Paul Ernst
Die Taufe
Paul Ernst

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Das Geheimnis

Auf einer Wiese am Rande des Waldes von Fontainebleau lag das Gras in Schwaden; drei junge Mädchen gingen jede an einer Schwade entlang mit Rechen und warfen es auseinander; sie hatten anmutige Kleider aus weißem Leinen, und ihre hübschen Gesichter, welche durch die Arbeit und Hitze gerötet waren, wurden durch die reizenden Hauben der Erntearbeiterinnen verschattet. Die Sonne schien blank und strahlend vom blauen Himmel, es war tiefe Mittagsstille; die Zweige und Blätter am nahen Waldrande rührten sich nicht; metallisch glänzende Fliegen summten unten über dem schon schlaff zusammengesunkenen Gras; die Arbeit ging flink; einzelne und verfitzte Halme wurden von dem Rechen in die Luft geworfen; die Mädchen hatten mit kleinen Händen die Rechen fest gefaßt und traten mit zierlichen Füßen in durchbrochenen Schuhen fest auf die Stoppeln.

»Mittag,« sagte die eine; sie hörten mit ihrer Arbeit auf, strichen an den Kleidern herunter, nahmen den Rechenstiel in die Mitte und gingen zu einer Ecke des Waldrandes, wo sie von einem Spitz bewacht in einer Kiepe, in sauberes, weißes Linnen verpackt, ein großes Brot liegen hatten, eine große Schüssel, ein Messer und drei silberne Löffel; zugekorkte Flaschen mit Milch kühlten in einem klaren Bach, der auf einem dunklen Grunde leise plätschernd neben ihnen dahinglitt. Indessen der Spitz schwanzwedelnd um sie herumlief und zuweilen aus Freude leise und bescheiden kläffte, stellten sie die Harken zusammen, breiteten das Linnentuch aus, setzten die große bunte Schüssel in die Mitte, in welche der Töpfer einen frommen Spruch gemalt; die eine zerschnitt das Brot in Würfel, die andere entkorkte die Milchflaschen und goß die Milch auf die Brotstücke. Dann knieten sie nieder und beteten, lagerten sich, indem sie den Kleidersaum über die Fußspitzen zupften; jede nahm ihren silbernen Löffel, und eben wollten sie mit Essen beginnen, als der Spitz wütig bellend auffuhr. Die eine stieß einen lauten Schrei aus, die anderen schrien gleichfalls, und alle sprangen auf; da standen sie drei jungen Männern in Jägertracht gegenüber, welche eben durch den Wald gekommen waren und sich wohl durch ihr lustiges Geplauder und das Klappern der Flaschen hatten anziehen lassen. Der Spitz beroch sie, beruhigte sich schnell und ging zurück, die drei jungen Männer zogen die Hüte und entschuldigten sich höflich, die Mädchen lachten über ihren Schreck. Dann trat eine kleine Pause ein, eine leichte Verlegenheit erschien, die Mädchen stießen sich verstohlen an und kicherten; »Louisen,« sagte leise ermutigend die eine zu der ältesten. Louisen trat kühn einen Schritt vor und lud die Herren mit höflichen Worten ein, an ihrem Mittagessen teilzunehmen, die Herren dankten, man lagerte sich; und da nur drei Löffel vorhanden waren, so mußte immer ein Pärchen abwechselnd mit einem Löffel aus dem gemeinsamen Napf essen. Darüber wurde viel gekichert und gelacht. Bald war die Schüssel geleert. Nun aber schnallte auf den Wink des Herrn, der mit Louisen gegessen hatte, einer der jungen Männer eine Jagdtasche ab; da hatte er wohlverpackt drei gebratene Hähnchen, weißes Brot und eine Flasche Wein. Der Wein wurde in den Bach gestellt, die jungen Männer zogen ihre Weidmesser, und nun machte sich jedes Pärchen einträchtig über ein Hähnchen her, bis von allem nur noch ein Häufchen abgenagter Knochen übrig blieb. Dann wurde der Wein entkorkt, in einen zierlichen, silbernen Becher gegossen, jeder der Herren trank mit einem seinen Kompliment auf seine Dame, die Mädchen zeigten sich zuerst schüchtern, aber dann gab Louisen als die erste Bescheid und die beiden anderen folgten. Nun wurden die Knöchelchen dem braven Spitz gegeben, welcher als ein wohlerzogener Hund die ganze Zeit getan hatte, als interessiere ihn das Essen gar nicht; das Tischtuch wurde wieder zusammengelegt und in den Korb gepackt; dann setzte und legte man sich nieder, um die übrige Zeit der Mittagspause zu verplaudern.

Als die Mädchen aufbrachen, um wieder zu ihren Rechen zu greifen, verabschiedeten sich die jungen Männer; der Kamerad Louisons fragte nach dem Hause ihrer Eltern; hocherrötend beschrieb Louisen es ihm. Dann machten sich die Mädchen wieder fleißig an die Arbeit; das Gras flog flink in die Luft, mit raschen Schritten gingen sie die Schwaden entlang, und beständig erzählten sie dabei einander von den hübschen Jägern: der Hof hielt sich in der Nähe auf, sie kamen zu dem Schluß, daß sie Jagdburschen eines Prinzen oder anderen vornehmen Herrn waren.

Am nächsten Tage, nach Feierabend, kam auf den elterlichen Hof Louisons der eine der Jäger; als er in die Torfahrt trat, sah er Louisen, wie sie mit zwei Melkeimern aus dem Stall kam; er grüßte, indem er sein grünes Hütchen schwenkte, errötend setzte Louisen die Eimer ab und ließ ihren geschürzten Rock nieder; eine Magd trug auf ihren Wink die Eimer in die Milchkammer, sie selber nahm den Fremden an die Hand und führte ihn ins Haus, wo ihr Vater vor dem Tische saß und in ein dickes Rechnungsbuch Eintragungen machte, indessen die Mutter an dem flammenden Feuer des Kamins am Abendbrot hantierte. Der Vater stand auf, gab dem Fremden freimütig die Hand und hieß ihn sich setzen; dann holte er aus dem Keller eine bestaubte Flasche, hielt sie gegen das Licht und sagte: »Das ist von unserm Wein, er ist der beste in der ganzen Provinz; die Händler aus Paris geben mir immer zehn Taler mehr als dem Nachbar«; aber bei uns kommt auch nicht die Spur Dünger auf den Weinberg«; er schloß mit einem Schlüssel von seinem Bund einen Wandschrank auf, holte zwei silberne Becher heraus und setzte sie auf den Tisch, goß ein, hob den Becher und sagte: »Auf das Wohl des Königs«; dann tranken die beiden, der Bauer fragte den Gast: »Nun?« »Großartig!« antwortete der Jäger. »Das wußte ich, daß Sie ein Kenner sind, das habe ich Ihnen gleich angesehen,« schloß befriedigt der Bauer; Louisen stand inzwischen an die Wand gelehnt und sah den beiden zu. Nun deckte die Frau auf der anderen Seite den Tisch mit einem sauberen, leuchtenden Leinentuch mit scharfen Kniffen, und Louisen half ihr; der Gast schaute mit Wohlgefallen auf die anmutigen Bewegungen. »Sie ist ein gutes Kind, sie hat uns immer nur Freude gemacht,« sagte der Vater, Louison verbarg ihr Gesichtchen an seiner Brust, ihr kamen die Tränen. Die Mutter setzte Brot, Butter und Käse auf: »Unser Brot,« sagte der Vater, »es ist das beste im Ort, wie oft hat es mir nicht der Herr Pfarrer gesagt!« Nun nahmen die beiden Männer ihre Stühle und aßen, Louison bediente sie. Wie sie fertig waren, setzten sie sich auf die Bank vor der Haustür; gegenüber lag der Stall, in welchem einmal eine Kuh mit der Kette klirrte, ein Pferd aufstampfte; der Spitz hatte sich zu ihren Füßen gelegt; der Vater beschrieb, wie er seine Weinberge in die Höhe gebracht hatte; nach einer Weile kam die Mutter mit Louison, sie setzten sich auf die andere Bank; die Mutter fragte, ob der junge Mann als Jäger einen anstrengenden Dienst habe, ob die vornehmen Herren sehr launisch seien. Der junge Mann wurde etwas verlegen, der Vater brachte aber das Gespräch schnell wieder auf seine Weinberge; als es dunkelte, brach der Jäger auf, gab jedem zum Abschied die Hand, dankte für die freundliche Aufnahme und ging fort.

Er kam nun öfter; Louison wurde immer vertraulicher mit ihm und plauderte geläufig von allem, das sie auf dem Herzen hatte, der Vater zeigte ihm seine Weinberge und Felder, und sagte auch einmal: »Wer meine Tochter heiratet, der greift in den Glückstopf, sie ist das reichste Mädchen zehn Meilen in der Runde!« Der gute Pfarrer kam an einem Abend, bot dem Fremden eine Prise an und sprach von den kriegerischen Wirren. Einmal sprach Louison zu dem Fremden, sie habe wohl Lust, den König und die Prinzen kennen zu lernen; sie habe gehört, es sei erlaubt, daß man am Sonntag von einer Galerie aus zusehen könnte, wenn die Herrschaften speisten; er könne ihr das doch gewiß verschaffen. Der Fremde runzelte die Stirn und schien ärgerlich, dann wurde er aber schnell wieder freundlich und sagte zu ihr: »Versprich mir, daß du nie dort hingehen willst.« Louison versprach es ihm, aber sie war doch befremdet und wunderte sich, was der Jäger wohl dabei haben mochte, ihr das zu verbieten.

Wie sie am anderen Morgen mit ihren beiden Freundinnen zusammen war, welche ihr damals auf der Wiese geholfen hatten, erzählte sie ihnen von dem Versprechen, das sie hatte geben müssen; die Freundinnen sagten, daß dahinter gewiß ein Geheimnis stecke; Louison weinte, die Freundinnen trösteten sie; aber auch in den nächsten Tagen kam das Gespräch zwischen ihnen immer wieder auf das geheimnisvolle Verbot. Endlich sagte das eine der beiden Mädchen: »Ich fahre am Sonntag mit meinem Vetter nach Fontainebleau; wir spannen die Schecken vor den Leiterwagen; wer mit will, kann mitkommen.« Die andere Freundin bat sogleich, daß sie mitfahren dürfe, und nun bestürmten sie Louison, daß sie sich anschließe. Am Sonntag kam der Jäger nie, weil er da Dienst bei seinem Herrn hatte; sie stellten ihr vor, wie unwahrscheinlich es sei, daß er sie in der Menschenmenge sehe, selbst wenn er sich wirklich im Schloß aufhalte; sie sagten, das Versprechen habe er ihr vielleicht nur aus Scherz abgenommen; sie neckten sie damit, er sei eifersüchtig, und solche üblen Eigenschaften müsse man den Männern frühzeitig abgewöhnen; und so sprachen sie denn allerhand dergleichen, wie Mädchen in solchen Fällen pflegen. Mit etwas schwerem Herzen, und doch von eigener Neugierde getrieben, gab Louison nach.

Noch andere Mädchen aus dem Dorf schlossen sich ihnen an, und so fuhr denn am Sonntagmorgen der Leiterwagen, gezogen von den schönen blanken Schecken im klingenden, messingbeschlagenen Geschirr, geführt von dem Vetter im Sonntagsstaat, mit den geputzten jungen Mädchen in frisch gestärkten Kleidern, mit flatternden bunten Bändern; nach einigen Stunden kamen sie an. Der Bursche stellte sein Geschirr unter, führte die Mädchen, die sich eingehenkelt hatten, durch die dichtgedrängten Menschen; es glückte ihm, Einlaß auf die Galerie zu erhalten, sie gingen hinauf, setzten sich und warteten; endlich kamen unten alle die seinen Herren und Damen und stellten sich auf, zuletzt erschienender König und die Königin, alle verneigten sich tief...

Und hinter dem königlichen Paar kam, in vornehmer, goldstrotzender Tracht, den großen Stern auf der Brust, der Kronprinz, es war der Jäger Louisons.

Louisen stieß einen lauten Schrei aus und wurde ohnmächtig. Die Herrschaften blickten nach oben, der Kronprinz wurde rot, die Mädchen sahen, daß er sie erkannt hatte; sie drängten sich um sie, die Freundinnen brachten sie hinunter, führten sie in ihren Gasthof; als sie sich wieder erholt, kamen die anderen Mädchen mit dem Vetter, sie hatten noch alles gesehen; dann wurden die Schecken wieder angespannt, und sie fuhren nach Hause.

Der Jäger aber kam nie wieder zu Louisen.


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