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19.

Die Verwunderung, womit Madame Lyk ihre neue Freundin so schnell zurückkommen sah, ging in Freude über, als sie den glücklichen Ausgang der Unterhandlung mit Horn erfuhr; aber diese Freude wieder in Unruhe, als die Doctorin fragte, ob sie außer diesem Horn, den sie nun freilich für's Erste los sei, nicht noch andere Gläubiger habe?

Ich hoffe, sagte die Wittwe, keine so dringende und so ungestüme.

Gesetzt aber, daß ihrer mehrere aufwachten, wie da? – Wäre es nicht für Ihre Ruhe sehr wesentlich, meine Freundin, lieber allen auf einmal den Mund zu stopfen?

Wenn mir das möglich wäre, wie gern! – Aber ohne Zeit, die man mir läßt, und ohne Zutrauen, das man mir schenkt – –

Kennen Sie meinen Vater? fiel die Doctorin ein.

Der Person nach – kaum. Sehr von Weitem.

Aber dem Charakter nach? der Denkungsart nach?

Da habe ich die höchste Meinung von ihm. Ich schließe auf den Vater von seinen Kindern.

Die gerathen nicht immer. Glauben Sie mir: die Kinder des alten Stark könnten besser sein, wenn sie dem guten Vater ähnlicher wären.

Sie sagen für meine Erkenntlichkeit allzu viel.

Für mein Herz allzu wenig. – Und nun fing sie an, ein Gemälde zu entwerfen, das zwar wirklich dem alten Herrn ziemlich ähnlich sah, das aber gleichwol für ein Bildniß, wofür es doch gelten sollte, zu wenig Eigenes und Unterscheidendes hatte. Eine zu gerührte kindliche Dankbarkeit und eine zu lebhafte Begeisterung, die immer idealisirt und verschönert, hatten die Farben gemischt und den Pinsel geführt. Indessen war eben durch diesen Fehler das Gemälde um so geschickter, der Wittwe ein unbedingtes Vertrauen einzuflößen, und eine lebhafte Begierde nach einer so vortrefflichen Bekanntschaft bei ihr zu wecken. Wäre mitten unter den schönen Zügen des verständigen, menschenfreundlichen, großmüthigen Mannes, auch die ernste Falte des Sittenrichters und das heimliche Lächeln des Spötters, die doch so sehr zur Physiognomie des Herrn Stark gehörten, sichtbar geworden: so würde freilich jenes Vertrauen sehr geschwächt, und diese Begierde sehr gedämpft worden sein.

Die Wittwe bezeugte in den kräftigsten Ausdrücken ihre Bewunderung, ihre Verehrung, und war nicht wenig neugierig, wohin Das alles gemeint sei.

Kennen Sie – muß ich noch weiter fragen – das Blumische Haus?

O sehr wohl. Ich bin Schuldnerin auch von ihm.

Und wie nimmt es sich? Gut? –

Mehr als gut; äußerst edel. Es hat mir die großmüthigste Nachsicht von vielen Monaten bewilligt.

Blose Pflicht, meine Freundin! – Es hat sich, wie ich sehe, seiner eigenen Geschichte und der großen Verbindlichkeiten erinnert, die es ehemals gegen den guten seligen Lyk, Ihren Schwiegervater, hatte.

Davon weiß ich Nichts, sagte die Wittwe.

Mir schwebt es vor, wie im Traume. – Ich war noch ganz jung, als einst mein Vater sehr spät von der Börse kam, und den ganzen Tag von Nichts als von einem gewissen Blum sprach – dem Großvater des jetzigen – der seine Zahlungen eingestellt hatte, und dessen Fall man für unvermeidlich ansah. – Mein Vater, obgleich in keiner Handlungsverbindung mit ihm, nahm den lebhaftesten Antheil an seinem Schicksal, und zeigte sich höchst erbittert gegen gewisse heimliche Neider, die den ehrlichen schuldlosen Mann verfolgten, und seinen Fall zu befördern suchten. Er faßte den Entschluß, ihn wo möglich zu retten; und der alte Lyk, immer vertrauter Freund unseres Hauses, war von gleicher Gesinnung. Mein Vater untersuchte hierauf die Bücher von Blum, fand seine Rettung, wenn er gehörig unterstützt würde, sehr möglich, so wie ihn selbst an seinem Falle – oder ich sollte sagen, an seiner Verlegenheit – völlig unschuldig.

Die Wittwe sah bei diesem letzten Zuge nieder und seufzte. Und nun nahm er in Verbindung mit Lyk die ganze Schuldenlast auf sich, bezahlte die Ungeduldigen baar, setzte den Anderen Termine, und machte mit einem Worte der Verlegenheit und der Verfolgung des Mannes ein Ende. – Was mir, als Kind, diesen Auftritt tief in's Gedächtniß prägte, war mein Erstaunen, einen alten ehrwürdigen Mann mit schlohweißen Haaren, der meines Vaters Vater hätte sein können, so bitterlich weinen zu sehen. Der gute Mann war ganz aufgelöst in Dankbarkeit und in Rührung. – Er betrat nachher unser Haus sehr oft, der alte freundliche Blum, und befestigte sein Andenken bei mir durch eine Menge kleiner Spielsachen und Näschereien, die er mir immer zuzustecken pflegte. – – Nun, meine Freundin? Darf ich noch erst sagen, wo ich hinaus will? – Mein Vater ist noch immer der Alte, sein Wille zu helfen der alte, sein Vermögen dazu – aber nein! das ist nicht mehr das alte; das hat sich indeß verdoppelt, vielleicht verdreifacht: und also – was kann Sie hindern, ihm ohne Umstände den Antrag zu thun, daß er an Ihnen, wie ehemals an Blum handeln, und alle Ihre Schulden übernehmen wolle? – Ihre Kinder sind seines Freundes Enkel; überlegen Sie das!

Die Wittwe war über diesen Vorschlag nicht blos erstaunt, sondern erschrocken. Ihre Dankbarkeit trieb sie an, den Rath einer so wohlmeinenden, so zärtlich um sie bekümmerten Freundin nicht zu verachten; und doch zeigte ihre natürliche Blödigkeit ihr die Befolgung dieses Rathes als für sie unthunlich, als beinahe unmöglich.

Kann, ich – fing sie zu stottern an – kann ich den Muth haben, Frau Doctorin – ich eine Fremde – eine ihm völlige Unbekannte –

Sie dürfen sich in der That nicht bedenken. Der Dienst, der Ihnen geleistet wird, ist zwar dankenswerth, aber nicht groß. Ihre Sachen, hör' ich, sind durch meinen Bruder bereits in Ordnung; eine Durchsicht Ihrer Bücher ist nicht mehr nöthig; Gefahr zu verlieren ist bei Ihnen keine: und also – – Ich lasse nicht ab, liebe Freundin. Ich bin ein eigensinniges Weib. Sie müssen mir Ihr Wort darauf geben, daß Sie morgen am Tage zu meinem Vater gehen.

Der Wittwe stand der Schweiß vor der Stirne. Aber die Doctorin, obgleich nicht ohne Mitleiden mit ihr, hörte nicht auf, ihr zuzusetzen.

Freilich, sagte sie, wär' es natürlicher, Sie an meinen Bruder, als an meinen Vater zu weisen; denn jenen kennen Sie schon, und ohne Zweifel wissen Sie selbst, wie viele Hochachtung er gegen Sie hegt, mit welcher Herzlichkeit er Ihnen ergeben ist. – –

Eine feurige Röthe, die sogleich wieder in Blässe überging, flog der Wittwe über die Wangen. Die Doctorin wollte nicht das Ansehen haben, sie zu bemerken.

Allein der seltsame Mensch – Gott mag wissen, aus welcher Grille? – will ja von hier, will sich von seinem Vater trennen, und eine Handlung unter eigner Firma errichten. – Außer daß er den Einfluß und das Gewicht nicht hat, wie mein Vater; so braucht er gegenwärtig sein Bischen Armuth für sich: und so sehen Sie wol – –

Ich sehe Alles, sagte die Wittwe. Ich bin Ihnen für Ihre Theilnahme, für Ihre so unverdiente, grenzenlose Güte unaussprechlich verbunden: allein, da doch gegenwärtig noch keine Noth ist; da Horn, wie Sie selbst mich versichern, für's Erste schweigt, und da die übrigen Gläubiger mich nicht drängen – –

Die Doctorin, ob sie gleich sehr ungern diesen Schritt that, sah sich genöthigt, mit der vollen Wahrheit herauszugehen, und der Wittwe zu sagen, daß, wenn sie den Gang zu ihrem Vater verweigerte, ihr guter Mann, wegen eines für sie ausgestellten Wechsels in's Gedränge kommen, und nicht wissen würde, wie er den ungestümen, hartherzigen Horn befriedigen solle. – Dieses einzige, unerwartete Wort war entscheidend; die Wittwe versprach nun heilig, obgleich mit schwerem, muthlosem Herzen, daß sie morgen im Tage dem alten Herrn Stark ihre Ehrerbietung bezeugen wolle


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