Paul Ernst
Die Taufe
Paul Ernst

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Die Stärkere

Der verwitwete Herzog v. Uzès verliebte sich als Fünfzigjähriger in das reizende achtzehnjährige Fräulein v. Monbars. Ein achtzehnjähriges vornehmes Fräulein war im Frankreich des siebzehnten Jahrhunderts gewöhnlich ein unbeschriebenes Blatt; von dem Fräulein v. Monbars aber wurde behauptet, daß schon mehrere Männer ihren Namen auf ihr verzeichnet hatten. Nun, das sei, wie es will; der Herzog fragte die Mutter, die Mutter sprach mit der Tochter, die Tochter lachte, bis sie nicht mehr konnte, und sagte: »Verschimmeltes Brot esse ich nicht.« Die Mutter wurde ernst, stellte ihr alles vor, sprach auch von den ungünstigen Gerüchten, welche über sie gingen; das Fräulein zuckte endlich die Achseln und sagte: »Nun, wie der Herr Herzog will. Er ist sehr mutig.« Die Mutter sah ihr Kind an, dann erwiderte sie in ernstem Ton: »Man erzählt, daß der Herzog seine erste Gattin zwang, einen Giftbecher zu leeren, weil er sie einer Untreue überführt hatte.« Das Fräulein schmollte und sagte: »Du bist so langweilig.« Nun küßte die Mutter sie auf die Stirn, ging ins Nebenzimmer, kehrte mit dem Herzog zurück; der Herzog verbeugte sich tief, küßte ihre Hand und steckte ihr an den einen Finger einen kostbaren Verlobungsring. Sie betrachtete den Ring, rief: »Ach, wie schön,« fiel dem Herzog um den Hals und küßte ihn. Die Mutter lächelte mütterlich und streichelte ihr die Hand.

Die Vermählung wurde bald gefeiert, und da der Herzog keine Schönheit war, so machte man über das junge Paar viele Witze. Der Herzog war klein und dürr und hatte eine ungeheure Hakennase in seinem schmalen Gesicht; der Herr v. Benserade flüsterte der jungen Frau ins Ohr: »Abends hängen Sie ihn doch mit seiner Nase am Kleiderhaken auf?« Als Antwort kniff sie ihn ins Bein, daß er beinahe schrie.

Nun geschah es einmal eines Abends, daß Herr v. Benserade langsam die Rue de Rivoli entlang ging, ab und zu in ein Schaufenster blickte, einem hübschen Mädchen nachsah, einem Bekannten einen Gruß zuwinkte oder mit einem Freunde ein paar Worte und einen Händedruck wechselte; da sprach ihn ein Mann an und überreichte ihm ein Briefchen. Er öffnete das Briefchen und fand, daß es von einer zierlichen Damenhand geschrieben war und die Aufforderung enthielt, dem Überbringer zu folgen. Benserade sah dem Mann noch einmal genau ins Gesicht und machte ihm dann eine Handbewegung, daß er vorangehen solle. Der Mann ging vorauf, Benserade folgte ihm; in einer entlegenen Straße stand ein Wagen, Benserade stieg mit dem Mann ein; der Mann bat um die Erlaubnis, ihm die Augen verbinden zu dürfen; er gestattete es; der Wagen fuhr sehr lange durch Straßen, dann in eine Torfahrt; der Mann half Herrn v. Benserade heraus auf eine kleine Treppe, nahm ihm hier die Binde ab und führte ihn in ein sehr schön möbliertes Zimmer und ließ ihn allein.

Auf einem mit Silbergerät prächtig gedeckten Tisch war ein Essen für zwei Personen angerichtet; Wein stand bereit; ein dreiarmiger silberner Leuchter mit duftenden Wachskerzen erhellte ungewiß den großen Raum: einen geschnitzten breiten Schrank, ein großes Bett mit rotdamastenen Vorhängen, Porträts an den Wänden. Indem Benserade dies alles flüchtig überschaute, öffnete sich die Tür, eine anmutige Dame im grünen schleppenden Seidenkleid, eine Halbmaske vor dem Gesicht, die Haare durch einen Schleier verhüllt, trat in das Zimmer, machte ihm eine Handbewegung nach dem Stuhl und setzte sich; der Mann, welcher Herrn v. Benserade gebracht hatte, erschien und servierte stumm und ernst; ein Gespräch kam in Gang, das von der Dame in jenem hohen Ton geführt wurde, in welchem die Masken sprechen. So gut waren alle Vorbereitungen getroffen, daß Benserade sich vergeblich den Kopf zerbrach, wer sein Gegenüber sein könne, er sah die Eßbestecke an und bemerkte ein Wappen; heimlich nahm er einen kleinen Löffel zu sich und steckte ihn in die Tasche.

Die Unterhaltung, welche zuerst natürlich gezwungen gewesen, belebte sich schnell, der Diener goß Wein ein, die beiden stießen lachend ihre Gläser an; als sie abgegessen hatten, räumte der Diener geräuschlos das Geschirr ab und ließ sie dann allein.

Am anderen Tage war Herr v. Benserade im Louvre. Er trat auf eine Gruppe von Herren zu, zog den Löffel aus der Tasche und zeigte ihn vor, indem er erzählte, er habe ihn zufällig unter seinem Silber gefunden, das Wappen sei ihm fremd, und er möchte gern wissen, wem das Wappen gehöre. Der Löffel wanderte durch einige Hände, endlich rief ein Herr: »Das ist ja dein Wappen, Uzès.« Der Herzog v. Uzès, welcher mit in dem Kreise stand, nahm den Löffel, betrachtete ihn und bestätigte das; es wurde noch verschiedenes Gleichgültige gesprochen, über die Dienstboten und ihre Nachlässigkeit mit dem Silber; dann gingen die Herren auseinander.

Zu Hause ließ der Herzog den Silberdiener kommen, zeigte ihm den Löffel und fragte. Der Mann beteuerte, daß er noch gestern das Silber nachgezählt habe, und es sei alles vorhanden gewesen; er mußte nachsehen und kam dann zurück mit der Nachricht, daß allerdings dieser Löffel fehle. Der Herzog gab ihm einen Verweis und entließ ihn. Dann ging er in die Gemächer seiner Gemahlin.

Er teilte ihr mit, daß er beabsichtige, Paris mit ihr zu verlassen und für einige Wochen auf ein Schloß in der Provinz zu ziehen. Als er das sagte, sah er so finster aus, daß die Herzogin erschrak; aber gleich beherrschte sie ihren Schreck wieder; sie mußte daran denken, daß sie ihn des Abends am Kleiderhaken aufhängen sollte, und lachte. Der Herzog furchte die Stirn, ermahnte sie, Sorge zu tragen für die Dinge, welche sie mitnehmen wolle, und ging dann aus dem Zimmer. Sie setzte ein Briefchen an Benserade auf und schrieb, daß der Herzog alles erfahren habe, und daß Benserade sie rächen solle, wenn sie nicht von der Reise zurückkomme; am Schluß schrieb sie, daß sie ihm nicht zürne, denn sie habe ihn lieb. Dieses Briefchen schickte sie ab, und dann begann sie mit ihren Dienerinnen zu packen.

Die Reise in dem unbehilflichen und hochbepackten Wagen dauerte viele Stunden. Die Gatten saßen einander gegenüber, der Herzog schweigsam, in sich versunken; die Herzogin oft aus dem Fenster in die Landschaft sehend, gähnend und mit dem Händchen sich auf den Mund klopfend, zuweilen einen Versuch zu einem Gespräch machend. Spät am Abend kamen sie zu ihrem Ort. Der Wagen hielt vor einem schwarzen, tiefen Tor, in dem drohend über ihnen ein eisenbeschlagenes Fallgatter hing; ein finsterer Schloßverwalter empfing sie, geleitete sie über eine ausgetretene steinerne Treppe in feuchtkalte Gemächer; als die Herzogin fröstelnd ihren Mantel zusammenzog, erzählte der Mann, daß er in ihrem Zimmer habe heizen lassen. »Es ist das Zimmer, in dem meine erste Frau gestorben ist?« fragte der Herzog; der Mann bejahte; die Herzogin verlangte in scharfem Ton von ihrem Gatten, daß er sie führen solle, und im Abgehen sagte sie ihm ins Ohr: »Welch überflüssiges Pathos.«

Wie sie angekommen waren, setzte sich die Herzogin in einen Stuhl, der Herzog ging auf und ab. »Weshalb sprichst du nicht?« fragte sie ihn. Endlich sagte er: »Ich lasse dir die Wahl, welchen Tod du sterben willst.« »Gib mir das Gift, das du deiner ersten Frau gegeben,« antwortete sie mit ruhiger Stimme. Er trat an den Tisch, nahm ein Pulver aus der Tasche, schüttete es in ein Glas und goß Wasser dazu, dann reichte er ihr das Glas. »Deine Hand zittert ja nicht,« sagte er. »Ich habe gute Nerven,« antwortete sie und setzte das Glas an den Mund.

Da riß er ihr das Glas fort, schleuderte es auf den Boden, daß es zersplitterte und der Inhalt sich ergoß. Sie sah ihn verwundert an, er lief aus dem Zimmer, durch den langen Gang, in die Stube, welche er für sich bewohnte.

»Er hat sich geschämt,« schrieb die Herzogin an Herrn v. Benserade. »Kommen Sie und besuchen Sie mich. Ihnen werde ich treu sein; ich will für Sie sorgen wie eine Mutter, denn so muß man Sie lieben.«


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