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17.

Unter so angenehmen Vorstellungen der Alte eingeschlummert war, unter so unangenehmen wachte er auf. Da er sein Herz von der Erzählung des Doctors voll hatte, so versetzte ihn ein Traum in das Lyk'sche Haus, wo er das Vergnügen genoß, seinen Sohn, mit Schweiß und Staub bedeckt, unter einem Haufen ganz verschiedenartiger, höchst unordentlich durch einander geworfener Waren zu sehen, die er mit großem Fleiß aus einander suchte. Er wollte so eben zugreifen, um ihm zu helfen, als in seiner Einbildung die mit dem Namen Lyk verbundenen Bilder lebendig wurden, und ihn auf's Bitterste den Entschluß bereuen ließen, in ein Haus voll so toller Verschwendung und so ärgerlicher Ausschweifungen zu treten. Indessen hielt er den Anblick der prächtigen Zimmer, die in seinen Gedanken sich eher für einen Fürsten, als einen Kaufmann schickten, der mit größtem Ueberflusse besetzten Tafeln, der umherschwärmenden Bedienten, ja sogar der wilden, lärmenden Trinker, die Champagner wie Wasser hinunter gossen, eine Zeit lang aus; aber als endlich sein Sohn mit der Hausfrau süße Blicke zu wechseln anfing, und Beide auf einmal in bebänderten Domino's, mit Masken in den Händen und rothen Absätzen unter den Schuhen, vor ihm standen, so stürzte er, voll des äußersten Widerwillens, zur Thüre, und dankte dem Himmel, auf die große Hausflur hinauszukommen, die ihm aus frühern Jahren, von den Zeiten des alten Lyk her, so wohl bekannt war. Er hob hier sorgfältig beide Rockschöße auf, und drückte sie dicht an den Leib, um unbeschmutzt durch die Packen und Ballen und Kisten und Fässer zu kommen, zwischen denen ehemals nur ein ganz schmaler Weg hindurch ging; aber plötzlich ward er zu seinem Erstaunen inne, daß seine Vorsicht unnütz, und daß die ganze Flur von Waaren so ausgeleert war, wie eine Schatzkammer nach einem Kriege von Gelde. Alle Wände umher hingen voll angezündeter Lampen, und nicht lange, so ertönte aus dem Hintergrunde des Saals – denn das war die Flur nun geworden – eine lustige Tanzmusik: Paar an Paar hüpften, wie unsinnig, gegen und durch einander; und als er sich leise niederdrückte, um wo möglich hinter ihnen weg und zum Hause hinauszuschleichen, tanzte ihm unversehens eine der muntersten und galantesten Frauen der Stadt, von gar nicht gutem Rufe, entgegen, riß ihn, wie sehr er sich sträubte, in die Reihe hinein, und wirbelte dann, in Verbindung mit der ganzen Gesellschaft, den guten Alten, der nie als in seiner Jugend ein Tänzchen, und auch da nur ein Ehrentänzchen, gemacht hatte, so unbarmherzig auf und nieder, daß er bei seinem endlichen Stillstehen kaum wieder Athem gewinnen konnte. Er fand sich hier einem Spiegel gegenüber, der ihm seine ganze gegen die übrige Gesellschaft so abstechende Gestalt, zugleich mit seinen grauen Wimpern und den ehrwürdigen Runzeln seines Alters zeigte: ein Anblick, worüber er augenblicklich wach ward, und sich völlig so athemlos und so eingefeuchtet fand, als ob die geträumte heftige Leibesbewegung wirklich Statt gehabt hätte.

Gott Lob! rief er, indem er die Augen weit aufthat, und sich des einsamen Schimmers seiner Nachtlampe von Herzen freute, es war nichts, als ein Traum. Hätt' ichs doch kaum geglaubt, daß man im Traume ein so schweres und angreifendes Stück Arbeit machen könnte! – Die tollen, rasenden Menschen! – Und nun fing er an, weil die Wallung in seinem Blute noch fortwährte und die verhaßten Bilder noch ihre volle Lebhaftigkeit hatten, sich recht ernstlich über den Unsinn zu ärgern, womit so Mancher für die läppischen, armseligen Vergnügungen, denen er nur eben beigewohnt hatte, Vermögen und Gesundheit und ehrlichen Namen auf's Spiel setze. Er dachte sich mit dem äußersten Abscheu die Möglichkeit, daß auch sein so sauer erworbenes Gut eben wie das Lyk'sche, in wenig Jahren verpraßt, und der Name Stark, den er bisher in Ehre und Ansehen erhalten, mit Schimpf und Schande belegt werden könnte. Hier fielen ihm die süßen, zärtlichen Blicke auf's Herz, die er seinen Sohn mit Madame Lyk hatte wechseln sehen. Es fuhr ihm kalt über den Rücken. Doch tröstete ihn wieder die Betrachtung, daß die Liebe zum Gelde in dem Herzen seines Sohnes keine schwächere Leidenschaft, als die Eitelkeit sei, und daß es ihm jene gewiß nicht erlauben werde, sich mit einer Frau von so mittelmäßigen Umständen – denn was konnte eine so weit getriebene Unordnung und Verschwendung zurückgelassen haben? – und noch obendrein mit einer Mutter von Kindern, zu belasten. So weit, sagte er, kann sein Geschmack an Galanterie ihn doch unmöglich verleiten.

Zwar, wandt' er sich wieder ein, hat er ja meine Erwartung schon in einem Stücke getäuscht; und so könnt' er es leicht auch in diesem. – Doch ich träume noch, glaub' ich; die Fälle sind einander zu ungleich. Das Opfer, das er bei so einer Heirath brächte, wäre zu groß; auch hat er hier volle Zeit zur Besinnung – denn in eine Liebe verstrickt zu werden, die ihn aller Besinnung beraubte, sieht ihm nicht ähnlich; – und welche Wahl er treffen kann, wenn ihm nur die Besinnung frei bleibt, ist keine Frage. Am Krankenbett des seligen Lyk sah er sich überrascht; er ist nur ein eitler und schwacher, kein verderbter, kein boshafter Mensch: es war natürlich, daß der erschütternde, ihm so neue Anblick eines Sterbenden, und die dringende Aufforderung, die so sehr zu rechter Zeit an sein Herz erging, ihn zu einem Versprechen hinrissen, das er bei kalter Ueberlegung wol schwerlich gethan hätte, das aber, einmal gethan, nicht unerfüllt bleiben durfte, wenn er nicht geradezu als ein Mann von schlechter Gesinnung erscheinen wollte. Und warum sollt' er denn nicht auch freudig gethan haben, was einmal gethan werden mußte? Warum sollt' er nicht, während er's that, in dem Bewußtsein seiner Rechtschaffenheit und in der Achtung, die er gegen sich selbst empfinden mußte, sich so wohl gefallen haben, daß er immer freudiger fortfuhr? Ich danke dem Himmel, wenn er bei dieser Gelegenheit in den Geschmack des Guten gekommen. Vielleicht, daß ihn das edlere Vergnügen wol noch ganz von den armseligen Eitelkeiten abzieht, zu denen er bisher einen so unglücklichen Hang hatte; und dann vollends – leben Sie wohl, Madame Lyk, mit aller Ihrer Feinheit und Ihrem Weltton und mit dem ganzen Gefolge von Liebenswürdigkeiten, das hinter Ihnen drein treten mag! Für meinen Sohn sind Sie nicht. –

Wenn diese Gedankenfolge des Herrn Stark, so richtig und bündig sie schien, dennoch nur wenig zutraf, so lag das an den beiden so gewöhnlichen Fehlern, daß er einen Charakter, der sich bis jetzt nur von gewissen Seiten entwickelt hatte, und von andern sich selbst noch ein halbes Räthsel war, als schon völlig bekannt und ergründet voraussetzte; und daß er in die Vorstellung der Verhältnisse, worin er diesen Charakter handeln ließ, einige bedeutende Irrthümer brachte, deren Entstehungsart wir vielleicht künftig erfahren werden. Genug, daß für den Augenblick Herr Stark sich beruhigt fühlte, und wieder einschlief; doch hatten wirklich die aufgestiegenen Dünste seinen Horizont ein wenig getrübt, und Sonnenaufgang war daher nicht ganz so heiter, als man bei Sonnenuntergang hätte erwarten sollen.


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