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33.

Je wichtiger durch die Erklärung des Vaters der Punkt von der Heirath geworden war, desto begieriger ward der Sohn, die Meinung desselben über die Wittwe zu wissen, und desto scheuer die Tochter, sie zu erforschen. Gleichwol wagte sie am folgenden Nachmittage beim Thee einen Versuch, mit dem es aber nicht zum glücklichsten ablief.

Wissen Sie schon, fing sie an, lieber Vater, was sich gestern für eine wichtige, für eine denkwürdige Begebenheit zugetragen hat?

Nein, sagte der Alte.

Der edle Liebesritter Wrak hat seine reizende Dulcinea glücklich zum Altar geführt.

Hat er? – Der alte, armselige Stümper!

O spotten Sie seiner nur nicht! Er soll sich so glücklich, so überschwenglich glücklich fühlen – –

Je nun – er ist dem Himmelreich nahe.

Dem künftigen, meinen Sie? Ich zweifle, daß er daran noch denkt. – Doch was geht mich der alte Wrak an zusammt seiner Liebesgeschichte? Ich sehe nur, wie mich mein guter Vater gelehrt hat, auf die unschuldigen kleinen Waisen, die doch nun wieder einen Beschützer haben. – Ach das liebe kleine Waischen von gestern! Nicht wahr? wenn doch auch das wieder einen Beschützer hätte!

Die Mutter gab der Tochter einen abmahnenden Wink, und der Vater ward auf einmal sehr ernsthaft. – Dafür, sagte er, ließest Du wol am besten den Himmel sorgen. In solche Sachen sich einzumischen – – Aber was will ich? Ich bin wol thöricht, sehr thöricht.

Lieber Vater! sagte die Tochter verlegen.

Ich hätte beinahe einer Frau wie Dir eine Klugheitsregel gegeben. Als ob Du deren bedürftest!

Von wem nähme ich sie lieber an, als von Ihnen?

Nein, nein! Das hieße ja wol, dem Tage ein Licht anzünden. – Auch bist Du für solche Thorheiten noch viel zu jung. Das Heirathsstiften ist nur Sache für alte, abgelebte Matronen.

Die spitzfindige Miene, die er bei diesen Worten zog, und die unwillige, ärgerliche der Mutter machten der Tochter so bange, daß sie auf der Stelle verstummte. Es mußte etwas Unangenehmes zwischen den Eltern vorgefallen sein, das sie durch ihr Gespräch wieder aufgeregt hatte; und das war ihr außerordentlich traurig. –

Um's Himmels willen! fing sie an, sobald der Vater hinaus war: was habe ich gemacht, liebe Mutter?

Ja, der wunderliche, grillenhafte Alte, Dein Vater! Wird man je aus ihm klug? – Ich glaube, wenn ich hundert Jahre mit ihm lebte, ich lernte ihn dennoch nicht aus. – Denke Dir nur, was ich gestern der Wittwe wegen für einen Verdruß mit ihm hatte!

Der Wittwe wegen? – Das ist das Unangenehmste, was Sie mir sagen könnten!

Er fand sie hier wartend, als er aus Deinem Hause zurückkam. –

Nicht möglich!

Sie wollte ihm danken, daß er sie aus ihrer Verlegenheit mit Horn gerissen; aber das verbat er, und hörte kaum danach hin; er kam sogleich auf ihren ältesten Kleinen, den er bei Dir hatte kennen lernen, und sagte von dem Kinde so viel Liebes und Schönes, daß er der guten Frau das Herz abgewann, und sie recht munter und zutraulich machte. Er zog sie dann aus einem Gespräch in das andere, und war so zufrieden mit ihr, so zufrieden –

O mein Gott, liebe Mutter! Sie machen mich unaussprechlich neugierig. Sagen Sie mir doch nur Dies und Jenes, was vorfiel!

Gern. Wenn ich's nur wieder zusammenbringe! – Von der Wirtschaft ihres Vaters, glaube ich, war gleich zuerst die Rede; ja ja!

Und sie wußte zu antworten? wußte Bescheid?

Um Alles. Bis in's Kleinste hinein.

Ah! da begreife ich. Das wird ihm gefallen haben.

Gar sehr. – Dann kam er auf den plötzlichen Wechsel, da sie durch ihre Heirath von der Arbeit weg mitten in lauter Vergnügen versetzt worden, und meinte, dieser Wechsel sei ihr doch wol äußerst reizend gewesen? sie hätte wol für keinen Preis auf's Land zurückgehen mögen?

Sieh den Alten! Da legte er ihr eine Schlinge.

Ob sie so etwas merkte, oder – genug, sie ward ganz niedergeschlagen, und versicherte ihm, daß sie mitten im Wohlleben nie ohne Sehnsucht an das väterliche Haus zurückgedacht habe. Der Mensch, sagte sie, sei zur Arbeit geschaffen, und nur Arbeit erhalte ihn glücklich! das Vergnügen, wie sie aus eigener Erfahrung wisse, sei nur Würze, und wolle nur als Würze genossen werden: wer es zur Nahrung mißbrauche, zerstöre seine Gesundheit, und nehme dem Vergnügen selbst allen Reiz. Jetzt, da sie von sich selbst abhänge, sei es ihr wieder vergönnt, ein thätiges Leben zu führen, und eben jetzt, sobald sie nur von drückenden Sorgen frei sei, führe sie auch wieder ein glückliches Leben.

Schön! herrlich! Das war ihm wie aus der Seele gesprochen.

Damit fiel denn das Gespräch auf ihre Handlungsgeschäfte, in die sie sich schon so hineingearbeitet hatte, so vollkommen Bescheid darum wußte, daß er ihr recht große Lobsprüche ertheilte. Aber die lehnte sie alle ab, und gab sie ihrem Lehrer, wie sie ihn nannte, Deinem Bruder, zurück, von dem sie nun anfing, mit so herzlicher Dankbarkeit, mit so inniger Rührung zu reden, daß auch ich und Dein Vater nicht wenig davon gerührt wurden. Sie konnte am Ende vor Wehmuth nicht weiter und mußte schweigen.

Aber, liebe Mutter! in Dem allen sehe ich noch nicht den mindesten Anlaß zu einem Streite.

Der ist auch gar nicht gewesen.

Nicht? – Aber Sie äußerten doch – –

Höre nur erst zu Ende! – Als die Wittwe hinweg war, ging Dein Vater hier noch eine Weile herum, und sprach sehr rühmlich von ihr, und dann auch von Deinem Manne, der sich auf die Menschen sehr gut verstehe, und ihm diese wackere Frau zuerst in dem rechten Lichte gezeigt habe. – Ewig Schade, setzte er hinzu, daß sie an einen Menschen, wie diesen Lyk, hat gerathen müssen, der ihrer so wenig werth war, und der sie sammt ihren Kindern an den Bettelstab hätte bringen können. – Da nutzte ich denn die Gelegenheit, und fing an: Was meinst Du, Vater? das wäre so recht für unsern Sohn eine Frau gewesen. Und da sie jetzt Wittwe ist, so dächte ich immer, wir machten ihm einen Antrag darüber: denn sie ist doch noch jung, und es gäbe gewiß eine recht gute Ehe.

Ach, liebe Mutter! das, fürchte ich, war zu rasch, war zu deutlich.

Freilich wol! Aber, Du lieber Gott! ich sah das Eisen so herrlich glühen, daß ich's für Sünde gehalten hätte, nicht zum Hammer zu greifen und ein wenig zu schmieden.

Ja, wenn nur nicht die Funken umherflögen! Es ist so eine Sache damit. – Aber was hatte er denn gegen die Heirath? Was brachte er denn vor?

Das! sagte Madame Stark, und fuhr mit der flachen Hand über den Theetisch.

Wie? Er antwortete nicht?

Kein Sterbenswörtchen. Aber dafür sah er mich an – Du weißt, wie er Einen ansehen kann! – mit einem Paar Augen! – Ich dachte Wunder, was jetzt herauskommen würde; aber Nichts! nicht ein Laut! Er zog mir nur ein saures, äußerst saures Gesicht, und ging mit Kopfschütteln davon.

Das ist doch seltsam, sehr seltsam. Was gäbe ich darum, daß er gesprochen hätte!

Abends bei Tisch kam denn so Etwas hervor. Da war er wieder in seiner gewöhnlichen Laune, und schwatzte von der Thorheit des Heirathstiftens, wobei des Danks so wenig und des Undanks so viel zu gewinnen stehe, und von alten Mütterchen, denen ihr eigenes Liebesfeuer ausgegangen wäre, und die so gern ein fremdes anzündeten, um sich daran zu wärmen und an die eigenen besseren Tage dabei zurückzudenken; kurz, so ärgerliches und spitzfindiges Zeug, daß ich's machte wie er, und ihm auch ein recht saures Gesicht zog und auch mit Kopfschütteln davon ging.

Immer gut, liebe Mutter! Immer besser, als wenn Sie gesprochen hätten! – Aber wenn ich doch nur begriffe –!

Und hiermit fingen die Damen an, sich in scharfsinnigen Muthmaßungen über die eigentliche Ursache zu erschöpfen, warum dem Alten die vorgeschlagene Heirath mit der Wittwe so mißfalle – denn daß sie ihm mißfalle, setzten sie als erwiesen voraus. – Waren's etwa die beiden kleinen Kinder der Wittwe? Das glaubte die Doctorin nicht. War's noch ein Rest des alten Vorurtheils gegen sie? Das glaubte Madame Stark nicht. Waren's die zu geringen Vermögensumstände der Frau? Das glaubten die Damen alle beide nicht. – Kurz, der Alte war ihnen auch diesmal, wie sonst schon öfter, ein Räthsel.

Als der Doctor hinzukam, wurden diese Muthmaßungen um noch eine vermehrt. Er sah von der Wittwe und ihren Umständen ab, und glaubte, daß nicht sowol die Heirath dem Vater mißfalle, als das Vorschlagen derselben, das Anmahnen und das Bereden dazu. Er will gewiß, sagte er, daß der Bruder völlig frei, ohne fremden Einfluß und Antrieb handeln, und eine Wahl ganz nach seinem eigenen Herzen treffen soll. – Hätte der Doctor noch hinzugesetzt, daß vielleicht das Kopfschütteln des Alten weniger der Wittwe, als dem Sohne, gegolten, und daß seiner geäußerten Unzufriedenheit wol nicht so sehr Mißbilligung jener, als Mißtrauen gegen diesen, zum Grunde gelegen; so hätte er vermuthlich statt der halben die volle Wahrheit getroffen. Der Alte konnte es für möglich halten, daß der Sohn sich zu dieser Heirath bereden ließe, aber zugleich nach seinem Charakter für wahrscheinlich, daß er in der Folge diesen Schritt bereute, und dann seine Ehe unglücklich würde. –

Auf dem Heimwege wurden Doctor und Doctorin einig, daß der Bruder nur das vorteilhafte Urtheil des Vaters von der Wittwe, nicht den kleinen Vorfall mit der Mutter erfahren müsse. Sein Muth, wie Beide sehr richtig urtheilten, war eher zu stärken als niederzuschlagen. Uebrigens, da jetzt Alles erschöpft war, was zur Vorbereitung eines guten Ausganges nur immer geschehen konnte, so hielten sie es für nothwendig, daß der Bruder ein Ende machte, und so bald als möglich dem Vater vor Augen träte.


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