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Der vorsichtige Freier

Als Giulio Avinelli den Zug der Flamländer und seiner Landsleute an der Cleveschen Grenze verlassen hatte, ritt er trotz mancher Warnung allein weiter. Nicht daß er so furchtlos gewesen wäre: der Vorsatz war zu mächtig in ihm und die Gründe zu triftig; sein Diener aber war in Arnheim krank zurückgeblieben, und im Zuge war kein Mann entbehrlich. Während er in dem einsamen Tal dem Flusse folgte, dachte er der Worte seines Vaters, preßte wohl die Hand auf den Leib, wo er im Futter seines grauen, rotgeschlitzten Reisewamses aus geringem Tuch und Leder den Schuldschein verborgen hatte, oder seine Gedanken flogen voraus und stellten sich den Empfang bei dem alten Murlacher vor: das Töchterchen mußte wohl schon groß und mannbar sein.

Er war etwa zwei Stunden geritten und hatte kein Haus und keinen Menschen gesehen, immer nur das Grün des Bodens und der Bäume, als ihn, da er gerade durch eine Senkung kam, eine leichte Unruhe seines Pferdes sich umzublicken bewog. Zu seiner Linken saß halb im Busch ein Mann in schlechter Kleidung auf der Erde, der Brot schnitt. Das Gesicht, um das ein rauher, schwarzer Bart stand, sah nicht ohne Besorgnis nach dem Reiter, der, die Hand auf eine der großen Pistolen in der Satteltasche gelegt, herankam und dessen Worte er nicht verstand. Aber er hatte wohl nicht viel zu verlieren und begriff auch, daß er nur um den Weg gefragt wurde; und wie schlecht Avinelli den Namen des schweizerischen Obersten aussprach, der Mann wies deutlich nach Osten; doch schüttelte er den Kopf dazu und machte sonderbar heftige Gebärden, die der Italiener so wenig wie einer des andern Worte verstand.

Die Sonne begann sich zu neigen, als Avinelli in der Ferne Gebäude zu sehen glaubte; er trieb sein Pferd zu rascherem Trabe an und hielt es plötzlich zurück: er sah leere Fensterhöhlen, rauchgeschwärzte Mauern. Das Pferd schnoberte den Brandgeruch und drängte fort; jenseits eines kleinen gelben Hügels, der scharf an die Straße trat, die eine Biegung um ihn machte, war ein Schloß gewesen; ein torloser Hof öffnete sich; halbe Mauern standen, aus geöffneten ausgebrannten Zimmern mit geschwärzten Kalkwänden stieg der Rauch noch empor. Ein Mensch war nirgend zu sehen, nicht einmal ein verlaufener Hund bellte.

Beklommen hielt er sein Pferd an und sah nach der Sonne: den ganzen Weg zurück und den anderen nachjagen schien das klügste. Aber die Bewohner konnten geflohen sein. Mit neugierigem Grauen zog er das Pferd in den leeren Hof; es sträubte sich und trat rückwärts: da sah er im Schutt zu seinen Füßen einen Toten liegen, und drüben, jenseits des Mauerrestes noch einen, und sein Entsetzen wuchs und das des Tieres mit.

Er wollte rufen, ob noch irgend jemand da sei, und wagte die Stimme nicht zu erheben. Es war ihm, als hätte er ein Geräusch gehört. Er riß eine der Pistolen aus der Satteltasche und rief laut in seiner wohlklingenden Sprache und Stimme. Eine leise Stimme über ihm rief etwas zurück; ein ganz junges, weißgekleidetes Mädchen mit offenem blonden Haar, das Gesicht fast so weiß wie ihr Kleid, stand an dem Mauerabgrund. Da zog er den Hut bis zur Erde und rief empor, und sie antwortete, aber sie verstanden einander nicht; sie kam herab und winkte, und wies ihm durch halbzerstörte Gänge und über eine Treppe den Weg zu einem fast leeren Zimmer, in dem ein alter weißhaariger und weißbärtiger Mann, schlecht genug auf die Erde gebettet, dalag; sein Wams war geöffnet, nasse blutige Tücher deckten die Brust bis zum Kinn. An den Anstrengungen und Zeichen, die der Verwundete machte, erkannte er, daß der Mann durch den Hals geschossen war und nicht sprechen konnte. Avinelli erriet, wen er vor sich hatte. Bei seinem Namen schien der Sterbende ein Wunder zu erleben; aus seinen Augen glühte eine schmerzvolle Freude; gierig ließ er sich erzählen, aber die Ermattung kam schnell. Das blasse Kind, das vor ihm kniete, legte zitternd frische Tücher auf seine furchtbare Wunde. Giulio ging Wasser holen und brachte Brot und Wein aus seiner Manteltasche. Das Pferd, das er angebunden hatte, führte er zum Brunnentrog, und fand auch einen Grasfleck, wo es weiden konnte.

Es war Nacht geworden, aber das Mondlicht sah durch die zerrissenen Mauern; stumm kauerte das Mädchen auf der Erde, bis der Vater unruhig ward; seine Augen suchten Avinelli, und die zitternden Finger griffen nach seiner Hand und waren nicht zufrieden, bis das Kind ihn verstand und er beider Hände in der seinen hielt; beschwörend gingen die Blicke von ihr zu ihm. Dann kam ein schweres Röcheln aus seiner Brust, und ein Blutstrom brach aus seinem Munde. Augen und Gesicht veränderten sich furchtbar, und als sie sich endlich bebend entschlossen, ihn aufzuheben, sank er zurück, und sie sahen, daß es mit ihm zu Ende war.

Avinelli kniete nieder und betete; nach einer Weile nahm er die Weinende bei der Hand, zog sie sanft von dem Toten fort und deckte sie, die in ihrem dünnen Kleide auch vor Kälte zitterte, mit seinem Mantel zu. Dann ging er hinab, zog das Pferd in eines der Gewölbe und setzte sich neben dem Tier auf die Erde. Er war eingeschlummert, als er mit Verwunderung und nicht ohne Schrecken seinen eigenen Namen rufen hörte; aber es war nur das Kind, dem bange geworden war und das den Gefährten suchte. Er bettete sie neben sich in dem Gewölbe, und sie schliefen geschwisterlich bis zum Morgen nebeneinander.

Am anderen Tage begruben sie den Toten, so gut sie konnten, und sagten einander mit Zeichen, daß sie einmal wiederkehren und sein Grab bessern wollten. Dann hob er die Leichte auf sein Pferd und führte es am Zügel, während sie ihm die Richtung wies. In dem Wald, durch den sie kamen, sangen alle Vögel; über das Gesicht des Mädchens liefen bald die Tränen, und bald sah sie forschend nach ihrem Begleiter. Eine gute Zeit schritt er schweigend neben ihr her, dann, um sie auf tröstlichere Gedanken zu bringen, begann er, ihr Worte seiner Sprache vorzusagen, wies auf das Roß und nannte es »cavallo«, nannte den Bach und Himmel in seiner Sprache, und zuletzt wies er auf sich und sagte »Giulio«, und sie wiederholte die weichen Laute; zur Antwort deutete sie mit dem Finger auf ihre Brust und sagte »Florence«; und staunend bedeutete er ihr mit raschen Worten, daß sie den Namen seiner Vaterstadt trüge; sie schien es zu wissen, denn sie nickte ernst. Im Geplauder achteten sie zu wenig des Wegs, bis sie merkten, daß sie ihn verloren hatten. Die Sonne brannte, als sie vor den Mauern eines Pfarrgartens ankamen; große Hunde bellten, das Tor war fest verschlossen; sie fanden nicht leicht Einlaß; dann aber, da er fand, daß sie Flüchtige und katholischen Glaubens waren, nahm der Pfarrherr sie um so freundlicher auf.

Das müde Kind erquickte sich an einem reichen Tisch, und gleich nach dem Essen entschlief es. Indessen verständigte sich der Pfarrherr in lateinischer Sprache mit seinem Gast, und als er genug erfahren, blickte er nicht ohne Besorgnis. Für den Toten versprach er, eine Messe zu lesen, dann aber warnte er den jungen Mann; die Versuchung der Jugend sei groß; das Mägdlein so mit sich durch die Welt zu führen, brächte beiden Gefahr und in jedem Fall Schaden für ihren Ruf; dagegen gäbe es noch manches unberührte Frauenstift, selbst in dieser bösesten aller Zeiten, in der Nähe. Es wäre denn, daß er das Vertrauen des Toten anders auffassen wollte: dann wäre die Gelegenheit zur Hand. Avinelli versank in Schweigen; das alles hatte auch er bereits erwogen; aber ein blutarmes Mädchen ohne Mitgift so unbedacht zum Weibe zu nehmen, das lag dem Nachfahren alter Handelsgeschlechter fern; der Schein in seinem Wams über die zwanzigtausend Pfund Silbers, die der Oberst seinem Vater geschuldet hatte, war Verlust genug; und doch, sich von dem zarten, feingliedrigen Kinde zu trennen, das ihm mit solchem Vertrauen folgte, fiel ihm schwer; sie legte die kleinen Finger so sicher in seine Hand; zweimal schon hatte er sie im Arm gehalten, wenn er sie vom Pferde gehoben, und das feine Stimmlein, mit dem sie »Giulio« zu sagen versuchte, klang ihm noch im Ohr, – er hörte es eben wieder, da sie schon mit etwas röteren Wangen auf der Gartenbank im sommerlichen Schatten der Obstbäume erwachte. Er meinte immer noch Zeit zu haben, ehe er sich entschloß.

Sie verbrachten die Nacht im Pfarrhof und zogen am anderen Morgen weiter, nicht ohne daß er dem besorgten alten Geistlichen manches versprochen hätte. Wieder saß Florence auf dem Rücken des grauen Rosses; Schweden und Kaiserliche hatten längst alle Reit- und Tragtiere der Gegend requiriert, ein zweites Tier hatte der Pfarrer nicht; aber Wegzehrung genug; und zwei stämmige Knechte gaben ihnen bis zur Grenze das Geleit.

Sie waren wieder allein und schon lange auf holländischem Boden, auf den er um ihrer beider Sicherheit willen zurückgekehrt war, als sie von fern eine große Menschenmenge in der Ebene sahen. Neugierig kamen sie näher: da sahen sie Reihen von Karossen und Gepäckwagen, mit vier und sechs Pferden bespannt, am Gehölze stehen, ebenso, von Knechten gehalten, ledige gesattelte Rosse ohne Zahl; mitten im Feld aber standen gedrängt viele Menschen in lautloser Stille, während eine ferne Stimme verhallend, unverständlich aus ihrer Mitte tönte. Herren und Frauen waren köstlich gekleidet; Männer in Waffen standen mit entblößten Häuptern, die Federhüte in Händen; Fahnen ragten, Schweizer standen auf ihre Hellebarden gestützt, das Samtbarett von den bärtigen Köpfen genommen; jetzt erscholl ein Glöckchen, alle auf der weiten Wiese knieten nieder, und nun sahen sie auf einem Altar Kerzen brennen in freier Luft, und den Priester in weißem, goldgesticktem Meßgewand, barhäuptig, von den Offizianten rechts und links gestützt, die Monstranz erheben; und die kleine Florence glitt vom Pferde, und neben ihr kniete Avinelli hin und bekreuzten sich schnell, und ihre Stimmen fielen in den Gesang ein, der jetzt vom Wald her klang.

Aber ihr Gaul, allein gelassen, der sonst so geduldig stand, streckte sich wiehernd und galoppierte quer über die weite Wiese auf die vielen andern Pferde zu. Dadurch entstand eine leichte Unruhe, und viele Köpfe wendeten sich herüber.

Die Messe war zu Ende, Giulio wollte nach dem Rosse sehen, aber Florence kniete noch immer auf dem Boden, während inbrünstige Tränen über ihre Wangen liefen. Und schon waren sie von vielen Fragenden umgeben, Männern wie Frauen, die Französisch auf sie einsprachen. Zu Giulios Verwunderung stand Florence ihnen freudig Rede, als ein prächtig gekleideter Knabe sich geschäftig durchdrängte, mit gezierten und anmaßenden Bewegungen die Umstehenden zur Seite schob und den zwei jungen Pilgern ihm zu folgen winkte. Alles drängte ihnen nach. Ein Gewirr von farbigen Seiden und Mänteln, kühnen, lachenden, finsteren Gesichtern mit Kinn- und Schnurrbärten unter Federhüten, langen Degen in bunten Bandolieren, Kanonenstiefeln mit riesigen Sporen war um sie, während drüben Trompeten bliesen, Stampfen der Pferde, Schreien der Kutscher erscholl, da die Wagen am Gehölz sich wieder in Bewegung setzten. Florence aber sah nur das zarte Gesicht der schönen Frau mit den blonden Locken, die rechts und links unter dem breiten Hut herabfielen, die tiefblauen spöttischen Augen, die sogleich ernst geworden waren, als das Mädchen vor ihr stand. Auch Avinelli sah ihr Gesicht, da er sich aus seiner tiefen Verbeugung aufrichtete, und ward betroffen. Er verstand kein Wort, wenn er gleich ahnte, was Florence so unerschrocken erzählte. Er sah die Dame sich zu ihren Begleitern wenden und etwas sagen, sah sie Florence die Hand zum Kusse reichen, und da ihr vergoldeter Wagen eben vorfuhr, mit drei Damen und zwei Herren, die ihr beflissen halfen, auf den geräumigen Seidenkissen Platz nehmen, Florence als siebente hineinwinken und davonfahren.

Jemand führte ihm sein Pferd zu; Leute fanden sich ein, die ihn verstanden, darunter ein Landsmann; er saß auf, schloß sich ihnen an und erfuhr durch sie, daß eine Prinzessin des Hauses Frankreich sich zu ihrem Gatten nach Münster begab, der dort die französische Krone bei den Friedensverhandlungen vertrat. In Bredevoort, das hinter ihnen lag, hatten Magistrat und Bürgerschaft nicht zugeben wollen, daß sie in ihrem Hause die Messe lesen lasse: da habe die Fürstin den Ketzern zum Trotz auf freiem Feld vor ihrer Stadt einen Altar aufstellen und, wie er gesehen, unterm Himmel den wahren Gottesdienst feiern lassen. Damit zog, der gesprochen hatte, seinen Degen und brachte ein Hoch auf Anne von Bourbon aus; all die Herren schlugen die Degen aneinander, und der Ruf brauste bis an die Spitze des Zuges und wieder zurück.

Avinelli redete wenig, aber er dachte viel. In Stadtlahn, wo sie nächtigten, hielten die Schweizer vor dem Hause der Herzogin ihn zurück; doch ließ sie ihn am anderen Tage in Koesfeld, wo Mittagsrast gehalten wurde, selbst rufen und sprach gnädig mit ihm. Einen »Cavalier errante« nannte sie ihn, nicht Astolf habe Schöneres erlebt, und sie freue sich, daß sie solch einem Abenteuer statt in den Romanen, in Wirklichkeit begegnet sei. Für das Mädchen, dessen Vater einst unter ihrem Oheim gedient, werde sie sorgen. Florence, die schwarz gekleidet, das Haar zu Locken gedreht und mit seidenen Schleifen gebunden, ganz verändert in ihrer Nähe stand, trat hervor und reichte ihm mit scheuer Freude die Hand. »Du kannst ihn besser grüßen, mein Kind«, sagte die Herzogin, und noch viel scheuer bot sie ihm den Mund, den er küßte. Dann trat sie blutrot zurück, und da alles lächelte, brachen Tränen aus ihren Augen. Die Herzogin befragte Avinelli indessen über seine eigene Person; ein Herr, der ein himmelblaues Ordensband und einen weißen Stern mit einer silbernen Taube auf der Brust trug, wollte wissen, wieso er gerade in jenem guten Augenblicke eingetroffen sei? Avinelli dachte an den Schuldschein in seinem Wams und antwortete nicht gleich. »Durch Gottes gnädige Fügung, Monsieur«, sagte die Herzogin für ihn. Da sie erfuhr, daß er von Beruf Baumeister und ein Schüler des Cavaliere Bernini in Rom sei, sagte sie ihm Arbeit und Empfehlungen in Paris zu, wenn er jetzt oder später mit ihr dahin gehen wollte; vorläufig könnte er sich als zu ihrem Hause gehörig ansehen. Er dankte für so viel Güte und küßte den Saum ihres Kleides, aber er sah nur ihre Schönheit und den Liebreiz, die ihn betäubten.

Von allen Seiten beglückwünscht und begönnert, kam er wieder auf die Straße hinaus. Allmählich ward sein Kopf kühl, aber die große Freude wich nicht aus seiner Seele.

Am Tage darauf, vier Stunden nach Mittag, näherten sie sich der Stadt Münster. Die Kanonen donnerten von den Wällen; eine Schar kaiserlicher Kürassiere mit klingendem Spiel und viel andere Musik kamen ihnen entgegen; ihre eigenen Trompeten schmetterten; ein langer Zug schwarzgelber Musketiere rückte unter Trommelwirbel aus; der Bürgermeister mit einer Abordnung des Rats, der Bischof mit vielen Herren des Kapitels, mehrere der Gesandten mit großem Gefolge, vor allem die Frankreichs, kamen in Karossen, zu Fuß oder beritten aus der Stadt. Die Verwirrung ward groß, und gerade dadurch kam Avinelli dicht daneben zu stehen, als der Gemahl der Herzogin, ein steifer Herr in schwarzem, mit blauer Seide geschlitztem Samtkleide und breitem altmodischem Spitzenkragen, aus seiner Karosse stieg und seine Frau begrüßte. Er hatte große Tränensäcke unter den Augen, einen grauen Kinn- und Schnurrbart und eine blonde Perücke. Über die alten Plätze und Giebelhäuser senkte sich die Nacht, ehe der ganze Zug eingerückt und untergebracht war.

Als Avinelli am nächsten Morgen ans Fenster der Wirtsstube trat, in der er mit vier anderen schlief, sah er unten in der Straße eine Schar von Lakaien und Bewaffneten, die er an der Tracht sogleich als Landsleute erkannte. In ihrer Mitte saß in reichgeschmückter Sänfte, deren Stäbe vier in gelbe Seide gekleidete Träger auf den Schultern hielten, ein hoher Geistlicher. Von oben sah Avinelli das violette Kleid und den breiten Hut mit den seidenen Schnüren. Als er hinabeilte, war der Zug schon verschwunden, nur die Schellen an den roten Netzen der Maultiere, auf denen Geistliche saßen – unbekannter Tiere, die von den Bürgersleuten angestaunt wurden, – klingelten noch um die Ecke.

Noch am selben Tage beschaffte er auch für sich eine vornehmere Tracht. Sie schneidern zu lassen, war nicht Zeit, aber er hatte in Münster bald einen Laden gefunden, in dem mehr und minder kostbare Beutestücke wiederverkauft wurden, und kam ein anderer Mann in den Gasthof zurück, als der er ausgegangen war: in seinem gestickten Wams, weiten Hosen mit seidenem Besatz, mächtigen Becherstiefeln aus weichem Leder mit roten Absätzen, einen Federhut auf dem Kopf und einen langen französischen Stoßdegen an der Seite. Vor ihm, damit er ihn in dem Getümmel auf den Straßen nicht aus den Augen verliere, ging ein Bursch aus dem Laden, der ein Bündel mit seinen alten Kleidern trug; und zu Hause schnitt er, als niemand in der Stube war, den Schein des alten Murlacher aus dem Futter und barg ihn in einem ledernen Beutel, den er zu diesem Zweck erstanden hatte und unter dem Hemde trug.

So ausstaffiert, stellte ihn der Abbate Pericliti vom Gefolge der Herzogin, ein sehr entschiedener Mann mit mächtigem Leibe, der mehr wie ein Krieger als wie ein Geistlicher aussah, demselben Prälaten, den er vorübertragen sehen und der der päpstliche Nunzius war, vor. Auch dieser hatte zwei Worte und ein Lächeln für ihn, und als er wieder gehen wollte, hielt ihn ein geistlicher Sekretär fest und notierte seinen Namen: der Herr Kardinal habe dem Kurfürsten zu Köln am Rhein einen italienischen Baumeister zu schicken versprochen; gleichzeitig sagte er ihm, daß er zu der offenen Mittagstafel, die Seine Eminenz für alle Landsleute in Münster hielt, stets geladen sei.

Von da folgte er dem Abbate, der von einer französischen Dame zum Speisen erwartet wurde; alle kannten sein Abenteuer, und viele Augen lächelten ihm zu. Als nach der Mahlzeit an kleinen Tischen weißer und roter Hypocras in die Gläser gefüllt wurde, gestand er sich, daß die schwarzlockige Frau ihm gegenüber vielleicht doch die schönste war, die er in diesen Tagen gesehen. So wie die Herzogin, sprach auch sie Italienisch mit ihm: kühn sagte er ihr, was in seinen Gedanken war, und er fühlte, wie auf dem seidenen Fußkissen unter der schweren Tischdecke sich ein Fuß auf den seinen schob. Er sah ihr in die seltsam aufleuchtenden Augen; der Ambra- und Weinduft des Getränks drang ihm benebelnd an die Stirn, die er gerne kühl behalten hätte, – er wendete das Gesicht ab und sah sich selbst und ihr Profil im Spiegel; nun fand er ihr Näschen über dem lächelnden Mund keck und besonders entzückend; verwundert über sein Wegsehen, folgten ihre Blicke den seinen, und beide sagten sich drüben das gleiche, wie vorher hier. Hinter sich sah er den großen, von schwarzen Haaren umwallten Kopf des Abbate, der aufrecht stand, sein Lorgnon vor die Augen hielt und billigend herübersah; neben ihm stand ein goldgrün gekleideter Kavalier in gelben Lederstulpen vor einer Dame in erdbeerrotem Seidenkleid. Dann fielen Avinellis wandernde Blicke auf ein kostbar gebundenes Buch mit einem vergoldeten Wappen, das neben der Dame auf der Ruhebank lag: ein Eichhorn sprang in dem Wappen auf und darunter stand: » Quo non ascendam?« Er wies mit dem Finger darauf und sagte übermütig: das wäre eine Devise, die er auch nehmen wollte, und die Schöne nickte und lobte ihn lächelnd.

In den dämmernden Straßen liefen bereits die Fackelträger vor den Wagen und den vornehmen Fußgängern her. Fern im Westen war am Himmel noch ein grünsilberner wolkenzerrissener Streif, und vor ihm stieg schwarz und riesenhaft der Turm der Lambertikirche auf. Und wie er ging und die kühle Sommerluft um seine Schläfen fühlte, gaukelten die drei Frauenbilder vor ihm, die die Sehnsucht seines Blutes erregten, und er mußte an den Prinzen Paris denken, der auf all den Bildern die schwere Wahl hatte. Noch nie war ihm so selig zumute gewesen, und da er sich bisher dabei wohl befunden hatte, seinem geistlichen Führer zu folgen, so folgte er ihm auch jetzt auf der dem Rathaus gegenüberliegenden Seite des Platzes fünf oder sechs Stufen von der Straße abwärts in ein Gewölbe, an dessen schweren Tischen schon einige lärmende Trinker saßen. Der Abbate ließ sich einen Krug mit Aßmannshäuser bringen und spottete Giulios als eines säugenden Knäbleins, da dieser in kleinen Schlückchen trank, um nüchtern zu bleiben. Dann zog er sein Lorgnon hervor und sah sich nicht ohne Vorsicht um. »Ja,« sagte er mit seiner breiten Männerstimme, »Ihr seid jetzt auf gutem Wege; ich liebe Menschen, die Glück haben. Geht nach Frankreich: das ist das gute Land für uns Italiener«, und er nannte ihm die Minister, die Generale und andere, alles Italiener am französischen Hofe.

Er habe sich das auch schon vorgenommen, sagte Giulio.

Die Tür ging auf, ein paar Reiter kamen lachend und rufend die Treppe hinab; sie hatten Frauenzimmer mit, und eine Schar Spielleute folgte ihnen. Der Lärm und Qualm ward groß.

Der Abbate setzte seine Winke fort, und der Florentiner lauschte seiner Weisheit. Um ihn in die höfischen Wege einzuweihen, nannte ihm jener mit Behagen die Liebhaber und Freundinnen der bekanntesten Leute in der Stadt: zu dem steifen Hugenotten aus Utrecht, Mynheer Abraham de Pouwer, müßte man den Weg durch ein öffentliches Haus nehmen. Gespannt wartete Avinelli, von der Herzogin und von der Dame von Cresnel zu hören, der Frau, die ihm mittags am Tischchen und im Spiegel so gut gefallen hatte; der Abbate nannte die beiden nicht, und er hütete sich zu fragen.

»Denn das müßt Ihr wissen, daß, wenn Ihr bei einem Mann etwas erreichen wollt, Ihr es durch ein Weib machen müßt und umgekehrt! Und daß ein Mann die Weiber nützen muß, nicht sich ihnen hingeben!«

Dabei sah er ihn prüfend an, lobte seine Haartracht und empfahl ihm andere Manschetten; dann fragte er ihn geradezu, ob er wirklich das magere kleine Persönchen ehelichen wolle, das er auf seinem Gaul mitgebracht?

Avinelli führte das Glas an den Mund und trank langsam, um sich seine Antwort überlegen zu können.

»Wer sagt denn das?« fragte er.

Am Tisch der Neuangekommenen Gäste wurde eine Gesundheit ausgebracht, mit so ohrenbetäubendem Geschrei, zu dem auch die Musik einfiel, daß Giulio die Antwort des andern zunächst nicht verstehen konnte. »Dann kommen die Kinder,« hörte er ihn endlich sagen, und »ob er den Traktat von den fünfzehn Freuden der Ehe nicht kenne, den der Herr von La Sale verfaßt? Nur eine Freude sei wirklich, eine reiche Mitgift, und anderes begehre kein Vernünftiger von der Ehe ...«

Da war seine Sorge berührt; offen erzählte er, wie es stand.

»Von verwüstetem Boden«, sagte der Abbat«, »ist der Morgen im Reich jetzt für ein paar Groschen zu haben; und wenn Ihr meint, daß Ihre Königliche Hoheit sie ausstatten wird, so irrt Ihr sehr. Alle Weiber, auch vom höchsten Stande, stiften gern Ehen; und die Frau Herzogin ist ein Wunder an Schönheit und Geist, aber Geld gibt in dieser Linie keiner her, das liegt ihnen von ihrem Vater, dem alten Herrn Prinzen, im Blut; sie zahlen selten, sie schenken nie.«

Giulio sah vor sich hin. Abermals erhob sich am anderen Tische ein wüstes Geschrei; die Männer schlugen mit dem Pallasch auf den Tisch, stiegen auf die Bänke und stampften mit den schweren Reiterstiefeln auf den Boden; dabei brüllten sie was sie konnten; zwei von ihnen hielten eines der Mädchen, das sie auf den Tisch gestellt hatten, bei den Händen, während andere sie bei den Röcken zogen und nach ihr griffen, und sie lachte und acht gab, Gläser und Schüsseln nicht umzustoßen.

Da verbat sich ein langer Mensch an einem anderen Tische den Lärm. Sogleich flogen Schimpfworte herüber; der Lange warf einen Handschuh zu ihnen hin, ein Trinkglas kam zur Antwort, das auf den Tisch der beiden Italiener flog. Degen fuhren aus der Scheide.

»Es ist Zeit, zu gehn«, sagte der Abbate und stand auf. Ein breiter Mann mit weißem Bart lachte ihnen hell ins Gesicht; eins der Weiber rief dem Priester unanständige Worte nach; ein junger Kerl, der rittlings auf einer Bank saß, an der sie vorüber mußten, faßte ihn an der Soutane und bat um seinen Segen; aber der Abbate umspannte sein Handgelenk mit so eisernem Griff, daß der junge Mensch ihn sogleich losließ und ihm blöde nachstarrte.

Sie hatten nicht weit zu gehen, dann empfahl sich der Abbate, und Avinelli blieb seinen Gedanken überlassen. Nachdem er noch eine Weile auf dem Prinzipalmarkt umhergegangen oder gestanden und dem fremden Volke zugesehen, das immer spärlicher wurde, suchte auch er seinen Weg nach Hause. Da er in den dunklen Lauben bei seinem Wirtshof ging, fühlte er plötzlich seine Hand gefaßt, aber wie es schien, in nicht unfreundlicher Weise. Eine leise Stimme sprach in sein Ohr; es war Französisch, doch vernahm er die Worte: » Quo non ascendam?« Da ließ er sich willig führen. Vorsichtig folgte er in ein Haus und über dunkle Treppen und Gänge; jetzt war er allein: eine Tapetentür öffnete sich vor ihm. Eine ganz kleine Ampel brannte in einem weiten Schlafgemach: in einem Himmelbette lag unter seidenen Decken schlafend eine junge Frau; er sah den weißen Arm, den sie um das Haupt gelegt hatte, und schwarze Haare, die über das Kissen fielen. Zitternd stand er, alle Brände der Erde in seinem Innern, er wußte nicht, wie lange, dann machte er einen, zwei, drei Schritte näher ... da erscholl ein leises Lachen; leuchtende Augen, die er schon gesehen, blickten in die seinen, und die Arme legten sich um seinen Hals. Dann wies ihre Hand nach einem Spiegel gegenüber, und das Bild, das er darin sah, gefiel ihm noch besser, als das er bei der Mahlzeit gesehen.

Der schweigende Spiegel sah noch mehr.

So schnell vergingen ihm Tage und Nächte im Glück, daß er sich erst, als die Woche zu Ende ging, der kleinen Florence erinnerte. Und als wäre der Gedanke an sie ihr vorausgegangen, sah er sie alsbald selber, von einer Dienerin mit weißer Haube gefolgt, auf seinem Wege daherkommen. Wieder ward sie rot, als sie ihn erkannte; grüßend trat er heran, und sie sagte ihm mit leiser Stimme, aber in sichtlicher Freude, einige italienische Sätze, die sie sich inzwischen zu eigen gemacht hatte. Er lachte und lobte sie, grüßte aber bald wieder höflich und ging weiter: betroffen sah das Kind ihm nach.

Da es ihm indessen an Geld zu fehlen begann und er bereits Schulden hatte auflaufen lassen, suchte er einen Notarius und Sachwalter auf, einen kleinen alten Mann mit sehr großen Ohren, der in einer warmen Jacke mit Pelzkappe und Brille am Fenster saß, und dem er den Schuldschein zeigte. Der Notarius zuckte die Achseln. Er sagte, was schon der Abbate bemerkt hatte: » praedia rusticana nunc parvi pretii sunt«, denn sie sprachen Lateinisch. Für dies Geld, das sein verstorbener Vater geliehen, sagte Avinelli, habe der Oberst Murlacher dem Franzosenkönig ein Regiment zugeführt, das im Mantuanischen Krieg aufgerieben worden sei. »Dann möge er doch die Knochen des Regiments pfänden«, erwiderte der Notar. Das Anwesen des Herrn Jacob Murlacher kenne er ganz genau: im Schlosse hätte er für seine Tochter köstliche Dinge und sicherlich auch Münze und bares Geld gehabt, das die Schweden nun davongetragen. Zweitausend Reichstaler würde er ihm in Erwartung besserer Zeiten für den Schuldschein geben, wenn er ihn zedieren wolle; und morgen schon vielleicht auch das nicht mehr. Seine ungeheuren Ohren bewegten sich unheimlich beim Sprechen.

So viel zu opfern entschloß Avinelli sich nicht und ging aus der verstaubten alten Stube.

Am selben Abend jedoch gewannen ihm der Abbate und ein französischer Herr hundertfünfzig Taler im Spiel ab; und nun blieb ihm keine Wahl: der Notarius erhielt den Schein und Avinelli das Geld, das aus einem sehr geheimen und sicheren Versteck geholt wurde.

Tags darauf wurde er zur Herzogin befohlen; diesmal kam er bereits sicheren Schrittes; dennoch errötete er ein wenig, als er unter den wartenden Damen Frau von Cresnel sah, die ihm gelassen zunickte, als sähe sie ihn eben zum zweiten Male, und sich sogleich wieder dem reichgekleideten Herrn zuwendete, mit dem sie angelegentlich sprach.

Jetzt trat die Herzogin selbst ein und machte all seine Sicherheit zunichte: sie war zu schön und ihr Rang und ihr Auftreten zu groß. Sie sah ihn auch gar nicht, und er mußte fast eine Stunde warten, blaß und rot, weil er sich selbst in Gedanken so verwöhnt hatte und auch seine heimliche Freundin die ganze Zeit nicht nach ihm sah. Leute kamen und gingen, und das Gedränge ward immer größer. Endlich hielt er es nicht mehr aus, trat auf Frau von Cresnel zu, die noch immer mit dem blonden Herrn sprach, der das himmelblaue Ordensband trug, und redete sie an. Mit größtem Erstaunen trat der Kavalier zurück und maß ihn von oben bis unten mit den Blicken. Die Dame lächelte und sagte etwas auf Französisch zu dem Ordengeschmückten, worauf dieser gleichfalls lächelte, während Avinelli, der das Wort Nachsicht verstanden hatte, noch mehr aus der Fassung kam. In diesem Augenblick ward er gerufen: eine der Ehrendamen der Herzogin nahm ihn beiseite und fragte ihn in ihrem Auftrag, ob er seine Verlobung mit dem »Fräulein von Murlach« noch geheimzuhalten und wann und wie er Hochzeit zu machen gedenke. Er erwiderte sogleich: er danke Ihrer Hoheit für die große Ehre, die sie ihm erweise; er wisse von einer Verlobung nichts; er habe dem Vater versprochen, das verlassene Kind in Sicherheit zu bringen; das habe er auch getan, ohne bei ihrer großen Jugend bisher an mehr zu denken; aber er stünde zu der Frau Herzogin Befehl, wenn alles übrige in solchem Falle Nötige und Übliche erwogen sei ...

Die Dame nickte; auf einen Wink der Herzogin hielt sie ihn zurück. Wieder mußte er lange stehen und warten, bis alle anderen gegangen waren. Der große Saal war leer bis auf die Schweizer, die mit ihren Hellebarden an den Türen standen, und er wurde in ein Kabinett am Ende der Galerie gerufen. Die Herzogin saß an einem Tischchen und stützte das Kinn, halb hinhörend, auf die Hand, während die Dame ihr die Worte, die Avinelli vorher gesprochen, wiederholte.

Die Herzogin machte nur eine leise Bewegung und wendete den Kopf noch etwas mehr zur Seite, so daß er den Ausdruck ihrer kindhaften und doch so überlegenen Züge sehen konnte. Um ihren Mund spielte etwas, das nicht einmal ein Lächeln war. Da die Ehrendame ihn dazu aufforderte, äußerte er noch mehrere Bedenken und Besorgnisse, sprach von großen Verlusten und den Nöten der Kriegszeit.

Die Herzogin schwieg noch immer, und er wurde sehr verlegen. Endlich sagte sie mit einem Ton, der ihn bedrückte: »Irrende Ritter pflegen sonst nicht so vorsichtig zu sein.«

Er wußte nichts zu erwidern; er bedachte nur, wie sehr er sich in die Nesseln setzen würde, nachdem er seiner Frau, wenn Florence das würde, selbst einen unerbittlichen Gläubiger geschaffen. Die Herzogin wurde plötzlich sehr rot, es kam wie eine Welle über ihr Gesicht, und sie stand auf. »Gott behüte,« sagte sie, »daß wir Frauen uns einem Manne aufdrängen sollten. Wir werden sehen, wie es sonst mit der Ritterlichkeit in Münster steht. Übrigens, mit leeren Händen kommt die kleine Florence nicht!«

Er war entlassen. Und er begriff nicht, weshalb er so mißmutig durch die Straßen ging, da er doch der Gefahr, die er in diesen Tagen am meisten gefürchtet hatte, entgangen war.

Als er des Abends mit seinen Gesellen saß, sagten sie ihm, und sie sahen ihn dabei an, daß zwei junge Edelleute bei der Herzogin um die Hand des »Findelkindes« – so nannten sie Florence – geworben hätten, und zwar sei der eine, den sie wohl nehmen werde, ein prachtvoller Junge, dazu vom besten Blut, aber arm wie eine Kirchenmaus.

»Die Narren!« sagte Pericliti, während er sein Lorgnon senkte und die Karten auf den Tisch legte.

Avinelli nickte und nahm die Karten auf, die er durch seine Hand gleiten ließ, als sähe er irgend Merkwürdigkeiten an ihren Figuren; aber in seinem Herzen brannten Eifersucht und Scham.

»Der Herzog gibt ihm eine Kompagnie«, sagte einer boshaft.

Avinelli warf die Karten bald wieder hin und stand auf. Der Abbate schob seinen Arm in den eigenen und ging mit ihm ins Freie; aber Avinelli schwieg. Der laue Abend brachte ihm kein Behagen. Eine Karosse fuhr langsam vorüber, in der die Frau von Cresnel neben demselben Kavalier mit dem Ordenskreuz saß, mit dem sie am Morgen so eifrig gesprochen hatte; sie nickte flüchtig zu seinem Gruß; ihr Begleiter dankte überhaupt nicht. Das war für den Gekränkten zuviel; er wendete sich zu dem Abbate zurück und rief: »Jetzt grüßt sie mich nicht, und vor zwei Nächten lag ich noch mit ihr im Bett!«

Die Augen des Abbate wurden groß; sein ganzes Gesicht verzog sich in Neugier und Staunen; noch ungläubig, faßte er des Florentiners Arm und fragte ihn aus, dabei zog er ihn in den Keller hinab zu den anderen, die noch beim Spiel saßen, und da Avinelli das heftige Bedürfnis hatte, sich in ihren Augen wieder zu heben, schilderte er ihnen seine nächtlichen Liebeserlebnisse. Wie wenn süße Milch gerinnen würde, so war es in seiner Seele, als er, was so geheim und wonnig in seiner Erinnerung lag, den frechen Gesellen schamlos und boshaft preisgab. Der Abbate saß grinsend da und fletschte die Zähne wie ein halbbefriedigtes Raubtier; die anderen begannen sogleich mit eigenen Liebesabenteuern zu prahlen. Avinelli aber, der fühlte, daß ihm nicht besser, nur schlimmer zumute geworden, fand die Erzählungen der anderen greulich und rückte von ihnen fort. Da von draußen Musik ertönte, gingen alle, das Fest auf dem Rathause zu sehen, das der Gesandte der Republik Venedig gab.

Die bunten Fenster des Rathauses waren erleuchtet, einige standen offen und ließen das Licht der kerzenhellen Säle herausschimmern. Unten an den Pfeilern loderten mächtige Kienfackeln. Über die Stufen unter den Lauben und vor dem Rathause waren rote Teppiche gelegt und eine Estrade errichtet. Alle fünf Schritte stand ein Hatschier mit blinkendem Helm, auf die Hellebarde mit grüngoldner Troddel gestützt, und hielt die Leute ab. Geputzte Herren und Damen gingen die Treppen hinauf und herab und auf dem Teppich im Licht der farbigen Scheiben spazieren, die auf der roten Wolle ihr buntes Muster flimmernd widerspiegelten, während ringsumher die dichte Menge der Zuschauer stand. Wenn die Musik schwieg, tönte auf dem stillen Platz, über den kein Wagen fuhr, nur das leise festliche Gebrause wandelnder und redender Menschen. Avinelli, der am Rande des roten Teppichs stand, sah Florence in ihrem schwarzen Trauerkleide, ein Goldkettlein umgetan, hübscher und zierlicher als je, von mehreren Herren umgeben, die sich um sie bemühten; die Wangen ihres blassen Gesichts waren leicht gerötet; auf einen schien sie gespannt zu hören. Da sah sie im Fackelschein Avinelli, der im Gedränge nicht von der Stelle konnte. Einen Augenblick schwand die Röte aus ihren Wangen, dann wendete sie sich hochmütig ab, reichte dem schönen Kavalier an ihrer Seite den Arm und kehrte in das Rathaus zurück. Jetzt schollen drei Trompetenstöße, und die Gesandten traten mit ihren Damen auf die Estrade, Avinelli sah die Herzogin, von Juwelen blitzend, am Arm des Venetianers kommen und Platz nehmen, während ihr steifer geschminkter Gemahl, dessen kreischende Stimme er in der plötzlichen Stille hören konnte, die Gräfin von Nassau, die Frau des kaiserlichen Gesandten, führte, und zwischen beiden Paaren der Nunzius in seiner langen violetten Robe, die über den Boden glitt, Platz nahm. An allen Fenstern des Rathauses, sowie auch der anderen Gebäude schräg gegenüber erschienen Männer- und Frauengesichter, die einen im Schatten, andere hell beleuchtet. Von da und dort tönte heiterer Zuruf. In der Mitte des langen Marktes aber blitzten Raketen in die Luft, die in farbigem Feuerregen niederprasselten; Götter und Nymphen mit bunten Gewändern und Straußenfedern stiegen in den Nachthimmel empor und sanken als Asche herab, und zuletzt ein Ritter, der einen flammenspeienden Lindwurm niederstieß, während über dem Rathaus Funkenketten die Worte »Pax! Pax! Pax!« bildeten. Alles Volk, Fremde und Bürger, brach in Freudenschreie der unendlichen Sehnsucht aus, der der Friedensvermittler in Flammenschrift dort oben Ausdruck gab. Avinelli jubelte nicht mit. Während er ohne Freude hinaufsah, fühlte er seine Hand ergriffen und von weichen Fingern innig gedrückt; ein Parfüm, das er kannte, wehte an ihm vorüber; aber als er sich umsah, waren der Duft und die Frau im Gewühl verschwunden. Da begriff er, daß sie ihn nur aus Vorsicht vor den anderen verleugnet hatte, und die glücklichen Nächte noch seiner warteten, er aber nicht mehr wagen durfte, zu ihr hinaufzukommen.

Verzweifelt irrte er vom Platz abseits durch die dunklen Straßen. Am andern Tag ließ er sich beim Nunzius die versprochene Empfehlung nach Köln geben, die er sogleich erhielt. Noch am selben Abend ritt er, den kaiserlichen Kurieren folgend, die eben abgingen, aus den Toren der Stadt Münster, die er verwünschte. Wieder ritt er durch die einsamen westfälischen Straßen, während zerflatternde Bilder der drei schönen Frauen, deren Gunst und Anblick er verloren hatte, in der Abendluft an ihm vorübergaukelten, und er nicht wußte, ob er ein klügerer oder dümmerer Mann geworden war.

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