Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

9.

Wo sind sie denn? rief die Doctorin, indem sie den Kopf zwischen die Thürflügel steckte. – Ei sieh! Alle hier bei dem Vater? – Guten Morgen! guten Morgen!

Schon so früh? sagte der Alte. Vor Tische?

Ich hatte einzukaufen, mußte vorbei. Husch flog ich herein, um meinem Väterchen einen guten Morgen zu sagen. Denn ich weiß, er sieht mich so gern. Nicht wahr?

Als ob das noch Fragens brauchte!

Wenn ich nicht so ganz zufällig käme, so hätte mich eins von den Kleinen begleitet; das, was am artigsten oder am fleißigsten gewesen wäre. – Ich küsse Ihnen in Aller Namen die Hand.

Danke. Danke. – Er sah sie bedenklich, aber nicht ungütig an. – Du thust ja heute außerordentlich freundlich?

Ich thäte nur so? Ich bin's.

Und hast hier noch Niemand gesehen? – Deinen Mann nicht?

Den wol. Am Theetisch.

Deine Mutter noch nicht? – Sie log mit einem Kopfschütteln, um nicht mit einem ausdrücklichen Nein zu lügen. – Dann ist's aber nicht artig, ihr nicht die Hand zu küssen.

Ach verzeihen Sie! sagte die Tochter, und küßte ihr, seitwärts lachend, die Hand.

Deinen Bruder wol noch viel weniger? –

Gesehen; aber kein Wörtchen mit ihm gesprochen. Er lief mir da mit einem Gesicht vorbei, mit einem Gesicht! – Hui, dachte ich, was kümmern mich deine Gesichter? Lauf immer! – Aus meinem guten Humor bringt mich kein Mensch. Denn Sie wissen wohl: ich bin ganz Ihre Tochter.

Bist Du? sagte der Alte, und lachte mit innigem Wohlbehagen.

Immer munter, immer fröhlich und guter Dinge. Wer's nicht mit mir ist, mag seine Launen für sich behalten. Oder wenn ich mich ja mit ihm abgebe, so geschieht es nur, um ihn auszulachen. Da, der Herr – indem sie mit dem Finger auf den Doctor wies – hat die Erfahrung.

Närrisches Weib! sagte dieser. Habe ich denn Launen?

O, Du hast! hast! Du bist Mann. – Aber doch wirklich, mein lieber Vater; nahe geht's mir, daß ich den Bruder immer so unlustig sehe. Ich wollte von ganzem Herzen, er wäre glücklich. – Ich meiner Seits, wenn ich dazu helfen könnte – ich thäte Alles.

Doch? Thätest Du Alles? – Ja ja! – Er war aufgestanden, und packte die Beutel zusammen.

Wollen Sie denn fort, lieber Vater?

Ich bin fertig. –

Aber Sie könnten doch noch immer ein wenig bleiben.

Wozu? – Er gab ihr einen scharfen, bedeutenden Seitenblick, und drohte ihr mit dem Finger. – Weib! Weib! Du hast mit Deinem Mann gesprochen, hast mit Deiner Mutter gesprochen, hast mit Deinem Bruder gesprochen.

Sie meinen: heute? hier im Hause? – Nein wahrlich! Mit Mann und mit Bruder kein Wort.

Also doch mit der Mutter!

Nun? wäre denn das nicht recht?

Gar sehr. – Aber da kommst Du nun mit eben der Bitte, wie sie; nur anders eingekleidet, versteht sich. Was sie tragisch gesagt hat, das willst Du komisch sagen. –

Geh! geh! Mit denen da ward ich fertig; aber mit Dir –

Da getrauen Sie sich nicht?

Aus Ursache. – Denn sieh! wenn Du bittest, da bitten gleich alle Deine Kinderchen mit; und das möchte mir denn zu viel werden. – Geh!

O, nun – nun kommen Sie mir gewiß nicht von dannen. Oder wenn Sie gehen, laufe ich nach. – Gutes, liebes, bestes Väterchen – –

Schmeichlerin!

Schmeichlerin? – Das bin ich nur dann, wenn Sie sich nicht erbitten lassen.

Nun, was willst Du? Nimm Alles! – Er hielt ihr beide Geldbeutel hin.

Nicht doch! Geben sollen Sie Nichts. Keinen Heller.

Aber eine Thorheit begehen, für die ich hinterdrein, um sie nicht begangen zu haben, das Zweifache, Dreifache gäbe.

Thorheit, sagen Sie? Lieber Gott! – Als ob's Thorheit wäre, einmal recht gütig, recht liebreich zu sein! – Sie sind das gegen mich; sind's so sehr: sein Sie es um meinetwillen auch gegen den Bruder! – Um meinetwillen! Denn Sie helfen mir da von der unangenehmsten Empfindung, die ich nur kenne. – Er beneidet mich – ich habe das mehrmals bemerkt; – er hat allerhand kleinen Argwohn, daß ich Ihrer wohlthätigen Zärtlichkeit mißbrauche: und fast – wenn man blos nach dem Scheine geht – hat er Ursache dazu. Denn sagt er nicht eben so gut Vater, als ich, und genießt doch so viel weniger Liebe?

Er von der Mutter, und Du vom Vater. So ist's in der Ordnung. –

Nein, ich bitte; bitte, so sehr ich kann: Machen Sie, daß er bleibt! daß er nicht fortgeht!

Kann ich ihn halten?

Mit einem einzigen guten Worte.

Hm! – Das, meinst Du, soll der Vater dem Kinde geben!

Gut heißt freundlich, nicht bittend. – Wahrlich, er hat Gefühl, er ist dankbar. Er wartet nur auf die erste Eröffnung des väterlichen Herzens, und Sie haben den besten Sohn von der Welt. – Wenn er nun glauben müßte, daß ich seine Entfernung zu seinem Schaden nutzte? daß ich Ihnen für mich und meine Kleinen abschmeichelte, worauf wir zwar Alle kein Recht haben, was aber doch ihm eben so gut zukommen würde, als mir? – Sie wissen, daß das nicht ist, und daß ich dazu ganz unfähig bin; aber er würd' es doch glauben: er würd' es ganz sicher glauben; und meine Empfindung dabei – – Sie hatte Thränen im Auge. Diese Beweise von Zartgefühl, Schwesterliebe und Uneigennützigkeit, deren Wahrheit außer Verdacht war, freuten den Alten innigst, und er sah sie mit großer Zärtlichkeit an. Er glaubte nicht blos sein Fleisch und sein Blut, sondern auch sein Herz und seine Seele in ihr zu finden.

Liebes, gutes, bestes Väterchen, fuhr sie fort, und nahm Alles zusammen, was sie im Tone Süßes und in der Miene Liebkosendes hatte – alle meine Kinderchen bitten mit. Könnten Sie's abschlagen?

Je nun, sagte der Alte und fuhr sich mit den Fingern ein paar Mal über die grauen, etwas naß gewordenen Augenwimper – dran werd ich schon müssen. Ich will mit ihm reden.

Gewiß? gewiß?

Ja doch! – So freundlich, wie noch jemals in meinem Leben.

Und bald?

So bald sich's thun läßt. In diesen Tagen.

Ein Mann, ein Wort? Schlagen wir ein?

Da! – so freundlich, wie noch jemals in meinem Leben.

Sie lächeln aber so in sich. Worüber?

Ach – über mich selbst. – Laß das gut sein! – Er hatte schon ungefähr die Art, wie er sich nehmen müßte, im Kopfe und lächelte fort bis zur Thüre.

Armer Mann! sagte er noch, im Vorbeigehen, zum Doctor; Sie sind gewaltig betrogen. Sie forderten von mir eine Frau, und ich habe Ihnen eine Schlange gegeben.


 << zurück weiter >>