Paul Ernst
Die Taufe
Paul Ernst

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die betrogene Rache

Ein Advokat war in ein junges, schönes und reiches Mädchen verliebt, deren Eltern gestorben waren und sie als unbeschränkte Herrin über ihr Leben und Vermögen und somit als eine etwas törichte Jungfrau zurückgelassen hatten. Unsere Geschichte aber ereignete sich in Paris, gegen den Schluß des achtzehnten Jahrhunderts.

Der Rechtsanwalt war ein tüchtiger Mann in seiner Art mit einer guten Praxis, und es war gegen ihn gar nichts zu sagen; nur, er hatte einen Buckel, und ein Buckel dient selbst dem trefflichsten Mann nicht zur Empfehlung, wenn er auf Freiersfüßen geht, am wenigsten bei einem etwas recht von sich eingenommenen Mädchen. Sie ahnte denn auch gar nichts von den Gefühlen des Mannes, und als er plötzlich in einem reich gestickten und mit Goldborten besetzten roten Samtrock, grünsamtener Kniehose und weißen Strümpfen in Lackschuhen mit roten Absätzen vor ihr erschien, mit einem großen Blumenstrauß in der Hand, und sie zur Frau haben wollte, indem er sein Gesicht in die wunderlichsten Falten legte, da war sie so erstaunt, daß sie erst erschrak und dann in lautes Lachen ausbrach; sie fühlte wohl das Unschickliche, ja Unsittliche ihres Benehmens, aber sie konnte das Lachen nicht anhalten; Gesicht und Figur ihres Liebhabers erschienen ihr immer komischer, als sie seinen Zorn, seine Erbitterung bemerkte, als sie sah, wie er sich erblaßt auf die Lippen biß und mit dem roten Absatz aufstampfte; sie lachte, bis ihr die Tränen kamen; der Advokat schleuderte seinen Strauß in eine Ecke des Zimmers und lief aus der Tür. Als er fortgegangen war, ging ihr Lachen ohne Grund in Weinen über; wie sie sich ausgeweint, sah sie den Strauß in der Ecke liegen; die schönen Blumen dauerten sie, sie dachte, daß sie nun abgeschnitten seien und nur noch kurze Zeit zu blühen hatten; so holte sie ein Gefäß und stellte sie sorgfältig in Wasser.

Buckelige Leute sind wohl meistens rachsüchtig; dieser war in der empfindlichsten Weise verletzt, und so beschloß er eine ganz gehörige Bestrafung.

Es gab damals in Paris noch die Wasserträger; das waren arme Männer vom Lande, meistens aus der Auvergne, welche fleißig, kräftig, intelligent und ordentlich waren und inmitten der so vielfach entarteten städtischen Bevölkerung auch ganz stattlich und gut aussahen, aber in ihren Holzpantoffeln und selbstgewebten Warpanzügen auf das tiefste verachtet wurden. Der Advokat suchte sich unter diesen Leuten einen besonders hübschen und gut gewachsenen jungen Menschen mit aufgewecktem Gesicht aus und machte ihm den Vorschlag, er wolle ihn auf seine Kosten ein Jahr lang sich ausbilden lassen, damit er einen vornehmen Herrn vorstellen könne, unter der Bedingung, daß er ein bestimmtes junges Mädchen heirate, die sehr hübsch und reich sei. Der Auvergnate antwortete ihm lachend: »Wenn Ihr ein Mädchen an den Mann bringen wollt, das ein Hufeisen verloren hat, so sucht nur im Bürgerstand, ein Auvergnate hat Ehre im Leibe.« Der Advokat schwor ihm zu, daß sein Mißtrauen unberechtigt sei, und mußte ihm endlich den Grund seines Vorhabens mitteilen. Der Auvergnate stieß einen langgezogenen Pfiff aus, sagte: »So eine Canaille von Bürger,« und fuhr fort, daß er sich das Mädchen ansehen wolle.

Der Advokat kleidete ihn gut an und führte ihn in eine Gesellschaft, wo er das junge Mädchen traf; er stellte ihn als einen Vetter aus der Provinz vor und gab den anderen zu verstehen, der junge Mann sei von guter Familie und vermögend, aber recht bäurisch aufgewachsen und solle in Paris etwas Schliff bekommen. Als der Auvergnate groß und lang dem beweglichen hübschen Mädchen gegenüberstand und ihr kindliches Lachen hörte, ihre zierlichen Hände und Füße sah und dachte, daß er sie heiraten könne, wenn er wolle, da durchfuhr ihn eine plötzliche Liebe; er wurde über und über rot, und wie ihn das Fräulein fragte, ob er schon das große Karussell gesehen habe, da begann er unbehilflich zu stottern; über ihr Gesicht huschte es wie ein beginnendes Lachen, aber plötzlich fühlte sie unbewußt seine Liebe und wurde gleichfalls feuerrot und verlegen; um der Szene ein Ende zu machen, kniete sie, wie ein kleines Mädchen, und wollte sich zu anderen wenden, er dachte, nun müsse er ihr die Hand geben, und sie legte denn auch ihr Händchen in seine ungeheure und harte Tatze, riß es dann schnell los und verschwand zwischen den übrigen.

Der Auvergnate drängte seinen Advokaten plötzlich zum Aufbruch, schon vor der Tür sagte er: »Ich nehme sie«; als er das triumphierende Lächeln in dem Gesicht des anderen bemerkte, beschloß er, recht vorsichtig zu sein, zog einen Landsmann zur Hilfe, der lesen und schreiben konnte, und machte einen richtigen Kontrakt.

Zunächst nahm er Unterricht in den Elementarfächern, machte sich dann bald selbständig von dem Rate des Advokaten, indem er Mathematik, Geschichte und Sprachen studierte, las mit Verstand und Urteil und entwickelte sehr schnell einen tüchtigen und verständigen Geist. Von der Bauernarbeit auf dem Dorfe her war sein Körper noch mancherlei Übungen gewohnt, die ihm nun zugute kamen; er lernte reiten wie ein Kavalier, lernte fechten und tanzen; sehr bald bewegte er sich in seinen neuen Kleidern, als habe er sie immer getragen; eine gewisse Schüchternheit stand seinem männlichen, offenen Wesen gut; er beobachtete in der Gesellschaft des Advokaten und seiner Freunde sehr gut alle Manieren, knüpfte selber Beziehungen in einem anderen Kreise an, nachdem er durch Zufall Gelegenheit gefunden, einem Offizier bei einem Überfall durch Strolche behilflich zu sein; kurz und gut, er entwickelte sich so vorzüglich, daß sich der boshafte Advokat nicht genug selber beglückwünschen konnte über den psychologischen Scharfblick, den er bei der Auswahl dieses Subjekts bewiesen. »Das ist so einer von denen, auf welche die Weiber gehen wie die Fliegen auf den Zucker,« dachte er bei sich. »Dabei ist er auch noch so ein braver, anständiger Kerl, bei dem der Vormund keine Schwierigkeiten machen kann; na, das wird eine Freude werden, wenn die Enthüllung kommt.«

Sobald der Auvergnate sich gesellschaftlich sicherer fühlte, forderte er den Advokaten auf, ihn wieder mit dem Mädchen zusammenzubringen; alles ging nach seinem Wunsch, er eroberte sich das Herz der Dame; der Vormund kam zu dem Rechtsanwalt und erkundigte sich, und in geschickten Ausdrücken, daß er sich nicht bloßstellte, gab der die scheinbar besten Auskünfte; der Hochzeitstag wurde festgesetzt, erschien endlich, das Paar wurde in der Kirche getraut; die Hochzeitsgesellschaft bestand aus den Verwandten der jungen Frau, einigen Familien, die auch mit dem Advokaten bekannt waren, dem Advokaten, und aus jenen Offizieren, mit denen der junge Mann eine vertraute Freundschaft geschlossen.

Am obersten Ende des Tisches saßen der stattliche junge Gatte und seine glückstrahlende Gemahlin, dann kamen die anderen Gäste, am entgegengesetzten Ende hatte der Advokat seine Stelle bekommen, nach seinem ausdrücklichen Wunsch, den er gegen den Mann geäußert. Als der Braten herumgereicht wurde und die Reihe der üblichen Toaste beginnen mußte, erhob er sich, klingelte an sein Glas und begann seine Rede: heute vor einem Jahre habe er der jungen Frau, die er nun mit gerührtem Herzen sich gegenüber sitzen sehe, einen Antrag gemacht, von dem er damals angenommen, daß er sie ehren müsse; der jungen Frau kam plötzlich der Gedanke eines nahenden Unheils, sie wurde blaß, ihr Mann faßte ihre Hand fest und flüsterte ihr zu, sie solle Mut haben, es werde alles gut ausgehen; der Advokat fuhr fort, er verstehe nun, weshalb sie ihn damals ausgeschlagen, ihre Neigungen seien eben auf eine tiefere Stufe der menschlichen Gesellschaft gerichtet, wie ein Advokat einnehme, denn sie habe ja nun einen Wasserträger geheiratet.

Die Offiziere drehten an den Schnurrbärten und blickten angelegentlich auf ihre Teller, die übrigen Gäste sahen verwundert auf das Paar; die junge Frau schaute mit einem halb ungläubigen stehengebliebenen Lächeln entgeistet auf ihren Gatten; dieser drückte ihr noch einmal beruhigend die Hand, erhob sich dann in seiner ganzen Länge, schritt still mit langen Beinen zu dem Stuhl des Advokaten, der ihn beunruhigt anblickte, packte ihn beim Kragen, hob ihn vom Stuhl und sagte: »So, du Schuft, nun habe ich unseren Pakt erfüllt,« trug den Strampelnden dann am Kragen im steifen Arm durch den Saal, öffnete die Tür, warf ihn hinaus und schloß die Tür wieder. Darauf ging er zu seinem Sitz zurück und erzählte stehend der Versammlung, seine jetzige Frau habe allerdings ein Unrecht begangen, indem sie den Mann, der sie in seiner Art geliebt, ohne Grund beleidigt; aber das sei in der Unerfahrenheit ihres Herzens geschehen, und so eine Albernheit werde nicht wieder vorkommen. Er selber sei damals wirklich Wasserträger gewesen, und der Advokat habe ihn zu seiner Rache gebrauchen wollen; er habe zuerst zugreifen wollen, um aus seiner niedrigen Lage in die Höhe zu kommen; und das sei freilich auch von ihm ein Unrecht gewesen; aber als der Advokat ihm seine jetzige Frau gezeigt, da habe er sofort eine starke Liebe zu ihr gefaßt und habe sich geschworen, er wolle ein Mann werden, der ihrer würdig sei und dessen sie sich nicht zu schämen habe, und ohne diese Liebe würde er bei seinem harten Kopf sich auch nicht in dem einen Jahr die Kenntnisse haben erwerben können, die er nun besitze.

Hier erhob sich nun der älteste der Offiziere, winkte ihm Schweigen zu und fuhr fort: »Ich bin Hauptmann bei der Artillerie, vor dreiviertel Jahren wurde ich in einer üblen Gegend von vier Strolchen angefallen, und es wäre um mich geschehen gewesen, wenn nicht dieser junge Mann mich mit unglaublicher Kühnheit herausgehauen hätte. Als ich ihm dankte und ihn fragte, ob ich ihm nicht irgendwie meinerseits helfen könnte, da eröffnete er mir sein Herz und erzählte mir alles. Zuerst erschien mir ja die Geschichte schmutzig, aber als ich ihn dann näher kennen lernte, da merkte ich, daß er ein Ehrenmann ist, und ein braver Kerl, auf den jedes Regiment stolz sein kann. Ich habe ihn mit meinen Kameraden bekannt gemacht, und die haben in dem halben Jahr auch gesehen, daß er ein wahres Licht von Gelehrsamkeit ist und eigentlich mehr taugt wie wir alle zusammen. Na, nun wollten wir doch dem verdammten Aktenschmierer auch in die Suppe spucken, wir können einige bürgerliche Leutnants einstellen, und so haben wir ihn denn zum Leutnant gewählt, und wenn seine Frau Gemahlin, was sie gewiß tun wird, das Patent bezahlt, so kann er morgen bei uns eintreten. Dann hat sie einen forschen Artilleristen zum Mann.«

An diese Rede schloß der Hauptmann ein Hoch auf das Brautpaar, die junge Frau sah ihrem Mann verklärt ins Gesicht, denn ein Leutnant, wenn er auch nur ein Artillerist war, schien ihr das höchste Wesen auf Erden zu sein, alle erhoben sich, stimmten in das Hoch ein und ließen die Gläser klingen.

Der Advokat, welcher vor der Tür gehorcht hatte, stürmte jetzt herein und schrie: »Fünftausend Franken habe ich bezahlt, die will ich wiederhaben.« Der junge Ehemann wollte ihm schon antworten, er werde sie ihm zurückgeben, aber der Hauptmann erhob sich, zog seinen Säbel blank, fuchtelte ihm damit vor der Nase herum und schrie ihn an: »Wenn du verdammte Mißgeburt dich nicht gleich packst, dann zähle ich dir fünfundzwanzig mit der flachen Klinge auf deinen Buckel.« Der Advokat bekam eine kreideweiße Nasenspitze, machte kehrt und lief aus dem Saal, so schnell er konnte; die Leute draußen hatten inzwischen alles erfahren, und als er erschien, wurde er mit Jubel empfangen, ein junger Kellner, dem er einmal kein Trinkgeld gegeben, nahm ihn auf die Schulter und lief mit ihm auf die Straße, die Menschen sammelten sich, johlten, lachten und schrien, der Advokat riß den Kellner in den Haaren, kratzte ihm ins Gesicht, bis der ihn vornüber in die Menge warf; die Menge stiebte auseinander, er richtete sich mühsam auf und humpelte nach der Richtung seines Hauses, indessen die Straßenjugend ihn mit Steinen und Kot bewarf; zu seinem Glück nahm ihn ein Mietswagen auf, sonst wäre es ihm auf seinem Heimweg noch übel ergangen.


 << zurück weiter >>