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Fünfundzwanzigstes Kapitel. Jetzt kommt er

Der Rittmeister war von Asbjörn Krags Auseinandersetzungen ganz wirr im Kopf; aber so viel sah er doch ein, daß seine Sache nicht mehr so völlig hoffnungslos war.

Wieder sah der Detektiv auf die Uhr.

»Der Zug ist vor fünfundzwanzig Minuten eingefahren«, sagte er. »Wir können den Mann jetzt jeden Augenblick erwarten.«

Er trat an das zerschmetterte Fenster und horchte. Aus der Ferne klang Räderrollen.

»Wenn ich mich nicht irre, so kommt er eben.«

Der Rittmeister war jetzt ebenfalls sehr gespannt und stellte sich neben seinen Freund ans Fenster.

»Fürchtest du nichts, wenn du hier so im hellen Lichte stehst?« fragte er.

»Was meinst du?« entgegnete der Detektiv.

»Wir sind doch beide von draußen ganz deutlich sichtbar.«

»Das ist richtig«, erwiderte Krag. »Wenn dort draußen jetzt ein Todfeind von uns stünde, so wären wir für ihn ein prächtiges Ziel«

Der Rittmeister schauderte.

»Entweder bist du verwegen dreist, oder du hältst alle Fäden in der Hand«, sagte er. »Du hast doch soeben gesagt, daß sich dieser geheimnisvolle Mörder ums Haus herumtreibe.«

»Das habe ich nicht gesagt.«

»Aber, du wartest doch nur auf den Beamten, um ihn zu verhaften.«

»Das habe ich auch nicht gesagt«, widersprach Krag. »Ich habe nur gesagt, wenn der Beamte hier sei, dann wolle ich dir den Mörder zeigen.«

»Und er ist in unserer Nähe.«

»Ja, er ist in unserer Nähe.«

Der Rittmeister starrte in die Finsternis hinaus und schauderte abermals. Das Räderrollen kam immer näher.

»Der hat es eilig«, bemerkte der Rittmeister. »Ich kann hören, wie er das Pferd antreibt.«

Gleich darauf konnten sie aus der Straße unter den Rädern des Wagens die Funken aufstieben sehen, und im nächsten Augenblick schwenkte der Wagen in den Hof. Eine mit einem Mantel bekleidete Gestalt stieg aus.

Asbjörn Krag und der Rittmeister gingen hinaus und nahmen den Beamten in Empfang. Das Pferd war schweißbedeckt. Asbjörn Krag drückte dem jungen Manne die Hand, schaute auf die Uhr und sagte:

»Das ist ausgezeichnet! Sie kommen fünf Minuten eher, als ich berechnet hatte.«

Krag stellte den Angekommenen als Polizeibeamten Bränne von der Detektivabteilung in Oslo vor und forderte ihn dann auf, ins Haus zu kommen. Gespannt blickte der Rittmeister auf eine Dokumentenmappe, die der Mann unter dem Arme trug.

»Alles in Ordnung?« fragte Krag.

»Ich glaube, ja«, erwiderte der Beamte. »Jedenfalls war Ihre Vermutung richtig. Der Direktor ...«

Der Detektiv wehrte mit der Hand ab. »Noch nicht!« sagte er. »Lassen Sie mich erst die Papiere sehen.«

Der Beamte überreichte ihm die Dokumentenmappe. Krag nahm ein Schriftstück heraus. Der Rittmeister warf zufällig einen Blick darauf.

»Das kommt mir so bekannt vor«, sagte er halblaut. »Ich erinnere mich nur nicht genau ...«

Asbjörn Krag steckte das Dokument wieder in die Mappe und nickte befriedigt.

»Alles in Ordnung!« sagte er. »Jetzt wollen wir hinausgehen und uns den Mörder betrachten.«

Der Rittmeister griff wieder nach seinem Revolver; allein zu seinem Erstaunen bemerkte er, daß der Detektiv gerade das Gegenteil tat: er legte seinen Revolver auf den Tisch.

»Den brauche ich nicht«, sagte er.

»Einem Mörder gegenüber brauchst du keinen Revolver?«

»Nein.«

»Aber der ermordete Rechtsanwalt und der halbtot geschlagene Oberst lassen doch darauf schließen, daß er gefährlich ist.«

»Du irrst dich«, erwiderte Krag. »Dies ist für gewöhnlich der friedlichste und ungefährlichste Mörder, mit dem ich je zu tun gehabt habe. Bitte, rufe deine Leute.«

Der Rittmeister rief nach dem Verwalter, der sofort gelaufen kam. Der Mann war immer noch sehr blaß. Hinter ihm tauchten mehrere der Leute auf.

»Wohin sollen wir gehen?« fragte der Rittmeister.

»Vorerst einmal durchs Haus«, erwiderte Krag. »Geh du voran, lieber Freund.«

»Durch alle Zimmer?«

»Ja, durch alle Zimmer.«

Der Rittmeister ging voran, Asbjörn Krag, der Beamte und der Verwalter folgten nach. Krag betrachtete neugierig die Einrichtung, untersuchte hier und da ein Fenster und sah von Zeit zu Zeit nach der Uhr. Man bekam den Eindruck, daß er eine bestimmte Zeit abwarte, und daß diese Wanderung nur in Szene gesetzt sei, um die Zeit zu vertreiben. Gespannt sahen ihn die anderen an. Zuerst ging's durch alle Zimmer des Erdgeschosses und dann durch die des ersten Stocks, in dem sich auch die Gastzimmer befanden. Der Rittmeister ergriff die Gelegenheit, zu bemerken, daß für den Beamten ein Zimmer in Ordnung gebracht werden solle.

»Das ist nicht nötig«, sagte Krag. »Jetzt ist es drei Uhr und in zwei und einer halben Stunde kommt der Schnellzug nach Oslo hier durch. Ich denke, wir werden so fertig, daß Brünne und ich mit diesem Zuge abreisen können.«

»Mit dem Mörder?«

Aber da lächelte Krag nur.

»Nein«, sagte er. »Der Mörder soll hierbleiben!«

»Wie? Was meinst du denn? Ich habe keine feste Zelle auf meinem Hof, in die man einen solchen Kerl sicher einsperren könnte.«

»Ach was, er hat vielleicht gar keine so große Lust, durchzugehen, wie du meinst«, erwiderte Krag. »Und wenn du ihn nicht in deinen Zimmern haben willst, dann kannst du ihn ja anderswo unterbringen.«

»Wo? Vielleicht in der Heuscheune?«

»Ja, oder im Stall. Wir wollen uns diese Lokalitäten einmal anschauen.«

Sie hatten nun das Hauptgebäude von oben bis unten durchschritten, und Asbjörn Krag hatte dabei seine Beobachtungen gemacht. Die Spannung der andern stieg von Minute zu Minute, aber Krag schien immer gelassener zu werden.

Nun gingen sie über den Hof. Beim Brunnen blieb Asbjörn einen Augenblick stehen und starrte in das schwarze Wasser hinein.

»Wo ist die Heuscheune?« fragte er.

Der Verwalter zeigte den Weg und machte die Tür auf. Der Detektiv schaute hinein. Er stand unter der offenen Tür, ohne sich um irgendeine Deckung zu kümmern; der Verwalter jedoch und auch der Rittmeister hielten sich vorsichtig etwas zurück. Es war ja möglich, daß der Mörder drinnen war, und im Schein der mitgebrachten Laternen bot ein Mensch unter der offenen Tür ein deutlich zu erkennendes Ziel. Krag betrat die Scheune nicht. Er warf nur einen Blick hinein und forderte dann den Verwalter auf, die Tür wieder zu schließen.

»Nun kommen wir an den Viehstall!« sagte er und rieb sich vergnügt die Hände.

Die Herren gingen nun also durch den Viehstall, und Krag zeigte ein auffallendes Interesse und wollte alles genau besehen. Die Kühe rasselten unruhig mit ihren Ketten. Sie waren nicht gewöhnt, mitten in der Nacht gestört zu werden. Nachdem der Viehstall besichtigt war, verlangte Krag auch noch die Pferdeställe zu sehen. Des Rittmeisters vorzügliche Pferde weckten Krags größtes Interesse, und er betrachtete sie einzeln ganz genau. Endlich war diese sonderbare Untersuchung beendigt, und als die Herren wieder draußen aus dem Hofe standen, rief der Rittmeister:

»Aber wo bleibt denn der Mörder?«

»Jetzt kommt er«, erwiderte Krag.


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