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18.

Frau Doctorin Herbst hatte den Besuch, den sie der Wittwe zugedacht hatte, jetzt wirklich abgelegt; und kam mit Gesinnungen von ihr zurück, die sich aus denen, womit sie hinging, errathen lassen. – Die Frau war gerade nicht schön, aber reizend; es gab wol andere Frauen, die, wenn auch nicht jetzt, wenigstens ehemals, bei der Vergleichung mit ihr gewonnen hätten, und die trotz allen Verwüstungen, welche ein zu häufiger Ehesegen anzurichten pflegt, sich noch immer zum Verwundern erhielten. Allein das Sanfte und Einnehmende in der Miene und dem Betragen der Lyk, ihre vortreffliche Kinderzucht, ihre Achtung gegen das Andenken eines Mannes, der durch seine sinnlose Verschwendung sie unglücklich gemacht, der sie aber gleichwol geliebt hatte, ihre innige Dankbarkeit gegen den bewußten Freund, von dem sie nicht ohne Thränen im Auge reden konnte: alles Das war von höherem Werthe als Schönheit; und die Doctorin fühlte sich in solche Begeisterung dadurch gesetzt, daß sie ihrem Manne wiederholt erklärte, sie würde ihr Haupt nicht eher sanft legen, als bis sie die Verbindung zwischen ihrem Bruder und der Wittwe zu Stande gebracht hätte. – Es ist kein Weib auf Erden, sagte sie, womit der Bruder glücklicher leben könnte; sie besitzt in ihrem natürlich-guten Verstande, in ihren durch Erfahrung bestätigten Grundsätzen, in ihrem zur Ruhe und zur Häuslichkeit so ganz sich hinneigenden Charakter, gerade das, was dem Bruder Noth thut, und was der Vater selbst an der Gattin seines Sohnes nicht besser wünschen könnte.

Der Doctor nickte hier und da mit dem Kopfe und murmelte Ja, ging aber nachdenkend und verdrießlich umher. – Was ist Dir? fragte die Doctorin endlich.

Ich komme von dem Gläubiger unserer Wittwe, dem Horn. Du weißt, er hat für gegenwärtigen Augenblick ihr Wohl und ihr Wehe in Händen.

Nun? O der nichtswürdige Mensch!

Kennst Du ihn denn?

Aus seinem Gesichte nicht, aber aus Deinem. – Was gilt's, er will ihr nicht länger nachsehen, will sie zu Grunde richten?

Das nun nicht; dazu ist er zu gottesfürchtig. Er will nur sein Geld.

Und aus ihr mag werden, was will! Nicht wahr?

Kümmert das einen Kaufmann?

Die Doctorin bat in hohem Tone um Ausnahme für ihren Vater, die der Doctor mit Freuden machte; und nun fuhr sie ganz unbarmherzig über den Gläubiger her. Ohne daß sie diesen Horn je gesehen hatte, ward er vor ihrer Phantasie eines der häßlichsten, zurückschreckendsten Gesichter der ganzen Stadt. – Ich möchte, sagte sie, Wunders halber den Elenden doch kennen lernen, der ein so braves, liebenswürdiges Weib, eine Mutter von zwei unmündigen Waisen, so schändlich verfolgen kann. – Aber nein! nein! Mich schaudert, wenn ich mir das Ungeheuer nur denke.

Kind! Es ist ein ganz gemeines, plattes Menschengesicht, aus dem in der Welt Nichts hervorsieht, weder Gutes noch Böses. Ein Gesicht, wie es unter den leeren Geldseelen so viele haben, und wie man sie an Börsentagen zu Dutzenden kann herumlaufen sehen.

Aber, fuhr sie fort, dachte denn der Mensch mit keiner Sylbe an die Verbindlichkeiten, die er gegen Dich hat? an die Krankheiten seines Weibes und seiner Kinder, wo Du Tag und Nacht, mit Gefahr Deiner eigenen Gesundheit – – Ach schweig doch! Das ist ja Alles bezahlt.

Bezahlt? – Läßt sich so Etwas bezahlen?

Und vielleicht, wenn er in seinem Buche mein Folium aufschlägt, bin ich bei ihm noch tief, tief in der Schuld. Denn: hat er mich nicht zu Tische gebeten? Habe ich nicht in Gesellschaft von Rathsherren und Matadors Fasanen bei ihm gegessen? Tokaier bei ihm getrunken?

Der Elende! – Ehre mir Gott meinen Vater!

Still! Wer wird in solcher Gesellschaft ihn nennen? – Aber, mein Kind – damit wir das Wichtigste nicht vergessen – –

Ja wol! Wie wir die arme Wittwe ans seinen Klauen reißen.

Die nicht mehr; aber mich. – Meine Gutherzigkeit hat mir einen sehr üblen Streich gespielt, und ich kann darüber leicht in's Gefängniß wandern.

Um's Himmels willen! Du hast Dich an dem Menschen doch nicht vergriffen?

Pfui! Dazu acht' ich meine Hände zu hoch. – Ich habe nur aus Verdruß, weil Nichts mit ihm auszurichten war, Feder und Tinte gefordert, habe mir den Betrag der Schuld auf Mark und Schilling angeben lassen, und habe ein Wechselchen ausgestellt – auf mich selbst; von etwas über dreitausend Mark; in acht Tagen zahlbar.

Bravo! sagte die Doctorin, und flog ihrem Mann an den Hals. – Aber ist es möglich, daß der gefühllose Mensch den Wechsel annahm? von Dir!

Warum nicht? Ich habe das schöne Haus hier, und habe Dich. Ein drei-, viertausend Mark, und wenn auch noch etwas mehr, bin ich ihm werth; unbesehens!

Hast Du denn aber Geld, zu bezahlen?

Da steckt der Knoten. – Keine dreihundert Mark.

Mann! Mann! So lieferst Du ja dem Unholde Dich selbst in die Hände.

Freilich! – Denn was ich seit einiger Zeit gesammelt hatte, ist vorige Woche, wie Du weißt, zu Capital gemacht und ausgethan worden. Neue Einnahme, wenigstens beträchtliche, sehe ich für's Erste nicht ab; und geschrieben ist nun einmal der Wechsel, und will bezahlt sein. – Indessen – weißt Du, worauf ich mein volles Vertrauen setze?

Nun? Auf einen Rest von Scham bei dem Horn?

Nicht doch! – Auf die kluge Tochter des klugen Herrn Stark, die ich glücklicher Weise zur Frau habe. – Die, mit ihrem Kopfe, hilft mir sicherlich durch. –

Eigentlich hatte der Doctor einen Anschlag auf den vollen runden Beutel gemacht, den der Vater, beim Besuche des Sohnes, unter den Spiegel gestellt hatte, und der seines Wissens noch unangerührt dastand. Allein die Doctorin, die nach abgestattetem Danke für das so gütige als gerechte Vertrauen, welches man in ihren Verstand setzte, ein wenig nachgesonnen hatte, schlug auf einmal in die Hände, und rief: Ich hab's!

Das Geld? fragte der Doctor.

Nein, aber die Art und Weise, wie wir's bekommen. Die Wittwe selbst schafft es an.

Die Wittwe? –

Und das von unserm Alten. Von meinem Vater.

Von Deinem Vater? –

Nun ja! ja! Was gibt's denn da zu verwundern? – Einmal ist's doch nothwendig, wenn wir unser Ziel erreichen wollen, daß der Alte die Wittwe kennt; und eine bessere Gelegenheit dazu, als diese, wird sich nicht finden. – Kurz, sie macht einen Besuch bei dem Vater, bittet den Vater, gefällt dem Vater, bezahlt ihre Schulden, heirathet den Bruder.

Himmel! rief der Doctor, und ich habe noch kein Kleid auf die Hochzeit. – Die kommt mir rasch über den Hals. Ich will nur gleich in den Laden.

Haha! – Aber spotte nur! spotte! Die Sache ist so gut wie geschehen. Es ist unmöglich, wenn der Vater die Wittwe sieht, daß sie ihm nicht gefalle, und auf dieses Gefallen bauen wir dann weiter fort, bringen ihn von allen seinen Vorurtheilen zurück, lassen ihn die Heirath nicht blos genehmigen, sondern selbst wünschen.

Wenn er nun aber die Wittwe nicht vorläßt, wie da?

Leere Grille! – Oder wenn er wol gar – was wir doch wirklich zu fürchten haben – sie ungütig aufnimmt?

Wenn Er –? Sie stand hier einen Augenblick still, und sah auf den Boden. – Mann! rief sie dann aus: Du bist mitunter doch allerliebst. Ich möchte Dich küssen für Deinen Einfall.

Für welchen?

Daß er sie ungütig aufnehmen könnte. – O, wenn der Himmel das wollte!

Versteh Euch Weiber ein Anderer! –

Komm! Ich eröffne Dir das Verständniß. – Nicht wahr? Wenn der Vater sie ungütig aufnimmt, so begeht er ganz gegen seine sonstige Art einen Fehler, den er durchaus, es koste auch, was es wolle, wieder wird gut machen wollen; so setzt er sich selbst aus der guten Laune heraus, in der es immer so schwer wird, ihn zu fassen und mit ihm fertig zu werden; so sind wir auf ein Mal und gleichsam durch einen Sprung an dem Ziele, zu dem wir uns sonst – wer weiß wie langsam und durch wie viele Schwierigkeiten? – hindurchwinden müßten.

Alles gut! sagte der Doctor. Wenn nur nicht zu besorgen wäre – –

Freilich! – Daß er den Fehler nicht macht.

Ganz im Gegentheil! – Daß er ihn nicht für Fehler erkennt.

Ach, wenn er ihn nur erst macht! Die Erkenntniß wollen dann wir ihm verschaffen. –

Aber, mein Kind – indem er bedenklich den Kopf schüttelte und eine sehr ernsthafte Miene annahm – dem eigenen Vater eine Falle zu legen – ich weiß nicht – –

Eine Falle! – was nun das wieder ist! Eine Falle! – Ich sinne in der Welt auf nichts Arges, nur auf Liebes und Gutes; und da kommt der Mann und erhebt ein Geschrei, als ob ich über Tücke und Hinterlist brütete. – Wer hat mir denn das Basiliskenei in mein Nest geschoben, als eben Er? Wer hat den unglücklichen Einfall gehabt, als ob der Vater sich übel benehmen könnte? Er wird sich sehr gut benehmen, sehr gut. Das soll der Herr Doctor nur wissen! – Mit diesen Worten ergriff sie ihre Enveloppe, und war schon längst auf der Straße, als der Doctor noch immer den Faden suchte, woran er seinen casuistischen Knäuel entwirren könnte.


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