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26.

Hier herein, Monsieur Schlicht! – sagte am folgenden Morgen Herr Stark, dessen Gesicht noch alle Falten und Runzeln vom vorigen Abende hatte. Ich hab' ein Wörtchen mit Ihm zu reden; und in diesem Zimmer – es war das Schlafzimmer, das er ihm öffnete – sind wir noch am ersten allein.

Dem alten Handlungsdiener, der nicht das beste Gewissen hatte, war bei dieser Anrede nicht wohl. Er war dem Schlafzimmer von alten Zeiten her gram; denn er hatte hier schon manchen schweren Kampf mit Herrn Stark zu bestehen gehabt; und eben jetzt war ihm wieder vor einem Examen bange, worin die Falschheit seines Vorgehens, daß der junge Herr noch immer unpäßlich sei, an's Licht kommen konnte. Er warf sich in den Trotz Kains, der bekanntlich Nichts als verkappte jämmerliche Furcht war, und fragte, auf beide Beine gesteift: Was soll ich? –

Monsieur Schlicht, muß man wissen, war treu wie Gold; und wenn das Interesse seines lieben alten Wohlthäters mit irgend einem fremden in Streit gerieth, so war er im Stande, für jenes Leib und Leben zu lassen. Aber wenn im Innern des Hauses ein solcher Streit entstand, so war er sicher von der Partei der Kinder gegen den Vater; und würd' es auch gegen die Mutter gewesen sein, wenn nicht diese eben so treu als er es mit den Kindern gehalten hätte. Er hatte die letztern ungeboren gedacht, und sie so oft auf seinen Armen getragen, hatte ihnen tausend kleine Dienste und Gefälligkeiten erwiesen, und tausend kleine Schmeicheleien und Liebkosungen dafür wieder erhalten. Noch jetzt, da sie schon längst erwachsen waren, nannten sie ihn immer Du, und lieber alter Vater; was dem fast siebzigjährigen Junggesellen, der es, bei allem guten Willen, nie bis zum Heirathen und bis zum eignen Kinderzeugen hatte bringen können, jedes Mal in der Seele wohlthat. Auch vergaßen die Kinder nie, was er selbst immer richtig vergaß: seinen Geburtstag; wenigstens erinnerte die Doctorin daran ihren vergeßlichern Bruder: und das ward dann ein Tag froher Feier, wo der alte Schlicht bei den Geschenken, die ihm reichlich dargebracht wurden, und die für seine Bedürfnisse sorgfältig ausgewählt waren, nicht selten Freudenthränen vergoß, und von der Doctorin, wenn er dieser zum Dank die Hand küssen wollte, wol gar ein Mäulchen davon trug. Durch solche Bande, die weit zarter, aber eben darum auch fester, als die der Ehrerbietung waren, die ihn an seinen Brodherrn knüpften, hing er unauflöslich an beiden Kindern; auch hatte er eine Schrift auf das Rathhaus getragen, worin er sie zu alleinigen Erben des nicht ganz kleinen Kapitals einsetzte, das er sich in seinen vieljährigen Diensten gesammelt hatte. –

Vermöge dieser Anhänglichkeit vertuschte Monsieur Schlicht, ehe der Sohn mit zunehmenden Jahren dreister ward, manche geheime Ausflüge desselben, und hatte darüber, wenn es herauskam, in dem oberwähnten Schlafzimmer manchen harten Stand mit dem Vater. Jetzt war er abermals Vertrauter des Sohnes, und hatte selbst die Chaise anspannen lassen, worin der junge Herr vor ein paar Tagen zu einem Freunde auf's Land gefahren war, weil es ihm gleich Anfangs unerträglich geworden, ohne Frost und Hitze ein Fieber zu haben, und wie ein Uebelthäter zwischen vier Mauern zu sitzen. Monsieur Schlicht lebte diese Zeit über in großer Unruhe, daß der Alte dahinter kommen, und es dann wegen seiner falschen Nachrichten vom Sohne sehr derbe Vorwürfe absetzen möchte.

Indessen kam er dieses Mal mit dem Schrecken davon. – Ich habe Etwas vor, sagte Herr Stark, wozu ich einen Mann brauche, auf den ich mich verlassen kann, und der zugleich um sich weiß, und in Handlungsgeschäften gewiegt ist.

Dieses herzerhebende Wort war Trost und war Balsam für Monsieur Schlicht. Seine Kenntnisse und Einsichten geehrt zu wissen, war ihm nie gleichgültig, und im gegenwärtigen Augenblick höchst erfreulich – Befehlen Sie, befehlen Sie, sagte er, mein lieber Herr Stark! indem er ganz nahe zu ihm hintrat, um gleichsam jedes Wort ihm von den Lippen zu horchen. – Er erfuhr nunmehr, was Madame Lyk am gestrigen Tage bei dem Alten gewollt habe; erfuhr ihre unangenehme Lage mit Horn, und vielleicht mit noch andern Gläubigern, die Herr Stark nur näher zu kennen wünschte; erfuhr die großen Dienste, die der junge Herr der Lyk'schen Handlung geleistet hatte, nebst der Neigung des alten Herrn, das vom Sohne angefangene gute Werk zu vollenden, und der Verlegenheit der Wittwe, durch Verwendung seines Credits für sie, ein Ende zu machen.

Die Herzensfreude des guten Schlicht über Alles, was ihm vertraut ward, am allermeisten aber über die Ehre dieses Vertrauens selbst, war so groß, daß Herr Stark den Strom der Beredsamkeit, womit sich der alte Mann über jeden einzelnen Punkt dieser Erzählung auszubreiten im Begriff war, durch ein stets wiederholtes und immer stärkeres: Hör' Er doch! Wir werden ja vor Abend nicht fertig! kaum zu hemmen vermochte. – Aber wie plötzlich stand und gefror dieser Strom, als Herr Stark hinzu setzte, daß er nicht gesonnen sei, blindlings zu verfahren, sondern vor allen Dingen erst von dem Sohne wissen wolle, ob die Activa der Wittwe ihre Passiva wenigstens balancirten, und in wie kurzer oder wie langer Zeit etwa Hoffnung sei, daß sie völlig auf's Reine kommen und mit allen ihren Gläubigern aus einander sein werde. Da mein Sohn, sagte er, die Lykischen Bücher durchgearbeitet, und also von der ganzen Lage der Handlung die vollständigste Kenntniß hat: so ist dies von ihm ohne Zweifel besser, als von der Wittwe selbst oder von ihrem Buchhalter zu erfahren, der wol ohnehin nicht der thätigste und geschickteste sein mag. Geh' Er also gleich zu meinem Sohne hinauf, Monsieur Schlicht, und laß Er sich über die angegebenen Punkte – er wiederholte ihm diese Punkte langsam und deutlich – eine recht bestimmte, ausführliche Nachricht – hört Er? recht bestimmt und recht ausführlich – geben. Ich muß jetzt fort; aber in einer Stunde längstens bin ich zurück, und erwarte alsdann Seine Antwort. Nachdem die lauten wird, will ich Ihm dann schon weiter sagen, was Er zu thun hat. –

Es wäre unmöglich gewesen, daß Herr Stark die plötzliche und totale Gesichtsverfinsterung des alten Handlungsdieners nicht hätte bemerken und irgend etwas Unheimliches wittern sollen, wenn nicht eben jetzt, zu großem Glück für Monsieur Schlicht, die alte Wanduhr geschlagen, und mit ihrem ersten lärmenden Streich auf die Glocke den Gedanken des alten Herrn plötzlich eine andere Richtung gegeben hätte. Es war die höchste Zeit geworden, auf die Börse zu gehen, wo Herr Stark gerade heute ein Geschäft von so großer Wichtigkeit hatte, daß er nicht schnell genug glaubte hineilen zu können. Mit einem kurz abgebrochenen: Adieu! Mach' Er Seine Sachen gut! griff er hastig nach Hut und Stock; und verließ den armen rath- und hülflosen Monsieur Schlicht, der unbeweglich wie eine Salzsäule dastand, und das einzige Wörtchen Ja! – bis zu welchem seine ganze Beredsamkeit jetzt versiegt war – mit immer längeren Pausen und immer schwächerem Tone hinter dem Alten her sprach.


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