Paul Ernst
Die Taufe
Paul Ernst

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Zwei Schwestern

Zwei Schwestern sprachen miteinander über einen jungen Mann, mit dem sie befreundet waren. »Nein,« sagte die ältere, »er wäre für dich kein Gatte. Er ist eine heitere, sorglose und kindliche Natur, gibt sich jedem Impuls hin und muß jemanden haben, der ihn bewahrt vor gefährlichen Folgen seines allzu leichten Gemütes –« Die jüngere Schwester fiel ein: »Und nun meinst du, daß du ihn zu einem Pantoffelhelden erziehen willst, zu einem Manne, der sich in allem nach dir richtet und immer auf deine Weisheit hört –« Die ältere lächelte; sie hatte verständige und heitere große braune Augen in einem schönen und gesunden bräunlichen Gesicht; sie sagte: »Sehe ich dir aus wie eine künftige Xantippe?« Die jüngere errötete, sie gehörte zu jenen Menschen mit weißer Hautfarbe und hellen Augen und Haaren, die so leicht und so tief erröten; sie barg ihr Gesicht an der Brust der älteren und lachte. »Du weinst?« fragte mütterlich die Schwester und richtete das reizende Köpfchen in die Höhe; da standen in den Winkeln der geschlossenen Augen ein paar Tränen, plötzlich aber riß sie sich trotzig los, wischte sich mit einem Taschentuch die Tränen ab und lachte wieder. »Das war nur Aprilregen,« tröstete die andere; sie aber stampfte ärgerlich mit dem Füßchen auf dem weichen Teppich und zerrte mit beiden Händen an ihrem Taschentuch. Zuletzt sagte sie: »Er denkt überhaupt an uns beide nicht, wer weiß, welche er liebt.«

Der junge Mann, wir wollen ihn Gustav nennen, dachte allerdings an beide nicht, er machte sich überhaupt nicht viel Gedanken um junge Mädchen. Aber nun fühlte er sich seit einiger Zeit zu Alice hingezogen, so hieß die ältere der beiden Schwestern, er wußte nicht recht, wodurch eigentlich. Durch Zufall kam es, daß er bei Gesellschaften öfters neben ihr saß; das Dinergespräch hatte gleich das erste Mal unvermerkt eine persönliche Wendung genommen, und als er das zweite Mal sie wieder führen durfte, da war es ihm, als sei er gar nicht von ihr getrennt gewesen und könne in der Unterhaltung gleich fortfahren, wo er das vorige Mal aufgehört; er dachte sich auch: »Sie ist mein Genre, dieser heitere Typus mit dieser leichten Fröhlichkeit und Unbefangenheit. Es gibt zwei Arten von Männern; die einen brauchen den mehr mütterlichen Typus des Weibes, das Weib, welches führt; die anderen haben den Typus der Geliebten nötig, welche durch Lachen und Plaudern unsere Erdenschwere zu heben weiß; ich kenne mich, ich habe zu viel Schwere in meinem Wesen, ich brauche den zweiten Typus.« Er dachte über diesen Gedanken nach; als er wieder mit ihr zusammensaß, sprach er mit ihr von seiner Unterscheidung der Frauen; sie stimmte ihm bei, er mußte von seiner Jugend erzählen; er fand, daß seine Jugend sehr schwer gewesen war; dann fiel ihm auf, wie merkwürdig leicht er sich mit Alice verständigte, sie ahnte alles, was er sagen wollte, und antwortete auf Fragen, die er nur gedacht.

So ging er das letzte Mal mit beständigem Denken an sie nach Hause; am Posten vorbei schritt er durch das Tor, dann über den großen, leeren Kasernenhof, der so trostlos hell aussah im Mondschein; als er die Tür zu seinem Flügel öffnete, kam ihm die Kommißluft entgegen; er ging die Treppe hoch, durch den Korridor, wo an den Türen die Visitenkarten der Kameraden angeheftet waren, öffnete seine Tür; der Mond leuchtete in das Zimmer, das ihm sonst immer so behaglich erschienen; es war plötzlich, als sei es tot; mißmutig zog er den Uniformrock aus und warf ihn auf einen Stuhl; der Bursche hatte ihm den Stiefelknecht zuhanden gestellt; diese Vorsorge ärgerte ihn ohne Grund, und sein ganzes Leben erschien ihm plötzlich als ganz trostlos und elend.

So kam es denn, daß er sich mit Alice verlobte, und da keinerlei Schwierigkeiten vorlagen, so wurde der Hochzeitstag in einer nicht zu entfernten Zeit angesetzt.

Die jüngere Schwester, welcher wir den Namen Marie geben wollen, hatte sich in diesen Wochen an einen Verehrer näher angeschlossen, einen jungen Gelehrten, welcher schon lange eine stille und treue Neigung zu haben schien, aber nicht recht seine Gefühle äußern mochte, da er wohl spürte, daß der hübsche, heitere und glänzende junge Offizier ihm im Wege stand. Als man die Verlobung Alicens veröffentlichte, da wurde zugleich auch Mariens Verlobung bekannt gemacht, und auch ihre Hochzeit wurde auf denselben Tag mit Alicens Hochzeit festgesetzt.

Nun lebten die beiden Schwestern glücklich und zufrieden, eine jede mit ihrem Gatten, in ihrem Haushalt; fast gleichzeitig kam in jeder Familie ein Kind an, und zwar waren es zur größten Freude aller zwei Knaben. Die Mütter besuchten sich, hielten die Kinder nebeneinander und verglichen sie, sie nährten selber, mit glücklichem Stolz schaute jede der Schwestern auf das Kind an ihrer Brust, welches ruhig und still saugte, gerührt und glücklich sahen sie einander in die Augen, Marie reichte der Schwester die Hand, und ihnen beiden kamen die Tränen der Freude. So nahmen die Knaben denn zu, das Rückgrat stärkte sich und sie konnten sitzen; nun bekamen sie bald andere Nahrung bereitet; oft saßen die Schwestern an einem Tisch, jede ein Schälchen vor sich, ein Löffelchen in der Hand, das Kind auf dem Schoß, ihm mit der Linken die Händchen festhaltend, damit es nicht in das Schälchen patschte; dann machten die Kinder die ersten Schritte, vorsichtig, mißtrauisch und ängstlich, sich am Finger der Mutter festhaltend; und so ging nun alles mit ihnen weiter.

An einem Tage aber kam Marie zu ihrer Schwester gefahren, allein, ohne das Kind. Mit blassem, entschlossenem Gesicht setzte sie sich in ihren Stuhl, in aufrechter Haltung, den Hut auf dem Kopf.

»Ich komme in einer Gewissensangelegenheit,« sagte sie.

»Was ist mit meinem Mann?« fragte Alice erschreckt.

»Du machst ihn unglücklich,« rief Marie ihr entgegen.

Alice senkte das Haupt, damit die Schwester ihren Gesichtsausdruck nicht sehen könne, und schwieg. Marie fuhr fort und beklagte sich bitter über sie: die Frau müsse den Mann verstehen, zu dem Zweck müsse sie selber eine Persönlichkeit sein; aber Alice sei nur ein Spielzeug, sie könne ihren Gatten nicht höher führen; der Mann spüre es genau, wenn die Frau einen Mangel im Menschlichen habe, aber er spüre es erst, wenn der Rausch vorüber sei; dieser Rausch sei das große Unglück des Mannes; die Frauen seien viel klarer in ihrem Urteil wie die Männer, denn über sie habe der Rausch keine Gewalt; aber sie seien zu unerfahren; und erst jetzt, wo sie das Leben kenne, sehe sie, Marie, deutlich, wo in ihrer und ihrer Schwester Ehe die Ursache des Unglücks liege. Und als sie das gesagt hatte, zog sie ihr seines Spitzentaschentuch vor und begann heftig zu weinen.

Alice sah sie mit ernstem Gesicht an und erwiderte, ein jeder Mensch müsse eben die Last tragen, welche das Schicksal ihm aufgelegt. Dann fragte sie, wie die Schwester ihren Gatten gefunden habe in der letzten Zeit, ob er vielleicht bedrückt sei. Marie antwortete, sie sei noch gestern abend mit ihm zusammengewesen in einer Gesellschaft; Alice hatte wegen eines leichten Unwohlseins das Zimmer hüten müssen, Gustav aber hatte nicht für sich absagen mögen, da die Wirte durch ihre vortrefflichen Diners berühmt waren; und nun hatte er mit seiner Schwägerin stundenlang allein im Wintergarten gesessen; Marie wurde über und über rot, als sie erzählte, ärgerte sich und sagte: »Dieses Erröten ohne jeden Grund muß ich mir doch endlich abgewöhnen.« Dann nahm sie Abschied, küßte die Schwester auf die Stirn und sagte: »Du hast ja keine Schuld, man weiß eben nicht, wie man zu den Männern sein soll.«

Man behauptet, daß auf Universitäten viele Intrigen vorkommen, und daß ein Professor mindestens so geschickt wie ein Schauspieler seine Kollegen behandeln müsse. Da die Gelehrten von Natur keine besonderen diplomatischen Gaben zu besitzen pflegen, so ergibt sich, daß in dieser Politik der Universitäten die Frauen sehr wichtig sind.

Maries Gatte hatte sich angewöhnt, solche Dinge, welche politischen Scharfsinn erforderten, mit seiner schönen Schwägerin Alice zu besprechen. So besuchte er sie denn auch jetzt wieder, saß an ihrem Teetisch, blickte gespannt durch seine Brillengläser, indessen sie ihm den Tee eingoß, und erzählte ihr ein Vorkommnis, wegen dessen er ihren weiblichen Rat einholen wollte. »Mich wundert, Alice,« sagte er erstaunt, »wie Sie so apodiktisch behaupten können, daß ein Weib dahinter steckt. Ich sehe, offen gestanden, kein einziges Indizium.« Sie antwortete ihm: »Weil es so klug eingefädelt ist.« Er lachte und sagte: »Und diese Klugheit sprechen Sie dem Manne ab?« Sie sah ihn mit einem merkwürdigen Blick an, der ihn betroffen machte, dann sagte sie: »Wenn eine Frau kämpft, dann handelt es sich für sie immer um alles, das sie hat. Der Mann ist reicher, er verteidigt das einzelne Gut nicht so.«

Die jungen Ehepaare pflegten einen Abend in der Woche zusammen zu verbringen, und zwar abwechselnd in dem einen und dem anderen Hause. So befand sich denn Alice mit ihrem Gatten bei ihrer Schwester; man hatte in dem freundlichen kleinen Eßzimmer zu Abend gegessen; und nun war man in das Arbeitszimmer des Hausherrn gegangen, einen großen Raum, der durch Bücherschränke, welche man quer in das Zimmer gestellt, mehrfach geteilt war in behagliche kleine Abteilungen. In der einen Abteilung saß Marie mit Gustav, in der anderen Alice mit dem Gelehrten.

Alice saß zurückgelehnt in ihrem Stuhl, hinter ihr standen ruhig die Reihen der bräunlichen vergoldeten Bücherrücken. Mit einer anmutigen Bewegung ihrer festen und runden Hand strich sie an ihrem dunkelbraunen Haar entlang, in welchem einzelne feine Pünktchen durch das elektrische Licht aufblitzten. Es war zwischen ihr und dem Schwager wie ein Strom. Die beiden anderen nebenan sprachen viel und leidenschaftlich miteinander; in einer Pause ihres Gespräches hörten sie Alice sprechen; nicht jedes Wort verstanden sie, aber sie verstanden:

»Es ist eine Selbsttäuschung, wenn wir uns danach sehnen, verstanden zu werden. Es ist ja gar nichts zu verstehen an uns, als daß naturgemäß jeder Mensch sich selber als das wichtigste Wesen erscheint, das es gibt. Ich habe ja früher auch wohl solche Gedanken gehabt; aber mein Gatte hat mir über sie fortgeholfen. Von ihm habe ich gelernt, daß wir einfach unser bißchen Pflicht erfüllen sollen, dann erscheinen wir uns nicht mehr so wichtig.«

Der Gelehrte sprach etwas, das man nicht verstand. Dann aber hörte man wieder Alices glockenklare Stimme: »Sie haben recht, er hat es nicht leicht bei seiner Veranlagung; er ist auf keine Weise zu beeinflussen, er hört auf niemanden.«

Gustav sah auf seine Uhr und sprach zu Marie, in einem ganz anderen Ton, wie er vorhin gesprochen: »Es wird Zeit zum Aufbruch.«


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