Paul Ernst
Die Taufe
Paul Ernst

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Die Freier der Witwe

Eine vornehme Witwe lebte mit ihrem einzigen Kinde, einem Sohn von achtzehn Jahren, gegen Mitte des achtzehnten Jahrhunderts in Paris in einem stillen und großen alten Hause des adeligen Viertels. Ihr Gatte war ihr einige Monate nach der Verheiratung, noch vor der Geburt des Knaben, durch ein Duell entrissen, in das ihn ein galantes Abenteuer mit einer verheirateten Frau verwickelt; die junge Frau, welche kaum eben aus den Klostermauern gekommen war und bis dahin nichts von den leichtfertigen Sitten der Zeit wußte, erschrak auf das tiefste vor dem Abgrund von Verworfenheit, in welchen sie bei dem Tode ihres Gatten sah; sie dankte ihre ganze Dienerschaft ab bis auf zwei alte Leute, welche noch aus ihrem elterlichen Hause auf dem Lande stammten, nahm einen gelehrten alten Abbé zu sich für die Erziehung des Kindes, und hielt sich in ihrem großen Hause eingeschlossen, wie in ihrem Kloster, indessen auf der Straße vor dem eisenbeschlagenen schwarzen Tor vergoldete Equipagen vorbeirollten, buntbemalte Sänften getragen wurden, hübsche Mädchen auf dem Trottoir trippelten und bramarbasierende Offiziere ihre Säbel auf dem Pflaster klirrend nachschleppten; denn in dieser vornehmen Gegend gab es damals bereits einige Straßen, welche wenigstens einen gepflasterten Bürgersteig hatten.

So wuchs der junge Vicomte in Ruhe, edler Gesinnung und gründlicher Bildung heran.

Nun hatte die Mutter beschlossen, ihr Bild von einem guten Maler malen zu lassen, damit es, in der Reihe der Vorfahren neben dem jugendlichen Bilde des verstorbenen Gemahls hängend, einstens eine Erinnerung für die Nachkommen sein könne. Der Künstler kam, suchte sich einen geeigneten Saal, spannte die Leinwand auf und machte sich an die Arbeit; er beendete bald die Sitzungen und nahm dann das halb vollendete Bild nach Hause in seine Werkstätte, um es dort ganz fertigzustellen. Der junge Vicomte hatte an dem heitern und gesprächigen Mann viel Vergnügen gefunden, und nach einigem Zögern erlaubte ihm die Mutter, ihn in seiner Werkstätte zu besuchen, um die Arbeit an dem Bilde zu verfolgen.

Dieser Maler hatte eine sehr schöne Frau, welche zuweilen in die Werkstätte kam, besonders wenn vornehme Kunden anwesend waren, denn es geschah oft, daß ein Herr ein Bild kaufte oder bestellte, wenn er sie gesehen und mit ihr gesprochen hatte; um es etwas deutlicher zu sagen, die schöne Frau war nicht allzu spröde, und der Gatte nicht allzu neugierig, und beide standen sich nicht schlecht bei diesen Vorzügen. Sie war selber gleichfalls Malerin, und viele hübsche Miniaturporträts, die man damals gern in Brillanten einrahmte und als zärtliche Andenken verschenkte, kamen von ihrer Hand.

Der junge Vicomte lernte die reizende und zierliche Frau, die kaum älter war wie er selber, bald kennen. Ein heiteres Chanson singend, kam sie das erste Mal tänzelnd in die Werkstatt, um dem Gatten ein neues Kleid zu zeigen, das aus lauter duftigen Spitzenvolants zu bestehen schien; mit zierlichen Schritten drehte und wendete sie sich, sie kreuzte die Arme und ging mit ernsthafter Miene, breitete die Arme zärtlich nach vorn und ihre Augen drückten ein schmachtendes Verlangen aus, floh schalkhaft, als der Gatte sich ihr nähern wollte, versteckte sich hinter dem fassungslosen jungen Vicomte, und lief dann kichernd wieder aus der Tür. Das nächste Mal traf er sie in schlichtem, braunem Kleid, mit sauberen weißen Überärmeln, vor ihrem Maltisch, an einer Miniatur arbeitend, mit dünnen Pinseln aus kleinen Näpfchen die Farbe nehmend und die zierlichen Lippen eifrig spitzend. Er sagte ihr, es sei ihm so merkwürdig, auch wenn ihr ganzes Gesicht ernsthaft sei, so lachten ihre Augen, sie sei gewiß ein Mensch, der nie Böses getan habe. Zu Hause hatte er eine Sparbüchse, in welcher er seit Jahren alle Geschenke von Livres, Talern und Goldstücken aufhob, die er von seiner Mutter bekam, oder wenn einmal eine Tante oder ein Oheim aus der Provinz zu Besuch kam. Die schloß er jetzt auf und überzählte sie, trotzdem er genau wußte, wie viel sie enthielt; dann fragte er den Maler ganz wie zufällig, welchen Preis seine Gattin auf ihre kleinen Kunstwerke gesetzt habe, und als er ihn erfahren und gefunden, daß er ihn sehr gut bezahlen konnte, ohne daß seiner Mutter, welche die Sparbüchse zuweilen nachsah, der Abgang auffallen mochte, da brachte er stotternd dem Gatten sein Anliegen vor: er wolle gern das Bild eines Engels haben, um es zuweilen heimlich anzusehen, und da er nicht viel Geld ausgeben könne, so wolle er, wenn es der Maler erlaube, seine Gattin bitten, ihm ein solches in Miniatur zu malen, und er wünsche, daß niemand etwas davon erfahre; und wie nun der Maler fragte, wie das Bild aussehen solle, da brachte er stockend vor, er habe sich gedacht, es solle ungefähr so aussehen wie seine Gattin. Der Maler nickte zustimmend und sagte, daß der Kopf seiner Gattin ganz gut geeignet sei als Modell, und bei dem kleinen Format könne man natürlich nicht ganze Figur malen; dann rief er seine Gattin; sie kam in einem reizenden weißen Morgenkleid, er erzählte ihr alles, sie knixte vor dem jungen Vicomte, dann lief sie zurück, holte einen Handspiegel und gab ihn dem jungen Mann in die Hand, indem sie ihm bedeutete, wie er ihn halten müsse; darauf setzte sie sich an ihr sauberes Arbeitstischchen, rieb mit flinken Händchen ihre Farben in die Schälchen, prüfte die Pinsel; der Vicomte saß ihr gegenüber, unaufhörlich schwatzte sie zu ihm, von Kleidern, Ausfahrten, Tanzvergnügen, Verwandten, Besuchen, von einem Kanarienvogel, einer komischen alten Tante, den Nachbarsleuten, der Kattunfabrikation und anderem. Wie alles vorbereitet war, da mußte der Vicomte den Spiegel halten, daß sie sich sehen konnte, wenn sie ihr Bildchen malte; unbeweglich saß er und hielt in fester Hand den Spiegel, indessen sie das Köpfchen bald hob und ihr Bild prüfend betrachtete, bald senkte und schnell einen Strich oder mehrere auf ihr Elfenbeinplättchen setzte; wieder spitzte sie bei der Arbeit ernsthaft den Mund, jeder Gedanke, welcher ihr kam, flog ausdrucksvoll über ihr offenes Gesichtchen, und das waren immer nur heitere Gedanken. Ihn überwallte es bald siedend heiß und bald kalt, ein unsagbares Glücksgefühl, wie er es nie verspürt, war in seinem ganzen Körper, er mußte sich zusammennehmen, daß seine Hand nicht zitterte vor Glück, und ihm war, als sei er in einem unendlichen Raum allein mit ihr, indessen er doch hinter sich den Maler hörte, welcher einmal einen Schritt zurücktrat von seinem Bild, dann leichte Striche machte, zuweilen leise vor sich hin pfiff, den Pinsel wechselte, oder andere kleine Geräusche erzeugte. Er sah ihr Gesicht voll von vorn; er sah es vom Scheitel her, er sah die leise bebenden Nasenflügel, die vielen verschiedenen Arten, wie der Mund geschlossen war, und er war sinnend, heiter, wehmütig, lieblich, erwartungsvoll, glücklich, sehnsüchtig geschlossen; er sah die lachenden Augen, wie sie prüften, verglichen, befriedigt leuchteten; ein leichtes Rot überzog einmal das Gesicht bis zum Hals, sich in scharfem Streifen absetzend, und sie warf ihm einen mutwillig ängstlichen Blick zu; er machte sich nicht klar, daß sie da an ihn gedacht hatte, aber er spürte ein Beben im Herzen und seine Hand mit dem Spiegel zitterte einen Augenblick.

In den Tagen, wo dieses vor sich ging, geschah ein großes Unglück; der Maler, welcher ein leidenschaftlicher Spieler war, geriet eines Nachts mit einem Falschspieler in Streit; wie denn beim Spiel die Stände und Klassen sich wunderlich mischen, war der Falschspieler ein vornehmer Mann; der Maler wurde erstochen nach Hause gebracht. Niemand bekümmerte sich weiter um den Mord, und die Witwe blieb allein zurück.

Der junge Vicomte erzählte seiner Mutter den Tod, schilderte dann alle Verhältnisse und schloß, daß er nach dem Trauerjahr um die Hand der Witwe anhalten wolle. In dieser Zeit aber sei es nötig, daß sie Unterstützung und Rückhalt habe; deshalb bitte er sie, daß sie mit ihm zu der Unglücklichen gehe, ihr Trost einspreche und ihre Hilfe anbiete.

Die Vicomtesse war sehr betroffen über diese Rede; sie wendete ein, der Sohn sei zu jung, die Frau sei bürgerlich, die Welt werde spotten; er aber antwortete immer nur, es genüge, wenn seine Handlungsweise ehrenhaft sei; seufzend gab die Mutter dem plötzlich so entschiedenen Sohne nach, ließ die alte Karosse anspannen und fuhr vor das Haus des Malers. Hier hätte ihr nun wohl manches auffallen können, wenn sie etwas welterfahrener gewesen wäre, aber es war nun einmal so, daß sie nicht mehr Weltkunde hatte wie ihr Sohn. So sagte sie denn nach dem Willen des Sohnes der Witwe, daß sie von dem Unglück gehört habe und ihre Hilfe anbieten wolle, und sprach so lange freundlich, bis die beschämte und zögernde Frau weinend einwilligte, zu ihr zu ziehen und in einem einsamen Zimmer des großen Hauses ihrem Kummer über den unersetzlichen Verlust des inniggeliebten Gatten nachzuhängen.

Nun begann für den jungen Vicomte eine glückliche Zeit. Täglich bei allen Mahlzeiten saß er dem geliebten Gesicht gegenüber; die reizende Witwentracht kleidete das hübsche und heitere Geschöpfchen so gut, und sie wußte das auch; selbst die Mutter konnte sich ihrer Anmut nicht verschließen und streichelte ihr freundlich die Hände, indem sie von ihren Seelenschmerzen sprach; am Abend las der Jüngling aus einem ernsten oder frommen Schriftsteller den beiden Frauen vor; die Mutter war gerührt, und auch die schöne junge Witwe vergoß Tränen, indem sie sagte, ihre Bildung sei doch bis jetzt sehr einseitig gewesen, denn von den Predigten Bossuets habe sie vorher noch nie gehört, und von Gedichtbüchern habe sie immer nur die kleinen lustigen Bändchen mit Noten gekannt, nicht solche großen, schönen Bücher, die so traurig seien.

Der alte Diener, welcher in dem Hause lebte, hatte einen Neffen, den er zärtlich liebte. Dieser Neffe war gewissermaßen in dem Hause erzogen, denn da seine Eltern früh gestorben waren, so war er als Junge täglich gekommen und hatte in der Küche mit gegessen, seine Kleidung war aus abgetragenen Sachen der Herrschaft zurechtgeschneidert, und eine Zeitlang hatte er sogar heimlich im Hause geschlafen. Als er heranwuchs, war er Kellner geworden, und durch Fleiß und Verstand und unterstützt durch den Rat, die Verbindungen und die Mittel seines Oheims war er nunmehr bereits Oberkellner. Wie es dem Menschen natürlich ist, weiter zu streben, so war sein Plan, mit seinen und des Oheims Ersparnissen eine elegante Wirtschaft zu eröffnen in der Nähe der Tuilerien, denn die Herren, welche im Schloß zu tun hatten, wollten gern einmal eine Erfrischung zu sich nehmen in einem erstklassigen Geschäft, aber die Wirte, welche dort saßen, hatten weder genügenden Weitblick, noch die geschäftliche Sicherheit und den Anstand, welche für den Verkehr mit vornehmen Herrschaften nötig sind. Er war sich klar, daß er für eine solche Wirtschaft eine geeignete Frau brauchte, die Weltkenntnis, Umgangsformen und Heiterkeit besaß. Er wußte zwar, daß von der jungen Witwe allerhand erzählt wurde, aber er sagte sich als verständiger Mann, daß man auf das Gerede der Leute nichts geben darf und daß er in seinem Hause später schon Ordnung halten werde. Natürlich war ihm und dem Oheim nicht entgangen, daß der junge Vicomte eine Neigung zu ihr hatte; da beide nicht auf den Gedanken kommen konnten, daß der junge Vicomte an eine Heirat dachte, so vermochten sie sich nicht zu erklären, daß die Mutter sie in das Haus genommen und sie als Herrschaft behandeln ließ. Allein der Oheim sagte, das geschehe bei Herrschaften oft, daß sie Dinge täten, die unbegreiflich seien, darauf müsse man nicht viel geben, denn das komme von den Dünsten des vielen guten Essens, die aus dem Magen aufsteigen in das Gehirn, er habe gefunden, daß die Herrschaften immer nach kurzer Zeit wieder vernünftig würden und einem dann Geld gäben.

Man muß aber nicht denken, daß von diesem allem die junge Witwe nichts merkte, vielmehr merkte sie sogar eher etwas, wie die anderen selber von sich wußten. Nur war ihr bei den Gefühlen des jungen Vicomte etwas unheimlich zumute; hätte er eine Liebschaft mit ihr gewollt, so wäre ihr ja alles klar gewesen, nun aber wußte sie nicht, was sie tun solle, und geriet dadurch in große Angst. Der Oberkellner, welcher ihr menschlich näher stand, wurde ihr in dieser Angst ein rechter Seelentrost; es soll aber durchaus nicht behauptet werden, daß sie sich in ihn verliebte, denn der junge Vicomte war doch ein hübscher, stattlicher Mann mit einem zierlichen Schnurrbärtchen, vornehmen Manieren, feiner Wäsche und jenem Etwas, das ein schlichtes Frauenherz über sich selber erheben kann, indessen der Oberkellner ein kurzer, stämmiger, nicht immer sauberer Mensch war, der bereits einen leichten Ansatz zum Bauch zeigte. Jedenfalls aber hatte sie in dem Oberkellner einen Mann, mit dem sie in ihrer Art reden konnte, während sie mit dem Vicomte immer so feine Worte gebrauchen mußte, die sie selber nicht recht verstand.

Während diese Dinge nun so lagen, kam ein Schwager der Frau Vicomtesse zu einem Besuch vorgefahren, der eigentlich mit seiner Schwägerin etwas überworfen war und sich deshalb seit langer Zeit nicht hatte blicken lassen. Er war ein früherer Offizier und braver Mann ohne viel Feinheiten, und so begann er denn nach den gewöhnlichen Begrüßungsfloskeln ungefähr so, daß er längst eingesehen habe, daß seine übergeschnappte Schwägerin den armen Jungen durch ihre Altjungfernerziehung gänzlich verpfusche, aber da er nichts in der Sache zu sagen habe, so habe er sich lieber ferngehalten; nun aber habe er gehört, daß sie eine ganz verrückte Heirat für ihn plane, und da sei es denn doch seine Pflicht als Familienältester, einzuschreiten. Die Mutter saß mit steifem Rücken auf ihrem Stuhl und fragte spitz, was für eine verrückte Heirat er meine. »Na, mit der –« und hier gebrauchte der gute Major einen etwas soldatischen Ausdruck, »die du hier im Hause hast.« Die Witwe war einer Ohnmacht nahe, aber sie faßte sich und fragte den Schwager, wie er eine unglückliche Frau, die Witwe eines bedeutenden Künstlers, eine Frau, die sie in ihren Schutz genommen habe, derartig beschimpfen könne. Der Major schüttelte resigniert den Kopf, dann sah er ihr ins Gesicht, endlich tippte er mit dem Finger mehrmals auf die Stirn. Die Schwägerin wollte entrüstet aufstehen, er bedeutete ihr mit der Hand, daß sie sitzen bleiben solle, und sagte dann: »Mein Bruder ist ja ein Windhund gewesen, das gebe ich zu, aber er war ein anständiger Kerl. Wenn du ihn hättest zu nehmen verstanden, dann wäre es ganz gut gegangen, denn er war damals verschossen in dich. Aber es fehlt eben hier,« und damit tippte er wieder auf die Stirn. Dann erhob er sich, gab ihr zum Abschied die Hand und sagte: »Ich will lieber mit dem Jungen selber sprechen.« Die Schwägerin entließ ihn mit kaltem Gruß.

Was der Major mit dem jungen Vicomte besprach, ist nicht nötig hier mitzuteilen. Er ging mit hochrotem Gesicht die Treppe hinab, setzte sich in seinen Wagen, daß der Sitz krachte, und sagte: »Lieber will ich ja zehn Rekruten lausen, da weiß ich doch wenigstens, was ich tue.« Der junge Vicomte aber ging zu derselben Zeit nach dem Zimmer der Malerin, klopfte bescheiden an, sie öffnete, errötete, als sie ihn sah, und lud ihn ein; er setzte sich ihr gegenüber, ergriff ihre Hand und wollte sprechen, aber in dem Überschwang seiner Gefühle versagte ihm die Sprache; er blickte auf den Tisch, da sah er, wie sie an einem kleinen Bild arbeitete, das war sein Porträt, sie malte es aus dem Gedächtnis; eine tiefe Röte überflog auch sein Gesicht; plötzlich lagen sich die beiden in den Armen, und keiner von ihnen wußte, wie das geschehen war; ihr Mund fand sich, und sie küßten sich zitternd. Mit einem Male aber machte er sich frei und sagte ihr: »Nun habe ich ausgedrückt, wozu ich die Worte nicht fand. Ich bitte dich, daß du mir die Ehre erweisest, meine Gattin zu werden.« Die anmutige Witwe wurde verlegen, ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Es war nicht taktvoll,« fuhr er fort, »dich jetzt, wo noch die Trauer um deinen ersten Gatten mit Recht in deinem Herzen wohnt, mit meiner Bitte zu bestürmen, und wenn du mir zürnst, wie dein Erröten und deine Tränen zeigen, so zürnst du mir mit Recht. Aber ich mußte es tun, um der Welt zu zeigen, wie ich ihre Verleumdungen verachte.« Die Witwe hatte die letzten Worte nicht aufgefaßt in ihrer Erregung, konnte auch wohl nicht gleich wissen, was er mit ihnen meinte, da sie von dem Besuch des Majors nichts wußte; so antwortete sie ihm schüchtern, daß die Verschiedenheit des Standes doch eine Ehe unmöglich mache, daß er, wenn der erste Rausch verflogen sei, unglücklich mit ihr werden würde, daß er sie vergessen müsse, daß sie auch nicht so klug und gebildet sei, wie er denke, daß sie mit den vornehmen Damen nicht verkehren könne und ähnliches. Er hatte wieder ihre Hand ergriffen und indem er mit überstürzten Worten auf sie einredete, stellte er ihr vor, daß sie auf das Land ziehen würden und am Busen der Natur leben, fern von den lästigen Ansprüchen der Gesellschaft, daß sie ihre Kinder erziehen würden nach den Vorschriften der Natur, Vernunft und Sittlichkeit, daß er sich eine Tochter wünsche, die ihr gliche. –

Aber als er so sprach, da sprang sie plötzlich auf, wurde totenbleich, faßte ihr Herz und sprach: »Herr Vicomte, lassen Sie mich, ich habe mich um Geld Männern hingegeben.« Er stand mit offenem Munde und starrte sie an. »Hinaus, hinaus,« rief sie, schob ihn aus dem Zimmer und verriegelte die Tür.

Der junge Vicomte wurde krank und mußte ins Bett gebracht werden. Seine Mutter saß neben ihm, glättete sein Kopfkissen; unter strömenden Tränen, das Gesicht zur Wand gekehrt, erzählte er ihr, was geschehen; in einer Art von halbem Fieber stieß er Verwünschungen gegen seine Geliebte aus, dann flehte er sie um Verzeihung, beteuerte seine Liebe, sagte, daß sie aus Not gehandelt habe, daß die Verführung zu groß gewesen, daß er selber, der niemals auf die Probe gestellt sei, nicht das Recht habe, andere zu richten. Ärzte kamen und untersuchten ihn; man fand ein Herzleiden, das nervöse Zustände erzeugte, Blutarmut, eine schwache Brust und noch mehr Krankheiten und verschrieb viele Arzneien und Kuren. Der Jüngling aber wurde immer schwächer. Endlich raffte sich die Mutter auf, entließ alle Ärzte und ging mit langsamen Schritten zu dem Zimmer der Malerin. Müde setzte sie sich auf einen Stuhl; die andere sah sie erschreckt aus rotgeweinten Augen an, wollte sprechen; aber die Vicomtesse schnitt alles ab mit einer kurzen Handbewegung und sagte: »Ich habe immer ein sittenreines Leben geführt. Kommen Sie zu meinem Sohn.«

Die Frau kam, die Mutter verließ ihren Stuhl neben dem Lager des Sohnes, die Frau setzte sich, strich das Kopfkissen glatt, legte ihre Hand in die weißen Hände des jungen Mannes, bückte sich und küßte ihn auf die glühenden Lippen.

Der Kranke genas in Stunden; bald konnte er das Bett verlassen, am Fenster sitzen, ihr aus seinen Lieblingsbüchern vorlesen, im Zimmer auf und ab gehen, im Korridor, die Treppe hinuntergehen.

An einem Morgen war die Malerin verschwunden. Ein Brief lag auf ihrem Tisch, in welchem sie mit grammatischen Fehlern und unorthographisch schrieb, daß sie nun an eine Versorgung denken müsse und für alle Wohltaten danke, und daß sie um ein freundliches Andenken bitte, und sie habe einen braven Mann geheiratet. Der Diener erzählte, der Mann sei sein Neffe, der Oberkellner.

Als der junge Vicomte das hörte, brach er in ein schallendes Gelächter aus; er ging zu seiner Mutter und erklärte ihr, daß er nun endlich Reitunterricht nehmen wolle, besuchte seinen Oheim; bald war er ein guter Reiter geworden, hatte Kameraden gefunden.

Inmitten seiner Freunde ritt er einmal an der Wirtschaft vorbei, die dem Mann seiner früheren Geliebten gehörte. Zufällig sah er hin, seine Freunde erzählten von der Frau, die so spröde sei wie Lucrezia, er errötete, als er sie erblickte, biß sich auf die Lippen und lachte; die Frau aber ging vom Fenster zurück in den Hintergrund der Stube, aus der Tür, die Treppe hinauf, in ihr Schlafzimmer, kniete vor ihrem Ehebett, legte den Kopf auf das Bett und weinte lange. Ihr Mann rief von unten: »Schatz, es sind Gäste da«; sie antwortete: »Ich komme, ich komme,« eilte zur Waschschüssel, wusch sich mit dem kalten Wasser die verweinten Augen und lief singend die Treppe hinunter.


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