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Neunundzwanzigstes Kapitel.

»Doch du bist Erde – du kannst nur begreifen,
Was selber Erde war; dies sollst du schauen.«

Cain.

 

Die Rückkehr der Pilger war ein glücklicher Augenblick für Alle, die in Dürkheim wohnten. Während ihrer langen Abwesenheit waren viele Gebete für sie gen Himmel gestiegen, und manches unbestimmte Gerücht von dem Fortgang und Erfolg ihrer Wallfahrt wurde mit Begier von ihren Freunden und Mitbürgern aufgegriffen. Als letztere jedoch den Bürgermeister und seinen Begleiter wirklich durch die Thore einziehen sahen, eilten sie in geschäftiger Freude hin und her, und in die Begrüßungen mischten sich namentlich bei dem zarteren Geschlechte, viele Thränen. Emich mit seinem Gefolge ließ sich nicht blicken, sondern hatte einen Privatweg nach der Veste Hartenburg eingeschlagen.

Die einfachen und trotz ihres Schwankens, noch immer katholischen Bürger hatten sich, so lange der Bußgang währte, in Betreff der Früchte ihrer kühnen Politik vielen Zweifeln hingegeben. Ihre Stadt lag in einer Gegend, die vielleicht in dieser Stunde noch reicher an abenteuerlichen Legenden ist, als irgend eine andere von gleicher Ausdehnung in Europa, und man kann sich leicht denken, daß unter solchen Umständen die Einbildungskraft von Leuten, die so zu sagen im Aberglauben erzogen worden waren, nicht unthätig blieb. In der That trug man sich durch die Stadt, im Thale und auf der Ebene mit zahllosen, unheimlichen Gerüchten. Einige sprachen von feurigen Kreuzen, die Nachts über den Mauern der gefallenen Abtei glühten, – Andere flüsterten von mitternächtlichen Chorgesängen und gespenstischen Processionen, die man unter den zertrümmerten Thürmen gehört oder gesehen hatte, – während namentlich ein Bauer hoch und heilig betheuerte, er habe mit dem Geist des Pater Johann Zwiesprache gehalten. Diese Sagen fanden ein gläubiges Ohr oder nicht, je nach der Fähigkeit der Zuhörer; auch trug man sich mit einer andern Erzählung, die von so bestätigenden Umständen begleitet war, daß vorübergehend auch die Gemüther derjenigen beunruhigt wurden, die sonst wenig geneigt waren, Ereignissen von mirakelhafter Natur Aufmerksamkeit zu schenken.

Ein Bauer sollte, als er im Forst einen wenig besuchten Pfad ging, Berchthold begegnet seyn, der in seine grüne Tracht gekleidet war, Jagdhorn und Mütze trug, und seinen gewöhnlichen Hirschfänger an der Seite hatte – kurz, ganz so, wie er dem Leser auf einem frühern Blatte dieser Geschichte vorgestellt wurde. Der Erzählung nach war der Jüngling in heißer Jagd auf einen Rehbock begriffen und von der eifrigen Verfolgung ganz roth gewesen. Von Zeit zu Zeit habe er in sein Horn gestoßen. Die Hunde waren in seiner Nähe und gehorchten, wie gewöhnlich, seinem Ruf; überhaupt war die Erscheinung ganz so beschrieben, daß sie die meisten Züge aus der täglichen Beschäftigung des Försters in sich faßte.

Hätte die Sage hier geendet, so wäre sie wohl unter tausend andern ähnlichen Wundererscheinungen, die man sich in jenem abergläubischen Lande erzählte, eine Weile mitgelaufen und dann vergessen worden. Es knüpften sich aber positive Umstände daran, die in einer unbestreitbaren Weise zu den Sinnen sprachen. Man vermißte nämlich schon seit einigen Wochen die zwei Lieblingshunde des Försters, und von Zeit zu Zeit hörte man in den Forsten ein von den Bergen wiederhallendes Gebelle, das unläugbar dem ihrigen glich.

Diese außerordentliche Bestätigung der Erzählung des Bauern fiel in die Woche, welche der Rückkehr der Pilger voranging. Letztere fanden daher ihre Mitbürger in großer Aufregung, denn am nämlichen Tage war fast halb Dürkheim in dem Passe des Hardtgebirges gewesen, den wir in dem Einleitungskapitel dieses Werks schilderten, und hatte mit eigenen Ohren das tiefe Gebell der Hunde gehört. Erst nachdem die Bewillkommnung der Wallfahrer vorüber war und im Laufe des darauf folgenden Abends erfuhren die Pilger diesen ungewöhnlichen Umstand, der übrigens auch Emich zu Ohren kam, noch ehe er die Schwelle seines Schlosses überschritt.

Am folgenden Tage bot Dürkheim ein Bild erfreuter, aber doch zugleich geängstigter Aufregung. Die Bevölkerung fühlte sich glücklich in der Rückkehr ihrer für die Wallfahrt auserlesenen Freunde, konnte sich aber doch den wunderbaren Vorfall mit den Hunden und die abenteuerlichen Gerüchte, die sich daran knüpften, nicht aus dem Sinne schlagen – Gerüchte, die mit jeder Stunde mehr Gewicht fanden durch bekräftigende Einzelnheiten aus verschiedenen Quellen. Am nämlichen Morgen früh hatte sich ein neuer Vorfall zugetragen, der die Aufregung erhöhen half.

Seit Zerstörung der Abtei hatte es Niemand gewagt, sich den wankenden Mauern zu nähern. Zwei Bauern des Jägerthals hatten zwar, durch Habsucht gereizt, heimlich den Versuch gemacht, waren aber wieder zurückgekehrt und erzählten nun von seltsamen Gesichten und schrecklichen Tönen unter den Trümmern. Das Gerücht dieses Fehlschlagens in Verbindung mit einer doch nicht ganz vertilgbaren Achtung vor Altären, die so lange hohe Bekehrung genossen hatten, sicherte den Platz wirksam gegen ähnliche Unternehmungen. Die unheimliche Sage schloß auch die Heidenmauer mit ein; denn durch eine Verwirrung der Vorfälle, welche bei Volksgerüchten nicht ungewöhnlich ist, war die Erzählung Ilses über den Zug des bewaffneten Haufens durch die Cedern in der Nacht des Angriffs – natürlich kam auch noch das allgemeine Mistrauen dazu, welches sich an den Platz knüpfte – dermaßen verdreht und ausgeschmückt worden, daß sich Niemand mehr dem alten Lager zu nahen wagte. Einige sagten, sogar die Geister der Heiden seien durch die Kirchenschändung aus einem Schlaf von Jahrhunderten geweckt worden, während Andere die Meinung aufstellten, da der Eremit bekanntermaßen bei dem Brande umgekommen sei, so müsse der Ort verflucht seyn. Das Geheimniß des wahren Namens und die Geschichte des Klausners waren nun unter dem Volke in Umlauf gekommen, und die Leute brachten daher die letzten Ereignisse mit früheren Vergehungen auf eine Weise in Verbindung, daß bald eine Theorie gebildet wurde, um ihren eigenen Hang für das Wunderbare zu befriedigen, obschon sie, wie in den meisten Fällen sogenannten übernatürlichen Wirkens, vor einer streng logischen Forschung schwerlich Stich gehalten hätte.

In der Nacht, welche der Rückkehr der Pilger folgte, fand unter dem Magistrat eine ernste Berathung in Betreff aller dieser außerordentlichen Sagen und Geschichten Statt. Die Unruhe hatte sich zu einer sehr unbequemen Höhe gesteigert, und es handelte sich nun ernstlich um die Frage über die besten Mittel, sie zu beschwichtigen. Keiner der anwesenden Rathsherrn fühlte sich frei von der allgemeinen Unbehaglichkeit, obschon sie, wie es gewöhnlich bei Männern von Rang und Würden der Fall ist, eine Zuversichtlichkeit zur Schau trugen, die ihrem Innern fremd war. Solchergestalt wurde also die Angelegenheit verhandelt und entschieden. Wir müssen statt aller Erklärung auf die folgenden Ereignisse verweisen.

Die Sonne hatte eben ihre warmen Strahlen in das Thal zu ergießen begonnen, als sich die Dürkheimer Bevölkerung mit wenigen Ausnahmen vor dem Thore sammelte, welches der Graf von Hartenburg so unhöflich erbrochen hatte. Hier wurden die Leute von dazu bestellten Bürgern in die bei kirchlichen Processionen übliche Ordnung gebracht. Voran gingen die Pilger, denen man wegen ihrer kürzlichen Wallfahrt besondere Bedeutung beilegte; dann kam die städtische Geistlichkeit mit den gewöhnlichen Sinnbildern katholischer Gottesverehrung – hinter ihnen die Bürgerschaft, und zuletzt der Schwanz von Weibern und Kindern ohne sonderliche Aufmerksamkeit auf Ordnung. Nachdem Alles gebührend besorgt war, begann der Zug unter dem Gesange der Chorknaben und schlug die Richtung nach Limburg ein.

»Dies ist eine kurze Wallfahrt, Bruder Dietrich,« sagte der Bürgermeister, der in seiner Eigenschaft als Christ von besonderer Heiligkeit noch immer den Schmied zum Nebengänger hatte, »die uns schwerlich müde Beine machen wird. Freilich, wäre die Stadt so thätig und treu gewesen, wie wir, die wir das ferne Gebirge besuchten, so würden wir wohl diese kleine Geschichte von ein paar bellenden Hunden und einigem mitternächtlichen Stöhnen in den Trümmern der Abtei schon bereinigt vorgefunden haben; aber eine Stadt ohne ihr Haupt ist wie ein Mensch ohne Verstand.«

»Ihr glaubt also, hochedler Heinrich, es sei nicht schwer, uns von diesem Teufelsgeschrei und von den ungebetenen Gästen zu erlösen? Was meine eigenen besonderen Dienstleistungen dabei betrifft, so will ich nur erklären, daß ich weit lieber eine längere Reise gegen einen menschlicheren Feind machte, obschon meine Füße von dem bereits Geleisteten gehörig wund sind.«

»Geh' mir weg, Schmied, Du wirst doch nicht mehr als die Hälfte von dem, was Du gehört hast, glauben? Diese Bereitwilligkeit, auf müßige Gerüchte zu achten, bildet einen Hauptunterschied zwischen dem Lumpen und dem guten Haushälter – dem Mann der Schwäche und dem Mann der Weisheit. Wenn es zwischen einer Magistratsperson und einem Handwerksmann schicklich wäre, so wollte ich Dir eine Wette anbieten, daß die Sache ganz anders ausfallen wird, als Du erwartest; und ich halte Dich nicht für einen Menschen, Dietrich, der bereitwillig jede Lüge verschluckt, die man ihm hinbietet.«

»Wenn Euer Gestrengen mir nur andeuten wollte, was ein ehrlicher Mann in Wahrheit glauben darf –«

»Ja, siehst Du Schmied, ich will Dir Alles mittheilen, was ich mir von der Frage verspreche, und wenn wir einen Monat lang jagten und excorcirten. Man wird finden, daß nirgends ein Rudel von Hunden vorhanden ist, gleichviel, ob los oder an der Schnur, sondern höchstens ein Hund oder zwei, die nun behext seyn mögen oder nicht, wie sich eben der Fall ausweisen wird. Ferner wirst Du sehen, daß dieses Mährlein von Vater Johann, welcher den jungen Berchthold hegt, während der Junge seinerseits einem Rehbock nachjagt, nichts ist, als eitel Erfindung, sintemal der Mönch wohl der letzte Mann wäre, sich zu einer solchen vagabundischen, lärmenden Spitzbuberei herzugeben. Und was den Förster betrifft, so setze ich mein Leben daran, daß sein Spucken in nichts weiter bestehen wird, als in Fußspuren oder vielleicht einigen anderen bescheidenen Andeutungen, seines Verlangens nach den Messen, die ihm von den Benedictinern verweigert wurden; denn ich kenne keinen Menschen, der weniger geeignet wäre, die Nachbarschaft unnöthigerweise mit seinen eigenen Angelegenheiten zu molestiren, als den Berchthold Hintermayer, mag er nun lebendig seyn oder todt.«

Ein allgemeines Zusammenfahren und ein Gemurmel unter seinen Begleitern bewog Heinrich, seinen Erklärungen ein Ziel zu stecken. Der vordere Theil der Procession hatte jetzt die Schlucht erreicht, und wie er eben in das Thal einbiegen wollte, ließ sich das Trampeln vieler Pferdehufe vernehmen. Gefühle, die ohnehin so hoch gesteigert waren, konnten leicht bis zu einem peinlichen Grade erregt werden, und Alles schien irgend eine übernatürliche Schaustellung zu erwarten. Ein Staubwirbel fegte jetzt um den Bergvorsprung, und endlich kam Graf Emich mit einem Trupp wohlberittener Diener aus der Wolke. Es war so gewöhnlich, derartigen religiösen Processionen zu begegnen, daß der Graf keine Ueberraschung an den Tag gelegt haben würde, wenn er nicht den Grund gekannt hätte, der die Bevölkerung Dürkheims bewog, ihre Mauern zu verlassen; da er aber bereits von ihrer Absicht unterrichtet war, so stieg er hastig ab und näherte sich dem Bürgermeister mit der Mütze in der Hand.

»Du ziehst aufs Geisterbannen aus, wohlweiser Heinrich,« sagte er, »und die Liebe zu meiner Stadt hat unsere Schritte beflügelt, damit denen, welche ich hochschätze, keine Ehrenbezeugung oder Aufmerksamkeit abgehe. Hast Du Platz unter Deinen Wallfahrern für einen armen Ritter und seine Freunde?«

Das Erbieten wurde mit Freuden angenommen, denn der Muth wuchs bei jedem Anschein von Verstärkung. Emich wurde daher, obschon er die Tracht eines Cavaliers trug, bereitwillig unter die übrigen Wanderer aufgenommen. Der Aufenthalt, welchen diese Unterbrechung zur Folge hatte, nahm sein Ende, und die Procession oder vielmehr das Gedränge – denn die Hast der Beklommenheit und Neugierde hatte fast alle Ordnung unterbrochen – begann den Berg hinanzusteigen.

Sie fanden die Trümmer von Limburg, damals noch neu und von Rauch geschwärzt, in tiefem Schweigen und gänzlicher Verödung. Dem Aeußeren nach zu urtheilen, hatte sie kein Fuß betreten seit dem Augenblicke, als die Bande der Angreifer nach einem tumultuarischen Triumphe, der durch die schauerliche Catastrophe der einstürzenden Dächer so sehr abgekühlt worden war, durch die Thore strömte. Wenn jener Haufe sich in der Erwartung eines wüthenden Angriffes der Abtei genähert hatte, so rückte der gegenwärtige Zug langsam und in der bangen Besorgniß heran, daß er wohl Zeuge seyn dürfte irgend einer fürchterlichen Kundgebung übernatürlicher Gewalt. Beide sahen sich gleichermaßen in ihren Erwartungen getäuscht. Der widerstandlose Sieg der Angreifer ist bekannt, und die Prozession konnte ungehindert weiter ziehen, obgleich manche Stimme im Gesang zitterte, als sie die verwüstete und öde Kirche betraten. Es fiel übrigens nichts vor, was ihre Angst hätte rechtfertigen können.

Durch die tiefe Ruhe ermuthigt und im Verlangen, ihre persönliche Erhebung über den Pöbelschrecken an den Tag zu legen, befohlen der Graf und Heinrich dem Gedränge, in dem großen Gange der Kirche zu bleiben, während sie sich mit einander in den Chor begaben. Jeder Schritt zeigte die gewöhnlichen Merkmale einer heftigen Feuersbrunst, aber außerdem nichts Ungewöhnliches, bis sie den eingeäscherten Altar erreichten.

»Himmel!« rief der Bürgermeister, indem er hastig seinen edlen Freund am Mantel zurückriß. – »Euer Fuß war im Begriff, die Gebeine eines Christen zu entehren, Herr Graf – denn ein Christ war Pater Johann ohne alle Frage, obschon er mehr auf's Verdammen hielt, als auf Liebe und Erbarmen!«

Emich wich scheu zurück, denn er bemerkte in Wahrheit, daß er mit unbedachtem Tritte beinahe diese schauerlichen Ueberreste der Sterblichkeit zerdrückt hätte.

»Hier starb ein wahnsinniger Schwärmer!« sagte er, indem er das Gerippe mit der Spitze seines in der Scheide steckenden Schwerdtes bei Seite streifte.

»Und da ist er noch immer, hochgeborner Graf! – dies bereinigt mit einemmale die Frage von dem Mönch, der den jungen Berchthold durch den Wald und die Cedern der Heidenmauer hetzt, und es würde wohl gut seyn, diese Ueberreste dem Volke zu zeigen.«

Die Andeutung fand Beifall und die Uebrigen wurden aufgefordert, sich persönlich zu überzeugen, daß Pater Johanns Gebeine noch an derselben Stelle lagen, wo er gestorben war. Während die Neugierigen und Furchtsamen sich ihre Ansichten über diese Entdeckung zuflüsterten, stiegen die beiden Führer nach der Gruft nieder.

Dieser Theil des Gebäudes war am wenigsten der Einwirkung des Feuers ausgesetzt gewesen. Geschützt durch das obere Pflaster und ganz aus Stein gebaut, hatte er keine wesentliche Beschädigungen erlitten, diejenigen ausgenommen, welche durch die Schmiedehämmer verübt worden waren. Trümmer der Grabmäler lagen überall umhergestreut, und da und dort hatte ein Rauchwirbel seine Spuren an den Wänden zurückgelassen; aber Emich erkannte jetzt mit Bedauern, daß er die Zerstörung des Altars und der übrigen Denkmäler seines Geschlechts nur seiner eigenen Uebereilung zu danken hatte.

»Ich will Sorge tragen, daß die Gebeine meiner Väter anderswo beerdigt werden,« sagte er gedankenvoll. »Dies ist keine Grabstätte für ein geehrtes Geschlecht.«

»Hum! – Sie haben lange und in Ehren gemodert an der Stelle, wo sie liegen, Herr Graf, und es dürfte wohl am besten seyn, man ließe sie unter den alten Marmorplatten liegen. Freilich haben unsere Handwerker eine ganz ungewöhnliche Behendigkeit in diesem Theile ihres Geschäfts an den Tag gelegt – es geschah ohne Zweifel zu Ehren eines erlauchten Hauses.«

»Kein Glied meiner Familie soll in Mauern schlafen, welche durch die Benedictiner verflucht wurden! Horch! – Was ist dies für ein Getümmel oben, guter Heinrich?«

»Meine guten Städter haben ohne Zweifel die Gebeine des Einsiedlers und des jungen Berchtholds aufgefunden. Wollen wir nicht hinaufgehen, Herr Graf, und Sorge tragen, daß ihren Ueberresten die gebührende Ehrerbietung bezeugt werde? Der Förster hat Ansprüche an uns Alle, und was Odo von Ritterstein betrifft, so erscheint heutigen Tags sein Verbrechen in einem viel milderen Lichte. Außerdem war er in seiner Jugend mit Ulrika verlobt.«

»Heinrich, Dein Weib war sehr schön – sie hat viele Verehrer gehabt.«

»Bitte um Verzeihung, edler Graf – ich habe nie von einem andern gehört, als von dem armen Odo und mir selbst. Der Erstere hat sich durch seine eigene Tollheit das Spiel verdorben, und was den Letzteren betrifft, so ist er just so, wie der Himmel ihn zu machen beliebt hat – vielleicht eine unbedeutende Person als Liebhaber und Ehemann, wenn Ihr so wollt, aber doch ein Mann von einigem Credit und Vermögen unter seines Gleichen.«

Der Graf wollte sich mit seinem Freunde über den Besitz dieser Eigenschaften nicht streiten, und sie verließen mit dem gemeinsamen Wunsche die Gruft, den Ueberresten des armen Berchthold die gebührende Achtung zu erweisen. Zu ihrem großen Erstaunen fanden sie die Kirche verlassen, aber aus dem Geschrei von Außen ließ sich leicht entnehmen, daß irgend ein ungewöhnlicher Vorfall die Mitglieder der Procession in Masse verscheucht haben mußte. Neugierig, den Grund einer so unerwarteten Störung zu erfahren, eilten die zwei Hauptpersonen – denn Heinrich kann noch immer so genannt werden – so schnell, als es unter den Trümmern gehen wollte, den großen Gang nach dem Hauptportale hinunter. In der Nähe des letzteren trafen sie abermals auf den erschütternden Anblick des verkohlten Mönchsskeletts, das man augenscheinlich unter dem Einflusse plötzlicher und großer Verwirrung hatte fallen lassen.

»Himmel!« murmelte der Bürgermeister, während er dem Grafen nacheilte, »sie haben die Gebeine des Benedictiners zurückgelassen! – Ist's möglich, Graf Emich, daß nach all unsrem Unglauben irgend ein feuriges Mirakel diese Furcht veranlaßt hat?«

Emich antwortete nicht, sondern trat mit der Miene eines beleidigten Herrn in den Hof; sein erster Blick auf die Gruppe aber, welche jetzt durch die Trümmer der kleineren Gebäude wogte, von wo aus man das umgebende Land und namentlich Theile des nahen Berges der Heidenmauer überschauen konnte – überzeugte ihn, daß dies kein Augenblick war, um Aeußerungen von Mißfallen kund zu geben. Er kletterte das zusammengestürzte Gestein hinan und gelangte auf einen Mauerrest, umgeben von fünfzig stummen verwunderten Gesichtern, unter denen er mehrere seiner eigenen zuverlässigsten Leute erkannte.

»Was bedeutet diese Mißachtung des religiösen Dienstes und das plötzliche Zurücklassen der Ueberreste des Mönches?« fragte der Graf, sich vergeblich umschauend, da er hoffte, durch seine Sinne schnellere Aufklärung zu finden.

»Hat der Herr Graf nichts gesehen und gehört?« murmelte sein nächster Dienstmann.

»Was – Schurke? Ich habe nichts gesehen, als blasse, zitternde Narren, und nichts gehört, als das Klopfen von Memmenherzen. Willst Du mir Aufklärung geben, Spitzbube? – denn obschon eine Schelmenhaut, bist Du doch wenigstens kein Feigling!«

Diese Rede des Grafen war an Gottlob gerichtet.

»Eine Erklärung dürfte nicht so leicht seyn, als Ihr zu glauben scheint, Herr Graf,« entgegnete der Kuhhirte mit Ernst. »Die Leute sind in solcher Hast hieher gekommen, weil sie das Gebell der übernatürlichen Hunde gehört, und Einige sagen, die Gestalt des armen Berchtholds habe sich wieder blicken lassen!«

Der Graf lächelte verächtlich, obschon er den Sprecher gut genug kannte, um durch die Beklommenheit überrascht zu werden, die sich unzweideutig in dessen Gesichte ausdrückte.

»Du warst mit meinem Förster gut bekannt?«

»Graf Emich, wir waren Freunde, falls ein Mann von meiner geringen Stellung sich dieses Worts bedienen darf, wenn er von einem Jüngling spricht, der die Ehre hatte, so nah' um die Person unsres Gebieters zu seyn. Wie es bei der seinigen der Fall war, hat auch meine Familie vordem bessere Tage gekannt, und wir trafen oft auf den Jagdgründen zusammen, über welche ich ziehen mußte, wenn ich mein Vieh auf die Waide oder nach Hause trieb. Ich habe den armen Berchthold geliebt, hochgeborner Graf, und sein Andenken ist mir noch immer theuer.«

»Ich glaube, Du hast bessern Stoff in Dir, als man wohl aus manchen einfältigen und müßigen Handlungen, die Du Dir zu Schulden kommen ließest, glauben sollte. Ich erinnere mich, daß Du bei unterschiedlichen Gelegenheiten guten Willen zeigtest, und weiß namentlich noch wohl, wie geschickt Du die Signale anbrachtest in der Nacht, als diese Mauern umgestürzt wurden. Du sollst daher an die Stelle treten, die durch das unglückliche Ende meines Försters erledigt wurde.«

Gottlob versuchte, seinem Gebieter zu danken, war aber zu sehr von Schmerz ergriffen über den Verlust seines Freundes, um in seiner eigenen Beförderung Trost zu finden.

»Meine Dienste stehen Euer Gnaden stets zu Gebot,« antwortete er; »aber obgleich ich bereit bin, Euern Befehlen Folge zu leisten, möchte ich doch wünschen, daß Berchthold noch hier wäre, um für mich zu thun, was –«

»Stille – hört!« – riefen hundert Stimmen.

Emich stutzte und beugte sich in gespannter Aufmerksamkeit vorwärts. Der Himmel war klar und wolkenlos, die Luft der Berge so rein, wie der milde Wind und eine strahlende Sonne sie nur machen konnten. Von solchen Umständen begünstigt und in Mitte des Schweigens, das beredt über der Landschaft athmete, tönte durch das Thal hin das wohlbekannte Gebell von Jagdhunden auf der Witterung. Niemand durfte es zu jener Zeit wagen, in diesen Gegenden der Jagd obzuliegen, wie denn überhaupt Niemand mit den Mitteln dazu versehen war, als der Lehensherr. Seit den letzten Ereignissen waren die Jagdgründe des Letzteren unbepürscht geblieben, und der Tod Berchtholds, welcher sich in diesem Betracht eines ausdrücklichen Vorrechts erfreute, hatte sie zurückgelassen, ohne daß ein Anderer da gewesen wäre, welcher es hätte wagen dürfen, sein Beispiel nachzuahmen.

»Dies ist jedenfalls sehr kühn!« sagte Emich, nachdem das Gebell verhallt war. »Hat Jemand in der Umgegend Hunde von dieser edlen Zucht?«

»Wir haben nie davon gehört.«

»Niemand würde es wagen, dergleichen Thiere zu halten« – lauteten die Antworten.

»Ich kenne dieses Gebelle – wahrhaftig es rührt von den Lieblingshunden meines armen Försters her! haben sich vielleicht die Hunde vom Riemen losgemacht, um auf eigene Faust den Hirsch zu hetzen?«

»Wenn dies der Fall wäre, Herr Graf,« entgegnete Gottlob, »würden wohl ermüdete Hunde wochenlang ausbleiben? Es ist jetzt vierzehn Tage, seit das Gebell zum erstenmal gehört wurde, und doch hat von jener Stunde an bis auf den gegenwärtigen Augenblick Niemand die Hunde erblicken können, – es müßte denn seyn, daß einige unsrer Bauern Recht hätten, wenn sie sagen, sie hätten sie wie toll auf der Spur laufen sehen.«

»Man erzählt sich, Herr Graf,« fügte ein Anderer bei, »Berchthold selbst habe sich mit ihnen blicken lassen – sein Gewand flatternd im Winde, während er stets gleichen Schritt mit den Hunden hielt, als sei er eben so schnell zu Fuß, wie sie.«

»Und hintendrein Pater Johann mit zurückgeschlagener Kapuze und der Kutte, wallend wie eine Fahne, um sich einen geistlichen Spaß zu machen!« erwiederte der Graf lachend. »Hast Du nicht gesehen, Tölpel, daß die rasselnden Gebeine Deines Mönches noch unter den Trümmern liegen?«

Der Bauer wurde zwar durch das Benehmen seines Gebieters eingeschüchtert, aber nicht überzeugt. Es folgte hierauf ein langes, erwartungsvolles Schweigen, denn das kleine Nebenspiel in der Nähe des Grafen hatte die feierliche Aufmerksamkeit der Masse nicht im mindesten beeinträchtigt. Endlich thaten sich die Rachen der geheimnißvollen Hunde wieder auf und das Gebell erklang wie das von Hunden, welche aus dem Gestrüppe eines Waldes in's Freie hinausstürzen. Einige Augenblicke später wiederholten sich die Töne, und es unterlag jetzt keinem Zweifel mehr, daß sie von der offenen Haide her kamen, die den Teufelsstein umgab. Die Crisis wurde unheimlich für den tiefen Aberglauben eines solchen Gebiets im Beginne des sechszehnten Jahrhunderts. Sogar Emich wankte. Obgleich er eine unklare Vorstellung von der Abgeschmacktheit des Gedankens hatte, daß lebendige Hunde von einem todten Förster gehetzt werden sollten, so gab es doch, wenn der wichtigere Punkt der übernatürlichen Jagd zugegeben wurde, so viel Mittel, über diese Schwierigkeit wegzukommen, daß er in seinem Einwurf nur wenig Trost fand. Er stieg von der Mauer herunter und wollte eben die Priester und Heinrich bei Seite winken, als sich unter den männlichen Zuschauern ein allgemeines Geschrei erhob, während die Frauen in Massen Ulrika umringten, die mit Lottehen und Meta vor dem großen Crucifix des alten Klosterhofs kniete. Im Nu hatte Emich seinen Platz auf der Mauer wieder eingenommen, die unter der Gewalt seines ungestümen Trittes schütterte.

»Was hat dieser achtungswidrige Lärm zu bedeuten?« fragte der Graf zornig.

»Die Hunde – Herr Graf – die Hunde!« antworteten fünfzig athemlose Bauernstimmen.

»Erkläre mir dieses Geschrei, Gottlob.«

»Herr Graf, wir haben gesehen, wie die Hunde am Rande des Berges vorbeisprangen – dort, ganz in gleicher Linie mit der Stelle, wo der Teufelsstein liegt. Ich kenne die guten Thiere genau, Herr Graf; Ihr dürft mir daher glauben, wenn ich Euch sage, daß es wirklich die alten Lieblinge Berchtholds sind.«

»Und Berchthold!« fuhren ein paar entschiedenere Freunde des Wunderbaren fort. »Wir sahen den verstorbenen Förster, großer Emich, wie er den Hunden nachsetzte, als ob er Schwingen hätte.«

Die Sache wurde ernsthaft, und der Graf stieg langsam in den Hof hinab, entschlossen, die Angelegenheit schleunigst in's Klare zu bringen.



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