Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

30.

Komm' ich nicht ein wenig zu oft? sagte die Doctorin, indem sie einen Augenblick an der Zimmerthüre der Wittwe stillstand. Werden Sie sich nicht bald meine Besuche verbitten?

O meine Freundin! Mir Ihre Besuche verbitten! Ich, die ich mich lieber niemals von Ihnen trennte! – Sie thun mir da eine Frage – –

Die übler klingt, als gemeint ist. Weiß ich's nicht schon, daß Sie mich recht gern ertragen?

Ertragen! – Nun kommen Sie mir vor Mitternacht nicht von dannen.

Ich Arme! Da wär ich ja schrecklich gestraft. –

Man nahm jetzt Platz, und die Doctorin wollte so eben auf ihr Hauptthema einlenken, als ein Lehrling aus der Lyk'schnu Handlung hereintrat, und den alten Mann von gestern ansagte, der Madame Lyk aus dem Wagen gehoben habe.

Der Doctorin schoß auf der Stelle das Blatt. Schlicht? rief sie aus. Der kommt nicht anders, als wenn er geschickt wird. Was kann der wollen?

Er will, sagte der Lehrling, und schielte seitwärts die Doctorin an, Madame Lyk unter vier Augen sprechen.

Nicht unter sechsen? Ei mein Gott! da muß ich ja fort. Das ist übel. – Doch wenn Sie erlauben, Freundin, so schleich ich mich hier in dies Seitenzimmer, und wahrlich! wahrlich! ich will dort recht fromm sein. Ich will an's Fenster und nicht an die Thüre treten.

Wie Sie mich quälen! sagte die Wittwe. Bleiben Sie doch! – Was für Geheimnisse kann er denn haben?

Wer weiß? Er mag wol einmal auch nicht geschickt sein. Er ist noch Junggeselle.

Leichtfertige Freundin! – Sie trat jetzt mit vieler Höflichkeit in die Thüre, und nöthigte den Alten herein, der sogleich durch die Heiterkeit seines Gesichts die gute Beschaffenheit seiner Botschaft ankündigte, und die Doctorin in ihrer Ahnung bestärkte.

Sieh da, sagte diese: lieber, guter alter Vater! Bist Du's denn wirklich? – Ach mein Himmel! Und geputzt wie ein Bräutigam, oder wie ein Brautwerber. Was stellt das vor?

Der alte Schlicht lachte herzlich. –

Wirklich, so galant hab' ich Dich in meinem Leben noch nicht gesehen.

Man hat gut galant sein, liebe Frau Doctorin, wenn man Gönner hat, die auf Einen etwas halten. – Er sah hier, wie verstohlen, auf seine neue atlaßne Weste und von der Weste nieder auf seine Wohlthäterin; mit einem Ausdruck von Dank und Liebe, der ein noch älteres Gesicht, als das seinige, hätte verjüngen können. – Die Weste war ein Angebinde der Doctorin an seinem letzten Geburtstage gewesen, und er trug sie, um seiner Sendung Ehre zu machen, heute zum ersten Male.

Die Doctorin, von seiner Pantomime gerührt, schlug ihn sanft auf die Schulter. – Aber ist es denn wahr, lieber Alter, daß Du mit Madame Lyk ganz allein sein willst? daß ich hier fort muß?

Wie so? Wie so?

Der Handlungsbursche, der Dich hier anmeldete, sagte – –

Ach, der Handlungsbursche ist – – Bei einem Haare hätt' er ein Kraftwort herausgestoßen; aber zum Glück besann er sich noch, übersetzte den Narren, den er im Sinne hatte, in: nicht recht klug, und versicherte, daß die Frau Doctorin sein ganzes Anbringen hören dürfe; sie komme selbst darin vor. –

Mit großer Ernsthaftigkeit hielt er dann seinen Vortrag. – Sein Principal, sagte er, der Herr Stark, bedaure ganz ungemein, daß er gestern, wegen zunehmender Gehörsschwäche, die eigentliche Absicht des von Madame ihm gegönnten angenehmen Besuchs nicht verstanden, sondern diesen Besuch für eine blose überflüssige Höflichkeit genommen habe. Er sei nachher durch seine Frau Tochter, die hier anwesende Frau Doctorin Herbst die bei dieser Gelegenheit einen sehr herzlichen Blick erhielt – über jene Absicht näher belehrt worden; und da er nun ihn, den Monsieur Schlicht, theils als einen Handlungskundigen, theils als einen treuen und verschwiegenen Diener, aus vieljähriger Erfahrung kenne, so habe der Herr Prinzipal eben ihm den Auftrag gegeben, der Madame die Versicherung seiner vollkommenen Bereitwilligkeit zu ihren Diensten zu überbringen, auch demnächst sich in das Comptoir des Herrn Horn zu verfügen, um sofort die etwanige Schuld bei diesem ungestümen, dem Herrn Stark von der schlechten Seite schon wohlbekannten Manne, durch Wechsel oder baar, wie er selbst es wollen würde, zu tilgen. Uebrigens bitte sein Herr Prinzipal, wenn ähnliche Fälle mit noch andern Gläubigern eintreten sollten, daß Madame sich nur gleich an ihn wenden, und ihn überhaupt wie ihren Curator betrachten wolle, als wozu er sich mit Vergnügen erbiete. Zugleich wünschte er mit allem Dank verschont zu bleiben, weil er durch den Herrn Sohn sehr wohl unterrichtet sei, daß er in keinem Falle bei der Unterstützung von Madame Etwas wage, und sich also bei dieser kleinen Gefälligkeit eigentlich gar kein Verdienst um sie beimessen könne. – Er, Monsieur Schlicht, ersuche jetzt um beliebige genaue Angabe der ganzen Hornischen Forderung, damit er dem noch übrigen Theile seines Auftrages genügen, und dem Herrn Prinzipal die ganze Sache als völlig abgemacht berichten könne. – –

Kaum hatte Monsieur Schlicht mit vielem Wohlbehagen seinen Vortrag geendigt, so ergriff die Doctorin die Hand der Wittwe, und fragte, nicht ohne töchterlichen Stolz im Herzen: Hatt' ich nun Unrecht? –

O meine Freundin! – Eine solche Großmuth an einer Fremden, an einer fast gänzlich Unbekannten! – Aber ich weiß ja, wem ich diese Hülfe zu danken habe.

Wem? Wem? – indem sie sich vor ihrer Umarmung zurückbeugte. – Meinem Vater; sonst Keinem.

Er hat die edelste Tochter. –

Kennen Sie die? – Eine Schwätzerin ist's, die Nichts auf dem Herzen behalten kann; die dem Alten Alles vorplaudern muß, was sie weiß, und die ihm denn auch gesagt hat, was sie von der unangenehmen Lage ihrer Freundin und von der Absicht des gestrigen verunglückten Besuches wußte. – Das ist Alles gewesen; ich versichere Sie. Kein Wort von Fürsprache, von Aufmunterung, Ihnen zu helfen; kein Gedanke daran! Das hätte die Freundin herabgesetzt und den Vater beleidigt. Der handelt nicht, wie es ihm Andere eingeben; der handelt nach seinem eigenen Herzen.

Ich höre Sie mit einer Bewunderung – einer Empfindung – –

Lassen wir Das! – und nun umarmte sie die Witwe mit wahrer, herzlicher Freundschaft. – Mein guter Schlicht, der nie viel Zeit hat, wartet auf Antwort; und ich denke doch, Sie werden ihn durch keine abschlägige kränken?

Die Witwe bat jetzt Monsieur Schlicht, seinem Herrn Prinzipal ihre innige Verehrung, ihre tiefe Rührung über den unverdienten Beweis seiner Gewogenheit zu versichern; aber zugleich ihm zu sagen, daß der Gehorsam gegen den einen Teil seines Befehls ihr den Gehorsam gegen den andern unmöglich mache. – Ich werde Sie selbst, lieber Herr Schlicht, mit einigen Zeilen von meiner Hand beschweren, die Sie ihm zu überreichen die Güte haben werden. Den persönlichen Dank behalt' ich mir vor. – Sie erlauben doch, beste Freundin? – mit einer Wendung gegen das Seitenzimmer.

Gehen Sie, gehen Sie nur! Sie tun etwas sehr Ueberflüssiges; aber ich weiß, Sie würden es doch nicht lassen. –

Die Doctorin nutzte die Augenblicke, da sie mit Schlicht allein war, um ihn von Allerlei zu unterrichten, was ihm zu wissen Not tat: von dem Wechsel, den ihr Mann an Horn ausgestellt hatte, um die Witwe außer Gefahr zu setzen: von ihrem Wunsche, daß der Vater davon nichts merke, und also nicht ihr Mann quittirt werde, sondern die Witwe; von ihrer Absicht, den Bruder noch einige Tage vorgeblich auf's Land zu schicken, bis ein gewisser Entwurf gereift sei, der ihn von seiner Grille, nach Br .. zu gehen, unfehlbar zurückbringen werde; endlich von der aufhörenden Notwendigkeit, das Wohlbefinden des Bruders und seine Abfahrt auf's Land, die aber erst diesen Nachmittag mußte geschehen sein, vor dem Vater geheim zu halten. – Monsieur Schlicht, mit seiner gewöhnlichen Gefälligkeit, versprach, sich das alles zu merken und fand die Anschläge seiner lieben Frau Doctorin ganz vortrefflich.

Madame Lyk trat mit einem Briefchen und einem Zettelchen in der Hand, ans welchem die Hornische Schuldforderung verzeichnet war, wieder herein, und gleich nach ihr erschien ein Mädchen mit einer Flasche süßen Weins und mit Gläsern. Die Doctorin verbat, indem sie ihren Widerwillen gegen starke Getränke – Monsieur Schlicht, indem er seine Geschäfte zu Hause vorschützte, wo er noch so Manches zu thun habe, daß die Stelle ihm unter den Füßen brenne. Die Wittwe, die sich ihm für seine Mühe so gern erkenntlich bewiesen hätte, bot alle ihre Beredtsamkeit gegen ihn auf, und schon gerieth er mit der seinigen sehr in's Stocken; aber die Doctorin, um mit der Wittwe allein zu sein, schlug sich auf seine Seite, und half ihm durch. – Ich kenne, sagte sie, meinen lieben, guten Schlicht: er thut Alles, was ihm obliegt, mit großer Treue, mit großem Eifer; und da ihm das Haus meines Vaters zur Aufsicht übergeben ist, so hängt er daran nicht anders, als ob er, wie die Schnecke, damit verwachsen wäre. Er trägt es zwar nicht auf dem Rücken, aber er trägt es dafür auf dem Herzen. Ihm ist nicht anders wohl, als wenn er darin steckt.

Das war einmal ein Lob, ganz nach dem Sinne von Monsieur Schlicht, und er dankte dafür, indem er es ehrlich annahm, mit vieler Freude. Auch Madame Lyk sagte ihm noch beim Abschiede viel Schönes; sie erinnerte sich alles des Guten, was sie aus dem Munde des Herrn Stark von ihm gehört hatte, und freute sich, die Bekanntschaft eines Mannes gemacht zu haben, der einer so hochachtungswürdigen Familie, als die Starkische, so vorzüglich werth sei. – Kein Madera, noch Cyper, noch Syrakuser, noch was sonst die Flasche der Wittwe enthalten mochte, hätte das Herz des alten Schlicht mehr erquicken, oder ihm den Kopf mehr benebeln können, als diese lieblichen Worte, denn wirklich schien er, als er auf die Straße hinaustrat, ein wenig berauscht. Er sprach in einem fort mit sich selbst, und gesticulirte dabei so lebhaft, daß mehrere der Vorübergehenden stillstanden und ihm mit Lachen nachsahen. Der Inhalt seines Selbstgespräches war: daß von allen Frauen der Stadt die Frau Doctorin ohne Widerrede die beste, aber gleich nach ihr Madame Lyk die liebenswürdigste und vortrefflichste sei. – Indem er sich dachte, daß irgend Jemand so frech sein könne, ihm das zu läugnen, stieß er mit dem Stock so heftig gegen das Pflaster, und schnitt so wilde Gesichter, daß ein Paar spielende Kinder vor Schrecken zusammenfuhren, und mir Geschrei in die Häuser liefen.


 << zurück weiter >>