Paul Ernst
Die Taufe
Paul Ernst

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Heiratsanträge

Zwei Freundinnen saßen in vertraulichem und wichtigem Gespräch beieinander: eine heitere, gesunde und schöne Frau von noch nicht dreißig Jahren und ein blasses, zartes Mädchen mit schwermütigem Gesichtsausdruck, mit seinen, geistigen Zügen, welche etwa die Mitte der Zwanzig erreicht haben mochte. Sie unterbrachen das Gespräch eine Weile und traten ans Fenster; im winterlichen Schnee unten tobten die Kinder der Frau mit roten, lustigen Gesichtern, schreiend, sich mit Schnee bewerfend, sich kugelnd; die Mutter hatte ihnen lächelnd mit dem Finger gedroht; der Älteste hatte gutmütig-frech die Bewegung der Mutter nachgeahmt, die Freundinnen hatten gelacht, dann hatten alle drei Kinder unten lachend den Finger erhoben, bis die beiden Frauen vom Fenster zurückgetreten waren.

»Was soll ich dir sagen,« sagte die Ältere nach längerem Schweigen. »Ich will dir meine eigene Geschichte erzählen. Du weißt, Curt und ich, wir waren Jugendfreunde. Unsere Eltern hatten wohl gedacht, wie das Eltern so tun, daß wir einmal ein Ehepaar werden sollten. Wir wuchsen zusammen auf, wir prügelten uns und vertrugen uns; Curt beschützte mich und ich tröstete ihn, wenn es in der Schule nicht so recht gehen wollte; als er in den höheren Klassen saß und ich ein Backfisch war, nannte er mich ›Sie‹, holte mich zum Schlittschuhlaufen ab und tanzte in der Tanzstunde mit mir und war vor mir verlegen; als er aus dem ersten Studentensemester nach Hause kehrte, duzte er mich wieder und ich wurde verlegen. An meinem achtzehnten Geburtstage kam er, brachte mir ein merkwürdig teures Geschenk, ein Armband, setzte sich dann mir gegenüber in meinem Mädchenstübchen und fing eine längere Rede an. Ich spürte, daß er mir einen Antrag machen wollte, ich wurde rot und schämte mich und dachte: Wenn er dich nun plötzlich küßt? Er hatte einen schönen neuen Anzug an, der kam mir so komisch vor, daß ich das Lachen verbeißen mußte; er sah an sich nieder, der Schweiß stand ihm auf der Stirn, er zog ein Taschentuch vor; dabei fiel ihm, ohne daß er es merkte, ein Briefchen aus der Tasche auf die Erde.

Ich war ihm ja gut, hätte er nicht so geschwitzt und das Taschentuch gezogen, sondern mich in den Arm genommen und abgeküßt, so wäre alles in Ordnung gewesen. Aber nun mußte ich immer an das Briefchen denken, das auf der Erde lag, ob das wohl ein Liebesbriefchen war von einer anderen, oder ein Brief von einem Freund, oder von seinen Eltern; ich hörte gar nicht mehr auf ihn hin. Dunkel nur fühlte ich, wie er zum Schluß seiner Rede kam, von der ich doch kein Wort verstanden hatte; da sprang ich plötzlich auf, nahm das Briefchen von der Erde, lief ins Eßzimmer und las: es war eine Aufforderung vom Schneider, zur Anprobe zu kommen. Ich fiel auf einen Stuhl und lachte, und indem ich mich nicht zurückhalten konnte, mußte ich immer stärker lachen. Er war mir ins Eßzimmer gefolgt, in dem neuen Anzug, den Hut in der Hand; wie er mich sah, den Kopf auf den Armen über dem Eßtisch liegend und immer heftiger lachend, klappte er mit den Absätzen zusammen, sagte: ›Ich empfehle mich dem gnädigen Fräulein‹ und ging. Meine Mutter kam, fragte mit bekümmerter Miene, was gewesen sei; ich weinte, verbarg mein Gesicht an ihrer Brust; Curt ist an demselben Tag zur Universität zurückgekehrt.

Es war Winter damals; der Schnee lag wie heute, und wir hatten gute Eisbahn. Ich war am anderen Tage draußen auf dem Eis; ein junger Offizier, den ich flüchtig kannte, lief viel mit mir. Ich kann wohl sagen, ich hatte ihn eigentlich noch gar nicht genau angesehen. Er führte mich auf einen unbelebten Teil unserer Eisbahn, ich spürte irgend etwas und wurde verlegen, aber das war ganz anders wie den Tag vorher. Er war sehr erregt und sprach wohl recht töricht; er begann, indem er versicherte, daß er ein anständiger Kerl sei. Dann sagte er, ich sei sehr reich; das hatte ich mir noch gar nicht so klar gemacht, und endlich schloß er, daß er mich trotzdem liebe. Mir war da so zumute, daß ich ihm gar nichts antworten konnte, aber ich bin gewiß sehr rot geworden, denn ich fühlte es heiß im Gesicht. Er sagte, wir müßten nun zu den anderen zurücklaufen; als wir wieder unter den Menschen waren, verabschiedete er sich und fragte, ob er mit meinen Eltern sprechen dürfe. Ich glaube, ich habe da immer noch nichts gesagt. Aber wie ich nach Hause komme und in die Wohnstube trete, da sitzt er dort bei meinen Eltern am Tisch. Er stand auf und wollte mich küssen, ich reichte ihm aber nur die Backe hin.

Wie ich im Bett lag, habe ich viel geweint, und dann bin ich eingeschlafen. Meine Mutter sprach mit mir am anderen Morgen, ob ich ihn denn wirklich so gern habe; ich könne ja wählen, wie ich wolle, es solle mich niemand zwingen, aber ihnen, den Eltern, wäre es so lieb gewesen, wenn ich Curt gewählt hätte. Da wurde mir erst klar, daß ich den anderen liebte, und der ist nun auch mein Mann geworden. Er hat ja seine Fehler, und ich habe es oft nicht leicht mit ihm, aber da muß man sich eben fügen, man hat doch auch die Kinder, und ich bin schließlich eine glückliche Frau.«

Die Freundin sah zu Boden und seufzte. Dann sprach sie: »Ich verstehe, was du meinst. Ich sollte mich in dieser Entscheidung dem Göttlichen anvertrauen und hoffen, daß ich zum Guten geführt werde. Vielleicht sollte man nicht zu viel denken; ich habe vielleicht zu viel gedacht.«

Indem öffnete sich die Tür und die Kinder kamen herein, sie hatten die Mäntel und Schuhe abgelegt; aber die Backen glühten noch, die Hände waren noch kalt und rot. Das Jüngste, ein Mädchen von kaum drei Jahren, kletterte der Tante auf den Schoß und schmiegte sich an sie, mit großen Augen zu ihr hochsehend, die niedersah mit mütterlichem Ausdruck des Gesichtes. Die Mutter verließ mit den beiden anderen Kindern das Zimmer, um das Vesper zu besorgen; das kleine Mädchen auf dem Schoß bettelte: »Eine Geschichte vom Postwagen.« Sie erzählte vom Postwagen, der brachte allerhand Pakete, für alle Kinder in der Stadt, mit Puppen und Puppenstuben. Leise trat ein junger Mann ein und sah auf die Gruppe; das Mädchen wurde glühend rot, ließ das Kind zur Erde gleiten, das sie erstaunt anblickte. Der junge Mann ging auf sie zu, nannte sie mit ihrem Vornamen; da stand sie auf, legte ihre Hand in seine und sagte, indem sie ihn ansah: »Ja, ich will.«


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