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»Hast du den Mörder gefunden?« fragte der Rittmeister. Er war erstaunt und ungeduldig wegen Asbjörn Krags sonderbarem Auftreten.
»Ja, ich habe den Mörder gefunden«, antwortete Krag. »Ich habe ihn gesehen.«
»Vielleicht auch mit ihm gesprochen?« fragte der Verwalter lächelnd.
»Nein, gesprochen habe ich nicht mit ihm.«
»Wo ist er denn?«
Asbjörn Krag machte eine großartige Handbewegung, die alle Gebäude auf dem Hofe umfaßte, sagte aber nichts. Das konnte ebensogut bedeuten, der Mörder sei im Wohnhaus oder im Stall. Der Rittmeister wandte sich halb verzweifelt an den jungen Beamten aus Oslo und fragte:
»Können Sie das begreifen?«
Der junge Beamte hatte sich seither aus Bescheidenheit im Hintergrunde gehalten und kein Wort gesprochen. Er nickte.
»Wenn hier ein Mensch totgeschlagen worden ist, dann weiß ich, wer es getan hat«, sagte er.
»Wirklich?« fragte der Verwalter. »Aber Sie haben von den Vorgängen hier doch nicht halb so viel gesehen als wir, und uns ist die ganze Sache ein Rätsel.«
Der Beamte deutete auf die Dokumentenmappe, die er immer noch unter dem Arme trug. »Aber ich habe diese Schriftstücke gelesen«, sagte er.
Der Rittmeister schüttelte bloß den Kopf. Er verstand gar nichts mehr. Asbjörn Krag ging eine Weile auf und ab. Dann sah er nach dem östlichen Himmel, von wo ein schwacher goldener Schimmer über die Baumwipfel drang. Der Tag begann zu grauen.
»Löscht die Laternen aus!« befahl er. »Es ist hell genug.«
Die Laternen wurden ausgelöscht, und in der Dämmerung sahen die Menschen aus wie graue Schatten.
»Es ist noch ein wenig zu früh«, sagte der Detektiv. »Wir müssen warten, bis es heller geworden ist. Lieber Freund, meinst du nicht, es könnte gegen Morgen Regenwetter geben?« wandte er sich an den Rittmeister.
Der Rittmeister sah seinen Freund verwundert an. »Das glaube ich nicht«, sagte er.
»Aber die Felder sind schon ganz naß, und die Luft ist feucht.«
»Das ist der Tau.«
Asbjörn Krag lächelte.
»Ich glaube dennoch, daß Regen kommt«, sagte er. »Und ich kann es nicht ertragen, naß zu werden, lieber Freund. Ich bin vorher schon erkältet genug.«
»Du kannst ja ins Haus gehen, dort ist es warm.«
»Was du denkst, ich will den Mörder doch auch sehen!«
»Kommt er vielleicht hier des Weges daher?«
»Ja, er kommt bald. Aber du mußt mir noch einmal deinen Gummimantel leihen. Ich will mich nicht auch noch einer Erkältung aussetzen.«
Der Rittmeister machte seinem Verwalter ein Zeichen, und dieser ging ins Haus und holte den Regenmantel. Asbjörn Krag zog ihn gelassen an. Es war nirgends ein Zeichen, daß Regenwetter im Anzug sei, aber der Detektiv schnupperte trotzdem in der Luft wie ein Jagdhund und sagte vor sich hin:
»Ich weiß gewiß, daß Regenwetter kommt, ich weiß es ganz gewiß!«
Der Rittmeister fing nun an zu begreifen, daß Asbjörn Krag einen bestimmten Zweck dabei hatte, sich diesen Regenmantel anzuziehen. Der junge Beamte hatte, da er sich auf einige Augenblicke entfernte, dem Vorgang nicht beigewohnt. Als er zurückkam, machte ihm Asbjörn Krag ein Zeichen und fragte:
»Ist das so ähnlich?«
»Nach der Beschreibung vollkommen«, antwortete dieser. »Ich begreife nur nicht, wo Sie ihn so rasch hernehmen.«
Krag deutete auf den Rittmeister und sagte:
»Es ist sein Mantel.«
Der Rittmeister nickte. Es war ihm klar, daß die beiden Polizeibeamten zusammen eine Komödie aufführten, aber daneben hatte er das Gefühl, daß das große Rätsel vor seiner Lösung stehe, und er tat keine Frage, um keine Zeit zu verlieren. Und nun rückte Krag mit einem Vorschlag heraus, der seinen Freund, den Rittmeister, und dessen Leute aufs höchste verblüffte. Es waren jetzt auf dem Hofe acht bis zehn Mann versammelt, Krag, der Rittmeister, der Verwalter, der Polizeibeamte und einige von des Rittmeisters Dienstleuten. Diese standen neben dem großen Haupteingang. Der Rittmeister stand fröstelnd auf der untersten Stufe der Freitreppe und hatte seinen Rock zugeknöpft. Asbjörn Krag stand mitten unter den Dienstleuten, die immer noch die ausgelöschten Laternen in den Händen hielten. Etwas weiter zurück stand der Verwalter neben dem Polizeibeamten. Asbjörn Krag hatte sich an den Rittmeister gewandt, und sein erstaunlicher Vorschlag lautete:
»Lieber Freund, ich habe Lust, einen Ritt zu unternehmen.«
Der Rittmeister zog die Augenbrauen in die Höhe und sah den Detektiv verwundert an. Einer von den Dienstleuten, ein ganz junger Knecht, brach in ein schallendes Gelächter aus, das erst aufhörte, als der Verwalter den Sünder hart am Arme faßte.
»Es ist kein Spaß«; sagte Krag. »Ich habe wirklich Lust, auszureiten.«
»Soll ich das so verstehen, daß du gern ein Pferd haben möchtest?« fragte der Rittmeister.
»Ja.«
»Es dauert vielleicht noch eine Weile, bis du uns den Mörder zeigen kannst, und da möchtest du dir inzwischen die Zeit durch einen Ritt vertreiben. Verhält es sich so?«
Krag schüttelte ungeduldig mit dem Kopf.
»Ich könnte ja auch bange sein, der Mörder laufe mir davon, und könnte ein Mittel bei der Hand haben wollen, ihn zu verfolgen«, sagte er.
»Schön, du sollst ein Pferd bekommen. Aber du hast ein komisches Reitkostüm an, einen Gummimantel. Möchtest du nicht etwas Geeigneteres?«
»Durchaus nicht, der Regenmantel ist mir gut genug. Aber du hast vielleicht eine Reitpeitsche?«
»Die sollst du haben. Willst du auch Sporen?«
»Brauche ich nicht. Die Reitpeitsche genügt mir. Laß das Pferd vorführen.«
Der Rittmeister nickte dem Stallburschen zu, der sofort lief und eine Reitpeitsche holte. Der Detektiv ließ sie durch die Luft sausen.
»Die ist ganz recht«, lobte er. »Kann ich ein mutiges Pferd bekommen?«
»Den Braunen!« sagte der Rittmeister zu seinem Verwalter. »Bringen Sie den Braunen, der Herr Detektiv möchte ein Pferd haben.«
Asbjörn Krag hielt den Verwalter auf.
»Meinst du den großen dicken Braunen, der im dritten Abteil stand?« fragte er den Rittmeister.
»Ja. den meine ich.«
»Habe ich denn nicht ausdrücklich um ein mutiges Pferd gebeten?«
»Das Pferd ist gut genug«, meinte der Verwalter unwillig. Aber Krag schaute seinen Freund fragend an.
»Kannst du gut reiten?« erkundigte sich der Rittmeister.
Krag nickte.
»Ich meine, ob du zum Beispiel mein neues Reitpferd ›Eva‹ meistern könntest? Bis jetzt konnte nur ich es reiten.«
»Heraus mit der ›Eva‹!« rief Krag erfreut. »Die ist gerade das richtige Pferd für mich.«
Der Rittmeister sah den Verwalter an.
»Dürfen wir es wagen?«
Aber der Verwalter zuckte nur die Achseln als wollte er sagen: »Das ist Ihre Sache.«
»Dann soll er sie haben. Holen Sie die ›Eva‹, Herr Verwalter.«
Der Verwalter ging auf die Ställe zu, und die andern Dienstleute gingen hinter ihm her. Krag, der Rittmeister und der Beamte aus Oslo blieben allein zurück.
Asbjörn Krag schlug ungeduldig mit der Peitsche gegen seinen Gummimantel. Die Sonne war inzwischen über den Horizont heraufgestiegen, das nächtliche Dunkel war dem hellen Morgenlicht gewichen. Auf dem Bache lag der Nebel, wie der Staub über einer Landstraße. Die Luft war kalt, und der Morgenwind drang eisig durch die Kleider. Aber der Himmel war wolkenlos. Augenscheinlich sollte der Rittmeister recht behalten; der Tag blieb sicher klar und ohne Regen.
Der Rittmeister wußte nicht recht, was er sagen sollte. Seiner Meinung nach hatte Krag sich sehr wunderlich betragen: aber er verließ sich auf seines Freundes Klugheit. Er dachte, der Mörder halte sich irgendwo versteckt, und Asbjörn Krag habe auf irgendwelche unerklärliche Weise das Versteck aufgespürt. Vermutlich würde der Mörder mit Tagesanbruch sein Versteck verlassen. Und nun brach eben der Tag an. Krag erwartete wohl jeden Augenblick, der Mörder werde zum Vorschein kommen und wollte zur Sicherheit ein Pferd bereit haben, damit ihm der Schuft nicht entfliehen könne. So etwa müsse die Sache zusammenhängen, dachte der Rittmeister.
»Du mußt aber gut reiten können, um mit ›Eva‹ fertig zu werden«, sagte er. »So lange sie auf der Weide ist, ist sie das friedfertigste Tier von der Welt, sobald sie aber einen Menschen auf ihrem Rücken fühlt, gehört etwas dazu, sie zu halten. Weißt du, wieviel ich für sie bezahlt habe?«
Asbjörn Krag kam nicht dazu, Antwort zu geben, denn nun mischte sich der junge Beamte von Oslo zum erstenmal in die Unterhaltung.
»Sechstausendfünfhundert Kronen«, sagte er.
Der Rittmeister sperrte erstaunt die Augen auf.
»Das stimmt, aber woher wissen Sie das? Ich habe es Ihnen doch nicht erzählt?«
»Nein«, erwiderte der Beamte. »Aber ich weiß es doch.«