Paul Ernst
Die Taufe
Paul Ernst

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Die Vereinten

Der Oberleutnant v. M. galt bei seinen Kameraden für einen Gelehrten und Frauenfeind. Das Regiment hatte einen neuen Obersten bekommen, einen Herrn v. R., einen Witwer mit einer Tochter, die etwa fünfundzwanzig Jahre alt sein mochte; man erzählte sich, daß der Sohn hatte nach Amerika geschickt werden müssen, und daß die Mutter darüber vor Gram gestorben war.

In einer Gesellschaft wurde Oberleutnant v. M. neben Fräulein v. R. gesetzt. Das übliche Gespräch begann, darüber, wie sich die Herrschaften in der neuen Garnison einleben würden, über den angenehmen Ton im Regiment, über die landschaftlichen Schönheiten der Gegend. Plötzlich sah Fräulein v. R. ihren Herrn an und sagte: »Weshalb sprechen wir eigentlich so? Das ist doch uns beiden alles gleichgültig.« Herr v. M. erwiderte, das gnädige Fräulein habe gewiß vielseitige Bildungsinteressen; es geschehe doch auch immer häufiger, daß Damen aus den Offizierskreisen studierten. Er begann das neue Gespräch ebenso gleichmütig, wie er das frühere geführt hatte; Fräulein v. R. biß sich auf die Lippen und sah auf ihren Teller, dann erwiderte sie, sie habe sich wahrscheinlich unpassend ausgedrückt; die Bestrebungen, von denen er spreche, seien ihr fast gleichgültig; es war deutlich, daß sie sich gekränkt fühlte durch die Art des Oberleutnants, und daß sie schwieg, weil sie fürchtete, mißverstanden zu werden. Es schien ihm einen Augenblick, als seien ihre Augen feucht.

Hier geschah es, daß er plötzlich jenes eigentümliche Gefühl verspürte, das uns mit einem Male einen anderen Menschen so nahe bringt, daß wir keine Schranke mehr empfinden und ganz vertraut mit ihm zu sein glauben. Eine Befangenheit kam über ihn, und er hätte am liebsten geschwiegen, mit jenem Schweigen, welches zwei Menschen vereinigt; aber er sagte sich, daß ein Schweigen unpassend wäre, und indem er sich überwinden mußte, antwortete er, daß er um Entschuldigung bitte, wenn sein Ton nicht angenehm gewesen sei. Sie sah ihm ins Gesicht, er ihr, und in diesem Blick wurde beiden ihre Gemeinsamkeit klar. Sie erröteten beide.

Sie kamen in der Folge bei den verschiedensten Gelegenheiten oft zusammen und hatten immer viel zu besprechen; es war das so, daß der Oberleutnant ihr von seinen Gedanken und Absichten erzählte, und daß sie anmutig schwieg. Er sagte ihr, er sei bereichert durch sie, und sie fragte sich innerlich erstaunt, wie das denn sein könne.

Wir müssen unsere Gefühle immer mit den Worten und Handlungen ausdrücken, die nun einmal vorhanden sind. Die meisten Menschen machen sich nicht klar, daß das eine Gewaltsamkeit ist, denn die Worte und Handlungen sind starr, unsere Gefühle sind fließend; ein jedes Gefühl ist neu, ist noch nie dagewesen in der Welt; Wort und Handlung aber sind alt und tausendmal schon gebraucht; vielleicht besteht nur sehr wenig Gemeinschaft zwischen unserem Gefühl und unseren Worten und Handlungen.

Der Oberleutnant ließ sich in Helm und Schärpe bei seinem Obersten anmelden und hielt um die Hand der Tochter an.

Der Oberst erwiderte ihm: »Wären Sie nicht gekommen, so hätte ich Sie zu mir gebeten. Ich habe wohl gemerkt, daß Sie und meine Tochter eine Neigung füreinander haben, und ich sehe ein, daß ein Schritt getan werden muß. Ich wüßte niemanden, dem ich mein Kind lieber geben würde wie Ihnen, denn ich schätze Sie als Menschen wie als Offizier. Aber ich muß meine Einwilligung versagen. Sie sind ein Mann, der nicht in den unteren Stellen bleiben darf; Sie müssen dem Vaterland einmal auf einem hohen Posten Dienste tun. Ich habe mein Vermögen hergeben müssen, um die Ehre meines Namens zu retten. Wenn Sie meine Tochter heiraten, dann sind Sie durch das Elend eines armen Offiziershaushaltes gefesselt und können nicht die Entwicklung nehmen, die Sie müssen.«

Herr v. M. sagte, das Glück, das er an der Seite der Geliebten erhoffe, werde ihn über kleine Entbehrungen hinwegtragen, und er denke so spannkräftig zu bleiben, daß er die Erwartungen seiner Vorgesetzten erfüllen werde, wenn diese wirklich in seinen Kräften liegen sollten und nicht durch eine besonders gütige Gesinnung des Obersten verursacht seien. Der Oberst runzelte die Stirn und rief seine Tochter aus einem anderen Zimmer herbei. Sie kam still und bedrückt. Er erzählte ihr die Werbung und seine Antwort. Sie legte die Hand aufs Herz und atmete schwer. Er schloß seine Rede, indem er sagte: »Kannst du einen Mann achten, der dir das Opfer seiner Zukunft bringt?« Sie sprach mit bebenden Lippen: »Nein.« »Sie haben die Antwort meiner Tochter gehört,« sagte der Oberst und entließ den Bewerber.

Herr v. M. wurde in eine andere Garnison versetzt, er schrieb an Fräulein v. R. einen Abschiedsbrief, in welchem er sagte: »Ich weiß nicht, ob ich zu Ihnen die stürmische und leidenschaftliche Liebe habe, von der uns erzählt wird; aber ich weiß, daß Sie die einzige Frau sind, die ich kennen gelernt, mit der ich als meiner Gattin hätte leben können; mit jeder anderen, von der ich weiß, wäre ein Leben schändlich. Fassen Sie es so auf, wenn Sie hören, daß ich unvermählt bleibe, und denken Sie nicht an eine sentimentale Romantik. Wenn Sie selber einen Gatten finden, der Sie so liebt, wie man Sie lieben muß, und den auch Sie liebgewinnen, so wäre mir das eine große Freude.«

Einige Jahre vergingen; man hörte, daß der Oberleutnant v. M. eine sehr gute Laufbahn begonnen habe. Dann kam der Krieg; M. hatte das Glück, daß er sich auszeichnen konnte, daß er an eine Stelle kam, wo seine Fähigkeiten gebraucht wurden; so stieg er in kurzer Zeit in einer sonst im Heer unerhörten Weise.

Aus dem Feld schrieb er an Fräulein v. R.: »Wie Sie wissen werden, habe ich nun einen Grad erlangt, bei dem die Befürchtungen Ihres Vaters nicht mehr zutreffen. Haben Sie noch die alten Gesinnungen, so darf ich nun nochmals vor Ihren Vater treten und um Ihre Hand bitten.« Sie weinte, als sie diesen Brief erhielt; dann antwortete sie: »Ich stehe nun im achtundzwanzigsten Jahre; aber wenn Sie wollen, so gehen Sie nochmals zu meinem Vater.«

Herr v. M. war im Divisionsstab und kam beständig mit Herrn v. R. zusammen. Er ging zu ihm, und Herr v. R. umarmte ihn; die Tränen standen dem älteren Mann in den Augen. Dann sagte er: »Du kannst keinen Urlaub erhalten, aber ich lasse sie kommen, Ihr werdet im Felde getraut, und sie fährt wieder zurück.« Herr v. M. erwiderte: »Darum wollte ich bitten; denn ich weiß ja, daß wir so oder so zusammengehören, und wenn ich falle, dann ist sie meine Frau.«

Fräulein v. R. kam in einem Selbstfahrer; ein junger Leutnant begleitete sie. Er hatte ihr die Nachricht an die Bahn gebracht, daß ihr Verlobter schwer verwundet sei und im Feldlazarett liege. Der Leutnant half ihr aus dem Wagen; aus der Tür der Baracke kamen Pfleger, die einen Verwundeten fortschafften; das Lazarett mußte geräumt werden, denn es wurde von den Franzosen beschossen. Der Leutnant fragte, Herr v. M. war noch nicht fortgebracht. Sie fand ihn im Bett liegen; er konnte sich nicht bewegen, aber ein Lächeln verklärte sein Gesicht. Seine Hand lag auf der Decke; sie beugte sich und küßte die schmale, kalte Hand.

Ein feindliches Geschoß heulte heran, krachte. Sie zitterte. Soldaten kamen ins Zimmer, um den Verwundeten fortzutragen. Er fragte leise, ob die anderen schon in Sicherheit gebracht seien. Der große Saal war noch nicht geleert, und er befahl, erst die leichter Verwundeten zu retten. Sie sah ihn fragend an, er lächelte. Die Frage war: »Bist du so schwer verwundet?« Und das Lächeln bedeutete: »Tödlich.«

Sie nahm den Hut ab, legte ihn auf den rohen Tisch, zog die Handschuhe aus und legte sie neben den Hut, und setzte sich dann auf einen Stuhl, nahm seine Hand in ihre Hände und sah ihn an, dessen Augenlider sich leicht schlossen. Eine neue Granate heulte heran. Sie bezwang sich, nicht zu zittern, damit der Entschlummernde nicht ihre Angst spüren sollte.

Die Granate schlug mitten in das Lazarett ein und vernichtete auf der Seite, wo Herr v. M. und seine Braut waren, alles Lebende.


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