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Fünftes Kapitel. Das Verhör

Als der Amtsvorsteher eintrat und einen Fremden bei Ivar Rye antraf, verwunderte er sich einigermaßen. Er blieb an der Türe stehen und wußte nicht recht, wie er die Sache angreifen sollte.

Rye erhob sich und forderte ihn mit einer Handbewegung auf, näher zu treten.

»Was wünschen Sie?« fragte er.

»Ich komme in einer sehr unangenehmen Sache, Herr Rittmeister. Es ist wegen der Geschichte mit dem alten Oberst Holger.«

»Sie meinen wegen dem Unglücksfall?«

Der Amtsvorsteher gab keine Antwort. Er blickte von einem der Herren zum andern.

»Und was ist da Ihre Absicht?« fragte Krag.

»Bitte, legen Sie sich gar keinen Zwang auf«, sagte Rye.

»Der stellvertretende Amtsrichter ist drüben auf dem Hof wegen der Sache mit dem Herrn Oberst und möchte Sie sprechen«, sagte der Amtsvorsteher.

»Und Sie sind gekommen, um mich zu ihm zu führen?«

»Ja«, sagte der Amtsvorsteher, augenscheinlich erleichtert durch die nette Form, die die Sache damit bekommen hatte.

»Ist es aber nicht eigentlich Ihre Absicht, den Herrn Rittmeister zu verhaften?« fragte Krag.

Verlegen drehte der Amtsvorsteher seine Dienstmütze in der Hand herum.

»Jedenfalls muß er mitkommen«, sagte er. »Ich muß den erhaltenen Befehlen gehorchen.«

Der Rittmeister ging hin und holte seinen Mantel. Asbjörn Krag hatte noch keine Zeit gehabt, seinen Ueberzieher abzulegen.

»Du mußt schon entschuldigen«, sagte der Rittmeister. »Die Umstände erlauben mir nicht, dir ein Frühstück anzubieten. Das müssen wir aufschieben, bis wir zurück sind.«

»Das eilt gar nicht. Wir wollen zuerst einmal mit dem Herrn stellvertretenden Amtsrichter ins reine kommen«, erwiderte Krag.

Die beiden Herren machten sich nun mit dem Amtsvorsteher auf den Weg. An der Straße standen eine Menge Neugieriger, und der Detektiv bemerkte, daß sie den Rittmeister nicht mit freundlichen Blicken betrachteten. Rye schritt rasch zu und hatte seinen Rockkragen bis an die Ohren aufgeschlagen. Krag mußte seine Kaltblütigkeit bewundern. Obgleich ihn die Gemütsbewegungen der letzten Zeit sehr angegriffen hatten, war doch seinem äußeren Menschen nichts davon anzumerken. Er war vielleicht bleicher als gewöhnlich, und seine Augen funkelten mehr als sonst. Das war aber auch alles.

Der Amtsvorsteher führte die Herren auf einen großen Gutshof, das Anwesen des Obersten Holger.

Als der Rittmeister über den Hof schritt, grüßte ein Mann ehrerbietig und ernsthaft.

»Guten Tag, Hansen«, sagte der Rittmeister.

»Das ist also der Verwalter«, dachte Krag.

Als sie in den Saal traten, war dort bereits das ganze Gericht versammelt. An einem mit grünem Tuch bedeckten Tische saß der Vorsitzende, der junge stellvertretende Amtsrichter, ein Mann von nicht dreißig Jahren. Er sah nicht unintelligent, aber etwas aufgeblasen aus, und seine zur Schau getragene übergroße Würde stimmte nicht recht zu seinem jugendlichen Aussehen.

Rechts von ihm saßen zwei Bauern aus der Gegend als Beisitzer. Auf ihren bärtigen Gesichtern lag ein tiefer Ernst, und sie schauten mit strengen Blicken geradeaus. Zur Linken des Vorsitzenden saß ein junger Schreiber mit einem großen Protokoll vor sich.

Der Rittmeister und Asbjörn Krag grüßten, und der Vorsitzende machte eine schwache Verbeugung. Er war sich der Würde seines Amtes bewußt. Die Ellbogen hatte er auf den Tisch gestützt und preßte die Fingerspitzen gegen einander.

»Sie wünschen meine Aussage zu hören?« fragte der Rittmeister.

»Setzen Sie sich!« erwiderte der Vorsitzende.

Der Rittmeister setzte sich aus einen bereitgestellten Stuhl, und Asbjörn Krag nahm neben ihm Platz. Der junge Rechtsbeflissene kannte den Detektiv augenscheinlich nicht.

Nachdem die notwendigen Formalitäten erledigt waren, sagte der Vorsitzende:

»Dies ist eine Voruntersuchung. Das Gericht wünscht nicht, daß Unbeteiligte anwesend seien.«

Strafend schaute er dabei Asbjörn Krag an. Dieser erhob sich.

»Herr Gerichtsvorsitzender!« sagte er. »Herr Rittmeister Rye befindet sich in einer Lage, die ihm das Recht gibt, einen Anwalt zu haben. In seinem Namen bitte ich um die Erlaubnis, als solcher diesem Verhör beiwohnen zu dürfen.«

Er überreichte dem Vorsitzenden seinen Ausweis.

Dieser sah den Detektiv verblüfft an, erklärte sich mit der Bitte einverstanden und wies ihm mit höflicher Handbewegung einen Platz an.

Nach diesen Vorbereitungen wurde der Rittmeister aufgerufen.

»Es ist Ihnen wohl bekannt, warum Sie zu diesem Verhör geladen sind«, begann der Vorsitzende. »Oberst Holger ist schwer verletzt unter einer kleinen Baumgruppe am Waldsaum gefunden worden, und alle Umstände drängen zu der Annahme, daß er einem Mordversuch ausgesetzt gewesen sei. Wir haben Grund zu vermuten, daß Ihnen Näheres über dieses traurige Ereignis bekannt ist.«

»Ist der Herr Oberst tot?« fragte der Rittmeister.

»Nein, noch nicht. Aber sein Zustand wird für hoffnungslos angesehen. Er ist noch nicht wieder zum Bewußtsein gekommen.«

»Soll auch das junge Fräulein als Zeugin vernommen werden?«

»Ich hätte das gerne getan«, erklärte der Vorsitzende. »Aber das Fräulein liegt zu Bett. Sie hat einen Nervenschock, und der Arzt hat ihr verboten, Zeugnis abzulegen. Um zur Sache zu kommen: Oberst Holger verließ sein Haus gestern nachmittag gegen drei Uhr. Man sagt mir, daß auch Sie ungefähr um dieselbe Stunde von Ihrem Hofe weggeritten seien. Stimmt das?«

»Ja.«

»Wohin sind Sie geritten?«

»Ich ritt gegen den Hof des Obersten hinüber.«

»Der Oberst ist auf der Holtewiese gefunden worden. Von seinem Hause bis zu dem Platz, wo er gefunden wurde, beträgt der Weg ungefähr eine Viertelstunde. Wo befanden Sie sich in der Zeit zwischen ein Viertel nach drei und halb vier?«

Der Rittmeister überlegte.

»In nächster Nähe beim Hause des Obersten«, sagte er dann.

»Also ein ziemliches Stück Weges entfernt von dem Orte, wo er gefunden wurde.«

»Ja, ein ziemliches Stück entfernt.«

Der Vorsitzende reichte dem Rittmeister ein Stück Papier.

»Ich bin wenig bekannt in der Gegend«, sagte er. »Können Sie mir vielleicht mit einer kleinen Skizze angeben, wo ungefähr Sie sich ein Viertel nach drei Uhr befunden haben?«

Der Rittmeister nahm das Papier und zeichnete einige Striche. Asbjörn Krag trat an den Tisch und warf einen Blick auf die Zeichnung.

»Wohin wollten Sie eigentlich?« fragte der Vorsitzende.

»Ich pflege immer um diese Zeit, ehe ich zu Mittag esse, einen Ausritt zu machen. Das gehört zu meinen täglichen Gewohnheiten.«

»Haben Sie unterwegs den Herrn Oberst getroffen?«

»Nein.«

»Haben Sie ihn überhaupt in der letzten Zeit gesehen?«

»Ich habe ihn seit vielen Tagen nicht mehr gesehen.«

Nun wurde eine kleine Pause in dem Verhör gemacht, dann fragte der Vorsitzende weiter:

»Um wieviel Uhr sind Sie nach Hause gekommen?«

»Um vier Uhr.«

»Ach so, um vier Uhr«, murmelte der Vorsitzende und griff wieder zu der Skizze.

»Um Viertel nach drei waren Sie also in der Nähe vom Hause des Obersten«, sagte er. »Wo waren Sie – sagen wir einmal – um halb vier?«

»Das kann ich Ihnen nicht so genau sagen. Ich war während der ganzen Zeit in der Nähe vom Hause des Obersten. Das hat doch aber für die Sache keine große Bedeutung.«

Jetzt sah der Herr Vorsitzende sehr streng aus.

»Das ist meine Sache, zu entscheiden, was von Bedeutung ist und was nicht«, sagte er. »Welchen Weg sind Sie zurückgeritten?«

»Denselben, den ich hergekommen war.«

»Und Sie sind nicht über die Holtewiese geritten?«

»Nein.«

»Sind Sie dessen ganz sicher? Das ist nämlich ein sehr wichtiger Punkt.«

»Ich bin keinesfalls über die Holtewiese geritten«, erwiderte der Rittmeister etwas gereizt über die wiederholte Frage. »Ich war überhaupt nicht dort in der Nähe.«

Nun entstand wieder eine Pause im Verhör, und Asbjörn Krag sah es dem jungen Vorsitzenden an, daß er einen Angriff vorbereitete.

»Haben Sie gestern oder vorgestern einen Brief an den Herrn Oberst geschrieben?«

»Ja.«

Jetzt trat Asbjörn Krag näher, um besser zu hören.

»Sie haben ihm in einer wichtigen Angelegenheit geschrieben?«

»Ja.«

»Und haben ihn um eine Zusammenkunft um halb vier Uhr gebeten?«

»Ja.«

»War es nicht Ihre Absicht, zu dieser Zusammenkunft zu kommen?«

»Vielleicht, vielleicht auch nicht.«

»Das ist eine sonderbare Antwort.«

»Ich kann Ihnen auf diese Frage keine andere geben.«

»Ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß derartige Antworten einen schlechten Eindruck auf das Gericht machen müssen und Ihre Sache nur verschlechtern können«, mahnte der Vorsitzende. »Denken Sie daran, daß Sie vor den Schranken des Gesetzes stehen. Ein Zeuge darf nichts verschweigen.«

»Dennoch wünsche ich auf diese Frage die Antwort zu verweigern.«

»Diese Weigerung verschlechtert Ihre Sache außerordentlich. Ich fürchte, daß Sie das in eine etwas schiefe Stellung dem Gericht gegenüber setzen könnte.«

»Was meinen Sie damit, Herr Vorsitzender?«

»Bisher sind Sie als Zeuge vernommen worden. Das Gericht wird nun zu erwägen haben, ob Sie von jetzt an nicht als der Tat verdächtig zu behandeln sind.«

Der Rittmeister gab keine Antwort. Er stand mit dem Rücken gegen Asbjörn Krag, so daß dieser sein Gesicht nicht sehen konnte.

»Erinnern Sie sich genau an den Wortlaut des Briefes, den Sie an den Herrn Oberst geschrieben haben?« fragte der Vorsitzende weiter.

»Nein. Aber ich setze voraus, daß sich der Brief in Händen des Gerichts befindet.«

Der Vorsitzende nickte und holte ein Papier hervor.

»Sie vermuten richtig«, sagte er. »Dieses wirklich recht merkwürdige und höchst kompromittierende Schriftstück ist in unserem Besitz. Hier ist es.« Damit reichte er dem Rittmeister einen Brief.

Dieser warf einen raschen Blick darauf.

»Diesen Brief habe ich nicht geschrieben«, erklärte er fest.


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