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21.

Ist wol nicht möglich! – sagte Herr Stark, als Monsieur Schlicht mit der Nachricht hereintrat, daß Madame Lyk ihn zu sprechen wünsche. – Er wird sich verhört haben, mein lieber Schlicht. Meinen Sohn wird sie sprechen wollen.

Nein, Sie! Sie! Ich habe ausdrücklich gefragt.

Hm! Also mich? In der That? – Nun, so führe Er sie gegenüber in das Besuchzimmer. Ich werde erscheinen. – Was in aller Welt kann das sein? Wie komme ich zu einer so galanten Visite? – Es ist ja wol kaum halb zehn – indem er nach seiner Uhr sah; – und die Frau ist schon auf? ist schon angezogen? hat schon ihre Chocolade getrunken? Das ist ja ganz außer der Regel! – Er trat seiner Gewohnheit nach vor den Spiegel, um sich den Stutz gerade zu rücken. – Wirst schon wieder schief zu stehen kommen, sagte er lächelnd; aber mein guter Stutz – – Glück werden wir ohnehin nicht mehr machen. Wir sind zu alt, und sind zu sehr außer der Mode. – –

Ich sollte erröthen, sagte die Wittwe, die durch das Studium einer ganzen langen Nacht keinen besseren Eingang hatte ersinnen können; ich sollte wegen der Störung und des Zeitverlustes, die ich verursache – –

Die Verlegenheit und die Furcht der guten Frau hatten ihre Stimme so sehr gedämpft, daß der Alte, der nach Art der Schwerhörigen ihr scharf in's Gesicht sah, und dadurch ihre Verlegenheit noch vermehrte, nur aus der Bewegung ihrer Lippen abnahm: sie müsse reden. Auch das Zurückstoßen des Stutzes ließ ihn nur ein leises, undeutliches Murmeln, keine eigentlichen Töne vernehmen. – Ich muß Sie bitten, fing er jetzt an, mir eine Schwachheit des Alters zu Gute zu halten; ich habe, wenn die Witterung kalt wird, einen Fluß auf dem rechten Ohre, der aber Gott Lob! so arg nicht ist, daß ich, wie mein Nachbar, ein Hörnchen mit mir herumtragen dürfte. Haben Sie nur die Gefälligkeit, ein wenig lauter zu reden, und ich werde Sie hören.

Diese Aufforderung zum Lautreden vermehrte das Herzklopfen der Wittwe, die schon so des Athems wenig genug, und dabei ein Anliegen hatte, das seiner Natur nach nicht wollte geschrieen werden. Es kam ihr äußerst gelegen, daß eben jetzt Herr Stark sie zum Niedersitzen auf das altmodische, rohrgeflochtene Kanapee einlud; denn kaum erhielt sie bei ihrer heftigen inneren Bewegung sich auf den Füßen. Es gelang ihr jetzt, dem alten Herrn zu bedeuten, daß ihre große Verpflichtung gegen seinen würdigen Sohn, der durch lange mühsame Arbeit sie aus einer höchst unangenehmen Verwirrung gezogen, ihr ein gerechtes Vertrauen auch gegen den Vater einflöße und daß sie hoffe – – Hier sank ihr die Stimme wieder; und Herr Stark brachte nicht heraus, was sie denn hoffe: daß er nämlich gleiche Großmuth beweisen, und wenn sie von diesem oder jenem ihrer Gläubiger gedrängt werden sollte, ihr seinen einsichtsvollen Rath und selbst seine thätige Unterstützung nicht versagen werde. Er bezog die Paar Wörter, die er verstand: Großmuth, Rath, Unterstützung, noch immer auf seinen Sohn, und deutete, weil sie jetzt auch von Dank sprach, ihre Hoffnung blos dahin, daß er ihren Besuch gütig aufnehmen, und sich ihren Dank für die ihr erwiesene Hülfe werde gefallen lassen. Dem gemäß erwiderte er zu nicht geringem Erstaunen der Wittwe, daß sie sich in ihm ganz an den Unrechten wende, indem er Alles, was sein Sohn für sie gethan, erst spät hinterher erfahren, und daß er also ihren Dank unmöglich annehmen könne. – Unsere jungen Herren, sagte er, pflegen die Väter nicht zu ihren Vertrauten zu nehmen; sie fürchten, daß man jede Art von Eröffnung als schuldige Rechenschaft von ihrem Thun und Lassen ansehen werde; und sich einem solchen Zwange zu unterwerfen, sind sie ganz und gar nicht gemeint. –

Die Wittwe rang in einer ziemlich langen, ängstlichen Pause mit sich selbst, wie sie das nehmen, und ob sie im Gespräche fortfahren oder es abbrechen solle. Sie konnte kaum anders, als das trockne Hinweggehen über den Hauptpunkt in ihrer Anrede für ein geflissentliches Ausbeugen und Ablehnen zu nehmen; und was der Vater vom Sohne sagte, schien sogar das Betragen desselben zu mißbilligen. Indessen war es möglich, daß Herr Stark nur übel gehört hatte; und so raffte sie sich zusammen, um auf einem anderen Wege das Gespräch wieder einzuleiten. – Die Doctorin, sagte sie, habe ihr die Freundschaft gerühmt, die ehemals zwischen Herrn Stark und ihrem verstorbenen Schwiegervater, dem alten Lyk, geherrscht habe; und sie lebe der Hoffnung – –

Auf dieses Wort, welches Herr Stark vollkommen verstand, gab er die passende Antwort, daß er den alten seligen Lyk von seiner Kindheit an gekannt und schon in den ersten Schuljahren sein Freund gewesen; daß sie nachher ihr ganzes Leben hindurch in sehr enger Verbindung gestanden, und daß sie gewiß in vorkommendem Falle ihre gegenseitige herzliche Freundschaft sich auf's Thätigste würden bewiesen haben. – Aber, sagte er, so ein Fall kam, Gott Lob! nicht vor; wir hielten Beide unsere Geschäfte in guter Ordnung, und verschlemmten und verschleuderten nicht: und wo das ist, da ereignen sich die Umstände nicht leicht, in welchen der Freund dem Freunde einen ausgezeichneten Dienst leisten oder wol gar eine Aufopferung für ihn machen könnte. –

Wenn gleich diese Anmerkung nichts weniger als Schmeichelei sein sollte, so hatte sie doch bei weitem den Sinn nicht, den die Wittwe ihr gab, und den sie nach dem obigen Mißverstande – oder jetzt kaum mehr Mißverstande – fast gezwungen war, ihr zu geben. Sie glaubte einen bitteren Vorwurf über die Unordnung zu hören, die ihr verstorbener Mann in seine Geschäfte hatte einreißen lassen, glaubte sich zum zweiten Male empfindlich zurückgewiesen, und erblaßte und erröthete im Gefühl ihrer peinlichen Lage eins um das andere. Herr Stark, der ohne Brille nicht scharf mehr sah, ward von ihrem Zustande Nichts inne.

Sie haben, fing er nach einigen Secunden wieder an, den guten alten Schwiegervater wol nicht mehr gekannt?

Nie – sagte ihm ein stilles, schwaches Kopfschütteln der Wittwe.

Und seine Frau, die alte redliche Mutter Lyk, wol eben so wenig?

Eben so wenig – sagte ihm ein abermaliges Kopfschütteln; denn die Wittwe, der das Herz immer voller und schwerer ward, war nicht im Stande zu reden. –

Hätte Herr Stark von der jetzigen wirklich bedrängten Lage der Wittwe, und besonders von ihrer Absicht auf ihn nur die mindeste Ahnung gehabt, so würde er, bei seiner wahrhaft großmüthigen Denkungsart und seiner Achtung für Unglückliche, ihrer sorgfältig geschont und jedes seiner Worte genau bewacht haben; aber so hielt er, in seiner Unwissenheit über beides, es gar nicht für übel gethan, wenn er ihr von seinen Gedanken über ächten weiblichen Werth eine kleine Eröffnung machte. – Sie haben, sagte er, viel verloren, Madame; Sie hatten eine sehr vortreffliche Schwiegermutter. – Freilich war sie im Grunde nur Hausfrau; aber mehr zu sein kam ihr auch nie in den Sinn: der Mann, glaubte sie, gehöre der Welt; die Frau dem Mann und den Kindern. Das war so der ehemalige alte Glaube, worin man die Töchter erzog, und wobei nun freilich die Mädchen nicht so fein und niedlich wie jetzt, aber dafür desto braver und wirthschaftlicher, und einem Manne, der an sein Fortkommen dachte, desto lieber und werther wurden. Der alte Lyk sagte mir oft, daß er diese herrliche Frau als seinen besten Segen von Gott betrachte, und daß er ohne sie bei weitem nicht in so guten Umständen sein würde, als er es wäre. Er liebte und achtete sie ungemein; auch wol mit deswegen, weil sie ihm viele Ehre machte; denn sie galt in der ganzen Stadt für die beste und erfahrenste Wirthin, und war für unsere Weiber in jeder häuslichen Angelegenheit das allgemeine Orakel. – Dabei war sie nichts weniger, als peinlich, oder gar mürrisch: Sie hätten sehen sollen, Madame, mit wie einnehmender Freundlichkeit sie den Gästen entgegen kam, die der alte Lyk fast jedesmal von der Börse mit sich brachte; wie sie sich freuen konnte, wenn bei der Bewirthung, die immer nur bürgerlich, aber reichlich und anständig war, ihre Gerichte schmeckten, und wenn die kleine Gesellschaft während des Essens recht gesprächig, recht laut ward. Sie fragte dann mit den Augen ihren Mann, der alle ihre Blicke verstand, und sobald er gewinkt hatte, war sie in zwei, drei Sprüngen zum Keller hinunter, und holte selbst von dem besten alten Rheinwein herauf, der uns dann noch beredter, noch fröhlicher machte. – Sehen Sie, Madame! Mit so einer liebreichen, frohen, wirthschaftlichen Hausfrau waren wir damaligen Männer über und über zufrieden, und nannten sie, wie sie's auch wirklich war, unseren Schatz und unser Herz: heutzutage, wo sich der bürgerliche Ton immer mehr in den adligen, auch wol hier und da in den fürstlichen hinaufzieht, wären das gemeine, abgeschmackte Ausdrücke; da nennt man, glaube ich, die Frau mein Kind; aber ich weiß doch kaum, wen ich glücklicher preisen soll, ob den ehemaligen Mann mit dem Schatze, oder den jetzigen mit dem Kinde. – Doch Sie verzeihen, Madame; ich plaudere da ein Langes, ein Breites, und weiß selbst nicht, wozu? Denn daß andere Zeiten andere Sitten bringen, ist ja natürlich. –

In dieser Art von Standrede auf die verstorbene Schwiegermutter fand sich wieder so manches Empfindliche, daß die Wittwe den Zweck ihres Besuchs nun völlig aufgab, und sich Herrn Stark auf der Stelle würde empfohlen haben, wenn nicht ein jäher Schwindel, in welchem Alles vor ihren Augen zu taumeln und zu tanzen anfing, ihr das Aufstehen verboten hätte. Gleichwol mußte sie dieses Aufstehen versuchen, als sie sich Plötzlich von zwei weiblichen Stimmen begrüßen hörte, worunter sie die der Doctorin sogleich unterschied. Die liebe Neugier hatte Diese und die Mutter herbeigeführt: die Eine, um zu erfahren, wie es stände, und um nötigenfalls die Wittwe zu unterstützen; die Andere, um eine Person näher kennen zu lernen, die ihrem Sohne so verpflichtet, und wie man ihr nicht verborgen hatte, zugleich ihm so werth war.

Mein Gott! was ist Ihnen? rief die Doctorin aus. die den Zustand der Wittwe auf den ersten Blick erkannte, und ihr rasch entgegensprang, um sie zu halten. – Wo gar in Ohnmacht? fragte erschrocken Madame Stark; und: Nimmermehr! rief verwundert der Alte, während die Kranke aus den Armen der Doctorin auf das Kanapee glitt, und plötzlich ohne Athem und Farbe, wie eine Leiche da lag. Die Doctorin rief nun laut nach Hirschhorngeist; die Mutter eilte in die Küche nach frischem Wasser; Herr Stark holte Hofmannschen Liquor; und in Kurzem war auch Monsieur Schlicht und das ganze Haus in Bewegung. – Endlich war Madame Lyk in so weit wieder hergestellt, daß sie sich getraute, zu Fuß und ohne Begleitung nach Hause zu kommen. Aber das gab Niemand zu, und am wenigsten der alte Herr Stark, der sich überhaupt so gütig und herzlich benahm, daß die Wittwe an seiner Gesinnung gegen sie ganz wieder irre ward. Er ließ einen Wagen holen, in welchen nach seiner Anordnung die Doctorin zuerst hineinstieg, um, während man der Wittwe von außen nachhülfe, ihr von innen die Hand zu reichen. Auch Monsieur Schlicht, der trotz seines Alters noch sehr berührig und kraftvoll war, mußte hinein mit der Anweisung: sobald der Wagen hielte, herauszusteigen, um Madame Lyk den Arm zu bieten, aber ja, wenn sie wieder schwächer würde, erst Hülfe aus dem Hause zu rufen, und sich nicht zu viel auf eigene Kraft zu verlassen.

Nun? fragte der Alte, sobald er sich mit der Mutter wieder allein sah: kannst Du mir sagen, was das hieß? was das vorstellen sollte? Ich für meinen Theil verstehe kein Wort. – Die Frau kommt am frühen Morgen gegangen, und reißt mich aus meinen Geschäften; ich denke nicht anders, als sie will Wechsel auf England oder auf Holland kaufen, aber am Ende – was hat sie bei mir zu thun? – In Gottes Welt Nichts, als in Ohnmacht zu fallen. – Ist das etwa jetzt neuer Ton? Macht man zu London und zu Paris solche Morgenvisiten?

Wie Du nun bist! sagte die Alte. Ein Frauenzimmer wandelt ja leicht Etwas an.

Ein Frauenzimmer! – Warum denn aber Dich und die Doctorin nicht?

Je nun – Eine ist ja nicht wie die Andere.

Mutter! – Wenn alle die Weiber, die den ganzen Tag, mit Roman und Komödie in der Hand, auf dem Sopha liegen, oder die auch den Morgen am Putz- und den Abend am Spieltisch vergeuden; wenn sie hübsch, wie Du und die Doctorin, von früh bis spät auf den Beinen wären, um sich in ihrer Wirtschaft herumzutummeln: ich wette, wir würden von keinen Krämpfen und Schwindeln und Ohnmachten, und wie das Zeug alles heißt, weiter hören. – Zwar ein Mal – er drohte ihr erst mit dem Finger, und nahm dann ihre dürre, welke Hand, um sie zu liebkosen – einmal spieltest Du mir auch einen Streich; da war ich in rechtschaffener Angst. – Doch das war auf dem Bette der Ehren, bei der Niederkunft mit der Tochter; und für so eine Ohnmacht alle mögliche Hochachtung! Die hat denn doch Hand und Fuß.

Böser Mann! sagte die Alte mit einer Miene, die halb schmunzelte und halb schmollte: laß doch solche Dinge nun aus dem Kopfe! Das sind ja alte Geschichten.


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