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15.

Was gibst Du mir, wenn ich Dir eine Entdeckung mache? – sagte der Doctor, als er zu seiner Frau zurückkam.

Laß hören! – Vielleicht eine Gegenentdeckung.

Der Bruder ist sterblich verliebt in die Lyk. –

Die Lyk ist sterblich verliebt in den Bruder. –

Ist's möglich? – Und nun erfolgte von beiden Seiten eine Herzenserleichterung, die mit allen Holdseligkeiten ehelicher Vertraulichkeit gewürzt war. –

Sie ist krank, sagte die Doctorin, herzlich krank; ich habe die Freundin von ihr, die eben da war, um Dich zu ihr zu bitten, über alle Umstände befragt; sie hat gestern Abend – und merke Dir's wohl: weil eben der Bruder von ihr gegangen – –

Der Bruder? Da hat er Abschied genommen!

Natürlich! – Sie hat, sagt mir die gute Freundin, gar nicht aufhören können zu weinen; die ganze Nacht hindurch hat sie kein Auge geschlossen; alle Munterkeit, alle Eßlust ist bei ihr fort; – dazu hat sie Krämpfe – die schrecklichsten! –

Krämpfe? Hm!

Kurz: das arme Weib steckt in Liebe bis über die Ohren. – Und nun bitte ich Dich, Herzensmann! laß Essen und Alles, und mache, daß Du hinkommst, damit wir Das näher erfahren!

Sie ist ohnehin nicht die stärkste, sagte der Doctor, der ein wenig ungläubig schien; – sie ist dem Bruder ungemein viel Verbindlichkeit schuldig; – sie hat ein dankbares Herz –

Eben deswegen! Solche Herzen sind Dir die brennbarsten; die fangen Feuer, wie Zunder. – Der Bruder ist ein ganz artiger Mann. –

Das wol.

Und ich kenne Dir Eine, die Anfangs auch nur dankbar war, weil ein Gewisser – ein noch artigerer Mann – ihr von einem bösen Fieber geholfen hatte, und die nachher – –

Das verdiente einen Kuß, der gegeben ward, und der Doctor flog fort.

Er fand die Wittwe freilich nicht wohl; aber so krank denn doch nicht, als die gute Freundin und dann weiter die Frau Doctorin es gemacht hatten. Sie gestand nach einigem Kampf mit sich selbst, daß der Hauptgrund ihres Uebelbefindens in einer Unruhe des Herzens liege. Der Doctor horchte mit beiden Ohren; denn er glaubte schon den außerordentlichen Fall vor sich zu haben, daß ein Frauenzimmer die Schwachheiten seines eigenen Herzens verplaudere; aber als das Geheimniß an den Tag kam, war es weiter Nichts, als ihr Verhältniß mit ihrem Gläubiger. Der Doctor war Hausarzt des Mannes und hatte ihm und seiner Familie große Dienste geleistet: die Wittwe gründete hierauf die Hoffnung, daß ein von ihm eingelegtes gutes Wort ihr Nachsicht auf einige Wochen bewirken könnte; und sie beschwor ihn um dieses Wort, als um eine Freundschaft, die ihre Genesung mehr als alle Arzneimittel befördern würde. Ihre Lage, sagte sie, sei die dringendste von der Welt, aber nichts weniger als verzweifelt: sie sei im Stande, wenn man ihr Zeit lasse, alle ihre Schulden bis auf den letzten Heller zu tilgen; und sie berufe sich deswegen auf das Zeugniß seines Schwagers, des Herrn Stark – wenn er anders noch hier sei. –

Das Eigene in der Modulation der Stimme, womit sie diese letzten Worte aussprach, zusammengenommen mit einem kleinen übel verhehlten Seufzer, und mit dem Niedersinken ihres bis dahin aufgehobenen Blicks in den Busen, schien dem Doctor eine Indication zu geben, die er sich nicht dürfe entschlüpfen lassen.

Ich bin zu Ihrem Befehl, sagte er, liebe Freundin, aber ich bitte Sie zu erwägen, daß die Summe, die Sie mir angeben, von keinem Belang, und daß der Mann, mit dem wir zu thun haben, von rauher, unfreundlicher Art ist. So wenig ich zweifle, meinen Antrag bei ihm durchzusetzen, so könnte er doch leicht sich herausnehmen, bei dieser Gelegenheit Dinge zu sagen, die mir wehe thun würden. – Warum denn auch einen rauhen, beschwerlichen Umweg zum Ziele gehen, wenn ein gerader, gebahnter Weg offen da liegt?

Welcher? seufzte die Wittwe.

Sie nannten vorhin einen Freund, dem jede Gelegenheit, Ihnen gefällig zu werden, das größte Vergnügen' erweckt. Ich bürge Ihnen für seine Gesinnungen gegen Sie.

Dieser Freund – –

Gönnen Sie ihm doch das Glück, Madame, Ihnen dienen zu können!

Das Glück? – Aber wenn's denn ein Glück ist, so gestehen Sie: er hat es nur zu reichlich genossen. – Ich erliege unter der Last meiner Verbindlichkeiten. Ich kann sie ewig nicht tilgen. – Und will er jetzt nicht fort, dieser Freund? Will er uns nicht verlassen? Wird er des Geldes genug nur zu eigener Einrichtung haben? – Ihre Stimme schwankte, und sie schien in außerordentlicher Bewegung.

Es mangelt ihm nicht, Madame; ganz gewiß nicht! – Geben Sie ihm die Freude mit auf den Weg, Ihre Wohlfahrt gesichert zu haben! Lassen Sie mich hin, ihm es vorzutragen! Es ist in wenig Augenblicken geschehen. – Er stand auf und machte Miene, sich zu entfernen.

Nein! Nein! – war Alles, was die Wittwe hervorbringen konnte. Sie hatte die Hand des Doctors, um ihn zurückzuhalten, mit einer ihr ungewöhnlichen Hitze ergriffen. Er fühlte das Brennen und Zittern der ihrigen, und bat sie, ihrer schwachen Gesundheit zu schonen. – Ich rede dann, weil Sie's so wollen, mit Ihrem Gläubiger, und ich halte die Sache mit ihm für so gut wie berichtigt. Werden Sie ruhiger, liebe Freundin! – –

Der Doctor hatte an diesem Wenigen schon genug, um bei seiner Nachhausekunft seiner Frau zu sagen, daß sie wol schwerlich geirrt haben möchte. – Aber, setzte er hinzu, wie in aller Welt soll das werden? Wo soll das hinaus?

Du fragst? – Wenn sie wirklich so liebenswürdig und sanft und gut ist, wie Du sie mir immer gerühmst hast – –

Das ist sie wahrlich! wahrlich!

Nun so läßt man den dritten Mann kommen, den Priester. Der weiß Mittel für solche Uebel.

Mir wär's recht; in der That! Ich nennte die gute Frau mit Vergnügen Schwester. – Aber ich gestehe Dir, daß ich zittere, wenn ich an Deinen Vater denke.

O, der wunderliche, alte – liebe, böse Mann der, der Vater! – Ich bin so erbittert auf ihn; ich möchte ihn gleich – – ja, was möchte ich, ich Närrin? – – Aber je lieber ich ihn habe, desto abscheulicher war's, mich so herumzuführen, so zum Besten zu haben. – Ich vergesse ihm das nicht; nimmermehr! Ich spiele ihm irgend einen Gegenstreich, und einen recht argen. – Wart! Eben mit der Lyk muß ich ihm einen spielen. – Wie? Soll denn darum, weil er sich gegen die arme Frau eine wunderliche Grille in den Kopf gesetzt hat – –

Und eine falsche. Denn nicht sie hatte Hang zur Verschwendung, aber der Mann.

Nun ja! – Und soll denn darum die arme Frau ein so schönes Glück nicht machen, das sich ihr anbietet? Soll darum der Bruder eine Leidenschaft aufgeben müssen, die den schönsten, edelsten Grund von der Welt hat? – Da sitzt er nun in seinem Käfig, der arme Narr, und hängt das Köpfchen. – Hahahaha! Es ist doch ein närrisches Ding um's Verliebtsein. – Aber Geduld nur! Geduld! Er soll mir heraus, und soll mir in's Ehebett zur Lyk, oder ich will nicht das Leben haben.

Du unternimmst da viel, sagte der Doctor. Wie willst Du Deinen Vater gewinnen? – Was Zureden bei ihm vermag, hast Du erfahren; und daß Du mit List ihn fangen solltest? – ich fürchte: er geht Dir in keine Falle.

Gestehe nur: es ist doch ein kluger, ein außerordentlich kluger Mann, mein Vater.

Der klügste, den ich in meinem Leben gekannt habe.

Sieh in mir seine Tochter! Sie setzte ihren Zeigefinger auf die Brust, und streckte ihre kleine Figur in die Höhe.

Ah! – sagte der Doctor, der sich verbeugte, und über ihr komisches Pathos von Herzen lachte: alle Verehrung, Madame! Aber darf man denn Dieses oder Jenes von Ihrem Plane voraus wissen?

So bald er da sein wird; ja! – Weißt Du indessen, was vor allen Dingen zu thun ist, und was von Niemandem so gut gethan werden kann, als von Dir? –Bringe dem Vater bessere Begriffe bei von dem Bruder! Erzähle ihm sein Betragen gegen den seligen Lyk! Ich bin versichert, das wird ihm gefallen, recht sehr gefallen. – Auch das erzähle ihm, wie edelmüthig er sein Versprechen erfüllt, und wie treu er ganze Monate lang für die Wittwe gearbeitet hat. Solche Züge, weiß ich, freuen den alten Mann in die Seele, und ein wildfremder Mensch, von dem er so etwas hört, wird auf der Stelle sein Blutsfreund. – Gewiß, er hätte das schon früher erfahren sollen.

Und würde auch, so wie Ihr alle, wenn ich nicht dem Bruder hätte mein Wort geben müssen, zu schweigen. – Jetzt, so bald ich Gelegenheit dazu finde – –

Willst Du thun, was Dein braves Weib Dir aufgibt? Nicht wahr?

Schuldiger Maßen.

Schön! – Und ich will Bekanntschaft mit unserer Wittwe machen, ehester Tage! Ich habe es mit der Freundin von ihr schon eingeleitet. Ich bin ganz neugierig auf sie. – Da sind auch die beiden Kleinen von ihr, die hier täglich vorbei in die Schule müssen; ein Paar Engel von Kindern! Morgen rufe ich sie mir herein, und da will ich sie herzen und lieb haben, als ob's meine eigenen wären.


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