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3.

Herr Stark setzte sich wieder ruhig an seinen Tisch, und achtete wenig darauf, daß der Sohn eine geraume Zeit mit großen, heftigen Schritten umherging. Er hatte den Grundsatz, daß man einem geschlagenen, weinenden Kinde Zeit lassen müsse, um auszuschnucken, und daß es unvernünftig sei, von einer aufgeregten Leidenschaft augenblickliche Stille und Ruhe zu fordern. Der Kampf im Herzen des Sohnes würde sich wahrscheinlich, wie schon so oft, zum Vortheil der kindlichen Liebe und Ehrerbietung entschieden, und Alles würde seine vorige Gestalt angenommen haben, wenn nicht unglücklicher Weise ein Mensch hereingetreten wäre, der dem jungen Herrn Stark aus mehr als einer Ursache verhaßt war. – Es war ein gewisser Herr Specht, einer der kleinen Anfänger, die auf die Güte des alten Herrn bei jeder Gelegenheit Anspruch machten, und die für die Wünsche des Sohnes nur allzuoft darin glücklich waren. Dieser hier hatte den Vorzug vor allen Uebrigen; denn er war Pathe und Gevatter zugleich: Verhältnisse, die dem Herrn Stark nach alter Sitte, noch sehr wichtig und ehrwürdig schienen. Was aber den Sohn besonders gegen ihn aufbrachte, war der aus gewissen aufgefangenen Reden geschöpfte Verdacht, als ob Herr Specht eine junge liebenswürdige Wittwe, Madame Lyk, die bei dem Sohne sehr viel und bei dem Vater sehr wenig galt, bei letzterem angeschwärzt, und ihm Veranlassung zu allen den bittern Glossen gegeben hätte, womit er dann und wann über sie herzufahren pflegte.

Ei! sagte nach seiner gewöhnlichen gleißnerischen Art der Herr Specht, indem er gerade beim Hereintreten zu seinem großen Verdruß auf den Sohn stieß, der noch immer umherging: – Ei mein werthester Herr Stark! Gleich hier an der Schwelle bin ich so glücklich – –?

Seine tiefen Verbeugungen und seine süßen Mienen hatten dem Sohne noch nie so fade und unausstehlich geschienen, als jetzt. – Was gibt's? Was solls? fuhr er den ganz erstaunten und erschrockenen Besuch ein wenig unartig an.

Himmel! sagte Herr Specht, und griff wieder nach dem Drücker der Thüre; ich hoffe doch nicht, daß ich ungelegen komme? daß ich Störung verursache?

Es wäre möglich. Die Zeit ist edel, mein Herr. –

Ja wol! ja wol Schon bei unser Einem; und erst vollends bei Ihnen! bei einem Manne, der solche Geschäfte macht, solch' ein Werk führt! – Wahrlich, ich begreife oft nicht – –

Was es gibt? Was Sie wollen? hab' ich gefragt. – Borgen etwa? noch ehe die alte Schuld ganz getilgt ist? – Oder wieder Nachrichten von der Wittwe, Ihrer Nachbarin, bringen? – Da! Wenden Sie sich an meinen Vater, und nicht an mich!

Indem noch Herr Specht mit den Augen in allen Winkeln war, und nicht wußte, ob er gehen oder bleiben, ob er schweigen oder antworten sollte, drehte der alte Herr Stark, dem nachgerade das Gehör ein wenig schwach ward, und der nicht wußte, ob er etwas und was er hörte, sich auf seinem Stuhle herum, und half ihm durch ein freundliches Willkommen! von seiner Herzensangst. – Der Sohn warf sich wieder an seinen Tisch, um weiter zu schreiben.

Nun? Und was steht denn zu Diensten? sagte Herr Stark, nach mehreren unbedeutenden Fragen; – denn umsonst pflegt Er nicht zu kommen, mein lieber Pathe.

Ich – ich wollte so frei sein, stotterte dieser, indem er schielende, mißtrauische Blicke nach dem Sohn zurückwarf – ich habe, diese Tage über, Gelegenheiten gefunden – so allerhand kleine Gelegenheiten – –

Das versteh' ich ja nicht. Was für Gelegenheiten?

Ich meine: einen vortheilhaften Handel zu schließen, mir einen kleinen Gewinn zu verschaffen –

Ja so! – das ist mir lieb; das ist schön. – Immer zugegriffen, mein lieber Specht!

Aber – wie's denn bei Anfängern geht – die Beutel sind so eng und so flach. So, wie man hineingreift, hat man auch auf den Boden gegriffen. – Dies war, beiläufig zu sagen, einer der eigenen Einfälle des Herrn Stark, die Herr Specht sich sorgfältig zu merken und gelegentlich bei ihm selbst, mit immer gutem Erfolg, wieder anzubringen pflegte. – Und da wollt' ich denn also – wenn's ohne Beschwerden geschehen könnte – –

Frischen Vorrath holen. Nicht wahr? – Nur heraus mit der Sprache!

Herr Specht lächelte, und schlug den Alten mehrmals hinter einander, mit den äußersten Fingerspitzen, sanft und schmeichlerisch auf die Schulter. – Sie sind doch ein vortrefflicher Mann, liebster Herr Pathe –

Ja, ja. Weil ich ein so guter Prophet bin. – Aber was war's denn, das Er vorhin mit meinem Sohne absprach? Hat Er sich dem schon entdeckt?

Ich wollte. Ich hatte die Absicht, aber – der junge Herr –

Wird vermuthlich bedauert haben? wird sich außer Stande gesehen haben, zu dienen?

So schien's beinahe. –

Es kann Ernst damit sein. – Die Zeiten sind sich nicht immer gleich, und ich denke, es mag ihm jetzt selber fehlen.

Hehehe! liebster, bester Herr Stark! Wie Sie doch manchmal zu spaßen wissen!

Zu spaßen? sagte der Alte, und wies nach dem andern Tisch auf die reichgestickte Weste hinüber. – Sieht Er denn nicht, daß mein Sohn sein Gold hat verarbeiten lassen? – Ein Jeder freilich nach seinem Geschmack! Der Eine hält's mit einer vollen, der Andere mit einer flimmernden Tasche.

Dieses Wort, in keiner ganz üblen Laune und mit einem ziemlich gutmüthigen Tone gesagt – denn Herr Stark war wohl Spötter, aber kein hämischer; und wenn er im Verdrusse erst wieder witzig ward, so war das immer ein Zeichen seiner schon wiederkehrenden Ruhe – dieses Wort folgte auf zu bittere, zu ernstliche Vorwürfe, und ward in Gegenwart eines zu gehaßten, zu verachteten Menschen gesprochen, als daß es auf das Herz des Sohnes nicht eine sehr unglückliche Wirkung hätte thun sollen. Er sprang mit Ungestüm auf, murmelte heftige unverständliche Worte zwischen den Zähnen, und warf die Thüre.


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