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6.

Der Einzige in der Familie, der von dem Herzenszustande des jungen Herrn Stark zwar nicht völlige Kenntniß, aber doch ziemlich wahrscheinliche Spuren hatte, war der Schwager, Herr Doctor Herbst. Er hatte dem seligen Lyk, als Hausarzt, in seiner letzen Krankheit gedient; er wußte, daß wegen Handlungsverdrießlichkeiten große Feindschaft zwischen ihm und Herrn Stark dem Sohne geherrscht hatte, und er selbst war Vermittler bei der sehr rührenden Aussöhnung gewesen, die vor dem Tode des erstern vorhergegangen war. Bei dieser Aussöhnung hatte Herr Stark dem Sterbenden in die Hand versprochen, daß er, auf den Fall seines Hintritts, die Wittwe mit Rath und That unterstützen, und besonders die Handlungsangelegenheiten, von denen Herr Lyk gestand, daß sie in nicht geringer Unordnung wären, möglichst auf's Reine bringen wollte. Dieses edelmüthige Versprechen hatte Herr Stark mit dem größten Eifer erfüllt: er hatte ganze Monate hindurch jeden Augenblick, den er eigenen Arbeiten hatte absparen können, den Angelegenheiten der Wittwe gewidmet; und schon mehrmals hatte der Doctor, wenn er der sehr kränklich gewordenen Frau noch spät Abends einen Besuch gab, ihn in voller, eifriger Arbeit über ihren Büchern getroffen. Er hatte bei dieser Gelegenheit bemerkt, daß die wirklich großen und liebenswürdigen Tugenden, welche Madame Lyk in ihrer jetzigen traurigen Lage so viel Anlässe zu entwickeln fand, und welchen er selbst volle Gerechtigkeit widerfahren ließ, das Herz des Schwagers nicht unberührt möchten gelassen haben. Besonders war ihm die Verwirrung und der rasche Unwille aufgefallen, womit einst Herr Stark eine ganz unschuldige, mehr im Scherz so hingeworfene Warnung, sich nicht zu verlieben, aufgenommen hatte; auch hatte er viel Licht aus der gleich darauf folgenden dringenden Bitte geschöpft, daß er doch, um des Himmels willen von dem ganzen Umgange mit Madame Lyk, in den er ja selbst ihn hineingezogen, der Familie, und besonders dem Vater, kein Wort verrathen möchte.

Indessen, so gewiß, nach der Semiotik des Doctors, dieses Zusammentreffen von Diensteifer, Blödigkeit und Geheimthun auf Liebe hindeutete; so glaubte er's mit dieser Liebe doch keineswegs so weit gediehen, daß er sie in irgend einiger Verbindung mit dem Entschluß hätte denken sollen, den ihm jetzt der junge Mann zu seinem größten Mißfallen kund that. Herr Stark verlangte auch über diesen Entschluß das Geheimniß; aber dieses schlug der Doctor ihm förmlich ab: er versicherte sich vielmehr sogleich des lebhaftesten Beistandes der Frau und der Schwiegermutter, um den jungen Mann von einem so raschen und für die ganze Familie so höchst nachtheiligen Schritte zurückzuhalten. Daß es mit diesem Schritte voller Ernst sei, daran könnt' er nach Allem, was er sah und hörte, und besonders nach den Briefen, die man ihm vorgezeigt hatte, nicht zweifeln.

Alle Mühe, die man nunmehr vereinigt anwandte, um Herrn Stark zu besänftigen und ihn von seinem Vorsatze abzuziehen, war rein verloren. Den Gründen des Schwagers setzte er andere Gründe, den Bitten und Thränen der Mutter die feurigsten Betheuerungen der Liebe und des Gehorsams, mit Ausnahme dieses einzigen Punktes, und den abwechselnden Liebkosungen und Spöttereien der Schwester Unempfindlichkeit und Unart entgegen. Man bemerkte, daß, je mehr man ihn zu beugen und zu erweichen suchte, desto steifer und hartnäckiger er auf seiner Meinung bestand; und so ward denn, in einer geheimen Familiensitzung zwischen Mutter, Schwiegersohn und Tochter beschlossen, daß man einen ganz andern Weg einschlagen, und da mit dem Sohne Nichts auszurichten sei, sein Heil mit dem Vater versuchen wolle. Man hielt sich versichert, daß auf das erste freundliche Zureden des Vaters der Sohn mit Freuden einen Entschluß würde fahren lassen, wobei er selbst am ersten und am meisten verlieren müßte; auch war man ganz darin einig, daß der hofmeisternde Ton und die spöttelnde Laune des Alten zuweilen in's Unerträgliche fielen; daß ein Sohn in männlichen Jahren anders, als im Knaben- und Jünglingsalter müßte behandelt werden; und daß jeder Mensch seine ihm eigene Sinnesart habe, die man wol in gewissen zufälligen Aeußerungen leiten, aber nie im Ganzen und im Wesentlichen umschaffen könne. Der Alte selbst, hoffte man, würde, nach seiner sonstigen Billigkeit und Vernunft, sich hiervon leicht überzeugen lassen.

Doch, was die Leichtigkeit des Ueberzeugens betraf, so gerieth man bald wieder in Zweifel. Herr Stark hatte der Proben von Steifheit und Unbiegsamkeit des Charakters zu viele gegeben, und man ward daher einig, den Angriff auf ihn ja nicht übereilt und tumultuarisch, sondern behutsam und methodisch zu machen. Die Beobachtungen, nach welchen man den Plan verabredete, waren folgende. Der Alte hegte von dem Verstande und der gesunden Beurtheilung des Doctors sehr vorteilhafte Begriffe; der Doctor demnach sollte zuerst erscheinen, ihm die Entschließung des Sohnes eröffnen, und ihn von der Notwendigkeit sowol als Billigkeit, sein Betragen zu ändern, mit Ehrerbietung, aber auch mit Nachdruck, belehren. – Das Wort der Mutter war in Familienangelegenheiten immer von größtem Gewicht gewesen, und schon oft, ob zwar nie in einem so kitzlichen Falle, war ihren dringenden Vorstellungen, wenn auch mit einigem Kopfschütteln, nachgegeben worden; die Mutter also sollte nach dem Doctor hereintreten, und wenn die Vernunft des Alten schon wankte, den Widerstand seines Herzens durch Bitten und allenfalls auch durch Thränen, zu brechen suchen. – Von der Tochter wußte man, daß sie mit ihren Schmeicheleien und Einfällen eine wunderbare Gewalt über den Vater hatte, und daß sie, wegen großer Übereinstimmung ihrer eigenen Gemüthsart mit der seinigen, sich in allen Krümmungen und Wendungen seiner Laune geschickt ihm nachzuschmiegen, und ihn fast immer zu ihrer Absicht herumzuholen wußte; die Tochter also sollte zuletzt erscheinen, und dem durch Mann und Mutter schon ganz erschöpften und abgematteten Eigensinne des Alten den letzten Gnadenstreich geben.

Bei diesem ganzen schönen Entwurfe äußerte blos die Mutter noch etwas Furcht; der Doctor hielt sich, unter göttlichem Beistande, guten Erfolges versichert; und die Tochter vermaß sich mit großer Freudigkeit, daß keine – wenn nur erlaubte und ehrliche – Sache in der Welt sein müßte, wozu sie ihren lieben, alten, seelenguten Vater nicht hinschmeicheln oder hinbitten wollte. Doch säumen, meinte sie, müsse man nicht mit dem Angriff; denn der Bruder mache schon allerlei bedenkliche Anstalten, die auf eine nahe Abreise zielten; auch sei nur eben der jährliche Abschluß der Handlungsbücher geendigt, und dieser Zeitpunkt müsse dem Sohn zur Trennung vom Vater nothwendig der schicklichste dünken. Das Scharfsinnige dieser Bemerkung, die den beiden Andern entwischt war, ward erkannt und gelobt: ihr zufolge ward nun einmüthig festgesetzt, daß man gleich den andern Morgen sich frisch an das Werk machen wollte.


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