Paul Ernst
Die Taufe
Paul Ernst

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Der Kirschbaum

Ein wilder Kirschbaum blühte am Rande eines Weges, der zwischen grünen Feldern mit handhoher Saat in den stillen braunen Wald führte. Ein junger Ritter saß auf seinem Roß und kam unter den blühenden, von Bienen umsummten Baum, auf den vom blauen Himmel hernieder die Sonne freundlich schien. Plötzlich war es ihm, als fühle er eine Zärtlichkeit gegen den Baum; er hielt an, umarmte den seidenglänzenden glatten Stamm und küßte ihn; wie er das getan, schämte er sich seines törichten Handelns, ließ den Stamm los, ergriff wieder die Zügel und drückte leicht mit den Knien das lustige junge Pferdchen, daß es fröhlich wiehernd und mit dem Kopf nickend sich in eine rasche Gangart setzte.

Da war es ihm, als spüre er hinter sich ein leichtes, federleichtes Wesen sitzen, er wunderte sich nicht und sah sich nicht um; zwei feine Hände in zarten, seidenweichen Handschuhen schoben sich von hinten und schlangen sich um seinen Leib, das leichte Wesen hielt sich an ihm fest. »Wenn ich denn schon träume!« dachte er, zog den einen Handschuh leise von dem Händchen und steckte ihn in die Tasche. Ein silberhelles Lachen ertönte von dem Wesen hinter ihm und eine zarte helle Stimme sagte: »Nun hast du mich gefangen, und wenn ich bei dir bleiben soll, so darfst du mir den Handschuh nie wiedergeben.« Hier wendete er sich um und sah ein wunderliebliches Gesicht, hell wie eine Kirschenblüte, mit blauen, tiefen Augen wie der Himmel und goldenem Haar wie ein reifes Weizenfeld. Er blickte sie erstaunt an, und das Mädchen lachte wieder mit dem Klang eines silbernen Glöckchens. Das Pferdchen hielt still, riß den Kopf zur Erde und kaute am Gebiß, der Jüngling starrte noch immer; da sagte das Mädchen: »Willst du nicht umwenden und zu deinem Hause hinaufreiten? Denn ich bleibe doch nun bei dir.« »Ja, das will ich tun, wenn du nun bei mir bleibst,« erwiderte er, wendete um und ritt seinen Weg zurück. Wie er unter dem Kirschbaum durchkam, rief das Mädchen: »Lebe wohl, lebe wohl.« »Wie, willst du gehen, ich denke, du willst bleiben?« fragte erschrocken der Jüngling; das Mädchen lachte und sprach: »Nicht von dir nahm ich Abschied.«

So brachte er das Mädchen nach Hause, und sie blieb bei ihm; sie küßte ihn und lachte ihm zu mit heiteren, glücklichen Augen; und wenn sie zu ihm lachte, dann vergaß er sein Haus, die Menschen und die Enge, und es war ihm, als liege er ruhig und ohne Gedanken unter einem schönen Baum, in dessen grünem Laube golden die Sonnenstrahlen irren. Sie stand am hohen Fenster und sah ins weite Land hinaus, und Bienen kamen, viele Hunderte, und umsummten sie, sie aber stand ruhig und ohne Angst inmitten des Schwarmes, und zuletzt sagte sie lachend: »Fliegt weiter zum Birnbaum, stiegt weiter zum Schlehdorn. Verblüht ist die Mandel, nun blüht bald der Apfel.« Da zogen sich die Bienen zusammen zu einem dunklen Schwarm und flogen fort.

Nach Wochen war es, als ob ihre weiße, durchsichtige Haut sich leise röten wollte wie eine helle Kirsche; ihre freundlichen Lippen lächelten gütig, und der Jüngling sagte: »Ich denke, du mußt schöne Gaben reichen jedem, der vorüberkommt, Erquickung dem müden Wanderer; ich kann mir nicht anders denken, als daß das so ist; und hast du mir nicht auch Heiterkeit gebracht, Leichtigkeit und Güte?« »Ich will bei dir bleiben,« antwortete sie, »versprich mir, daß du mir nicht nachgeben willst, wenn ich dich einmal um etwas bitte, denn wenn du mir nachgibst, so wird ein Unglück folgen.« »Ach, du Liebe, du hast doch noch nie etwas von mir gebeten,« sprach er, »du bist nur immer fröhlich und bist freundlich zu mir, wenn ich dir ein kleines Geschenk mitbringe, einen Ring oder ein Band oder einen Gürtel oder Ähnliches, so freust du dich, damit ich mich über deine Freude freue, aber dann legst du das Geschenk fort. Bitte doch einmal etwas von mir, damit ich weiß, was dir eine wirkliche Freude machen kann, damit ich es dir kaufe oder suche.« Da wurde das Mädchen ängstlich, in ihren klaren Augen stiegen Tränen auf, sie faltete stehend die Hände und sagte zu ihrem Freunde: »Lieber, ich flehe dich an, wenn ich dich einmal um etwas bitte, so gewähre es mir nicht, denn wenn du es mir gewährst, so folgt ein Unglück.« Da lachte er, küßte sie auf die Stirn und sprach: »Wie bist du doch kindisch!« Aber sie ließ nicht nach mit Flehen, bis er ihr versprach, daß er ihr niemals eine Bitte erfüllen wolle.

Wie dieses nun gewesen war, da erzählte nach einigen Tagen der Jüngling, daß er ausgeritten sei und sei durch Zufall an dem Kirschbaum vorbeigekommen, bei dem er sie damals getroffen im Frühjahr, und der Baum habe voller weiß und roter Kirschen gehangen und habe seine Früchte ihm dargeboten, und ihm sei gewesen, daß er immer habe an sie denken müssen bei dem anmutigen Baum und den schönen Früchten. Da faßte sie auf ihr Herz und sagte zu ihm: »Nun ist schon Sommer, und der Roggen beginnt zu vergilben, nun war ich so lange hier in deinem Hause und habe dir noch nicht eine Bitte gesagt. Jetzt aber bitte ich um etwas, nämlich daß du mich auf deinem Roß mitnimmst zu dem Kirschbaum, denn ich will den Kirschbaum sehen!« Da dachte er daran, daß er versprochen, ihr nie einen Wunsch zu erfüllen, aber er dachte: »Wie kann ich ihr denn abschlagen, um das sie mich bittet? So lange ist sie schon bei mir und hat mich lieb, und noch nie hat sie mir einen Wunsch gesagt; und nun will sie so Kleines.« Deshalb versprach er ihr, daß er mit ihr reiten wolle am anderen Morgen, und stieg am anderen Morgen auf sein Roß und hob sie hinter sich, und sie schob ihre Hände wieder vor, eine Hand mit einem Handschuh und eine bloße Hand, faltete die Hände, und so hielt sie sich an ihm. Wie er aber ritt, da fühlte er, wie ihre Tränen ihm auf den Nacken fielen. Er fragte sie: »Weshalb weinst du?« »Ich weine, weil du mir meinen Wunsch erfüllt hast,« sagte sie. Da dachte er: »Wie gut ist sie, daß sie sich bis zu Tränen freut, weil ich ihr diese Kleinigkeit gewährt habe.«

So kamen sie nun unter den Kirschbaum, der seine Zweige darbot; und wie das Pferd mit ihnen unter dem Kirschbaum war, da sagte das Mädchen: »Nun hast du mir meinen Wunsch erfüllt, und ich freue mich, daß ich wieder unter dem Kirschbaum bin. Aber nun habe ich noch einen zweiten Wunsch, und weil du so gut bist und mich so lieb hast, so bitte ich auch noch um den zweiten.« »Sage mir, was du willst,« antwortete er, »ich will dir erfüllen, was du wünschest.« »Als du mich im Frühjahr fandest, da zogst du mir einen Handschuh aus und nahmst ihn zu dir,« sagte sie, »und ich weiß, daß du ihn noch bei dir führst. So gib mir nun auch meinen Handschuh wieder.« Da lachte der junge Ritter und sprach: »Wenn du doch um ein Großes bitten möchtest, denn Liebe will so gern schenken!« Und damit nahm er den Handschuh vor, und scherzend zog er ihn ihr selber an die weiße Hand, die sie ihm unter seinem Arm hindurch nach vorn reichte.

Aber wie der Handschuh über die Hand gestreift war, da hörte er sie tief seufzen, und unter Weinen sprach sie: »Nun lebe wohl,« und wie er sich erschrocken nach ihr umsah, da war sie verschwunden, und wie er auf seine Brust vor sich sah, über die noch eben ihre Hände geschlungen waren, da waren die Hände verschwunden, durch den Kirschbaum aber ging ein leises Schauern.


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