Paul Ernst
Die Taufe
Paul Ernst

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Die Scheinehe

Kurz vor dem Kriege war ein Fräulein v. M., welche Kunstgeschichte studiert hatte, nach Spanien gereist, um eine Anzahl Werke des Greco genauer zu untersuchen, über welche sie ihre Doktordissertation schreiben wollte. Sie durchforschte Museen und Sammlungen, Kirchen und Klöster, und mit großem Eifer und bei scharfer Kritik sammelte sie eine große Menge von Aufzeichnungen, die sie nun zu Hause durchzuarbeiten gedachte. Sie wollte von Lissabon aus mit einem deutschen Lloyddampfer zurückfahren, hatte sich rechtzeitig einen Platz erster Kajüte belegt und kam zwei Tage vor der Abfahrt des Schiffes in Lissabon an, denn zwei Tage dachte sie zu verwenden, um Lissabon noch gründlich zu beschauen und so auch bei der Rückkehr so viel Nutzen wie möglich für ihre geistige Ausbildung von dieser Reise zu haben.

Als sie im Gasthof ihre Rechnung bezahlt und jedem Dienstboten das ihm zukommende Trinkgeld gegeben hatte, und eben der Oberkellner einen reich uniformierten Laufjungen schickte, um eine Droschke zu holen, kam die Nachricht von der Kriegserklärung. Erschüttert stieg sie in ihren Wagen, der Oberkellner verbeugte sich tief, schloß den Schlag, schlug die Serviette unter den linken Arm und sah dann unbeteiligt aus; sie prüfte sich im stillen, ob sie immer ihre Pflicht getan habe, beschloß sich gleich zur Pflegerin ausbilden zu lassen, ging im Geist die ihr bekannten Anstalten durch, bei denen das möglich war, und entschied sich für eine; und so war sie schon wieder in einer gefaßten Gemütsstimmung, als sie nun ihr Schiff betrat.

Hier sagte ihr der Kapitän, daß er nicht fahren könne, denn es sei doch ungewiß, ob sich England nicht am Kriege beteiligen werde, und so wolle er sein Schiff lieber erst im sicheren neutralen Hafen behalten. Andere Fahrgäste stellten sich ein; die Lage wurde besprochen, und Fräulein v. M. erfuhr zu ihrem Erstaunen, daß sie selber Gefahren ausgesetzt sei; denn wenn England wirklich an Deutschland den Krieg erkläre und sie dann etwa auf einem neutralen Schiff nach Holland fahren wolle, so könne sie erwarten, daß die Engländer das Schiff durchsuchen und sie selber wie jeden anderen deutschen Reichsangehörigen gefangennehmen und in ihre Konzentrationslager bringen würden, um sie dort vielleicht langsam durch Entbehrungen und Krankheiten sterben zu lassen. Sie sagte, daß sie ein junges Mädchen sei, und daß gesittete Völker, wie die Engländer sind, doch gegen Frauen nicht Krieg führen, daß sie sich wegen wissenschaftlicher Arbeiten in Spanien aufgehalten habe, und daß die Wissenschaft von allen Völkern auch im Kriege geschätzt werde; die Leute zuckten die Achseln, einige lächelten über den Ernst, mit welchem das hübsche junge Mädchen über die Wissenschaft sprach, und ein älterer Herr, ein Schweizer, der viel gereist war, setzte ihr auseinander, wie verschieden die englische Auffassung in diesen Dingen von der deutschen ist. Sie verließ die Gesellschaft, setzte sich in den leeren Speisesaal und begann aus tiefem Herzen zu weinen, und dachte seufzend an ihre Mutter und an ihr sicheres Stübchen zu Hause.

Indessen nun alle auf die weiteren Ereignisse warteten, wurde mancherlei gesprochen, auf welche Weise man sicher in die Heimat gelangen könne, Geschichten wurden erzählt aus früheren Kriegen, Vorschläge wurden gemacht und Einfälle jeder Art tauchten auf. Die englische Kriegserklärung kam, ein brasilianischer Dampfer, der freilich recht verräuchert aussah, wollte Lissabon verlassen und nach Genua fahren; er hatte Kaffee und Häute an Bord und konnte noch einige Fahrgäste mitnehmen. Fräulein v. M. faßte sich ein Herz, bat den alten schweizerischen Herrn um eine geheime Unterredung und stellte ihm vor, daß sie gehört habe, es sei das Sicherste, wenn sie sich einem Herrn aus einem neutralen Staat anschließe, der sie für seine Gattin ausgebe; und nun bitte sie ihn von Herzen um die Gefälligkeit, mit dem Brasilianer zu fahren und sie mitzunehmen; sie werde ihm keinerlei Mühe machen und verspreche ihm auch, sich so mutig zu betragen, daß er nicht in Unannehmlichkeiten geraten solle. Der alte Herr wurde sehr verlegen und erwiderte, sie rede ja nicht schweizerisch und das werde Mißtrauen erzeugen; aber sie sagte, daß ihre Mutter eine Bernerin sei, und daß sie so viel von deren Sprache verstehe, um einen Engländer zu täuschen. Er wischte sich mit dem Taschentuch über das Gesicht und stotterte, daß die Engländer sehr mißtrauisch seien, aber sie merkte nichts und antwortete ihm in ganz geläufigem Bernerdütsch, er möge sich selber überzeugen, ob man Zweifel haben werde. Er erwiderte beflissen und höflich, daß er sich gewiß falsch ausgedrückt habe, er habe nie gezweifelt, daß das gnädige Fräulein vorzüglich spreche, und plötzlich setzte er unvermittelt hinzu: »Sie sind sehr schön, mein gnädiges Fräulein, und Sie sind sehr jung.« Hier wurde Fräulein v. M. nun rot und schwieg; der gute alte Herr aber, welcher sah, daß sie ihn mißverstanden, nahm väterlich ihre beiden Hände, sah ihr ernsthaft ins Gesicht und sagte: »Es gibt so Verhältnisse im menschlichen Leben,« dann faßte er sich Mut, räusperte sich und fuhr fort: »Meine Frau ist nämlich eine ausgezeichnete Frau, sie hat den edelsten Charakter von der Welt,« und indem er wieder verlegen wurde, schloß er: »Nehmen Sie es mir nicht übel, meine Frau ist nämlich eifersüchtig.« Der alte Herr trug eine Perücke und war nur ein kleines Männchen und sah gar nicht so aus, daß eine Frau auf ihn eifersüchtig werden konnte, und so mußte denn Fräulein v. M., so schwer ihr auch zumute war, laut lachen über seine Worte. Er nahm ihr das aber gar nicht übel und sagte: »Nicht wahr, das ist doch lächerlich!« Fräulein v. M. aber, so plötzlich aus ihrem Kummer in Heiterkeit versetzt, und fühlend, wie unschicklich sie sich benahm, konnte des Lachens kein Ende finden, setzte sich auf eine Bank, neben der sie standen, und ging dann so allmählich vom Lachen in Weinen über. Hierdurch wurde der alte Herr wieder derart betroffen, daß er ihr vorschlug, er wolle mit ihr zum schweizerischen Konsul gehen; vielleicht wisse der einen Landsmann, der ihr in der Verlegenheit aushelfen könne. Dieses Anerbieten nahm sie dankend und sich die Tränen trocknend an, und so gingen denn nun die beiden zum schweizerischen Konsul.

Im Vorzimmer des Konsuls trafen sie einen jungen Mann, der eine große Erbitterung auf den Deutschen Kaiser zur Schau trug. Es stellte sich heraus, daß er Kellner war und eine gute Anstellung auf einem großen englischen Dampfer gehabt hatte; er sprach über die Trinkgeldersitten der Engländer und erzählte, er habe es immer verstanden, gute Trinkgelder zu machen; nun habe man ihn entlassen, weil er ein deutscher Schweizer sei, und das habe er eben dem Deutschen Kaiser zu verdanken, weil der die Engländer hasse. Er wollte jetzt nach Hause reisen, denn gegenwärtig sei nirgends in der Welt ein Geschäft zu machen, Handel und Wandel werde lange Zeit darniederliegen, und die Hotelbranche müsse, wie immer, die Zeche zahlen. Mit diesem jungen Mann sprach nun der Herr, stellte ihm die Lage des Fräuleins vor; der junge Mann nickte besonnen; er setzte ihm auseinander, wie er der jungen Dame behilflich sein könne; der junge Mann machte sehr große Augen, wendete schüchtern ein, daß er doch nicht den Stand habe, um solche Ansprüche zu machen, wenn schon er ein gebildeter Mann sei und die Welt kenne; der alte Herr erklärte ihm alles genauer, und der Kellner schnitt ihm endlich das Wort ab, indem er erklärte: »Das ist meine Pflicht, mein Herr.« Fräulein v. M. dankte ihm und reichte ihm die Hand, er verbeugte sich mehrmals und wiederholte: »ganz auf meiner Seite.« Der alte Herr gab ihm in ihrem Auftrag das Geld für die Fahrt erster Klasse, und nun wurde alles verabredet, wie die beiden auf das Schiff kommen sollten, und was sie dem Kapitän sagten, und alles Weitere. Der alte Herr und das Fräulein gingen, und der gute Kellner schaute ihnen aus dem Fenster lange nach, dann nahm er einen kleinen runden Spiegel aus der Westentasche und sah sich besorgt einige Blüten an, die er im Gesicht hatte.

Fräulein v. M. machte auf dem brasilianischen Schiff, nachdem der alte Herr mit erleichtertem Herzen sich von ihr verabschiedet hatte, durch den Kapitän die Bekanntschaft eines anderen jungen schweizerischen Ehepaares; man beschloß, daß die beiden Damen und die beiden Herren je zusammen eine Kajüte bekommen sollten, der Herr stellte sich als Privatdozent für Kunstgeschichte heraus, den Fräulein v. M. schon längst wegen seiner Arbeiten hoch geschätzt hatte; über die Gattin war sie recht enttäuscht, sie schien ihr etwas gewöhnlich. Als alles eingeräumt war, erschien der Scheingatte von Fräulein v. M. – wir müssen jetzt auch seinen Namen nennen, er hieß Meyer –, wurde mit den anderen Herrschaften bekannt gemacht, reichte seiner Gattin mit einer eleganten Verbeugung einen großen Blumenstrauß, den sie tief errötend annahm, und wendete sich dann seinem Gepäck zu, das aus einer sehr eleganten ledernen Handtasche und einem großen Weidenkorb mit wachstuchbezogenem Deckel bestand.

Als Fräulein v. M. die Treppe hinunterging, um ihren Strauß in ihrer Kajüte aufzustellen, sah sie im Vorbeigehen ihren Scheingatten bei seinem Weidenkorb beschäftigt. Ein leichtes Gefühl der Beschämung überkam sie, daß sie seine gutgemeinte Freundlichkeit so steif erwidert hatte, sie trat auf ihn zu und fragte, ob er auch gut untergebracht sei, ob sie etwas für ihn tun könne; sie begann, indem sie ihn mit »Sie« anredete, aber wie andere Fahrgäste durchkamen, fuhr sie verlegen fort, indem sie »Du« zu ihm sagte. Er sah ihr aufmerksam in die Augen mit etwas geneigtem Kopf, wie er sonst wohl Bestellungen in Empfang nehmen mochte, lobte die Einrichtung der Kajüte sehr, denn er war früher immer nur im Zwischendeck gefahren, und sagte, daß die Welt fortschreite. Dann nahm er eine Photographie aus seinem Korb und zeigte sie ihr. Sie stellte ihn selber dar, wie er in Frack und weißer Weste, die Linke in die Hüfte gestemmt und in der Rechten den Zylinder, vor der großen Pyramide stand; er war eine Saison lang in Kairo in Stellung gewesen und hatte einen Ausflug nach den Pyramiden gemacht, weil der Oberkellner ihm gesagt hatte, die müsse man gesehen haben, wenn man in Kairo gewesen sei; und es war auch wirklich ein großartiger Anblick gewesen, wenn man bedachte, was für Unsummen in diesen nutzlosen Gebäuden steckten, die jetzt freilich den Fremdenverkehr anzogen und insofern sich heute ja wohl verzinsen mochten. Fräulein v. M. erzählte, sie habe auch schon lange gewünscht, Ägypten kennen zu lernen, und Meyer erwiderte nachlässig, indem er seine Kellnerschuhe abwischte: »Ja, unsereins sieht die Welt und lernt Menschen kennen.«

Die Gattin des Privatdozenten mißfiel Fräulein v. M. immer mehr. Sie hatte eine Art, breitbeinig zu sitzen und sich auf die Schenkel zu schlagen, daß man denken konnte, man habe eine Köchin vor sich. Ihre Unterhaltung war von vollendeter Trivialität; von Kunst hatte sie keine Ahnung; während ihr Gatte in den Museen gewesen war, hatte sie mit anderen Frauen zusammengesessen und hatte sich etwas erzählt; »immer von den Herrschaften; das habe ich mir nicht träumen lassen, daß ich auch einmal eine Herrschaft werden würde,« fügte sie hinzu. Fräulein v. M. hatte genug gehört; nur den tiefsten Widerwillen konnte sie gegen einen Mann fühlen, der aus gemeiner Sinnlichkeit oder vielleicht auch aus Geldgier eine Lebensgefährtin wählen konnte, die ihm seelisch doch gar nichts zu bieten hatte. Freilich sah man ihm an, daß er sich nicht glücklich fühlte; eine beständige Traurigkeit lag auf seinem Gesicht, das im übrigen edel geschnitten war. Sie versuchte mehrmals, das Gespräch mit ihm auf die Gebiete zu leiten, wo er gearbeitet hatte; er sah sie dann immer sonderbar an und antwortete einsilbig.

Meyer hatte sich vor der Abreise noch eine seine Haarpomade gekauft; er erzählte ihr, sonst habe er für die Schachtel immer nur einen Franken gegeben, diesmal habe er eine für drei Franken genommen. »Das ist auch ein Artikel, an dem verdient wird,« schloß er. Und man roch die teure Pomade. Es ging nicht anders, sie mußte oft mit ihm untergefaßt auf Deck gehen, und da hatte sie dann den Geruch ganz nahe; einmal ging sie so mit Meyer an dem Doktor vorbei, der seine Gattin untergefaßt hatte, und sah, wie er ein Lächeln unterdrückte; er hatte gewiß die Pomade gerochen. Sie biß sich auf die Lippen; nun, schließlich war Meyer ja nicht ihr Mann, was der Doktor freilich nicht wissen konnte, und immerhin war er doch nicht unmöglicher, wie die Gattin des Doktors.

Vor Gibraltar kamen die englischen Offiziere an Bord, welche die Untersuchung führten. Meyer wurde ängstlich und beanspruchte, getröstet zu werden; er stellte sich vor, daß ihn die Engländer zu Gefängnis verurteilen würden, wenn der Betrug herauskomme, und beteuerte ihr, er habe niemals bis nun in seinem Leben eine unreelle Handlung begangen, und habe jetzt doch eigentlich nichts, als daß er erster Kajüte fahre statt Zwischendeck, wo das Essen ja wohl besser sei und auch seine Gesellschaft, aber er nutze doch auch seine guten Anzüge ab. Wenige Schritte entfernt sah sie den Doktor mit einem Engländer unterhandeln, der ein Papier in der Hand hielt und unschlüssig schien; der Doktor runzelte die Stirn und schien etwas Energisches zu sagen, denn der Engländer faltete das Papier und gab es ihm, wie es schien, mit einer Entschuldigung zurück. Fräulein v. M. stampfte mit dem Fuß auf und herrschte Meyer an: »Schämen Sie sich!« Er wurde verdutzt; sie nahm ihm seinen Heimatschein aus der Hand und gab ihn dem Offizier, der grüßend zu ihnen trat, indem sie auf englisch sagte, ihr Mann könne sich nicht englisch verständigen. »Als Kellner?« fragte argwöhnisch der Engländer, indem er sie beide ansah. Der Doktor trat zu ihnen und erwiderte für die Bestürzte, sein Landsmann sei schwerhörig. Meyer in seiner Angst starrte den Offizier sinnlos an, so daß dieser – er war wohl nicht sehr scharfsinnig – trotz der Unwahrscheinlichkeit eines schwerhörigen Kellners glaubte, er habe in der Tat nichts von allem verstanden; er prüfte den Heimatschein, brüllte ihm ins Ohr, es sei gut, und gab den Schein an Fräulein v. M. zurück.

Zum großen Glück wurde das Schiff nicht noch ein zweites Mal angehalten; der Doktor aber suchte seit diesem Vorfall ganz auffällig die Gesellschaft Fräuleins v. M., so daß sogar seine Gattin Bemerkungen darüber machte und ihr endlich lachend sagte: »Mein Mann ist in Sie verschossen.« Man kann sich denken, daß sie zurückhaltender wurde; aber sie hatte einen schweren Stand, denn Meyer schien doch einzusehen, daß er sich nicht recht mutig benommen hatte, schämte sich und hielt sich meistens auf entlegenen Teilen des Schiffes, wo er sich nach allen möglichen Dingen erkundigte bei den Leuten, mit denen er sich verständigen konnte: nach den Preisen von allerhand Waren, nach den fliegenden Fischen, nach dem Unterschied zwischen den Mohammedanern und Heiden und Ähnlichem.

So kam man nach Marseille, wo das Schiff zwei Tage lang blieb. Fräulein v. M. wagte nicht an Land zu gehen; Meyer aber erklärte, er wolle sich bilden, die Schweiz sei ein Land ohne Militarismus, und er habe auch einen Vetter in Marseille wohnen, der dort Hausdiener in einem großen Geschäft sei und viel verdiene, und so ging er denn am frühen Morgen in die Stadt. Er kehrte aber bald zurück; es stellte sich heraus, daß er nur eine Gelegenheit gesucht hatte, um für Fräulein v. M. ein Geschenk einzukaufen; und so kam er denn mit einem kleinen Hund auf dem Arm an, der, wie der Verkäufer behauptet hatte, einmal ein Mops werden würde. Er brachte ihn zu Fräulein v. M. und sagte, er wisse wohl, baß er sich bei der Durchsicht des Schiffes nicht richtig benommen habe, aber er habe so große Angst gehabt; und nun bringe er ihr das Hündchen zum Geschenk und bitte sie, sein Benehmen zu vergessen. Fräulein v. M. dankte ihm für seine freundschaftliche Gesinnung und nahm das Tierchen an.

Nun muß man wissen, daß die Gattin des Privatdozenten schon seit lange die beiden beobachtet und als verständige Person ihre Schlüsse gezogen hatte. Sie war nämlich eigentlich eine Wiener Köchin, die in Lissabon in einem Hotel eine gute Stellung gehabt hatte und von ihrem Herrn entlassen war, weil der sich vor den Engländern fürchtete; der gutmütige Privatdozent hatte sie in derselben Weise mitgenommen, wie der Kellner Fräulein v. M. Die Köchin fand, daß der Kellner ja wohl noch etwas jung war, aber doch den Eindruck eines ordentlichen und fleißigen Mannes machte. Sie hatte sich eine schöne Summe gespart und schon immer den Plan gehabt, wenn sie einen tüchtigen Menschen finde, den zu heiraten und mit ihm am Vierwaldstätter See eine Pension zu eröffnen; sie kannte die Verhältnisse am Vierwaldstätter See genau, denn sie hatte lange Zeit in einer solchen Pension dort gekocht. So begann sie denn nun, den guten jungen Mann darauf aufmerksam zu machen, daß seine Liebe zu Fräulein v. M. nicht erwidert wurde, indem sie mit weiblicher Taktik zuerst sein feines Benehmen und seine Bildung lobte und ihn dann tief beklagte, daß die Dame – sie sagte ihm gleich, daß er sich nur aus Gefälligkeit für ihren Mann ausgebe – vielzuwenig Verstand habe, um überhaupt einsehen zu können, was sie an ihm besitzen würde; aber das sei nun einmal so bei den Männern, und vielleicht sei das ein Glück für sie, daß sie nicht merkten, wenn sie von einer Frau schlecht behandelt wurden; sie aber habe sich nicht enthalten können, zu weinen, wenn sie so etwas sehe. Man kann sich vorstellen, daß dem guten Kellner ganz warm ums Herz wurde bei solchen Reden; und weil die Köchin nicht mehr ganz jung war, so hatte er kein Arg und ging von Herzen auf alle ihre schönen Gespräche ein.

Fräulein v. M. hatte das Hündchen mit recht gemischten Gefühlen angenommen. Eigentlich waren ihr Hunde unangenehm, und sie wußte auch nicht recht, was sie mit dem Tierchen anfangen sollte, das ungeschickt breitbeinig vor ihr stand, irgend etwas erwartete, das dem Verstand eines jungen Hundes entsprechen mochte, und sie mit einem dünnen Stimmchen anbellte. Sie tröstete sich mit dem Gedanken, daß das Schiff ja nun bald in Genua sein werde, wo sie ihren Beschützer verlassen könne; so lange mußte sie aber das Tierchen behalten, denn sie wollte ja doch den guten Menschen nicht kränken.

An einem der letzten Abende stand sie mit dem Doktor oben auf dem Schiff und sah der untergehenden Sonne zu. Ihr Scheingatte, durch die Verehrung der anderen Dame in seinem Selbstbewußtsein gestärkt, trat zu ihnen und begann ein Gespräch, indem er auf die verschiedenen Tinten des Himmels hinwies, auf das Poetische kam und endlich erzählte, daß die Herrschaften sich den Sonnenuntergang immer gern ansehen. Nachdem er eine Weile geredet, merkte er, daß die beiden anderen nichts sagten, und da wollte er denn nicht stören, grüßte und empfahl sich. Fräulein v. M. hatte ein Gefühl, daß sie sich vor dem Doktor entschuldigen mußte. Sie faßte sich ein Herz und sagte ihm, er habe gewiß eine merkwürdige Vorstellung von ihr gefaßt; aber sie müßte ihm anvertrauen, daß der junge Mann gar nicht ihr Gatte sei; sie habe ihn sehr gern, denn er sei ein guter und anständiger Mensch, und es bedrücke sie eigentlich, daß sie sich jetzt seinetwegen entschuldige, denn sie sei ihm doch zum größten Dank verpflichtet; und nun erzählte sie dem Privatdozenten alles, von dem alten Herrn und dem Konsulat und der Scheinehe; dem Leser aber wird jetzt wohl schon klar werden, daß sie dem Doktor nicht ganz kalt gegenüberstand, denn sonst hätte sie zum wenigsten nicht so ausführlich erzählt und hätte nur kurz gesagt, daß der junge Mann sich ihrer wegen der Engländer freundlich angenommen habe. Der Doktor seinerseits sagte, er habe zuerst geglaubt, daß sie die Gattin Meyers sei, und deshalb sei er so zurückhaltend gegen sie gewesen; erst seit dem Abenteuer bei Gibraltar habe er die Vermutung gehabt, daß ihre Ehe eine Täuschung sei. Sie aber erzählte anmutig und heiter, und die Vertraulichkeit zwischen den beiden wurde größer durch ihre Art. So kam sie denn auch endlich auf ihre Untersuchungen über den Greco, denn es hatte ihr schon lange auf der Zunge gebrannt, ihm davon Genaueres zu erzählen, und zuletzt verließ sie ihn, um ihre Aufzeichnungen und Photographien zu holen und ihm im Lesesaal zu zeigen.

Der Privatdozent erwartete sie im Lesesaal; er sagte sich, es sei doch merkwürdig anziehend, wenn man über Dinge, welche man treibt, mit einem schönen Mädchen spricht, denn es erscheint dann plötzlich alles anders. Er stellte auch noch ähnliche andere tiefsinnige Betrachtungen an und wunderte sich endlich, daß das Fräulein so lange ausblieb. So ging er denn zuletzt beunruhigt die Treppe hinunter und in den Gang zwischen den Kajüten. Da sah er sie durch ihre offene Tür verzweifelt auf ihrem Bett sitzen, das weinende Gesicht in den Händen, einen Stoß zerfetzter Papiere auf dem Boden vor sich und auf ihnen den kleinen Hund, welcher mit seinem zarten Stimmchen sie wütend anbellte. Der Hund hatte sich an ihre Aufzeichnungen gemacht und hatte sie zerfetzt.

Die Situation ist günstig für eine Liebesszene: die beiden sind allein unten im Schiff; das Fräulein ist trostbedürftig; die Erklärung, daß auch er nicht verheiratet ist, macht keine Schwierigkeiten, und nur eine gewisse Beschämung wegen des guten Kellners hindert noch, daß sich Fräulein v. M. als Verlobte des Privatdozenten fühlt. Es war ihr ja klar, daß der arme Mann eine Neigung für sie hatte, und nun widerstrebte ihr, ihn so schwer zu enttäuschen, daß sie sich vor seinen Augen einem andern versprach.

Ihre Kajütennachbarin indessen hatte einen sehr guten und praktischen Menschenverstand. Sie merkte gleich, was geschehen war, und, mag es nun Instinkt oder Überlegung sein, beschloß die Gelegenheit zu einem Sturm auf das Herz ihres Geliebten zu ergreifen.

Es war später Abend, die Sterne funkelten, das Schiff glitt leise durch die Wellen, und sie saß mit ihm allein auf einer Rolle Seile. Das Gespräch kam auf den Vierwaldstätter See und die Pensionen, die es in den Ortschaften am See gibt; sie erzählte, daß sie mit dem Doktor nicht verheiratet sei, und der junge Mann hatte das längst gemerkt; man sprach davon, daß die Herrschaften vielleicht dreitausend Franken borgen würden, die man sicherstellen könnte, und die Köchin versicherte, daß das Fräulein sehr reich sei, das habe sie gemerkt; er spürte, daß sie dicht neben ihm saß, und als er, wie zufällig, seine Hand auf ihre legte, fühlte er keinen Widerstand; sie erzählte ihm, daß die beiden Herrschaften sich heiraten wollten, und fand, daß sie gut zueinander paßten; dabei schien es ihm, als dränge sie sich an ihn; er legte den Arm um sie, und so kam es denn, daß er sie küßte, es war ihm nicht so ganz klar, wie ihr Mund mit einemmal vor seinem war. Nun, kurz und gut, sie trennten sich spät, und als die Köchin in der Kajüte war und Fräulein v. M. noch wach fand, da erzählte sie ihr gleich alles, und vergaß auch nicht, eine Andeutung wegen der dreitausend Franken zu machen; das Fräulein war zwar nicht so reich, wie die Köchin meinte, denn sie war eine Offizierstochter, aber sie freute sich doch, daß sie sich dankbar erweisen konnte, und so versprach sie denn das Darlehen; und so endete die Reise, die in Kümmernis und Sorge begonnen war, in Heiterkeit und mit zwei Verlobungen.


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