind«, sagte er unwillkürlich.

Rove warf ihm einen feindseligen Blick zu, dann wiederholte er murmelnd »Sonderbar!« und setzte sich nieder. Egon, dem es immer unbehaglicher zumute ward, schritt in den Garten hinaus. Als er ins Zimmer zurückkam, war Rove fort. Gegen Mitternacht hörte er die beiden andern plaudernd kommen. Sie wunderten sich, ihn noch wach zu finden, und da sie hungrig waren, suchten sie, bis sie Kuchen und Wein fanden, und setzten sich an den Tisch. Egon sah, daß sie ganz mit sich beschäftigt waren, und ließ sie bald allein. In seinem Zimmer angekommen erinnerte er sich, daß er unten ein Buch liegen gelassen: er schritt die Treppe wieder hinab, aber was er durch die Glastüre sah, trieb ihn in Scham und Wut auf sein Zimmer zurück.

Die ganze Nacht schrieb er an einem Brief an sie; aber am Morgen war er keines Entschlusses fähig.

Der Tag begann wie sonst mit einem gastlichen Frühstück; die Sonne sah freundlich durch die Vorhänge; man ging spazieren, legte sich nach dem Essen aufs Gras; erst später verschwanden Albert und Lia aus dem Garten. Das Wetter änderte sich, der Tag wurde grau und Wolken jagten über den Himmel. Die beiden einsamen Männer standen im Gartensaal und blickten durch die Scheiben hinaus.

»Ich würde es nicht zulassen«, sagte Egon plötzlich.

Rove sah ihn an, und Egon wurde bestürzt. »Im vergangenen Jahr, als der Rittmeister hier war ...«, sagte Rove.

»Welcher Rittmeister?« unterbrach ihn Egon heftig. Davon hatte Lia ihm nichts geschrieben.

Ohne der Unterbrechung zu achten fuhr Rove fort: »... da hat sie auch immer so unvorsichtig mit ihm gesegelt.« Er sprach weiter, aber Egon waren so viele Gedanken gekommen, daß er nicht auf ihn hörte, bis Rove plötzlich fragte: »Waren Sie nicht vor zwei Jahren unser Gast?«

Egon stotterte: »Ja.« Die zwinkernden Augen in dem blassen Gesicht des andern verwirrten ihn; er sah ihn scheu an, um sich zu vergewissern, was er mit dieser Frage gemeint hatte; aber Rove gab dem Gedanken scheinbar keine Folge; die Spule in seinem Hirn schnurrte gleichsam weit fort, denn er sagte: »Ja, in Rußland ...« und verstummte. Auch Egon schwieg. Die Magd trat ins Zimmer und stellte den Samowar auf den Tisch; Hausherr und Gast setzten sich einander gegenüber und tranken schweigend ihren Tee.

Dann trat Egon wieder an das Fenster, während Rove im Kreise um den Tisch zu gehen begann.

Endlich drehte Egon sich um: »Bitte, setzen Sie sich doch!« sagte er. Rove ließ sich mit ärgerlicher Bewegung in einen Stuhl fallen. Egons Blick fiel auf eine Photographie an der Wand. »Wer ist das?« fragte er.

»Lia, als sie noch in die Schul« ging.«

»Haben Sie sie da schon gekannt?«

Rove machte nur eine Bewegung.

Egon betrachtete das schlanke Kind mit den begehrlichen Augen. Rove begann jetzt von einer Reise durch Rußland zu erzählen, auf der Lia ihn begleitet hatte, von dem Schnee, von den breiten Strömen, von den bunten weichen Seidenstoffen in Nishnij, in die er sie gehüllt hatte. Die zärtliche Sorge tönte noch aus seinen Worten. Er hatte wieder zu gehen angefangen, jetzt sank er ermattet und seufzend in einen Stuhl. Beide dachten an Lia, und jeder grübelte zugleich über die Gedanken des andern. Und als fürchteten sich beide zu sprechen, holte Rove das Schachbrett und forderte Egon wieder zum Spiele auf. Kaum aber hatten sie damit begonnen, als die Figuren auch wieder wie in einem wirren schleierhaften Traum unter seinen Händen allerlei zu erleben schienen, ohne daß er in diese zweite Welt hätte dringen können. Und wieder schien ihm, als ob Rove seine Figuren in sonderbarer Weise handhabte; bald schien er seine Königin zu liebkosen, bald griff er sie so, daß es für Egon peinlich zu sehen war, und wenn er den feindlichen Läufer faßte, der die Dame angriff, oder den eigenen Springer oder einen Bauern, der sie nicht geschützt hatte, dann war etwas Grausames in seinen Augen und seine Bewegung sah aus wie eine Hinrichtung.

Die Partie war zu Ende, die Magd brachte Licht, und Egon griff nach der Zeitung. Irgend etwas störte ihn, und als er vom Blatte aufsah, bemerkte er, daß Rove allein mit den Schachfiguren weiterspielte.

»Sie haben ihn verrückt gemacht«, sagte er sich und wünschte zugleich, daß die andern heimkommen möchten, um nicht mehr mit dem unheimlichen Menschen allein zu sein. Er beschloß, am nächsten Tag abzureisen.

Die beiden kamen indessen wirklich, und da Lia den Abend und das Zimmer frostig fand, braute Albert einen Punsch. Egon sah strenge nach Lia; sie hatte ein Tuch umgeschlagen und saß in der Sofaecke und merkte es nicht. Der Punsch stieg ihm rasch zu Kopf. Er sah Rove hastig trinken und aufstehen und im Zimmer hin und her gehen, und er sah, wie Albert und Lia, als jener gerade von ihnen wegschritt, einander zutranken. Er fühlte eine heftige Empörung über die dreiste Art, mit der dieser Mann betrogen wurde.

Aber als Rove an den Tisch trat und das Tuch an Lias Nacken richtete, trank sie auch ihm zu und streichelte seine Hand. Da stieß Rove einen Seufzer aus, und die Hand, in der er sein Glas hielt, zitterte. Es war, als wollte er etwas sagen. Egon sah, daß er den Mund mit einem furchtbaren Ausdruck öffnete ... aber plötzlich zog er die Hand, die auf dem Tisch gelegen hatte, zurück und ging wieder im Hintergrund der Stube auf und ab und zuletzt ganz hinaus. Aber nur Egon schien all dies bemerkt zu haben: die beiden andern plauderten und lachten.

Er glaubte, daß sie über Rove lachten. »Das ist unerhört!« rief er.

»Was ist unerhört?«

»Erst ihn betrügen ...«

Da bekam er einen scharfen Schlag auf die Hand, daß er schrie. Es war Lia, die ihn geschlagen hatte.

Was dann an ihm vorbeiwirbelte, wußte er nicht mehr, Getränke, Scherze und Reden; Roves Gesicht erschien in der Türe, und er rief Lia etwas zu, worauf Lia heftig erwiderte, aber was, wußte er nicht; Albert saß ruhig da, und Lia warf ihren Schal ab, weil ihr zu heiß geworden war, und legte die schönen Arme auf den Tisch, von denen die langen Ärmel zurückfielen. Und vor diesen schönen Armen, die Egon so oft geküßt hatte, schwand alles andere. Er wußte nicht, daß er vor Lia auf den Knien lag, ihre Hände küßte und sie um Liebe bat. »Ich bin so unglücklich«, stöhnte er.

»Furchtbar!« sagte Lia lachend.

»Affe!« rief Albert dazwischen.

»Ja, du mein Affe!« wiederholte Lia. Sie wickelte ihm ein blaues Band in die Haare, und dann hatte sie plötzlich einen Einfall, sprang auf, kramte aus einem Schrank im Nebenzimmer eine alte Affenmaske hervor, band sie ihm vors Gesicht und schlug ihn auf die Finger, wenn er sie entfernen wollte.

Indessen war Rove wieder hereingekommen und hatte sich an den Tisch gesetzt: er sah zu, wie Lia den Affen neckte, und versuchte unheimlich mitzulachen. Lia aber tanzte, ihr Kleid zupfend, durchs Zimmer und sang:

»Hochzeitmachen ist wunderschön!«

»Tanze nur, mein Mädelchen, tanze nur!« sagte Peter; aber als Albert aufsprang, Lia umfaßte und, während er selbst den Takt dazu pfiff, mit ihr durchs Zimmer und durch die Türe auf die Veranda hinaus tanzte, da sah er mit zitternden, auf den Tisch gestützten Händen zu; er kaute an seinem Schnurrbart, und gerade als die Tanzenden draußen ein paar Blumentöpfe herabstreiften und zur Erde schmetterten, warf auch er die brennende Lampe um. Sie kamen gerade zurecht: Albert erfaßte den noch halbvollen Glaskörper, riß das brennende Tischtuch herab, und erstickte die Flammen ... es gelang ihnen, alles zu löschen. Dann sahen sie einander an und sahen Peter Rove an, der scheu nach Lia blickte und murmelte:

»Nichts, meine Herren; nichts Kinder; es ist nichts; gehen wir schlafen.«

Das taten sie denn auch und verließen das verwüstete Zimmer. Egon in der Affenmaske lag in der Ecke und schlief.

Er erwachte gegen Mittag. Verwirrt entfernte er die unbequeme Pappe von seinem Gesicht; als er sie betrachtete, ward er dunkelrot. Die drei Männer gingen mit grauen Gesichtern umher; Lia kam nicht zu Tische. Sogleich nach dem Essen packte Egon seinen Koffer. Er hatte genug. Albert war an den Strand gegangen, Möwen zu schießen.

Von seinem Fenster sah Egon Peter Rove über den Hof gehen und in einem Schuppen verschwinden. Da er ihn nicht wieder erscheinen sah, ging er zuletzt hinunter, und vorsichtig spähend, sah er ihn in dem großen trüben Raume, in dem Holz aufgeschichtet war und Sägen und Äxte an der Wand lehnten, vor einem kleinen Fenster stehen und aus einem starken Strick eine Schlinge drehen, die er zuzog und auf ihre Festigkeit prüfte.

Immer mußte er Lias weißen Hals in der Schlinge sehen. Der Sturm hatte zugenommen, auf dem Hofe trieb er trockene Blätter und Halme im Kreise umher, das Wasser draußen war grau und bewegt, und schwere Wellen schlugen ans Ufer. Von unten her tönten die Schüsse, und manchmal trug der Wind das Geschrei der aufgescheuchten Vögel herüber. Egon suchte Lia vergeblich in den Zimmern und verließ wie gejagt das Haus, um die andern zu finden.

Es dämmerte bereits, das Schießen hatte aufgehört, und niemand war zu sehen. Er war auf dem Rückweg, als er Albert allein längs den dünnen Baumreihen am Ufer gehen sah. Rasch schritt er durch die Wiese hinab und auf ihn zu. »Was ist denn los?« rief Albert. Er hatte sein Gewehr unterm Arm.

»Nimm dich in acht! Rove ist wahnsinnig!«

»Er war ja immer verrückt«, sagte Albert gleichmütig.

»Aber jetzt ist er gefährlich. Ich warne dich. Es ist ja auch unerhört ...«

Die großen, scheinbar sanften Augen sahen ihn scharf an. Er sprach nicht zu Ende. Albert schritt rasch weiter und blickte sich nach allen Seiten um.

Jenseits der Wiese kam Lia über den Fußpfad. Der Wind schlug ihre Kleider um sie. Alle drei beschleunigten ihre Schritte.

Aus dem Hause erscholl ein schreckliches Geschrei, so daß ihnen das Herz stille stand. Lia rang die Hände und sah Albert an. Egon fühlte solch eine Beklemmung, daß er nicht weiter gehen konnte. Albert lief bereits mit großen Sprüngen über die Wiese und verschwand in der Türe.

Da es stille ward, gingen die beiden schweigend nach. In dem Zimmer sahen sie eine der Mägde, an einen Tischpfosten gebunden, mißhandelt und blutend auf der Erde liegen, während Albert Peter Rove festhielt, der immer neu auf sie losschlagen wollte. Die Unvorsichtige hatte ihm nachgerufen, was er war.

Jetzt saß er ganz still im Wohnzimmer auf dem Sofa und ließ sich ruhig auf sein Zimmer und zu Bette bringen. Lia selbst reichte ihm ein Schlafmittel: er streichelte ihre Hände.

Die drei setzten sich unten zusammen und berieten. »Er muß in eine Anstalt,« sagte Albert und erbot sich, ihn selber hinzubringen, »er gehört schon lange hin!« Empört rief Egon dem Vetter seine Meinung ins Gesicht, der ihm die Antwort nicht schuldig blieb. Lia kam ihrem Liebhaber zu Hilfe – Egons Rolle vom Abend vorher fiel ihr ein, und sie mußte laut auflachen. Er aber schrie ihr zu, daß der Magd geschehen sei, was sie verdient habe – da sah er ein wutentstelltes Gesicht, das er nie gekannt: »Der Rittmeister vom vergangenen Sommer läßt dich grüßen!« sagte er zurückweichend. Die Frau wurde bleich, eine Flut unsauberer Worte folgte, bis Albert den schwächlicheren Egon faßte und aus dem Zimmer drängte. Erst schrie er noch durch die Türe, bis er sich besann und fortging; im Speisezimmer sah er etwas Erschreckendes: die Schachfiguren standen auf dem Brett im Kreis geordnet; einigen war der Kopf abgeschnitten, andere waren aufgehängt.

In glühender Scham ging er in seinem Zimmer auf und ab: von unten hörte er schreien und schluchzen, bis um Mitternacht Albert bei ihm klopfte, ihn bat, das Geschehene zu vergessen und ihm zu helfen: Peter Rove sei aus seinem Zimmer verschwunden.

Sie wachten die ganze Nacht. Am andern Morgen war das Haus wie leer, die Türen standen offen. Die weiblichen Dienstpersonen hatten es alle am frühen Morgen verlassen.

Sie suchten Peter überall und schickten den Gärtner aus. Endlich sagte Albert, der Lia und das Kind nicht allein lassen wollte, Egon, der ja ohnedies im Aufbruch war, sollte im Boot nach dem nächsten Ort fahren und bei der Gendarmerie die Anzeige machen, auch einen Arzt verständigen. Egon, glücklich, fortzukommen, trug seinen Koffer in die Schiffshütte und sprang ins Boot. Der See lag blau und spiegelnd im Sonnenschein. Er löste das Boot von der Kette und wollte es der Bohlenwand entlang ins Freie schieben. Aber das Boot wich nicht vom Fleck. Er beugte sich über den Rand, um nach dem Hindernis zu sehen. Aus dem seichten Wasser sah ihm Peter Roves gelbes Gesicht und seine glasigen Augen entgegen; in der einen Hand, die geballt am Grunde lag, hielt er die weiße Schachkönigin fest.

*


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